Roqia (2025)

DIE DÄMONOLOGIE DES KRIEGES

5/10


© 2025 19 Mulholland Drive


LAND / JAHR: ALGERIEN, FRANKREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: YANIS KOUSSIM

KAMERA: JEAN-MARIE DELORME

CAST: ALI NAMOUS, AKRAM DJEGHIM, MOSTEFA DJADJAM, HANAA MANSOUR U. A.

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Es gibt eine Menge Filme, die außerhalb ihrer Festivalblase und vielleicht außerhalb jener Länder, in denen sie gedreht wurden, so gut wie gar nicht existent sind. Kaum jemand, der nicht in den Medien darüber nachlesen kann, wird Filme wie diese am Schirm haben. Selten im Kino ausgestrahlt, verschwinden sie später, wenn überhaupt, auf Streamingplattformen oder es gibt sie in den letzten wohlsortierten Videotheken für Cineasten, sofern sich manche die Mühe machen, das Werk auf Datenträger zu brennen. Folgendem Film könnte ein ähnliches Schicksal blühen. Roqia, ein algerisches allegorisches Mysterydrama, mag sich zwar im Genre des paranormalen Horrorfilms verorten – ein breiteres Publikum, so mein Eindruck, wird das sehr persönliche Werk von Yanis Koussim aber dennoch nicht ansprechen. Weil zu bedeutungsschwer und introvertiert, fehlt zumindest mir der Zugang.

Was wissen wir über Algerien?

Bei Roqia – ein arabischer Begriff, der so viel wie Exorzismus bedeutet – kann man sich gerne auf ein Thema einlassen, das zumindest in Zentraleuropa (ausgenommen Frankreich, historisch bedingt) wohl kaum jemand auf dem Schirm gehabt hat, sofern hier nicht politische Bildung über Nordafrika die oberste Agenda im täglichen Dasein dargestellt hätte.

In diesem Fall endet die Kenntnis der blutigen Jahre in Algerien nicht damit, dass sich diese auf den Krieg der 50er und 60er Jahre beziehen, sondern auf ein viel jüngeres Datum verweisen: Auf den militärischen Putsch in den 90er Jahren, der Annullierung der Wahlen und einer finsteren, gewalttätigen Dekade der Destruktion. Regisseur Yanis Koussim hat dabei so persönliche wie schmerzliche Erinnerungen an verstörende Jugendjahre in einen deprimierenden Film gepackt, der wohl nicht den Modus vivendi für ein bizarr-schräges Festival wie das des Slash vorprogrammiert, sondern wohl eher die Ausnahme bildet. Roqia ist die einem semidokumentarischen Realismus verhaftete, fatale Erzählung von einem muslimischen Exorzisten und seinem Gehilfen, die beide wohl feststellen müssen, dass das Böse einem körperlosen Dämonen gleich sein Unwesen treibt, nach Jahrzehnten eines brüchigen Friedens. Um die Saat der Gewalt neu auszubringen.

Währet den Anfängen

Sich windende Körper, hässliches Grinsen und spärlich beleuchtete Handkamerafahrten sind Zutaten von gefühlt jedem Dämonengrusler, egal auf welchen lokalen Ursprung sie verweisen. Nur diesmal wettert kein katholischer Exorzist mit Kreuz, Weihwasser und Bibel gegen den teuflischen Unruhestifter, sondern ein Geistlicher des Islam, der lediglich mit dem Koran in die paranormale Schlacht zieht. Roqia schlägt dabei die Brücke zwischen dem Damals und dem Heute – Währet den Anfängen heisst es aus politischer Sicht auch hier, und ja, Youssims Film ist reine Allegorie, ist die Angst auf eine Wiederkehr schrecklicher Umstände. Deshalb teilt der Filmemacher seine Betrachtung auch auf zwei Zeitebenen auf – die eine findet kurz vor Ausbruch des Militärputsches in den Neunzigern statt, die andere spielt in der Gegenwart.

Mit diesen Überlegungen und zur Bannung kollektiver Traumata instrumentalisierten Versatzstücken des Horrors entwirft Youssim finstere Aus- und Rückblicke, die allzu introvertiert und unter Vorsicht, den Teufel nicht allzu deutlich an die Wand zu malen, wohl weniger aufrütteln, sondern eher behäbig einen Ausweg aus einer gewissen verplauderten Eigendynamik suchen. So richtig intensiv wird Roqia erst im erschütternd radikalen Finale, das beide Zeitebenen zusammenbringt – bis dahin lässt sich Youssim zu viel Zeit, um aus seiner Resignation zu erwachen.

Roqia (2025)

A Taxi Driver

ZUM FIXPREIS MITTEN INS GEMETZEL

7/10


ATaxiDriver© 2021 Koch Films


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2017

REGIE: JANG HUN

CAST: SONG KANG-HO, THOMAS KRETSCHMANN, YOO HAE-JIN, RYU JUN-YEOL U. A.

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Es waren Politdramen wie Salvador von Oliver Stone, The Killing Fields über die Roten Khmer in Kambodscha oder Under Fire mit Nick Nolte, die während des Kalten Krieges im Kino ganz vorne mit dabei waren. Der Kommunismus beeinflusste alle möglichen politischen Herrschaftsstrukturen und war ein buchstäblich rotes Tuch in den Augen der Amerikaner. Überall da, wo totalitäre wie linksextreme Einflüsse zu spüren waren, hat nicht nur die Politik, sondern auch die Filmwelt ihr Interesse kundgetan, insbesondere im benachbarten Mittelamerika. Dann war es lange Zeit ruhig – wenig Politik im Kino, hauptsächlich innerpolitisch Amerikanisches oder der Zweite Weltkrieg mit all seinen Aus- und Nebenwirkungen. Ganz vergessen wurde dabei Südkorea. Mit dem bereits 1917 erschienenen Politdrama A Taxi Driver wird nun den Opfern des Widerstandes gegen die in den Achtzigern mit eiserner Faust agierende Militärdiktatur ein Denkmal gesetzt. Und nicht nur diesen, sondern auch dem ARD-Reporter Jürgen Hinzpeter und einem Taxifahrer, über dessen Geschichte man eigentlich nichts weiß und der nach seinen mutigen Taten auch nach mehrmaligen Versuchen Hinzpeters niemals wieder gefunden werden konnte.

Dabei hat Taxifahrer Kim, dargestellt von Parasite-Star und mittlerweile Jurymitglied in Cannes, Song Kang-Ho, irgendwie wenig Ahnung davon, was in seiner Heimat politisch gerade so abgeht. Wir schreiben das Jahr 1980, und Präsident Chun Do-Hwan hat sich, mit dem Militär im Rücken, längst erfolgreich an die Macht geputscht. Was bedeutet: Meinungsfreiheit und das Fordern demokratischer Rechte werden mit Gewalt erstickt. Leidtragende sind da in erster Linie Studenten, die allein schon aufgrund ihrer Bildung über das, was da faul im Staat ist, ausreichend nachgedacht haben. In einigen Städten kommt es daher im Mai des Jahres zu gewaltigen, bürgerkriegsähnlichen Unruhen, die, zum Beispiel in Gwangju, in ein blutiges Massaker münden werden. Was der Taxifahrer dort macht? Sowieso schon knapp bei Kasse, gelingt dem improvisationsfähigen Kim, eingangs erwähnten Auslandsreporter Jürgen Hinzpeter mit seinem Taxi abseits der Straßensperren ins Krisengebiet zu schmuggeln, damit dieser die Revolten filmisch dokumentieren kann. Dieses verheerende Ausmaß war dem alleinerziehenden Vater einer Tochter allerdings nicht bewusst. Er und sein deutscher Fahrgast müssen bald um ihr Leben laufen.

Sang Kang-Ho ist in dieser teils erschütternden True Story sogar noch besser als in Parasite: die sonst so unbekümmerte Art seiner Figur erinnert an Roberto Benigni in Ist das Leben nicht schön. Und genau wie der Italiener gelingt dem koreanischen Alltagshelden irgendwann auch nicht mehr, alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Darstellungen des Volksmords sind den Dokumenten Hinzpeters genau nachempfunden, beschönigt wird nichts. Mitunter werden auch die tatsächlichen Aufnahmen herangezogen, um die Authentizität noch zusätzlich zu steigern. Doch das wäre gar nicht nötig gewesen: A Taxi Driver ist Tragikomödie, packender Politthriller und Zeitdokument in einem – wieder mal ein für Südkorea typischer, vorzüglicher Mix durch mehrere Genres, wobei die ganz eigene koreanische Mentalität den Rhythmus des Films bestimmt. Da findet sich einer wie Thomas Kretschmann, der den deutschen Reporter mimt, nicht so leicht zurecht. Durch sein vergleichsweise ungelenkes Gehabe wirkt er wie ein Fremdkörper. Das wiederum scheint gewollt, denn Ausländer wie dieser sind dem Regime ein Dorn im Auge und fallen auf wie ein Würfel im Bällchenbad.

Dieser Höllenritt ist kaum zu glauben, wird aber, bis auf die Biographie Kims, tatsächlich so gewesen sein. Man kann Jang Huns Film als manifestiertes Loblied auf die Branche der Taxifahrer sehen – oder überhaupt auf die ganz normalen Menschen, die sich gegenseitig zur gemeinsamen Zivilcourage mobilisieren. Rebellen für die gute Sache also – und wie sie das Leben schreibt.

A Taxi Driver

Hunter Killer

ALLE IM SELBEN BOOT

6,5/10

 

hunterkiller© 2000-2018 Concorde Filmverleih GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: DONOVAN MARSH

CAST: GERARD BUTLER, GARY OLDMAN, COMMON, TOBY STEPHENS, MICHAEL NYQVIST U. A.

 

Wenn der dritte Weltkrieg droht, dann heißt es am Besten: Untertauchen! Aber nicht, um von der Bildfläche zu verschwinden, sondern um den Feind zu unterwandern. Aber was heißt hier Feind – wir reden hier von den Supermächten: das bis an die Zähne bewaffnete Amerika der Vereinigten Staaten und das kaum weniger bis zum Bersten der Munitionskisten aufgerüstete Russland. Diese andauernde Konfrontation ist Stoff, aus dem gut und gerne mehr als die Hälfte aller Politthriller und Actionfilme ihre existenzrechtfertigende Grundlage finden. Mit der Zeit wurde dieses Blutwiesen-Gehabe mit drohenden Fäusten und vorgereckten Kinnen schon langsam etwas schal. Interessanterweise findet dieses geradlinige Militärabenteuer zwar einen nicht unbedingt nigelnagelneuen, aber relativ aufgeweckten Zugang zu einem durchgekaut scheinenden Thema. Hunter Killer kreuzt hier auf souveräne Art die Spuren, die normalerweise und in ganz anderen Filmen parallel nebeneinander herlaufen, stark kontrastieren und vielleicht nur gelegentlich aneinander anstreifen. Das böse Russland, die guten Amerikaner, geheimdienstliches Hickhack und was der Spion, der uns liebte, sonst noch alles weiß. Hier, im Fahrwasser diverser High-Tech-U-Boote, die alle so heißen wie Städte und Bundesstaaten der USA, erkennt der Südafrikaner Donovan Marsh, wie die Spannungsschraube in einem Gefilde mit relativ überschaubarem Potenzial sonst noch angedreht werden kann. Das Ergebnis ist ein astreiner Genrefilm, dessen Torpedos Klassikern wie Jagd auf roter Oktober oder Crimson Tide durchaus gefährlich werden können.

Das liegt erstens mal daran, dass Hunter Killer nicht nur in den eisigen Gewässern rund um Russlands Nordküsten spielt. Mit diesem Schauplatzwechsel legt sich Marsh´s Marinethriller zwar nicht wirklich eine Metaebene zu, aber immerhin eine Nebenbühne, die an sperrfeuerfestes Actionkino im Stile von The Expendables bis hin zu Lone Survivor erinnert. Und da sind wir auch schon wieder ganz woanders aufgestellt, und nicht nur in den beengten Räumlichkeiten eines High-Tech-U-Bootes, dass mittlerweile sogar etwas mehr Bequemlichkeiten bietet als das U 96 aus Wolfgang Petersen´s beklemmenden Antikriegsklassiker Das Boot. Beklemmend ist in Hunter Killer gar nichts mehr. So richtig entbehrlich ist eigentlich nur der wie aus der Luft gegriffen wirkende – man möchte meinen – Arbeitstitel des Filmes. So was können allerdings nur Laien behaupten – oder solche, die mit militärischen Fachbegriffen überhaupt nichts am Hut haben. So wie ich zum Beispiel. Dabei beschreibt der Titel  – nun nach eigenen Recherchen für mich sonnenklar – ziemlich punktgenau das Grundmuster des filmischen Militäreinsatzes zu Land und zu Wasser. Achtung, es folgt trockene Theorie: Hunter-Killer sind Einheiten, Teams oder Systeme, deren Aufgabengebiete klar in Aufklärung und Angriff getrennt sind. Diese Taktik dient zur Schadensminimierung und für mehr Effizienz bei der Einsatzabwicklung. So haben die Hunter sogar den Auftrag, das Ziel auf sich aufmerksam werden zu lassen, während die Killer mehr Kapazitäten erlangen, um welchen Auftrag auch immer zu erfüllen.

Wer in diesem Film das Kunsthandwerk eines Filmemachers bewundern will, ist hier fehl am Platz. Wenn der Titel schon so prickelnd ist wie das Kondenswasser an den Stahlwänden eines U-Bootes, dann ist die Machart des Streifens selbst so hemdsärmelig, unmissverständlich und nüchtern wie der Morgenappell in der Kaserne. Irgendwie ist das aber auch wieder eine Art Challenge, und es passt zur spannenden Geschichte, die rasant zwischen den Schauplätzen wechselt und dadurch die Aufmerksamkeit des mitunter gebannten Publikums auf sich zieht. Dabei übersieht man relativ schnell, wie taktisch unsensibel schauspielerische Talentgrößen eines Gary Oldman so mir nichts dir nichts verheizt werden. Der frischgebackene Oscarpreisträger für Die dunkelste Stunde findet in Hunter Killer keinerlei Möglichkeiten, sich zu entfalten. Seine Nebenfigur wird zur austauschbaren Staffage, was ziemlich schade ist. Gerard Butler hingegen spielt so pragmatisch wie selten, kippt alle bisherigen Macho- und Lonesome-Cowboy-Attitüden über Bord und darf, glattrasiert und umgänglich, seine Figur des U-Boot-Captains tatsächlich glaubwürdig rüberbringen. Michael Nyqvist als Russe im Zwiespalt passt da gut zu ihm – auch er ein Opfer seiner Pflicht, für Recht, Ordnung und Menschlichkeit.

Fans knackiger Tauchfahrten rund um den Weltfrieden sind in Hunter Killer sicher nicht schlecht aufgehoben, über den mangelnden Charme für ein bewegendes Stück Kinogeschichte sehen Feierabendrekruten womöglich auch sicher gerne hinweg, spätestens dann, wenn das Erklingen des Sonars für Gänsehaut sorgt.

Hunter Killer