Sicario

DER FEIND MEINES FEINDES

7,5/10


sicario© 2015 Studiocanal GmbH


LAND: USA 2015

REGIE: DENIS VILLENEUVE

CAST: EMILY BLUNT, JOSH BROLIN, BENICIO DEL TORO, DANIEL KAYUULA, JON BERNTHAL, JEFFREY DONOVAN, VICTOR GARBER U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN 


Einen Drogenkönig aufzuspüren – das ist, „als würde man einen Impfstoff gegen eine gefährliche Krankheit entdecken“ – ungefähr so vergleicht Benicio del Toro den best case eines Einsatzes gegen die dunklen Mächte. Dabei ist der Vergleich mit einem Vakzin ja gar nicht mal so weit hergeholt. Zumindest nicht in Sicario. Denn da werden die dunklen Mächte von ihren eigenen dunklen Mächten heimgesucht. Will heißen: manchmal bleibt nichts anders übrig, als zum Wohle aller den Feind auszusenden, um den Feind zu besiegen. Und ja, anscheinend funktioniert das gar nicht anders, denkt man an all die Kartelle und Bünde und organisierten Verbrechen, die im stillen Kämmerlein vor sich hinarbeiten und immer wieder mal entsetzlich entstellte Leichen hinterlassen, bevorzugt irgendwo unter Brücken hängend (das Mittelalter lässt grüßen) oder hinter Pressspanverschalungen leerstehender Häuser.

So gesehen in der Eröffnungssequenz des Films. Spätestens schon in den ersten Minuten bleibt nicht viel Chance, sich dieser Sogwirkung des grimmigen Dramas zu entziehen. Im Mittelpunkt steht die Hüterin von Moral und Anstand – Emily Blunt als FBI-Agentin Kate Macer, die nicht weiß, wie ihr geschieht, als sie unter die Fittiche des CIA-Ermittlers Matt Graver genommen wird. Kate tappt im Dunkeln ob des Vorhabens des überheblichen und betont jovialen Mannes, der den wortkargen Geheimniskrämer namens Alejandro mit im Schlepptau hat, ein Spezialist für heikle Dinge, wie es scheint. Gemeinsam wollen sie Staub aufwirbeln, um auf die Spur zum Boss des Sonora-Kartells zu gelangen. Dumm nur, dass die Partie ganz ohne gesetzliches Sanctus plötzlich in Mexiko einmarschiert, was Kate völlig gegen den Strich geht. Diskrepanzen sind vorprogrammiert. Und die Methoden der CIA äußerst fragwürdig. Dabei nicht weniger kriminell als die Kriminellen an sich.

Denis Villeneuve, längst ein ganz großer im Filmbiz und ein Regisseur, der, nach dem schwer beeindruckenden Arrival und Blade Runner 2049 nun auch die Verfilmung von Frank Herberts Dune am Start gehabt hätte (Danke Corona an dieser Stelle), hat 2015 mit dem Drogenthriller Sicario wieder mehr auf die Beine gestellt als die Summe seiner Teile. Taylor Sheridan (u. a. Regisseur von Wind River) hat hier ein wummerndes, teils hypnotisches Gleichnis über die Bedeutung von Moral angesichts einer unkontrollierbar wuchernden Bedrohung geschrieben. Emily Blunt muss sich in ihrer Rolle als das aufrechte Gute eingestehen, dass die märchenhafte Klarheit eines Gut-und-Böse-Szenarios ausgedient hat, dass der Weg zwischen Schwarz und Weiß der einzig begehbare bleibt. Das heißt aber nicht, dass Werte keine Bedeutung mehr haben. Was Alejandro antreibt ist simple Rache und die Konvertierung von seelischem Schmerz. Was Matt Graver antreibt ist die rationale Lösung eines Dilemmas. Kate selbst – um den medizinischen Vergleich nochmals aufzugreifen – sorgt mit ihrer integren Symptombehandlung gerade mal für Linderung, als würde man Aspirin zu Bekämpfung von Malaria verwenden, nur damit das Fieber sinkt.

Der wunderbare Roger Deakins als Virtuose hinter der Kamera und der bereits verstorbene Komponist Jóhann Jóhannsson erzeugen eine Art opernhaften Thriller, der das Grauen punktuell einsetzt, vieles indirekt erahnbar macht und die Spannung in eine malerische, teils suggestive Bildsprache bettet. Ein bedrohliches Wühlen an der Wurzel ist Sicario geworden, aufrichtig im Bekenntnis, in letzter Instanz so sein zu müssen wie ein vom Virus heimgesuchter Antikörper.

Sicario

The Guilty

IM ZWEIFEL FÜR DEN ANRUFER

8/10

 

theguilty© 2018 Nikolaj Møller

 

LAND: DÄNEMARK 2018

REGIE: GUSTAV MÖLLER

CAST: JAKOB CEDERGREN, JAKOB ULRIK LOHMANN, MORTEN THUNBO U. A. 

 

Um einen perfekten Film zu machen braucht man (außer einem guten Buch) eigentlich nicht viel. Im Grunde sogar fast gar nichts. Eine Kamera, eine Schauspielerin oder einen Schauspieler, eine Location. Diese könnte auch nur ein Auto sein. Was man aber mit Sicherheit braucht, ist ein Telefon. Oder mehrere. No Turning Back mit Tom Hardy war so ein Film. Ein Mann in seinem Vehikel, eine Fahrt durch die Nacht. Am Hörer: alle möglichen Leute, die mit Hardys Schicksal zu tun haben werden. Die Rechnung für so ein minimalistisches Konzept, die ging damals tatsächlich auf. Auf den Dialog kommt es an. Auf einen roten Faden. Und dem Charisma des einen Schauspielers, der es schafft, trotz fehlendem Gegenüber unterschiedlichste Emotionen aus dem Ärmel zu schütteln. Hardy konnte das. Jakob Cedergren im Telefonthriller The Guilty kann das auch.

Weniger ist mehr. Den Überblick verliert man in Gustav Möllers Kammerspiel wirklich nicht. Und das ist gut so. Der dänische Knüller beweist sich als eine willkommene Abwechslung von Filmen, die sich in ihrer Ambition, ordentlich Inhalt zu kreieren, in Konfusion verlieren. The Guilty behält als filmischer Einakter einen klaren Kopf, und holt heraus, was aus seinem Potenzial herauszuholen ist, ohne prätentiös zu wirken. Die Dänen, die können das. Ihre Werke sind oft Kunststücke einer überlegten Strategie. Der Stoff, aus dem ambivalente Filme sind, die nicht zwingend Norm-Parameter erfüllen, entfaltet sich dann ganz von selbst. In The Guilty hat die Geschichte eine ganz besondere Eigendynamik. Das Erstaunliche: alles, was hier passiert, wirkt plötzlich. Man könnte meinen, The Guilty ist ein unmittelbares Dialog-Happening, fast schon eine Live-Schaltung, ein Stück Dokusoap über einen strafversetzten Polizisten, der im Innendienst Notrufe entgegennehmen muss und dann einen Anruf erhält, der den Dienstschluss um einige Zeit nach hinten verschieben wird. Am anderen Ende der Leitung: eine Frauenstimme – verzweifelt, weinerlich, angsterfüllt. Die Dame ist entführt worden. Dann, nach mehreren Calls und Backcalls wird der Fall immer klarer, und Polizist Asger immer tiefer in einen Fall hineingezogen, der seine Kompetenzen bei weitem übersteigt und der ihn auch ganz persönlich immer mehr in die Extreme treibt, ohne dabei einen kühlen Kopf zu bewahren. So zumindest scheint es.

Und dann? Dann ist The Guilty mehr ein Hörspiel als ein Film. Diese Hybriden gibt es. Hörfilme, wenn man so will. Hätten wir für Möllers Film kein Bild, würde er allerdings genauso funktionieren. Das Unsichtbare gegenüber am Telefon fasst in Worte, was wir nicht sehen und uns umso stärker vorstellen können. The Guilty entfaltet einen ganz speziellen Sog in eine imaginäre Realität im Kopf. Bei No Turning Back war das längst nicht so stark. Die zweite Ebene des Hörens und Vorstellens ist von einnehmender Gewichtigkeit, fast rückt der kahle Büroraum mit den Bildschirmen und dem Kunstlicht in immer weitere Ferne, das Hörbild übernimmt die Führung. Bis Stille einkehrt und Jakob Cedergrens grübelndes Konterfei wieder den Ist-Zustand dominiert. So switcht das filmische Experiment hin und her, hat fast schon eine interaktive Funktion. Darüber hinaus wagt sich der Thriller auch inhaltlich an einen klugen Diskurs über die Frage nach Schuldigen, Tätern und Opfern. Klar deklarieren lässt sich hier keiner der Involvierten, und wenn doch, dann ist das Spektrum des Gehörten und voreilig Gerurteiltes nur das Segment eines Ganzen, einer nachtschwarzem, verregneten Grauzone, die in beeindruckender Nuancierung narrative Kreativität entfacht, die ausladende Event-Filme manchmal kaum ansatzweise erreichen.

The Guilty

The Circle

PAPARAZZI-WELT

6/10

 

cricle

LAND: ARAB. EMIRATE, USA 2017
REGIE: JAMES PONSOLDT
MIT EMMA WATSON, TOM HANKS, JOHN BOYEGA, BILL PAXTON

 

Geheimnisse sind Lügen. Jeder Mensch hat das Recht, auch all das zu erleben, was der andere erlebt. Und wenn es nur Bilder sind. Oder verwackelte Videos. Und jeder hat das Recht, die ganze Welt zu sehen. Nicht mit dem Auto und nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Kamera. Die ist ungefähr so groß wie ein Augapfel und kann – kabellos und perfekt getarnt – überall platziert werden. Big Brother wäre blass vor Neid. Jeder will diese Kamera. Und alle machen mit. Wieder einmal hat das gigantomanische, selbstverliebte Online- und Social Media-Unternehmen The Circle mit den Plattformen TruYou und SeeChange den Vogel abgeschossen. Immer größer wird dieser Konzern, immer mehr Datenspeicher müssen her. Und immer mehr Menschen fallen der Droge des transparenten Lebens zum Opfer. Ungeachtet jeden Shitstorms. Denn im Circle gibt es nur Gutmenschen. Der größte Gutmensch ist ein gewisser Mr. Bailey, angenehm schmierig und selbstbeweihräuchernd dargestellt von Tom Hanks, der bereits schon in der Dave Eggers-Verfilmung Ein Hologramm für den König gefühlte Ewigkeiten lang auf den Scheich hat warten müssen. Dave Eggers ist es auch, der die literarische Vorlage zu The Circle geliefert hat. Eine im Grunde spannende, durchaus beklemmende und sehr zukunftsnahe Version eines Überwachungskonzepts, dass mit den Verlockungen der Bequemlichkeit das erlebnisorientierte Volk in eine von wenigen Reichen dominierten, abhängigen Dekadenz verfallen lässt. Diese Abhängigkeit macht den Circle zu einer Art Sekte, die auf Freiwilligkeit beruht. Entzieht man sich der sogenannten Gemeinschaft, folgt die Ächtung auf dem Fuß. Und wer will das schon – nicht mehr geliebt werden?

Dass wir Menschen nicht wirklich dafür geeignet sind, eine geschlossene Gemeinschaft zu bilden, ist kein Geheimnis. Es funktioniert ja nicht mal im Mikrokosmos einer Kommune, wo jeder jeden kennt und alle alles voneinander wissen. Dass in der heilen sozialen Welt, die wir dank der Medien den anderen aufdrängen, die dunkle Seite menschlicher Emotionen wie Egomanie, Eifersucht und Dominanzverhalten auf naive Weise ignoriert oder schöngeredet und in Form von Millionen von Kommentaren, die keiner braucht, anderen um die Ohren geworfen wird, ist nur die logische Konsequenz dieser trendigen gesellschaftlichen Form. Diese rosarote Brille trägt auch Ex-Hermine Granger Emma Watson. Anfangs himmelhochjauchzend, folgt nach einigen bizarren Vorkommnissen die blanke Erkenntnis, dass der gläserne Mensch sehr schnell in tausend Scherben zerfällt. Doch hat die engagierte Circle-Mitarbeiterin wirklich alles verstanden? Emma Watson macht den Eindruck, als würde sie nicht zur Gänze hinter die Kulissen blicken. Irgendwas stimmt hier nicht, soviel ist klar. Was genau das ist – diese Erleuchtung spiegelt sich im Gesicht von Mae Holland nicht wider. Dennoch gelingt am Ende durch einen raffinierten Kniff – der irgendwie nicht ihre Idee gewesen sein kann – das Unglaubliche.

Was The Circle alles an ausufernden Convenience-Apps und ausgeklügelten Gadgets entwickelt, ist heillos übertrieben. Allerdings auch ein bisschen beängstigend. Natürlich ist der Social-Fiction-Film eine überzeichnete Utopie, die immerhin mehr am Boden bleibt als ähnliche Filme dieser Art. Der Zuseher kann nachvollziehen, wie weit Facebook und Co gehen können. Und welchen Preis der User oder Nicht-User dafür bezahlt. Vor allem wenn der Zuseher weiß, wie Facebook und Co ohnehin schon funktionieren. Und wie unberechenbar diese Grauzone ist. Und wie gefährlich die Gier nach dem Privatleben anderer. Aus dieser Perspektive ist der Film faszinierend und lohnt sich, gesehen zu werden. Emma Watson, und auch John Boyega haben allerdings so ihre Geheimnisse. Und wir wissen ja: Geheimnisse sind Lügen.

The Circle