Moon Garden (2022)

MIT GUTEM KARMA DURCHS KOMA

6,5/10


moongarden© 2022 Oscilloscope Laboratories


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE / DREHBUCH: RYAN STEVENS HARRIS

CAST: HAVEN LEE HARRIS, AUGIE DUKE, BRIONNE DAVIS, MARIA OLSEN, TIMOTHY LEE DEPRIEST, PHILLIP E. WALKER, MORGANA IGRIS U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Ist das, was Alice im Wunderland alles erlebt hat, Wirklichkeit – oder „nur“ eine imaginäre Reise ins dunkle Herz der eigenen Psyche? Ist das ganze nur ein Traum – oder ist Lewis Carrolls Geschichte eine grundlegend irreale, in einer Welt spielend, die Wunderländer eben möglich macht? Wie auch immer – Kinder sind im Vorhinein dazu auserkoren, ihre eigene Welt nach ganz unbewusst entworfenen, eigenen Gesetzen entstehen zu lassen, allerdings meist notgedrungen, weil die Realität sich einiges anschauen lässt und zu viel Tribut fordert, um ihr ohne schützendes Narrativ entgegenzutreten. In Guillermo del Toros Pans Labyrinth führt ein Faun die kleine Ofélia durch allerlei Aufgaben, während draußen der spanische Bürgerkrieg tobt. In Sieben Minuten nach Mitternacht fordert ein gigantisches Baumwesen den 13jährigen Connor dazu auf, sich mit dem baldigen Ableben seiner Mutter auseinanderzusetzen. Und in I Kill Giants wird die Idee hinter Monster Hunter zum einzigen Halt im Leben. Immer sind es Reisen ins eigene Vorstellungsvermögen. Es sind Geschichten, die variantenreich erzählt werden können, ohne sich jemals zu gleichen. Doch immer sind es Wege durch die Finsternis, durch unwegsames Gelände und an Ungeheuern vorbei, die aber bezwingbar sind, im Gegensatz zur Realität, die sich viel monströser und größer darstellt, als es der kindliche Geist jemals so weit zurechtstutzen könnte, um diese unkalkulierbaren Dämonen von außen in Schach zu halten.

Der amerikanische Soundtechniker und Cutter Ryan Stevens Harris, der das eben in Wien laufende Slash Filmfestival mit seiner Anwesenheit beehrt hat und für Frage und Antwort zur Verfügung stand, hat zwar schon für manchen Blockbuster, vorwiegend für Roland Emmerich (Moonfall, Midway), die eine oder andere Szene gestutzt, nun aber selbst die kreative Luft des Filmemachens geschnuppert – und ein Regiedebüt vorgelegt, an dem er ohne Druck von außen und immer mal zwischendurch, ganz so wie Phil Tippett bei Mad God, an mehreren Ecken und Enden, von der Idee über’s Drehbuch bis hin zur Soundkulisse, herumwerkeln durfte. Seine Geschichte ist die der siebenjährigen Emma, die sich zwischen den Fronten von Mutter und Vater wiederfindet, deren Ehe kurz davorsteht, in die Brüche zu gehen, womöglich aufgrund unüberwindbarer Depressionen von Mama, die freudlos in die Welt starrt oder nicht aus dem Bett kommt, während Papa, der immer mal den Eindruck vermittelt, als wäre er gewalttätig, sein Bestes tut, um der Situation Herr zu werden. In einer Nacht gipfelt der Disput zwischen den Elternteilen in ein die Grundfesten des Hauses erschütterndes Streitgespräch. Auf der Flucht vor so viel negativer Energie stürzt die Kleine die Treppe hinab – und fällt ins Koma.

Dort, im Innern ihrer Selbst, erwacht Emma in einer surrealen Traumwelt, verfolgt von einer nachtschwarzen, gierigen Kreatur ohne Gesicht, dafür mit einem klappernden Gebiss inmitten unendlicher Schwärze, gekleidet wie ein Bürgerkriegssoldat und die, mit nackten Füßen über den Boden schwebend, nach den Tränen des kleinen Mädchens giert. Was für eine düstere, bedrohliche Geschichte, ein Dark Fantasy-Psychomärchen, das auch diesmal Assoziationen zu Michael Ende in Erinnerung ruft, nur noch eine Stufe dunkler, mechanischer, experimenteller. Denn Harris, der schickt nicht nur seine eigene Tochter Haven durchs schaurige Geschehen, sondern lobpreist überdies die sich auf Herzblut, Ausdauer und Fingerfertigkeit besinnende analoge Technik der Stop-Motion-Animation, des Kulissenbaus und der Szenenmontage, welche der Handicraft-Optik aus 80er-Klassikern wie Willow, Flash Gordon oder Poltergeist ein zeitgemäßes Revival beschert. Die Sprache des Films ist dabei zeitgenössisch genug, um nicht von gestern zu wirken, denn mitunter könnte die Gefahr bestehen, ein Live Act-Werk wie dieses auf eine Hommage an die gute alte Zeit zu reduzieren. Mit Moon Garden ist man auf der sicheren Seite. Denn Moon Garden kehrt ganz bewusst jener Technik den Rücken, mit welchem der Cast nicht unmittelbar, während des Spiels, in Dialog treten könnte. Wie wohltuend ist es doch, hier eine Chance auf eine Rückbesinnung zu entdecken; auf die Lust, aus wenigen Mitteln ganze Welten zu improvisieren.

Gerade aufgrund dieser Unmittelbarkeit des Phantastischen gelingt Harris, durchaus zu berühren. Begleitet von der tieftraurigen, durch Mariah Carey erst so richtig bekannt gewordenen Song Cant’ live if living is without you, das in der filmischen Interpretation für Gänsehaut sorgt, transportiert das bizarre Drama eine ganz eigene, verträumte Stimmung, wie verfremdete Erinnerungen an ein magisches Früher, als man selbst noch fähig genug war, seine eigenen Welten zu errichten, um Alltagskatastrophen bewältigen zu können.

Erstaunlich dabei ist nach wie vor, und für mich immer noch nicht ganz geklärt, wie sich Kinder, die in eigentlich kaum kindertauglichen Filmen einem Schrecken ausgesetzt sind, dennoch schadlos halten können. Vor allem, wenn sie sich, wie Emma in diesem Film, zu bitterem Schluchzen hinreißen lassen müssen.

Moon Garden (2022)

Stille Reserven

SCHLAFEN, WENN MAN TOT IST

5/10

 

stillereserven© 2016 Filmladen

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, SCHWEIZ 2016

REGIE: VALENTIN HITZ

MIT CLEMENS SCHICK, LENA LAUZEMIS, MARION MITTERHAMMER, SIMON SCHWARZ U. A.

 

Welche Phrase verwenden Workaholics gerne, um ihren Duracell-Zustand zu rechtfertigen? „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Nun, in einer unbestimmten, nicht weit entfernten Zukunft, im Herzen der Europäischen Union, genauer gesagt in einem geradezu postapokalyptisch entseelten Wien, ist genau das zur optimierten Nutzung vorhandener Ressourcen gang und gäbe geworden. Nicht nur Altpapier, nicht nur Plastikflaschen und Biomüll – nein, in dieser nicht wirklich lebenswerten Zukunft werden auch tote Menschen nicht für tot gehalten, sondern vegetativ am Leben. Ähnlich wie in Matrix dämmert ein künstlich am Leben erhaltener Homo sapiens vor sich hin, um nach und nach ausgeschlachtet zu werden. Denn Ressourcen – die werden in den kommenden Tagen nicht verschwendet. Gut, man kann Nachhaltigkeit auch übertreiben. In Valentin Hitz abgasegrauer Dystopie ist genau das passiert. Jener Teil der Bevölkerung, der verschuldet das Zeitliche segnet, darf auch postmortem seine Schuldigkeit abbezahlen. Das ist fast so wie mit dem Teufel und seiner Seele. Wiener Sagen haben also zukünftig wieder Hochkonjunktur und sind sogar Teil des Regierungsprogramms – wenn der Teufel im Parlament sitzt. Das tut er. Und das nutzen auch Konzerne, die keilen was geht, um Todesversicherungen abzuschließen. Somit ist nicht mal mehr der Tod umsonst, denn selbst der kostet eigentlich das Leben. Versichern beruhigt also ungemein – sofern man das Geld dafür hat.

Valentin Hitz bedient sich mit Spaten und Schaufeln den Ideen George Orwells, den Zivilisationsalbträumen eines Terry Gilliam und den Film Noir-Elementen aus Blade Runner. Stille Reserven macht das versuchte Zitieren und Imitieren riesigen Spaß – nur ist fast mitleidig zu bemerken, dass der Film vergeblich so gerne so sein will wie die, die er zitiert, es aber zumeist nicht hinbekommt. Stille Reserven wirkt wie das Abschlussprojekt eines Filmschülers. Wäre dem tatsächlich so, gebürt Valentin Hitz großes Lob. Grün hinter den Ohren und so ein Film zum Einstand – da würde ich nicht meckern wollen. Nur dürfte es sich so leider nicht verhalten. Die Koproduktion aus Österreich, Deutschland und der Schweiz hat zwar von überall her seine Finanzierungen erhalten – viel Zuschuss dürfte es nicht gewesen sein. Wobei Kameramann Martin Gschlacht hier versucht, Bilder einzufangen, die von hypnotisch-ohnmächtiger Kälte unbeheizter Bauwerke dominiert werden. Mittendrin Schauspieler, die sich wie Androiden verhalten. Womöglich sind sie das auch, zur Sprache kommt aber die Roboterthematik so gut wie gar nicht. Was aber ein verführerisch fuchsiger Gedanke wäre. Denn die Idee hinter Stille Reserven hätte das Zeug dazu gehabt, was weltbewegend Großes entstehen zu lassen. Natürlich längst nicht so etwas wie Blade Runner, aber zumindest etwas Visionäres. Etwas, das bewegt, und vielleicht sogar ein bisschen verstört.

Beides tut Stille Reserven nicht. Zugegeben, das Szenario des ungewohnten Todes, das Vorenthalten der Erlösung – das lädt schon zum Nachdenken ein, und hinterlässt auch das eine oder andere beklemmende Gefühl. Glücklich wird man bei Hitz Versuch eines futuristischen Versicherungskrimis jedenfalls nicht. Erstens weil die Welt, die er zeigt, nicht mal mehr sterbenswert zu sein scheint. Und zweitens, weil der Film seinen Höhepunkt verwirkt. Oder sagen wir, völlig fehlinszeniert im Keim erstickt. Gefühlte Dramatik hat in Stille Reserven nichts verloren. Die Protagonisten stolpern in sperrig-steifer Manier, in regennassen Mänteln und sinnierend rauchend durch eine Sin City der Todessehnsucht, auf die Größenordnung einer Wienerstadt schmalgespurt und die Skyline des Laaerberges in ein Wolkenkratzer-Stakkato verwandelt. Was bleibt, ist eine Beschattungs- und Informantenhatz zwischen Graffiti-Slum, Brazil und Soderbergh´s The Good German. Gehöriges Potenzial, das Hitz Film gehabt hätte. Doch leider zu eintönig, langatmig und unfreiwillig statisch. Wobei der Cameo von Dagmar Koller zwar irritiert, aber in all der Trostlosigkeit für Schmunzeln sorgt.

Stille Reserven