Furiosa: A Mad Max Saga (2024)

DIE STRASSE IST NICHT GENUG

6/10


furiosa© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2024

REGIE: GEORGE MILLER

DREHBUCH: GEORGE MILLER, NICO LATHOURIS

CAST: ANYA TAYLOR-JOY, ALYLA BROWNE, CHRIS HEMSWORTH, TOM BURKE, LACHY HULME, NATHAN JONES, ANGUS SAMPSON, JOSH HELMAN, JOHN HOWARD, DANIEL WEBBER, ELSA PATAKY U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Für diesen Film war ich in der D-Box. Was das ist? Ein Kinosaal, der immersives Erleben verspricht. Will heißen: Die Sitze, die man gebucht hat, werden dahingehend aktiviert, dass sie sich, abgestimmt aufs Filmerlebnis, entsprechend bewegen. Wenn also zum Beispiel ein Bolide startet, dann wummert auch der eigene Untersatz. Macht die Kamera einen Schwenk, schwenkt dieser dann auch gleich mit. Ist man anfällig für Schwindel, kann das zum Verhängnis werden. Ist aber der Gleichgewichtssinn einer, auf dem man sich verlassen kann, dürfte das erweiterte Einbeziehen der Sinne zumindest bei Furiosa: A Mad Max Saga durchaus Sinn machen. Denn dort brummen und heulen Motoren jede Menge, es explodieren und überschlagen sich Karosserien, es wird geschossen, gekämpft und Wüstenstaub aufgewirbelt – inmitten dieses nach gutem alten Handwerk inszenierten Spektakels das unverwechselbare, faszinierende Konterfei von Anya Taylor-Joy, die allerdings erst nach einer guten Stunde vor die Kamera tritt und vorher ihrer weitaus jüngeren Kollegin Alyla Browne den Vortritt lässt, um die gesamte fiktive Biographie von Furiosa zu erzählen, die Charlize Theron in dem 2015 erschienenen Mad Max: Fury Road schon verkörpert hat – mit geschwärzter Stirn und mechatronischem Arm. Diese Action-Ikone mischt nun also auch George Millers Spin Off auf, und auch wenn sich Taylor-Joy die meiste Zeit hinter Schutzbrillen, Staubtüchern und einer ganzen Schicht Ruß und Motoröl verbirgt – ihre Performance gibt Furiosa: A Mad Max Saga mitunter das, was Mad Max: Fury Road eben nicht hatte: Eine Identifikationsfigur, die einem nicht so gänzlich egal ist wie Tom Hardy, der, wortkarg und unnahbar, den langen, langen Wüstenhighway entlangfuhr, um eben von A nach B zu kommen und sonst nichts weiter.

Währenddessen hatte dieser sämtliche Banden am Hals, mitunter jene von Immortan Joe, einem schwer atmenden Freak mit Maske und transparenter Rüstung, der seine weiß getünchten Jünger gerne sinnlos in den Tod schickt. Alles keine Guten, schon gar nicht ein gewisser Dementus, der von Chris Hemsworth verkörpert wird. Mit dieser exaltierten Rolle, die Rockikonen wie Jim Morrisson, Gene Simmons oder Jon Bon Jovi auf eine Weise karikiert, die zur postapokalyptischen Parodie gereicht, hat Hemsworth sichtlich Spaß. Dass er dabei den Marvel’schen Donnergott zum marodierenden Biker-Cäsaren umkrempelt, noch dazu mit einem Pfrnak, der sein Antlitz grotesk verzerrt, ist reine Absicht. Hemsworth hat lausbübisches Vergnügen an seiner Figur, entsprechend ungestüm wütet er inmitten eines Szenarios, das allerdings nicht viel mehr hergibt als ohnehin schon aus dem Mad Max-Universum freigelegt wurde. Denn George Millers ersonnenes Franchise ist letzten Endes ähnlich karg und wenig fruchtbar wie die Welt, die für handgemachte Action und an die Substanz gehende Stunts die entsprechende Bühne schafft.

Es ist die Wüste, es sind diverse Festungen, es ist die Anarchie einer Endzeit voller Landpiraten, die sich unentwegt bekriegen und nicht imstande sind, sowas wie eine ernstzunehmende Zivilisation aufzubauen. Nach einem nicht näher definierten Ende einer Ordnung, wie wir sie kennen, beherbergt besagtes Wüstenland immer noch geheime grüne Orte, die Furiosa anfangs noch ihre Heimat nennt – bis sie von Rabauken des gottgleichen Dementus entführt wird. Mamas Versuch, die Kleine zurückzubringen, scheitert blutig. Das rothaarige Mädel ohne rechte Kindheit wird wenig später an diesen Immortan Joe verhökert und mausert sich zur Kriegerin, immer nur mit dem einen Ziel, Rache zu üben an den krummnasigen Größenwahnsinnigen, der drauf und dran ist, die absolute Herrschaft zu erlangen.

Bis dahin wird noch viel Sprit verbraucht werden und Karosserien ihre Knautschzonen beanspruchen, werden Tanklaster die Fury Road entlangrasen, Bagger ihre Schaufeln schwenken, sodass Bob, der Baumeister feuchte Augen kriegt und prächtig ausgestattetes Banditen-Gesocks ihre brandneuen Kollektionen vorführen. Mit dieser Liebe zum Detail spielt George Miller, dessen prinzipientreue Analogregie für handgemachtes Rambazamba aller Art auch hier sein Markenzeichen bleibt, seine Trümpfe aus. Vom Nippelzwicker über weißgetünchte Kamikaze-Indigene bis zu Masken und Helmen aller Art füllt Miller ein postapokalpytisches Volkskundemuseum. Dazwischen rattert der Sitz und rattern die Konvois, Treibstoff gibt’s genug, als gäbe es an jeder Ecke eine Tankstelle, doch sonst lässt das Szenario einen kalt. In ausgesuchter Plakativität geben sich flache Figuren einem Schicksal hin, das niemanden tangiert. Die Geschichte rund um Mad Max ist eine hohle Sache, nur immer und immer wieder lässt sich Ähnliches, aber niemals anderes aus dem Konzept herausholen. Diesen Spaß kann man das eine oder andre Mal noch variieren, doch die Aussicht, dass dieser sich totläuft, ist keine Schwarzmalerei. Wie beim Franchise rund um den Terminator, dessen Fortsetzungen immer die gleiche Geschichte aufwärmen, mag die Mad Max-Welt nicht viel mehr hergeben als wilde, handwerklich erlesene, aber kaltschnäuzige Action. Bis die hochtourige Endzeit einer niedertourigen Endzeit die Straßen überlässt.

Furiosa: A Mad Max Saga (2024)

Poor Things (2023)

KINDLICHE NEUGIER AUF DIE FREIE WELT

7/10


poorthings© 2023 Searchlight Pictures All Rights Reserved.


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: YORGOS LANTHIMOS

DREHBUCH: TONY MCNAMARA

CAST: EMMA STONE, WILLEM DAFOE, MARK RUFFALO, RAMY YOUSSEF, CHRISTOPHER ABBOTT, MARGARET QUALLEY, HANNA SCHYGULLA, SUZY BEMBA, JERROD CARMICHAEL, KATHRYN HUNTER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Ob ein Film gefällt oder nicht, ist stets das Resultat aus momentaner Befindlichkeit, Geschmack und Interesse. Manchmal stört an einem Film auch nur eine Kleinigkeit, und schon kann man sich nur noch schwerlich am Gesehenen erfreuen. Manchmal aber entspricht eine Emotion genau der eigenen und das Werk wird liebgewonnen, ungeachtet unzähliger Unkenrufe aus der breiten Masse. Wie steht es aber um mediale Beeinflussung und Vorschusslorbeeren für ein Werk, das im Mainstream einhellig über den grünen Klee gelobt, von den Medien hofiert und laut allen nur erdenklichen Pressestimmen als phänomenal befunden wird – lässt sich da selbst noch eine eigene Meinung bilden oder ist diese dann, sollte sie nicht in den Tenor einfallen, das Resultat eines künstlerischen Unverständnisses; ein nicht ernstzunehmendes Urteil, da ein Film wie Poor Things sowieso nur gut, wenn nicht gar sehr gut – nein, lieber nur ausgezeichnet sein kann, weil es eben alle sagen. Unbeeinflusst lässt sich Yorgos Lanthimos neuer Film einfach nicht konsumieren. Was Großes wird über die Leinwand flirren, ein feministisches Meisterwerk allererster Güte, ein Bildersturm, dem man sich nicht entziehen kann, mit einer fabelhaften Emma Stone, die alle Stücke spielt und so weiter und so fort.

Ist Poor Things alles andere als gut? Oder doch genauso sensationell? Letzteres käme gelegen, dann wäre man kein nonkonformer Außenseiter, der das anders empfindet. Was bin ich froh, nicht gegen den Strom schwimmen und mit der Möglichkeit umgehen zu müssen, den Film nicht verstanden zu haben. Ihn nicht zu verstehen ist schließlich fast unmöglich, denn wirklich komplex ist weder der Plot noch die zu überbringende Botschaft des Ganzen. Poor Things gestaltet sich wie ein Pop-Up-Märchenbuch für Erwachsene, denn ganz viel Sex darf erwartet werden, der noch dazu vollzogen wird in prächtig ausgestatteten Hotelzimmern oder Kajüten – stehend, liegend, wild herumreitend. Emma Stone gibt sich einer ungenierten, erfrischend frechen Freizügigkeit hin und wirkt dabei niemals obszön oder vulgär. Als wohl eine der besten Schauspielerinnen des aktuellen Filmschaffens – und das kann ich getrost sagen, da bin ich unisono mit den Publikumsstimmen – erobert sie die Herzen, nicht zwingend aber die sexuelle Traumwelt. Vielleicht, weil es vorrangig gar nicht um Wollust geht, sondern einfach und allein um den paradiesischen, endlosen Blumengarten der Freiheit und Selbstbestimmung.

Poor Thing ist – und jetzt ist es draussen – tatsächlich ein guter Film. Neben all der erlesenen, bis ins kleinste Detail opulenten und auch bizarren Ausstattung, die an die frühen Werke Jean-Paul Jeunets oder Tim Burton erinnern (dazu gehört auch zumindest bei Jeunet extremer Weitwinkel oder eben Fischauge) liegt das goldglänzende Kernstück der Fabel in seiner Prämisse, die mit den Stereotypen der Wissenschaft jongliert und dabei manchmal einen der Bälle verliert, denn das ist Absicht. Anfangs ist Yorgos Lanthimos Guckkasten-Operette ohne Gesang noch in Schwarzweiß, denn Bella Baxter – so nennt sich die künstlich geschaffene Figur – kennt die Welt da draußen, jenseits der Räumlichkeiten ihres Ziehvaters Godwin Baxter, überhaupt noch nicht. Wie denn auch – noch bewegt sich Emma Stone wie Pinocchio in seinen ersten Minuten, bringt kaum Wörter über die Lippen, muss alles erst erlernen. Warum das so ist? Als schwangere Wasserleiche aus der Themse gefischt, hat der alte Baxter sie wiederbelebt, indem er der Unbekannten das Gehirn ihres Fötus einsetzt. So hampelt das Kind im Frauenkörper anfangs noch durch die Welt, bis sie von Szene zu Szene immer selbstbestimmter werden, alles entdecken und erleben will. Poor Things ist eine Ode an die Neugier am Leben, auf das Lebenswerte, das sich nur leben und erfahren lässt, wenn man frei ist von Zwängen, Unterdrückung und Besitzergreifung – kurz: frei eben. Nicht mehr, nicht weniger. Lanthimos hat im Grunde eine Coming of Age-Parabel ersonnen, die mit den Klischees einer Mann-Frau-Koexistenz ähnlich umspringt wie Greta Gerwig in Barbie. Während beim zuckerlrosa Geschlechterkrieg-Musical der Mann dazu angehalten wird, sich selbst zu überdenken, will das Frausein hier einfach nur nicht in einem Patriarchat stattfinden müssen. Der Mann – in seiner unzulänglichen Romantik, seiner Eifersucht und seinem absurden Drang zu Besitz und Macht – bekommt die kalte Schulter, an der einer wie Macho Mark Ruffalo immer mehr verzweifelt. Ein schadenfroher Spaß, ihm dabei zuzusehen.

So wirklich traurig ist Willem Dafoe als von seinem eigenen Vater zu Erkenntniszwecken entstellter Mann des Wissens – ein „Almöhi“ des pseudoviktorianischen Englands, gutmütig und unbeholfen nüchtern. Zwischen ihm und Emma Stone entfaltet sich die stärkste Bindung. Hier findet statt, was sonst nur so scheint, als wäre sie da: Das Miteinander, das Geben und Nehmen. Baxter ist sich letztlich selbst genug, und wie geschmeidig und kaum merkbar, wobei letzten Endes aber doch, entwickelt sich das ungebändigte Kind zur selbstbewussten Frau. Es stimmt, Poor Things ist lebens- und wertebejahend, räumt mit dem gebrandmarkten Gewerbe der Prostitution auf und ist vor allem auch, neben all der Gleichnisse, ein Augenschmaus im Arthouse-Kitsch zwischen Steampunk, Pluderärmel und monströsem Kinderbuch. Das Artifizielle allerdings lässt große Gefühle nicht zu. Poor Things gefällt, berührt aber nicht. Bella Baxter und all ihre Männer bleiben in ihrer Blase, und wir in der unseren. Was Poor Things zu sagen hat, ist nicht neu, dafür aber neu bebildert. Wie viel Wirkung hätte der Film noch entfalten können, hätte Lanthimos sein Werk in einer uns bekannten Realität verortet – authentisch, vielleicht naturalistisch und weniger gekünstelt? Er wäre uns damit nähergekommen, Emma Stone hätte den Draht zwischen ihr und uns zum Knistern gebracht. Letzten Endes ist das Blättern in einem prunkvoll ausgestatteten, ledergebundenen Leinwandportfolio ein Genuss, jedoch einer, der sich, genau wie Bella Baxter, einfach selbst genügt.

Poor Things (2023)

Geliebte Köchin (2023)

DIE KÜCHE ALS ELYSIUM

8/10


Geliebte_Koechin© 2023 Curiosa Films – Gaumont – France 2 Cinema / Carole Bethuel


ORIGINAL: LA PASSION DE DODIN BOUFFANT

LAND / JAHR: FRANKREICH 2023

REGIE / DREHBUCH: TRÂN ANH HÙNG

CAST: JULIETTE BINOCHE, BENOÎT MAGIMEL, EMMANUEL SALINGER, PATRICK D’ASSUMÇAO, GALATEA BELLUGI, BONNIE CHAGNEAU-RAVOIRE, JAN HAMMENECKER, FRÉDÉRIC FISBACH, SARAH ADLER, YANNIK LANDREIN U. A.

LÄNGE: 2 STD 25 MIN


Man muss schon autoaggressiv sein, um sich einen Film wie diesen zur frühen Mittagszeit anzutun, bevor das Essen auf dem Tischt steht. Da reicht nicht mal das bereits vergessene leichte Frühstück, und auch wenn dieses als Brunch zur Schadensbegrenzung hätte herhalten sollen: Es nützt alles nichts. Geliebte Köchin entfacht so dermaßen den Appetit, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion irgendwann verschwimmt und die Möglichkeit, in den Film einzusteigen und all die Köstlichkeiten selbst abzuschmecken, als wahrscheinlich gilt. Zugegeben, letztes Jahr hat man sich mit À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen der Lust am Verkosten wenig alltäglicher Speisen ebenfalls hingeben müssen, so erlesen wurde die Kochkunst im Zeitalter der Revolution zelebriert. Auch The Menu gefiel mit seinen absonderlichen Kreationen, nur um ganze Zeitalter moderner, ausgefallener, intellektueller. Doch keiner dieser Werke lässt das Erlebnis kreativer Kochkunst, die man wohl sein Leben lang nicht auf den Tisch bekommt, so sehr den Zustand einer Apotheose erfahren wie Trần Anh Hùng. Dabei ist der deutsche Titel Geliebte Köchin direkt zu profan, um dem Bildersturm, der darauf folgt, gerecht zu werden. La Passion de Dodin Bouffant als Originaltitel mag einem erfolgreichen Marketing vielleicht ein bisschen im Wege stehen, vielleicht auch der englische Titel Pot au Feu, von dem wohl keiner, der sich nicht mit der französischen Küche zumindest ansatzweise beschäftigt hat oder des Französischen mächtig ist, wirklich weiß, was das ist. Dabei handelt es sich um ein simples Gericht, einen nordfranzösischen Eintopf aus gekochtem Rindfleisch und Gemüse, wofür es allerdings dennoch das notwendige Fingerspitzengefühl braucht, um alles in richtigem Ausmaß gar werden zu lassen.

Im Wettbewerb um die Goldene Palme und letztlich doch mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet, schlägt Geliebte Köchin in seiner malerischen Opulenz jede noch so ausgeschmückte, bisher dagewesene filmische Beobachtung der Küchenkreation. Selbst Peter Greenaways Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, der barocke Gemälde hernahm, um üppige Stillleben zwischen Fasan und gedünstetem Kohl und sonstigen Feinschmecker-Arrangements zum Leben zu erwecken, scheint im Gegensatz zu diesem Film hier das ganze Licht des Tages und der Jahreszeiten abhanden gekommen zu sein. Hier sind Fenster und Türen einer Großraumküche im Anwesen des Gastronomen Dodin Bouffant stets geöffnet. Zum Abend hin erstrahlt das rustikale Interieur in goldenem Glanz, währen draussen der Specht klopft und der Kuckuck ruft. Und nicht nur das: Auch all die Zutaten aus dem hauseigenen Garten, vom Markt oder vom befreundeten Wildschütz, die da formschön trapiert auf den hölzernen, schon viele Male bearbeiteten Tischen liegen, werden zu wertvollen Artefakten, die Kochkünstlerinnen wie Eugénie benötigen, um den Genuss des stilvollen Verzehrs auf eine neue Dimension zu heben. Das dies gelingt, dessen ist man gewiss. Allein schon die ersten fünfzehn bis zwanzig Minuten sind der reinste Augenschmaus. Fast wortlos geschieht hier vieles gleichzeitig. Von der Fischsuppe über geschmorte Rippchen bis zum flambierten Eiskuchen ist alles da, was der Feinschmecker begehrt. Gerne möge man mich des Esszimmers verweisen, denn mit Sicherheit nennen sich all diese Gerichte wohl ganz anders, als ich sie hier mit meinem kümmerlichen Gourmet-Verständnis beschrieben habe.

In Geliebte Köchin wird die Zubereitung zu einer Art magischen Performance. Unglaubliches wird kreiert. Und dieses „Unglaublich“ lässt fast die eigentliche, kleine, nahezu bescheidene (und nicht nur simple) Geschichte einer Liebe vergessen machen, die zwischen Schauspielgöttin Juliette Binoche (wieder mal famos) und Benoît Magimel die ganze Zeit schon deren Leben versüßt. Binoches Eugénie mag zwar die Angestellte eines anderen Großmeisters sein – die wahre Auserwählte ist sie, und nur sie allein. Dodin weiß das, letztendlich will er sie ehelichen, und das nicht nur wegen ihrer Fertigkeiten. Beide passen zusammen, beide empfinden dieselbe Leidenschaft. Und da ist da noch dieses junge Mädchen, Pauline, die, wie es scheint, das Verständnis für die hohe Kunst der Zubereitung von Geburt an in sich trägt. Ein Naturtalent eben.

Warum die romantische, behutsam und vor allem respektvoll inszenierte Romanze weit über bereits Gesehenem steht? Weil Trầnh Anh Hùng so nuanciert und entschleunigt erzählt wie schon seinerzeit in seinem bittersüßen, überaus zarten Meisterwerk Der Duft der grünen Papaya. Weder ist die Kamera nur statisch oder nur bewegt, Kameramann Jonathan Ricquebourg fängt sowohl die entfesselte Hektik am Herd als etwas ein, das wie der Schaffensprozess Michelangelos daherkommt, als auch die in sich ruhenden, in sattem Licht formvollendeten Miniaturen aus Zutaten, brodelnden Töpfen und der Zubereitung alles Essbaren, das in den Synergien ersonnener Rezepte verblüffende chemische und geschmackliche Verbindungen eingeht. Dazwischen die distinguierte, fast schon in kühlen, entspannten Bildern getauchte Betrachtung einer Lebensgemeinschaft. So bringt Trầnh Anh Hùng, stilsicherer Ästhet mit dem Gespür zur Reduktion im richtigen Moment, das Abenteuer einer für uns Normalsterbliche schwer zu erreichenden kulinarischen Erfahrung mit auf den Weg, den überbordenden Naturalismus einer oft als Nahrungsaufnahme degradierten und unterschätzten Kunst.

Geliebte Köchin (2023)

Three Thousand Years of Longing

WAS WÜNSCHT SICH EIN FLASCHENGEIST?

7/10


threethousandyearsoflonging© 2022 Leonine


LAND / JAHR: USA, AUSTRALIEN 2022

BUCH / REGIE: GEORGE MILLER, NACH DEN KURZGESCHICHTEN AUS „THE DJINN IN THE NIGHTINGALE’S EYE“

CAST: IDRIS ELBA, TILDA SWINTON, AAMITO LAGUM, ECE YÜKSEL, MATTEO BOCCELLI, LACHY HULME, MEGAN GALE, BURCU GÖLGEDAR, ZERRIN TEKINDOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Bei George Miller weiß man eigentlich nie, was der Australier als nächstes macht. Und welches Genre er eigentlich bevorzugt. Man könnte ja sagen: ein bisschen was von allem. Miller betrachtet seinen Spielplatz Film nämlich von beiden Seiten. Da ist einerseits die postapokalyptische Kultfigur Mad Max: Action, Anarchie und Faustrecht. Andererseits sind da tanzende Pinguine im Animationsstil oder sprechende Schweine, die das Abenteuer suchen. Dazwischen vielleicht so etwas Intensives wie das True Story-Drama Lorenzos Öl. Miller ist vielseitig. Das beweist er nun auch seinem Publikum mit einer verspielten Tausendundeiner Nacht-Interpretation, die abrückt von einem orientalischen Helden wie Aladdin und das Leben und Leiden des Geistes aus der Flasche genauso ins Zentrum stellt wie dessen weibliches Pendant, genannt bezaubernde Jeannie, die jahrelang in einer Retro-Sitcom herbei- und fortzaubern konnte, was Major Nelson nur so in den Sinn kam. In Wahrheit aber – also in der erzählerischen Wahrheit phantastischer Geschichten – ist das Dschinn-Dasein eine Frage der Gunst Sterblicher. Mit drei Wünschen schon lässt sich so ein metaphysisches Wesen, bestehend aus elektromagnetischer Energie, in die Freiheit entlassen. Nicht und nicht mag das gelingen, über Jahrhunderte hinweg. Der dritte Wunsch bleibt der unausgesprochene. Von einer Flasche in die andere wandert also ein spitzohriger Idris Elba, der seiner Rolle Charisma, Charme, Naivität und Sehnsucht verleiht. Die Geschichten, die er im Istanbul der Gegenwart Narratologin Tilda Swinton erzählen wird, sind magisch, faszinierend und wie in einem Traum, den man vielleicht träumt, nachdem man einige Seiten der Märchen Salman Rushdies gelesen hat, wie zum Beispiel Harun und das Meer der Geschichten. In diesem Meer mag man auch bei George Miller versinken. Und man will nicht, dass sie enden. Tausendundeine Nacht sind dafür wohl nicht genug, tausendundzwei hätte man gerne.

Der Dschinn beginnt, nachdem die einsame Alithea ihn ungewollt aus einer im Basar erstandenen Glasflasche befreit hat, seine Erlebnisse aus der Zeit Königin von Sabas zu erzählen – in einer üppigen, hochstilisierten Bildsprache, die an Tarsem Singh (The Fall) erinnert, aber auch an Max Ernst oder dem Phantastischen Realismus eines Arik Brauer. Versponnene Geschichte wird zum inspirierenden Märchen, das später, in der Zeit der Kalifen, seine Fortsetzung nimmt. Auch hier: Üppige Ausstattung, orientalisches Geschichtenerzählen auf geknüpften Teppichen. Idris Elba schildert den Grund seiner Sehnsucht mit Überzeugung und Leidenschaft und gibt sich selbst auch dem leidenschaftlichen Spiel hin, während Tilda Swinton die Contenance bewahrt. Three Thousand Years of Longing ist ein Märchen- und Fantasyfilm der ungewöhnlichen Art, der mit gezügeltem Bildersturm sein Publikum nicht ermüden will, sondern vielmehr nach noch mehr lechzen lässt – und die Lust am Fabulieren, an den eigenen kreativen Gedanken und an Tagträumen in den Kinosaal streut.

So prickelnd Millers Film auch seine Philosophie des Wünschens und Nicht-Wünschens in Szene setzt, so rund und kompakt all seine Episoden wie aus dem Ei gepellt über den Boden von Istanbuls Hotelzimmer kullern, so unrund gelingt letzten Endes die Romanze zwischen der Menschenfrau und dem Ewigen. Für diese Beziehung bleiben Miller nur mehr karge Reste seines kreativen Inputs. Phrasen über Liebe übertünchen jene von Abhängigkeit und Loslassen. Es mag zwar immer noch eine gewisse Geschmeidigkeit in der Geschichte liegen – der elementare rote Faden aber verliert sich im Chaos der Moderne, deren Schattenseiten uns allen ohnehin bekannt sind und daher, so scheint es, etwas willkürlich zur Sprache kommen. Von den eskapistischen Geschichten möge es noch viele geben, nur bietet die Moderne den Zauber längst nicht mehr.

Three Thousand Years of Longing ist eine über weite Strecken fabelhafte Fabel über Storytelling und Sehnsucht, über Einsamkeit und offene Ohren. Über das besänftigende der Erfahrung und der Freiheit, sich aus Erlebtem inspirieren zu lassen für das Fiktionale. Um Liebe geht es hier nur peripher, auch wenn Miller da das Gefühl hatte, mehr beitragen zu müssen als verlangt. Der letzte, gewisse Kniff in seinem Film bleibt somit aus, das Tüpfelchen vom i bei Dschinn fehlt – ganz so wie der letzte Wunsch, der lange unerfüllt bleibt.

Three Thousand Years of Longing