Curveball – Wir machen die Wahrheit

MÜNCHHAUSEN BRINGT DIE WELT ZU FALL

8/10


curveball© 2021 Polyfilm Verleih


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2020

BUCH / REGIE: JOHANNES NABER

CAST: SEBASTIAN BLOMBERG, DAR SALIM, MICHAEL WITTENBORN, THORSTEN MERTEN, VIRGINIA KULL, FRANZISKA BRANDMEIER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Wenn es nicht so erschütternd wäre, würde man ja wirklich von Herzen darüber lachen. Es läge auch der Verdacht nahe, dass, wenn diese Geschichte hier nicht eben wahr wäre, die Coen-Brüder, Steven Soderbergh oder Adam McCay (Vice) bei diesem Film ihre Virtuosität von der Leine gelassen hätten. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, so etwas wie Burn After Reading zu verfolgen, voller grotesker Wendungen und einem heillos überforderten Anti-Helden, der langsam, aber sicher, mitbekommt, wie sehr sein anfangs kaum abschätzbares Zutun dazu geführt hat, dass die Welt ins Wanken gerät. Doch es bleibt der ernüchternd bittere Geschmack im Mund zurück, nachdem klar wird, dass Curveball – Wir machen die Wahrheit alles andere als eine Politsatire mit zynischen Vermutungen über Politik und Geheimdienst darstellt, die jemand einfach mit enorm viel Schadenfreude niedergeschrieben hat. Curveball ist nicht erfunden. Denn sowas – denkt man länger darüber nach – kann man gar nicht erfinden. Die Realität, die schreibt wieder mal die krassesten Geschichten, und so folgt man Sebastian Blomberg als Biowaffenexperte Wolf durch ein zum Fremdschämen eskalierendes Schmierentheater voller Eitelkeiten und boshafter Geltungsgier, die mit Gerechtigkeit nur mehr wenig zu tun hat.

Längst weiß die Welt ja, was schlussendlich der Funke an der Zündschnur gewesen war, die die Invasion der Amerikaner in den Irak legitimiert hat. Aalglatte Fake News, die niemals validiert wurden, und die, falls sie geprüft worden wären, nichts mehr mit den ursprünglichen Aussagen zu tun gehabt hätten, die sowieso nur einer der Flüchtlinge aus dem Irak von sich gegeben hat, der mit einem deutschen Pass seine Familie nach Deutschland holen will. Natürlich nutzt man die Gunst der Stunde und den Umstand, dass im Irak gerade niemand seinen Geheimdienst herumschnüffeln lässt, um das zu sagen, was alle hören wollen: nämlich die Sache mit den Biowaffenfabriken auf Rädern, tödlichen Tests und Unfällen mit Anthrax. Biochemiker Wolf, der als erste Ansprechperson der Quelle namens Curveball fungiert, freundet sich mit dieser sogar an und hat kurze Zeit später Behauptungen zu präsentieren, die sich der Bundesnachrichtendienst sofort an seine Fahnen heftet, um endlich aus dem Schatten aller anderen Geheimdienste zu treten. Nur: diese Behauptungen sind allesamt falsch. Doch wen schert das – die Wahrheit scheint was für Luschen. Mit den Lügen allerdings haben alle was davon.

Was ist Wahrheit?, lässt Blomberg am Anfang des Films fragen. Und: Was sind wir ohne das Ringen um Wahrheit? Nach Filmen wie diesen kann man getrost zu dem Schluss kommen, dass Politik wirklich das Letzte sein muss. Und das ihr innewohnende Machtpotenzial eine Verhaltensanarchie legitimiert, bei der sich eitle Fassadenkletterer immer noch in den Spiegel schauen können, ohne sich selbst zu sehen. Die Frage nach der Wahrheit hat schon der Politiker Pontius Pilatus im alten Rom gestellt. Die Antwort wissen wollte er genauso wenig wie seine Fachkollegen der Neuzeit. Das teuer erkaufte Image ist das, woran alle Rechtgläubigen abgleiten. Johannes Naber hat diese händeringende Ohnmacht gegenüber denen von ganz oben in einen präzisen, zynischen Politfilm gepackt, der nicht viel tun muss, außer den Fakten zu folgen und der selbst fassungslos dabei zusieht, wie die Weltordnung sich selbst verrät. Für diesen vorzüglich verfassten Streifzug durch die Niederungen nicht nur deutscher Politik findet Naber ein Ensemble, das immer wieder Lust hat, seine realen Vorbilder zu karikieren. Curveball – Wir machen die Wahrheit bleibt immer mit einem gewissen Ernst bei der Sache, kann aber oft nicht anders, als manches einfach nur noch als Realsatire zu sehen, denn der pure Ernst würde sonst zu sehr einer weitreichenden Desillusion folgen. Deutschland hat wieder einmal mehr bewiesen, dass es sich im Genre des politischen Kinos befreiend wohl fühlt. Ein Must-See, so genau und gleichzeitig erfrischend sentimental auf den Punkt gebracht, dass das bisschen weltpolitische Interesse in einem selbst ausreicht, um traurigen Tatsachen wie diese ins Auge sehen zu müssen.

Curveball – Wir machen die Wahrheit

Der Spion

IM OSTEN WAS NEUES

7/10


derspion© 2021 24 Bilder


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: DOMINIC COOKE

CAST: BENEDICT CUMBERBATCH, MERAB NINIDZE, RACHEL BROSNAHAN, JAMES SCHOFIELD, JESSIE BUCKLEY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Ein Grund zum Jubeln für alle Cumberbitches: der idealen Besetzung sowohl für den neuzeitlichen Superdetektiven als auch für Marvels Dr. Strange gelingt auch der Spionagefilm mit links. Hier gibt sie einen, der geheime Informationen aus dem Osten in den Westen schmuggelt. Mit Hut, Mantel und Oberlippennbart ist Benedict Cumberbatch die Inkarnation des rückgratvollen Geheimniskrämers, und das ist auch der Grund, warum Der Spion (im Original: The Courier) nicht nur ein weiterer Geschichtsfilm nach üblichem Schema geworden ist. Hier würzt der charismatische Schauspieler mit seinem unverwechselbarem Timbre und prägnantem Konterfei die Chroniken eines politischen Kraftakts mit darstellerischer Raffinesse. Ein Job, der wohl zu seinen bislang besten gehört.

Cumberbatch schlüpft in die Rolle des unbescholtenen und durchschnittlichen Geschäftsmann Greville Wynne, der im Osten das große Geld wittert, und, ehe er zweimal Russland sagen kann, plötzlich am Tisch mit dem MI6 und der CIA Platz nimmt, die ihn, und gerade ihn, unbedingt als Kurier engagieren wollen. Garantiert würde er sich dabei schadlos halten. Der russische Geheimdienst würde keinen Verdacht schöpfen, wenn Wynne nur so tut, als würde er mit Oleg Penkowski, einem Wissenschaftsoffizier, diese oder jene Verträge abschließen. In Wahrheit aber soll Penkowski seinem neuen Geschäftspartner alle möglichen Informationen übermitteln, die hinter dem Säbelrasseln der Russen stecken. Irgendwann ist dann auch die Sache mit Kuba mit dabei. Brandheisse Informationen also, die zu beschaffen natürlichen ihren Tribut fordern.

Filme über die Kuba-Krise gibt es so einige. In erster Linie natürlich Thirteen Days, Roger Donaldsons eingängige Aufbereitung der Fakten aus Sicht der Amerikaner. Als feines Ergänzungsprogramm lohnen sich nun Dominic Cookes Betrachtungen von der anderen Seite des Atlantiks. Und es passiert eigentlich zeitgleich, zumindest in manchen Momenten des Films, der eine ganz schöne Zeitspanne abdeckt, bis kurz vor dem großen Knöpfedrücken, das damals, in den 60er Jahren, über Ende und Verbleib unserer Zivilisation entschieden hat.

Dominic Cooke, im Grunde Theaterregisseur, hat schon mit der Literaturverfilmung Am Strand (mit Saoirse Ronan in der Titelrolle) viel Gespür für das Zusammenspiel von Charakteren bewiesen. Diese Gabe macht eben auch Der Spion sehenswert, denn es ist nicht nur Cumberbatch, der groß aufspielt und der (vermutlich mit reichlich CGI nachgeholfen) gehörig an Gewicht verliert, was für die Biographie von Wynne leider unentbehrlich bleibt. Dabei teilt er seine Figur in drei emotionale Landschaften, die aber fließend ineinander übergehen. Anfangs gibt er sich ängstlich, naiv und bürgerlich, später übt er sich als Kurier par excellence, den der Jagdinstinkt antreibt – und am Ende gibt er als Insasse im russischen Gefängnis den ungebrochenen, aber traumatisierten Gepeinigten. Da sieht man wieder, was der Mann alles kann. Ihm zur Seite steht Merab Ninidze als einer, der fast schon zu Wynnes Freund wird: Verschlossen, freundlich, gleichermaßen besorgt. Ein erbauliches Gespann, diese beiden. Und letzten Endes erstaunlich, was das für Leute waren, die mitgeholfen hatten, die Welt zu retten.

Der Spion

Berlin Syndrom

DAS TRAUMA VON HINTER DER MAUER

6,5/10


Berlinsyndrome© 2017 MFA+ Film Distribution


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2017

REGIE: CATE SHORTLAND

CAST: TERESA PALMER, MAX RIEMELT, MATTHIAS HABICH, LUCIE ARON, EMMA BADING U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Was mich bei Blockbustern stets motiviert, in Erfahrung zu bringen, ist das bisherige Schaffen jener Künstler, die bei dem einen oder anderen hochbudgetierten Konzernfilm im Regiestuhl gesessen haben. Einfach so, aus heiterem Himmel, werden diese Leute ja wohl nicht angeworben worden sein, da muss es vorab etwas gegeben haben, das die Verantwortlichen zum Beispiel bei Disney wohl überzeugt haben muss. Meist sind das kleine Filme, dafür aber umso beachtenswerter. Das war schon bei James Gunn oder Gareth Edwards so, das ist auch bei Cate Shortland so. Einige wenige werden sie bereits kennen, vorausgesetzt, ihnen ist der Psychothriller Berlin Syndrom ein Begriff. 3 Jahre später dann der Sprung in die Oberliga: Black Widow.

In ihrer urbanen Düster-Romanze aus dem Jahr 2017 lässt sich schon ganz gut Shortlands Gespür für toughe Frauenrollen erkennen, die einen gewissen Leidensweg hinter sich gebracht haben oder gerade dabei sind, diesen hinter sich bringen zu wollen. Was einen nicht umbringt, macht einen nur noch stärker. Black Widow war stark. Und Terese Palmer als Berlin-Touristin ist das ebenso. Oder sagen wir lieber: unglaublich zäh. Denn das muss sie auch sein. Als Backpackerin quer durch Europa macht die junge Australierin Claire beim Zwischenstopp in Berlin Bekanntschaft mit dem Englischlehrer Andi. Aus dieser Bekanntschaft wird bald etwas mehr, allerdings hat das Ganze aber keine Zukunft, denn Claire will tags darauf weiterreisen nach Leipzig. Fast wäre alles gut gegangen. Fast wäre der kurze Flirt nur eine angenehme Urlaubserinnerung geblieben. Doch Claire verschiebt ihre Weiterreise, kann von Andi nicht mehr lassen, kommt zu ihm in die Wohnung – und von dort nicht mehr weg. Andi entpuppt sich nämlich als wachechter Psychopath und sperrt das Mädchen in seiner Wohnung ein. Wie Priklopil, nur ohne Keller. Ein Ringen zwischen Resignation, Wut und Hoffnung setzt an, darunter natürlich eine Brise Stockholm, wobei Berlin Syndrom die Allegorie dieses intensiven Dramas am besten widerspiegelt.

Wenn man Berlin Syndrom aber abseits von Shortlands Film googelt, stößt man auf die Bezeichnung einer massiven Hauterkrankung. Die ist damit sicherlich nicht gemeint. Sowohl Teresa Palmer als auch Max Riemelt (u. a. Napola – Elite für den Führer) sind zumindest rein körperlich pumperlgesund. Ersterer mag wohl einen Riesenknacks mit sich herumtragen, doch viel eher ist der Bezug auf Berlin ein politischer. Rundherum Mauern, Einfordern des Gehorsams, ein ständiges Überwachen. Riemelt verkörpert in ausdrucksloser Intensität die Essenz eines totalitären Regimes und ernennt Claire dabei als Symbol einer unterdrückten und ihrer Freiheit beraubten Bevölkerung. Ein Mikrostaat, der DDR nicht unähnlich. Oder: wurde man selbst mal unterdrückt, ist das Unterdrücken anderer ein leichtes. Gelernt ist eben gelernt.

Cate Shortland rückt nah an ihr Schauspielerpaar heran, lässt sie mühelos ihr Dilemma empfinden, macht auch aus der Figur des Peinigers keinen verhassten Bösewicht und aus Terese Palmer kein bemitleidenswertes Opfer. Die Australierin leistet dabei sowohl Widerstand als auch Gehorsam, wie eine all ihrer Rechte beraubte Bürgerin, die auf die Gunst der Stunde wartet, um aufzubegehren, dabei manche Gelegenheiten aber verstreichen lässt. Aus Angst? Aufgrund eines nicht ganz durchdachten Scripts? Interessant dabei ist die Location: ein heruntergekommener Altbau, womöglich im Osten Berlins, vielleicht ein leerstehendes Viertel aus den Zeiten des Kommunismus. Einzig Andis Wohnung ist des Nächtens beleuchtet. Er als letztes Überbleibsel einer dunklen Epoche. Vielleicht, ohne selbst diesen Kontext zu begreifen.

Berlin Syndrom