Morgen ist auch noch ein Tag (2023)

DIE STIMME ERHEBEN

8/10


morgenistauchnocheintag© 2023 Tobis


LAND / JAHR: ITALIEN 2023

REGIE: PAOLA CORTELLESI

DREHBUCH: FURIO ANDREOTTI, GIULIA CALENDA, PAOLA CORTELLESI

CAST: PAOLA CORTELLESI, VALERIO MASTANDREA, ROMANA MAGGIORA, EMANUELA FANELLI, GIORGIO COLANGELI, VINICIO MARCHIONI, GABRIELE PAOLOCÀ U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Im Jahr des Herrn 2023 war der Sommer geprägt von einem Phänomen im Kino, wie es das kein zweites Mal geben wird: Barbenheimer. Zwei Filme, die unterschiedlicher nicht sein konnten, schrieben Geschichte – der eine, Nolans Oscar-Sieger, begab sich auf biografische Spurensuche und ließ den Vater der Atombombe, nämlich Oppenheimer, dank Cillian Murphys eindringlichem Spiel zu Wort kommen. Auf der anderen Seite verbog eine pinke Puppe namens Barbie sämtliche Stereotypen bei Männern und bei Frauen zu einer knallbunten, aber subversiv charmanten Musical-Satire. Dem Stiefel Europas war das aber herzlich egal. Dort übertrumpfte ein anderer Film das Box-Office-Verhalten Hollywoods in Übersee: Ein Melodrama namens Morgen ist auch noch ein Tag von Paola Cortellesi, die sich in diesem Meisterwerk gleich selbst besetzt hat – als vom Manne unterjochte, kleingehaltene und physisch wie psychisch gequälte Hausfrau im Nachkriegsitalien.

Wir schreiben das Jahr 1946, und Italien steht politisch wie gesellschaftlich vor einem Umbruch. Kann es sich in eine neue Ära retten oder bleibt es in einer Regression gefangen? Wie geht es den Frauen, die bis dato nicht das Recht hatten, ihre Stimme abzugeben? Die bis dato dem Ehemann gehorsam sein mussten, da sie doch nur tun durften, was vom Hausherrn erlaubt war? Eine Zeit war das, feministisch betrachtet das tiefste Mittelalter, die reinste Anarchie, lediglich die Kraft des Stärkeren dirigierte den Alltag. Drei Kinder muss Delia durchfüttern, während der Kriegsheimkehrer seine Angetraute gleich zu Beginn des Filmes präventiv für den Rest des Tages ohrfeigt. Diese Gewalt zum Einstand einer Emanzipationsgeschichte voller Charme, Trotz und Mut läutet die Wiederkehr eines Neorealismus ein, den der junge Federico Fellini oder Vittorio de Sica (u. a. Gestern, heute und morgen) in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts als Genre des Kinos so maßgeblich etabliert hatten. Statt Paola Cortellesi wäre es damals wohl Sophia Loren gewesen, die sich als Hausfrau der Unterschicht zu behaupten versucht. Der Mechaniker, dem sie schöne Augen macht, wäre wohl Marcello Mastroianni gewesen. Die Zeiten haben sich geändert, nicht aber die Lust daran, dem blanken und unschönen Realismus einer sozial benachteiligten Familie, die im Keller eines Hauses in Rom ein Leben wie das des gut betuchten Schwiegersohns in spe anstrebt, melodiöse Verfremdungen und anachronistische Stilmittel entgegenzusetzen.

Cortellesi stellt die patriarchale Gewalt als abstrahierte Tanzeinlage dar, die einer klischeehaften Nachkriegsromantik eins auswischt. Wenn Delia resoluten Schrittes auf den Straßen Roms unterwegs ist, um ihre Stimme zu erheben, ertönen die Rhythmen zeitgenössischen Hiphops der Gegenwart. Mit diesen feinen Methoden bettet der Film das sozialkritische Betroffenheitskino in das zeitgemäße Gewand einer temperamentvollen Retro-Interpretation, ohne vorgestrig oder angestaubt zu wirken. Die Leidenschaft für den Feminismus, die Wut auf den Chauvinismus, all diese Emotionen triefen dem Film aus jeder Pore. Dabei fesselt Cortellesis Spiel genauso wie die Dynamik zwischen den einzelnen Darstellern eines spielfreudigen Ensembles, das sich selbst kritisch betrachtet und so manche Figur manchmal der Parodie aussetzt, obwohl es gar nichts zu lachen gibt. Diese Grenzen lotet Morgen ist auch noch ein Tag mit Scharfsinn und Verve, mit Vergnügen und Kampfgeist in eine Richtung aus, die keinesfalls nur Ambitionen gutheißt, sondern auch die Umsetzung engagierter Ideen.

Schwer auszuhalten, wie Delia sich drangsalieren und erniedrigen lässt. Jede Sekunde ist es das Warten und Bangen aber wert. Am Ende triumphiert so vieles auf so vielen Ebenen, es bleibt einem nur, hin und weg zu sein.

Morgen ist auch noch ein Tag (2023)

Neuigkeiten aus Lappland (2024)

FINNISCHE DISHARMONIEN IN MOLL

5,5/10


neuigkeitenlappland© 2024 Polyfilm


ORIGINALTITEL: OHJUS

LAND / JAHR: FINNLAND, ESTLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: MIIA TERVO

CAST: OONA AIROLA, PYRY KÄHKÖNEN, HANNU-PEKKA BJÖRKMAN, TOMMI KORPELA, JARKKO NIEMI, EMMA KILPIMAA, TOMMI ERONEN, ONA KAMU, SAKARI KUOSMANEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Bei Aki Kaurismäki mag die Tragik der Hoffnungslosigkeit immer noch jene Aufmüpfigkeit erhalten haben, die den finnischen Humor in jeder noch so erdenklichen verdrießlichen Lebenslage etabliert. Eine Besonderheit, die sich seit Ariel – Abgebrannt in Helsinki durch alle seine Filme zieht. Und oft wird diese Melancholie, wenn man sie mal so nennen will, mit einem Lichtschimmer am schneebedeckten, verregneten oder nachtschwarzen Horizont belohnt. Irgendwie geht es bei Kaurismäki immer weiter, aber immer mit einem Fuß dort, wo sich die Resignation als Alternative aufdrängt. Andere Filmemacher wiederum, wie Andy Wirkola, übertünchen die feine humoristische Klinge mit den derben Szenarien actionhaltiger Trashfilme. Auch das hat eine eigene Note. Dabei hat die Filmwelt Finnlands längt noch anderes zu bieten. Miia Tervo zum Beispiel, die bereits 2019 mit Aurora ihr Langfilmdebüt hingelegt hat und ihr Publikum in vor allem schneearmen Verhältnissen mit Neuigkeiten aus Lappland beglückt, wo die weiße Pracht bei stattlichen Minusgraden weiße Weihnachten garantiert und darüber hinaus bis in den späten Frühling womöglich liegenbleibt. In Lappland, da scheint man vom Klimawandel noch nicht so viel mitzubekommen. Zumindest war Mitte der Achtziger ein Begriff wie dieser noch reine Dystopie. Mitte der Achtziger, da war dem Kalten Krieg wohl die greifbare Bedrohung eines nuklearen Krieges inhärent, während die alleinerziehende Niina (Oona Airola) ein ganz anderes Damoklesschwert von sich fernhalten muss. Nämlich jenes des aus dem Gefängnis entlassenen, gewalttätigen Ehemannes Tapio, der andauernd verspricht, sich zu bessern. Dem aber, bis auf Niina, niemand so recht glauben will. Die Mutter zweier Kinder wird in ihrer Sorge um ihre Zukunft insofern von höheren Mächten abgelenkt, da der selbst gefällte Weihnachtsbaum in die Fensterscheibe der lokalen Zeitung kracht. Um den Schaden wiedergutzumachen, fängt sie dort als Schreibkraft an, die das Blatt mit völlig belanglosen Alltagschroniken füllen muss. Ein im Schnee steckengebliebener Traktor ist da wohl noch das Highlight einer ganzen Woche. Doch dann passiert das: Ein großer Knall am Himmel, ein unbekanntes Flugobjekt stürzt im Nirgendwo ab. Bald erhärtet sich das Gerücht, es handle sich hierbei um einen fehlgeleiteten russischen Marschflugkörper, einem Blindgänger, der vielleicht, Gott behüte, einen Atomsprengkopf besitzen könnte, der gar den dritten Weltkrieg hätte einläuten können. Oder Finnland eine nukleare Katastrophe beschert. Bedrohungen also überall, sind sie nun familiär oder politisch. Niina will der kleinen und der großen Gesellschaft zeigen, wozu sie fähig ist. Allein der Mut, zu ihrer Frau zu stehen, scheint in weiter Ferne.

Eine alleinerziehende Mutter, die investigiert. Ein finnischer Geheimdienst. Ein lokales Nachrichtenblatt, dass in einer öden Kleinstadt öde Artikel veröffentlicht, von Leuten, die sträfliche Frisuren tragen, die in den Achtzigern der letzte Schrei waren. Und ja, darüber könnte man insofern einen Laut des Schreckens von sich geben, wenn die Rache des Vokuhila in blinder Wut um sich greift. Zusammengenommen mögen all diese narrativen Elemente genug Potenzial für eine schräge, lakonische, finnische Komödie ergeben. Doch diese Machart bleibt Kaurismäki vorbehalten. Neuigkeiten aus Lappland, im Original kurz Ohjus, was so viel heisst wie Rakete, mag die eine oder andere Skurrilität aufweisen, die aber wohl eher den Anomalien des Jahrzehnts geschuldet sein mag als der für uns so kuriosen finnischen Lebensweise. Vielleicht will Miia Tervo auch nicht schon wieder das abgedroschene Klischee eines Gemüts bedienen, womit Finnland von Außenstehenden längst identifiziert wird. Die Finnen können auch andere Filme machen, ernste Themen aufgreifen, ohne die Lösung für all die Probleme in der Groteske zu suchen.

Von daher ist Neuigkeiten aus Lappland ein handfestes Drama, mal lethargisch, mal nachdenklich, niemals so richtig komisch. Die Emanzipation einer unterdrückten Frau sucht ihre Challenge vor dem Hintergrund einer True Story, die am 28. Dezember 1984 tatsächlich stattgefunden hat. Der Absturz der Rakete ist also nichts Erfundenes, die Geschichte drumherum schon. Und Tervo weiß nie so recht, wohin mit ihrer Chronik schwermütiger Ereignisse, die weder zu ernst noch zu komisch sein will. Die sowohl den gesellschaftspolitischen Ausnahmezustand von damals als auch Niinas persönliches Abenteuer zur resoluten, selbstbestimmten Frau unter eine warme, isolierende Fellhaube bringen will. Beides gelingt ihr nur halb, ihr Film schlingert oftmals unbeholfen und unentschlossen zwischen den Tonalitäten hin und her und bleibt auffallend oft sowie viel zu lang an der russischen Raketen-Causa hängen, während Alltagsheldin Niina manchmal zu kurz kommt. Beides hängt natürlich zusammen, hängt aber immer wieder hilflos in der eiskalten, schneidenden Luft Finnlands. Ein gutes Gefühl hinterlässt der Film erst nur sehr spät.

Neuigkeiten aus Lappland (2024)

I’m Your Woman

DIE FRAU IM HINTERGRUND

6,5/10


imyourwoman© 2020 Amazon Studios

LAND: USA 2020

REGIE: JULIA HART

CAST: RACHEL BROSNAHAN, ARINZÉ KENE, MARSHA STEPHANIE BLAKE, BILL HECK, FRANKIE FASON U. A. 

LÄNGE: 2 STD


Wir kennen ja alle diese urbanen Gangsterdramen, in denen unheilbare Kleinganoven versuchen, auf illegale Weise das große Ding zu drehen und dabei von anderen Leuten, die das nicht gerne sehen, auf gut wienerisch „aufgeblattelt“ werden. Meist verorten wir da eine Bezugsperson in der storytechnischen Peripherie, eine Ehefrau zum Beispiel, wenn geht mit Kind, die ihren Gatten anfleht, endlich mit diesem Unfug aufzuhören. Oder aber ihn dabei unterstützt, weil sie selbst so einen moralfreien Freiheitsdrang in sich verspürt. Die Frau, die ist da aber meist die Figur am Rande, im Hintergrund, wird vielleicht auch entführt und als Druckmittel eingesetzt. Im Mittelpunkt steht aber der männliche Kriminelle mit Sympathiewerten.

Nicht so in Julia Harts Krimidrama. In I’m Your Woman wird das betrachtende Auge auf die andere Seite gelenkt, auf die, die so aussieht, als wäre sie nur die kleine zweite Erzählebene, um das Skript dichter zu machen. Siehe da: man kann auch mit einem Schauplatzwechsel wie diesem das Unwesentliche zum Wesentlichen deklarieren und die daheim ausharrende Ehefrau kurzerhand in ein Auto setzen, um den nachsetzenden Finsterlingen zu entkommen. Das passiert mit Golden Globe-Gewinnerin Rachel Brosnahan, die als Marvelous Mrs. Maisel bereits Fernsehgeschichte geschrieben hat. So marvelous scheint sie in diesem eher sachten und zögerlichen Selbstbehauptungs-Roadmovie vorerst gar nicht zu sein. Denn sie hinterfragt auch nichts, als der kriminelle Ehemann eines Tages ein Baby mit nachhause bringt. Das ist jetzt ihres, sagt dieser, und er hätte alles schon geregelt. Wie erfreulich für Filmgattin Jean, die ja selbst keine solchen bekommen kann, ihren Kinderwunsch nun aber endlich gestillt sieht. Kurze Zeit später verschwindet ihr Mann – sie bleibt als Hausfrau und Mutter zurück. Bis sie und das Baby flüchten müssen, mit einem Unbekannten namens Cal, der ihren Mann aber gut kennt.

Was sich dann anlässt, ist das Psychogramm einer erstarkenden Frau, der letzten Endes nichts anderes übrig bleibt, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die „Supporting Role“ rückt ins Rampenlicht, das Drama rund um den Gatten wird irrelevant. Auch erfahren wir nicht, was es mit den kriminellen Machenschaften auf sich hat. Das liefern, wie eingangs schon erwähnt, bereits zahlreiche andere Filme. Diese Story jedoch variiert den klassischen Aufbau durchwegs neu und verknüpft lakonische Alltagsmomente einer Mutter mit erdigem Gangsterthrill im 70er-Couleur. Die junge Gena Rowlands wäre für diese Rolle prädestiniert gewesen. Brosnahan erfüllt die Ansprüche aber ebenfalls gut, und auch wenn hier zwischendurch ein paar zu elegische Bestandsaufnahmen die Story nur schleppend voranbringen – die Ambition dahinter, den Alltag schmeißende Mütter mit prickelnden kriminalistischen Abenteuern auf einen Nenner zu bringen, bleibt klar erkennbar.

I’m Your Woman