Mona Lisa and the Blood Moon

GEDANKEN-TRICKS ZUM MONDSCHEINTARIF

7,5/10


monalisabloodmoon© 2022 Weltkino


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: ANA LILY AMIRPOUR

CAST: JEON JONG-SEO, KATE HUDSON, EVAN WHITTEN, CRAIG ROBINSON, ED SKREIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Die Freiheit eines einzelnen geht doch bekanntlich so weit, bis sie die Freiheit eines anderen einzuschränken beginnt. Das ist nur fair, würde ich sagen. Mona Lisa, Insassin einer psychiatrischen Anstalt, muss jedoch, um ihre Freiheit zu erlangen, die Freiheit anderer deutlich beschneiden. Das macht sie nicht mit physischer, sondern mit mentaler Gewalt. Wie das geht? Wissen wir nicht, und das weiß Mona Lisa genauso wenig. Sie kann es eben. Und wäre sie Teil des X-Men-Universums, würde sie Professor Xavier, der ähnliche Fähigkeiten besitzt, wohl bei sich aufnehmen. Damit aber hätte er sich womöglich ein massives Problem aufgehalst – denn Mona Lisa will schließlich nicht dorthin müssen, wo andere sie hinhaben wollen. Sie würde sich auflehnen. Und den unbequemen Pöbel dazu zwingen, Dinge zu tun, die sie niemals freiwillig tun würden. Also büxt sie aus der Anstalt und geistert im peripheren Sumpfgebiet von New Orleans herum, irrlichtert vor neonhellen Supermärkten oder Diners umher, die den Bildern von Edward Hopper ähneln und aus der schwül-nächtlichen Dunkelheit herausragen wie startbereite UFOS. Sie lernt den supercoolen DJ Fuzz (Ed Skrein) kennen und noch in derselben Nacht die Stripperin Bonnie, die sich gerade mit einer anderen „Bitch“ prügelt – eine Gelegenheit, die Mona Lisa dazu nutzt, ihre Kräfte einzusetzen, und zwar zugunsten der am Boden liegenden Kate Hudson, die das unbekannte Mädel daraufhin auf einen Burger und dann zu sich nachhause einlädt. Die Fähigkeit Mona Lisas, so kombiniert Bonnie, könnte nützlich sein, um den männlichen Barbesuchern noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Ihr kleiner Sohn Charlie allerdings, der betrachtet die neue Freundschaft zwischen den beiden mit Argwohn.

Bei Ana Lily Amirpour ist der durch den gesellschaftlichen Rost gefallene Frauentypus stets unterwegs zur Selbstbefreiung und unterzieht sich dabei einer manchmal körperlichen oder seelischen Wandlung. Jedenfalls erreicht dieser ein Ziel, das nur die Zwischenstation bleibt für etwas, was dann folgen könnte, dem wir aber als Zuseher nicht mehr beiwohnen werden. Amirpours Filme sind also der Anfang von etwas, sei es im Vampirfilm A Girl Walks Home Alone at Night, in der Endzeitfarce The Bad Batch oder eben aktuell im Kino mit Mona Lisa and the Blood Moon. Das Zeichen für den richtigen Moment, um mit der Katharsis zu beginnen, prangt in diesem Fall als Vollmond, der zusehends röter wird, am Nachthimmel. Dinge und Begebenheiten fügen sich zu einem großen Ganzen zusammen, das die Sehnsucht einer Ausgestoßenen erhört hat. Ein Märchen aus Hoffnung und hypnotischen Vibes also, welches Amirpour hier erneut zusammenmontiert. Sie bleibt ihrem Jargon treu, ihren distanzlosen Bildern und dem grellen Licht. Und dem lässigen Charakter einer zähen Gestalt, die nach ihrer eigenen Menschlichkeit und jener der anderen sucht.

Mona Lisa and the Blood Moon, fast schon Amirpours bester und herzlichster Film, lebt auch nicht unwesentlich von einem perfekt arrangierten Musikmix aus experimentellem Elektropop und schmissigen Grooves, die Mona Lisas Odyssee akustisch untermalen und intensivieren. Dabei nähert sich die Kamera auch in unvorteilhaften Situationen ganz nah seinen Protagonisten, will sie ergründen und verstehen. Die Wide Angle-Optik kommt dem Vorhaben zupass, all die Bilder ergeben zwischen rastloser Traumartigkeit, comichafter Panel-Verliebtheit und Grunge-Elementen wie dreckigen Füßen, fettigem Fast Food und Erbrochenem ein Panoptikum schräger Begebenheiten mit viel Liebe für seine Underdogs – allen voran auch für den einnehmenden und charismatischen Jungdarsteller Evan Whitten, der die Geschehnisse mehr beeinflusst als ihm selbst lieb gewesen wäre und wir es jemals geahnt hätten. Diesem Trio auf Ab- und richtigen Wegen – mit stilsicherer Hand hingescribbelt, bunt aufgerüscht und mit Dialogen, die aus dem Bauch heraus und voller Impulsivität auf den Moment reagieren – folgt man gerne durch einen gewalttätigen und gleichsam zuckersüßen Großstadtthriller, der fast schon mondsüchtig werden lässt.

Mona Lisa and the Blood Moon

The Equalizer 2

EIN STURM ZIEHT AUF

6/10

 

Equalizer 2© 2018 Sony Pictures Entertainment GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: ANTOINE FUQUA

CAST: DENZEL WASHINGTON, PEDRO PASCAL, BILL PULLMAN, MELISSA LEO U. A.

 

Er kocht, sinniert, liest Marcel Proust und hilft jugendlichen Sozialfällen auf den richtigen Weg. Fährt als diskreter Chauffeur betagte jüdische Immigranten durch die Gegend und auch sonst alle möglichen Leute, die mit sich selbst zu hadern haben. Er redet nicht viel, und wenn, dann muss es etwas Bedeutsames sein. Alles andere sind Gedanken, und Gedanken sieht man nicht, genauso wenig wie den eigenbrötlerischen Mann im dunklen Hemd und Mütze, der gar nicht auffallen will. Denn wenn er auffällt, ist es für die, die ihn zu spät bemerken, das letzte, was sie sehen.

Denzel Washington schlüpft zum zweiten Mal in die Rolle des Ex-Eliteagenten Robert McCall, der es sich besser als Jason Bourne gerichtet hat, indem er gestorben und so aus dem Sucher potenzieller Gegner verschwunden ist. Nur die wenigsten wissen von seiner zweiten Existenz. Die ist aber ein unbefriedigendes Vakuum zwischen Trauer, innerer Einkehr und dem Drang, das ungerechte Böse zu bekämpfen, egal wo es aufschlägt. Robert McCall, der Equalizer, ist brutal, scheinbar unbarmherzig und macht keine Gefangenen. Die blutigen Spuren, die er hinterlässt, sind die eines Todesengels. So wäre womöglich Death Wish der bessere Titel für Antoine Fuqua´s Kino-Adaption der gleichnamigen TV-Serie gewesen. An dem schon längst bewährten Duo Washington/Fuqua hätte sich Eli Roth für seine Neuauflage des Mannes, der rot sieht, einiges abschauen können. Hat er aber nicht – entsprechend misslungen ist sein Film geworden. Das lag mitunter am lustlosen Spiel von Bruce Willis, aber auch an der unschlüssigen Psychologie seiner Filmfigur. Da braucht es eben Leute wie Denzel Washington und eine astreine Zeichnung der Figur, die da meucheln und morden soll, alles für einen gute Sache wohlgemerkt, und für mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Welt.

Der zweifache Oscar-Preisträger legt auch in dieses reißerische Thriller-Outfit seiner Figur alles hinein, was er schauspieltechnisch draufhat. Sein Aufenthalt unter den Top 10 meiner bevorzugtesten Schauspieler hat sich nach The Equalizer 2 wieder einmal positiv bestätigt. Washington spielt und changiert seinen Charakter gefährlich unaufgeregt bis an die Grenzen aufrechter Selbstgefälligkeit, das aber so überzeugend, dass ich diesem Robert McCall niemals auch nur im Traum widersprechen würde. Der ritterliche Assassine hat Charisma, ist von einnehmender, gar niederdrückender Dominanz. Eine erhabene Ikone, intellektuell und von einer gnadenlos konsequenten Läuterungsphilosophie belehrt. Wie ein Inquisitor gegen das Verbrechen bleibt die Folter allerdings außen vor, um sofort mit der Hinrichtung zu beginnen. Das mag natürlich einem Rechtsstaat widersprechen, das mag auch das Spektrum überlegter Konfliktlösungsalternativen ziemlich einschränken – die Gewalt selbst aber, die relativ drastisch über das Publikum hereinbricht, verbleibt als Notlösung gegenüber einer dunklen Seite, die den Dialog als Alternative ausschließen wird.

The Equalizer 2 ist ein herbstkalter, brutaler Thriller geworden – regennass, stürmisch und düster. Rauhkehlig wie beim Abgang eines Hochprozentigen, wolkenverhangen und lakonisch wie ein zynischer Independentwestern. Inspiriert von diesem Genre konzentriert sich Regisseur Antoine Fuqua auf das Offensichtliche, ohne das Warum und Wieso seiner Geschichte näher zu erläutern. Es reicht, wenn in Europa Killer ihr Unwesen treiben. Und ehrlich gesagt, wer braucht schon das Konstrukt einer austauschbaren Backgroundstory, angesichts der Tatsache, dass es niemanden wirklich interessiert, geht es doch hier nur um das Lindern sichtbarer Symptome, gemäß einer Aspirintablette an Kopfwehtagen, vor allem wenn ein Sturm aufzieht, da muss so manche Wetterfühligkeit gar nicht erst ausgiebig ergründet werden.

Diesen ausgewachsenen Sturm, und zwar ein wie es scheint tatsächliches Unwetter, nutzt Fuqua geschickt für sein Grande Finale. Zwischen wildgewordenen Wogen und klappernden Lattenzäunen irgendwo im verdammten Nirgendwo nahe Boston geht’s ans blutige Eingemachte. Da erinnert Washington´s Figur an Jean Reno in Leon – der Profi. Wie ein xenomorphes Monster, das nirgendwo und überall zugleich ist. Die beste Szene in einem Film, der sich anfangs etwas schwertut, seine Ansprüche umzusetzen, trotz eines stetig herannahenden Unwetters als schwelende Kulisse des Unbehagens. Das Ganze gerät etwas zu lang, zu zerstückelt der Alltag des rechtschaffenen Killers, zu halbherzig und entbehrlich die Episoden sozialen Bemühens. Auch ist die Figur des Robert McCall zu unerschütterlich, zu unantastbar, und dadurch vielleicht auch auf die Dauer zu langweilig. Zweifel in seinem Tun, die Schwermut in seiner Existenz hätte durchaus mehr Dämonen in seinem Leben vertragen, die den Equalizer vielleicht etwas angreifbarer und lebendiger gemacht hätten, so wie Joaquin Phoenix im vollendeten Thrillerkunstwerk A Beautiful Day. Im Vergleich dazu bleibt The Equalizer 2 zwar knochenhartes und spannendes, aber plakatives Rachekino, dass seinem Hauptdarsteller zu Füßen liegt.

The Equalizer 2