1922 (2017)

AN LANDFLUCHT IST NICHT ZU DENKEN

4/10


1922© 2017 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2017

REGIE: ZAC HILDITCH

BUCH: ZAC HILDITCH, NACH EINER NOVELLE VON STEPHEN KING

CAST: THOMAS JANE, MOLLY PARKER, DYLAN SCHMID, BRIAN D’ARCY JAMES, NEAL MCDONOUGH, KAITLYN BERNARD, TANYA CHAMPOUX U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Wer die neu aufgelegten Planetenabenteuer rund um die Familie Robinson gesehen hat, wird die Protagonistin in diesem Film sofort wiedererkennen. Es ist Molly Parker, in der Serie Lost in Space die toughe und kluge Turbo-Mama mit MacGyver-Überdosis. Hier spielt sie die Frau von Thomas Jane, der nichts prickelnder findet, als in den Äckern vor seinem Haus die Tugenden eines Landwirts auszuspielen. Schön für ihn, weniger schön vielleicht für den Ehepartner, der die Nase voll davon hat, tagein tagaus in der absoluten Einschicht immer auf die gleiche Landschaft zu starren. Landleben mag ja so seine Reize haben, gute Luft gibt’s obendrein, doch wenn gerade gedüngt wird, kann Landluft sehr schnell auch sehr dünn werden. Aber bitte, soll doch ein jeder tun, was er für sein Seelenheil braucht, solange der andere nicht gegen seinen Willen mitziehen muss. Im Falle der adaptierten Kurzgeschichte 1922 von Stephen King sind Molly Parker und Thomas Jane zwei in sich verkeilte Sturköpfe, die vom Traum ihrer eigenen Zukunft nicht abrücken wollen. Arlette James, die das Vermögen, den Grund und das Haus besitzt, will alles verkaufen und in die Stadt ziehen, wo frischer Wind weht. Wilfred James will das nicht, wird jedoch wenig gegen Arlettes Bestimmungen ausrichten können, ist sie doch die Besitzerin der Farm und des ganzen Drumherums. Was bleibt Wilfred also anderes übrig, als, gemeinsam mit seinem Sohn Henry, in letzter Instanz Gewalt anzuwenden, um sein Fleckchen Erde zu retten? Was er damit aber in Gang setzt, sind seltsame Ereignisse, unglückliche Umstände und eine Art Fluch, der den Fortbestand der Familie James gefährden könnte.

Natürlich, Stephen King ist ein Vielschreiber. Und das wirklich Außergewöhnliche dabei ist, dass die meisten seiner Geschichten richtig gut erfunden sind und komplex genug, um sie auch nachhaltig in Erinnerung zu behalten. Allerdings gibt es auch Arbeiten, die, für andere Medien adaptiert, weniger zünden. Wie zum Beispiel 1922, eine Erzählung aus dem Sammelband Zwischen Nacht und Dunkel, die kurz nach seiner Premiere auf dem Fantastic Fest sofort von Netflix abgeholt wurde. Auswertung in den Kinos gab’s keine, obwohl Thomas Jane durchaus solide aufspielt, doch den Wahnsinn, der dieser Figur wohl ins Gesicht geschrieben werden sollte, kann der Schauspieler kaum in darstellerische Energie umwandeln. Grimmig und vielleicht das Gruseligste an diesem ganzen kleinen Psychothriller bleibt indes eher die Verantwortungslosigkeit des Vaters hinsichtlich seines Sohnes, der durch diesen zu einer finsteren Verschwörung getrieben wird. Wie sehr man den Nachwuchs verderben kann, und was für Unglück dieser Umstand nach sich zieht, lässt Regisseur Zac Hilditch sein Publikum durchaus wissen – und auch das schlechte Gewissen jagt Thomas Jane in Gestalt von einer in Mitleidenschaft gezogenen Untoten Molly Parker, die durchs Haus schleicht und keine Ruhe findet. All diese Elemente mögen für sich ihr Potenzial aufweisen – unheilvolle Beklemmung oder gar Gruselstimmung erzeugen sie nicht. Dafür bleibt die Dramaturgie zu hölzern, atmosphärische Zwischentöne, die bei der sehr viel späteren King-Verfilmung Mr. Harrigans Phone so außerordentlich gut zu bemerken waren, lässt 1922 so ziemlich außen vor. Daher begnügt sich die schwarze Farmer-Tragödie mit dem rustikalen Charme erdiger Finger und abgetragener Bauernmöbel, ohne auch nur das Schicksal zu Bösem Getriebener, die es nicht besser wussten, fühlbar zu machen.

1922 (2017)

Lady Macbeth

HERRIN DES HAUSES

6/10

 

ladymacbeth© 2017 Koch Media 

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2016

REGIE: WILLIAM OLDROYD

CAST: FLORENCE PUGH, COSMO JARVIS, PAUL HILTON, NAOMIE ACKIE, CHRISTOPHER FAIRBANK U. A. 

 

Der intrigante Wahnsinn hat einen Namen, und zwar einen sehr klassisch-literarischen: nämlich Lady Macbeth. Kenner des Shakespeare-Königsdramas wissen, dass diese Dame keine unwesentliche Rolle dabei spielt, wenn Heerführer Macbeth an die Macht kommt. Der wiederum war fast schon Marionette in ihren Fingern, und beide gehen sogar so weit, neben dem altbekannten Königsmord auch noch einen Kindsmord zu begehen. Als Folge dieser grauenhaften Handlungen des tyrannischen Ehepaares verfallen beide natürlich dem Wahnsinn, ein klarer Fall von logischer Konsequenz für den englischen Dichter, denn so viel Bosheit darf nicht ungesühnt bleiben. Kein erbauliches Stück also, diese Tragödie, in der entweder alle den Verstand verlieren oder sterben. Nikolai Leskow hat diesen Stoff adaptiert, in seiner Novelle Lady Macbeth von Mzensk. Er hat das Ganze mal etliche hundert Jahre in die etwas hellere Zukunft geholt, und zwar ins 19. Jahrhundert. Tyrannen wettern auch da, zum Beispiel an diesem herrschaftlichen Landsitz eines britischen Patriarchen, dessen Sohn im Zuge eines Landkaufs die Tochter des Verkäufers ehelichen hat müssen, für die er so gut wie nichts empfindet, die ihm mehr Klotz am Bein als sonst was ist. Und die dieser aber auch dementsprechend unschön behandelt. Die Erfüllung ehelicher Pflichten gibt’s sowieso nicht, und vor die Tür darf die junge Frau auch nicht gehen. Schlimmer noch ist der Schwiegervater – ein Scheusal unter dem Herrn, erniedrigend, abstoßend und bis in jede Faser seines Altersgrants alles Nonkonforme ablehnend. Da lobe ich mir den Papa von Jane Austens Emma – dieser hier ist die krasse Antithese. Catherine ist also in einem goldenen Käfig gefangen, wenn man so will. hat keine Rechte, aber auch keine Pflichten. Ist nichts, nur verheiratet. Langweilt sich tagaus, tagein – bis sie auf den Stallburschen Sebastian trifft, mit dem sie natürlich eine Liaison beginnt.

Sebastian, gespielt von Singer und Songwriter Cosmo Jarvis, steht natürlich als Heerführer Macbeth zwischen den Pferden, den koketten Dienstmädchen und der Herrin des Hauses. Und entscheidet sich nach einem Nacht- und Nebel-Quickie, mit letzterer gemeinsame Sache zu machen. Lady Macbeth ist die seit den Oscars 2020 in aller Munde befindliche Florence Pugh, die eben erst für ihre Rolle in Greta Gerwigs Little Women nominiert wurde und in Ari Asters Midsommar um ihr Leben plärren muss. Pugh hätte ja jetzt sogar mit Black Widow noch größer rauskommen sollen, doch der Blockbuster wurde ja bekanntlich verschoben. Immerhin gibt’s noch Richard Oldroyds Filmadaption von Leskows Theaterstück, und da zeigt die 24jährige, was sie prinzipiell sonst noch drauf hat – die Masche einer teils raschsüchtigen, teils habgierigen, teils emanzipierten Intrigantin. Sie tut das, ohne groß mit der Wimper zu zucken. Man sieht aber, dass sie stets hinter ihrem starren Blick und ihrer guten Miene böse Pläne schmiedet, die den anderen nicht gut bekommen. Es ist kein Geheimnis, was folgen wird. Und es folgt nichts Gutes, in diesem kalten, seelenlosen Gemäuer. Die Seelen aber, die hier hausen, haben selbige schon längst jemand anderem verkauft. Karge vier Wände, hie und da elegante Möbel, und alles, das Leblose wie das Lebendige, umgibt eine Aura der Kälte, sei sie nun berechnend oder tief verwurzelt. Diesen Film ohne zusätzliches wärmendes Textil zu sehen, ist fast schon unmöglich.

Oldroyd inszeniert akkurate, klare Bilder, verzichtet auf Schnörkel, und lässt auch sein Ensemble unter erschreckender Gefühlsarmut leiden, die selbst beim Unvorstellbaren Probleme hat, sich zu artikulieren. Diese In Cold Blood-Adaption eines klassischen Stoffes ist in strenge Formen gegossen, bleibt abweisend und ohne Reue. Und jene, die so etwas ähnliches vielleicht ansatzweise empfinden, haben in der Welt von Lady Macbeth nichts verloren.

Lady Macbeth

Am Strand

GESTERN, HEUTE, MORGEN

7,5/10

 

amstrand© 2000-2018 PROKINO Filmverleih GmbH

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: DOMINIC COOKE

CAST: SAOIRSE RONAN, BILLY HOWLE, EMILY WATSON, ANNE-MARIE DUFF U. A.

 

Harry & Sally haben schon in den 80ern versucht, zu beweisen, dass nicht gleichgeschlechtliche Freundschaften ohne sexuelle Komponente einfach nicht möglich sind. Da gab es damals noch genug zu schmunzeln. Das gibt es 2018 mit der Verfilmung der 2007 entstandenen Novelle Am Strand von Autor Ian McEwan nicht mehr. Wobei die Geschichte zweier Liebender eine ganz andere ist. Aber doch sehr viel mit Freundschaft, Partnerschaft und letztendlich Sex zu tun hat. Und dieser Sex, dieses große Tabuthema, dieses Etwas, worüber Mann und Frau nicht spricht, schon gar nicht Anfang der 60er Jahre – der kann vielmehr oder alles ruinieren anstatt auch nur irgendetwas zu richten. Und das, bevor er überhaupt jemals Teil einer Beziehung wird. Denn eine Beziehung, keine freundschaftliche, sondern eine eheliche – die will natürlich vollzogen werden. Das langjährige Partnerschaften irgendwann fast oder ganz ohne Intimitäten auskommen können, ist sicherlich, so wage ich zu behaupten, keine Seltenheit. Deshalb muss eine solche nicht gleich vor der Kippe stehen, sondern, ganz im Gegenteil, beständiger sein als andere. Das Partnerschaften gleich anfangs Probleme damit haben, Intimitäten zu leben, ist dann doch eher selten. Und vielleicht auch ein Grund zur Trennung. Denn ganz so nebensächlich ist Lust und körperliche Liebe ganz sicher nicht. Vor allem auch, wenn Nachwuchs geplant werden will. Da aber in den prüden frühen 60ern Sex so gut wie unkommentiert bleibt, führen unterschiedliche Erwartungshaltungen zu schwerwiegenden Missverständnissen, die sogar taufrische Bündnisse fürs Leben nach nur wenigen Stunden bereits in den Abgrund stürzen.

Dieses Dilemma aus Erwartung, Angst und ehelichen Pflichten ist dann auch das Fallbeil, dass auf die kokette Florence und ihren angetrauten, selbstzweifelnden Edward niedersaust. Die Zukunft, die sich beide wohl in ihrer ungestümen, jugendlichen Phase des Kennen- und Liebenlernens wohl ausgemalt haben, wird urplötzlich schwarz überpinselt, als in einem Hotel am Chesil Beach die innersten Befürchtungen der beiden nach außen gekehrt werden. Nämlich, dass Zuneigung und Vertrauen eine Sache sind, sexuelles Begehren eine andere. Und dann kommt der point of no return, wenn das flitterwöchentliche Himmelbett nur darauf wartet, eingeweiht zu werden. Plötzlich sind sich die beiden Turteltauben fremder denn je. Der Druck, alles richtig zu machen, trifft auf die Furcht vor dem Koitus an sich, und nichts ist mehr so, wie es am Tage zuvor noch war. Dem Versagen von beiden Seiten folgt die Erkenntnis eines verheerenden Scheiterns, sowohl auf kommunikativer als auch auf emotionaler Ebene.

Regisseur Dominic Cooke findet für seine so behutsame wie ansprechende Verfilmung von McEwan´s Novelle berührend anmutige, expressive Bilder. Ganz besonders die Schlüsselszenen am Strand vor regenschwerer Wolkenbank, davor ein Boot und Saoirse Ronan in blauem Kleid. Es sind Stimmungen wie aus den Bildern eines Edward Hopper, Neue Sachlichkeit trifft auf reduktionistische Poesie. Billy Howle als der entrüstete Bräutigam Edward sagt Worte, die irreparablen Schaden anrichten, bis er gar nichts mehr sagt. Und Kompromisse für ein Lebensglück kein Thema sind. Ronan, zuletzt in Lady Bird wirklich überzeugend resolut und verträumt, verleiht ihrer jungen Florence, die mit einer dunklen Vergangenheit hadert und sich nach bedingungsloser Nähe sehnt, so etwas wie verzweifelte Zuversicht, sofern es so etwas gibt. Bis diese im Sand verläuft und bitterer Enttäuschung weicht. Beide Protagonisten meistern trotz ihrer Verantwortung für das Gelingen dieses Filmes ihre Rollen mit zielsicherem Gespür für Situationen und dem gesellschaftlichen Umfeld einer Zeit lange vor deren Geburt. Am Strand hat fast schon epischen Charakter, erzählt in stetem Wechsel von vergangenen Momenten und der Zukunft eines versäumten Lebens. Und von einer Chance, die niemals wiederkehrt und einem gemeinsamem Glück, das womöglich funktioniert hätte, hätten beide einander zugehört. Am Strand ist die Schilderung eines Lebens, in der zwei Liebende irgendwann nichts mehr voneinander wussten und zugeschlagene Türen nicht mehr zu öffnen sind. Ein schöner, schmerzlicher, faszinierender Film über Erwartung und Enttäuschung. Nicht wirklich erbaulich, dafür aber sehnsüchtig, wie der Blick aufs Meer, vom Strand aus.

Am Strand