Dream Scenario (2023)

ÜBER NACHT ZUM STAR

7/10


dreamscenraio© 2023 Metropolitan FilmExport


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: KRISTOFFER BORGLI

CAST: NICOLAS CAGE, JULIANNE NICHOLSON, JESSICA CLEMENT, MICHAEL CERA, STAR SLADE, PAULA BOUDREAU, KALEB HORN, LILY BIRD, TIM MEADOWS, LIZ ADJEI U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


In der längst zum popkulturellen Erbe zählenden Fantasy-Serie Buffy – Im Bann der Dämonen gibt es eine Episode, da träumen Sarah Michelle Gellar und ihre Clique jeweils eigene, schicksalsspezifische Träume, die eines gemeinsam haben: Einen Mann, der Käse serviert. Niemals wird aufgeklärt werden, wer das gewesen sein mag, und ungefähr ähnlich wird es wohl der breiten Masse in Kristoffer Borglis reflektierender Satire Dream Scenario ergehen, die, sie wissen nicht warum, plötzlich von einem Mann mit Bart, Glatze und langweiligem Casual Outfit träumen, der, egal wie geartet der jeweilige Traum auch sein mag, in diesen mehr oder weniger zufällig vorbeikommt und nichts tut außer das: einfach die Szenerie ergänzen, vielleicht mit ein paar Worten auf den Lippen, Laub kehrend oder an fremdartigen Pilzen schnuppernd. Kaum jemand – bis auf jene, die Paul Matthews, seines Zeichens Biologieprofessor an der Uni, persönlich kennen – würden jemals herausfinden, was es mit diesem fremden Mann auf sich hat. Und niemand würde sich als Teil einer großen Gemeinschaft ansehen, die dasselbe träumen, gäbe es nicht das Wunder der weltumspannenden Medien, die aus diesem Mysterium schnell einen Hype kreieren. Paul Matthews, Vater zweier Kinder und glücklich verheiratet, wird im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht berühmt. Diese Berühmtheit beginnt im Kleinen. Erst tauschen sich nur ein paar der Leute aus, die Teil dieses Phänomens sind, dann sind es plötzlich mehrere und dann ganz viele und dann, ja dann riechen jene den Braten, die das große Geld scheffeln wollen, sind es nun Zuschauerquoten, Likes oder Produkte, die Paul Matthews dank seiner Bekanntheit gegen gutes Geld bewerben könnte. Er wird zum größten Influencer aller Zeiten, weil er als Pionier eine Bühne betritt, die noch keiner für sich und seine Zwecke erschlossen hat. Mit dem Unterschied: Matthews will das gar nicht, Er tut nichts und wird trotzdem zum Star. Doch wie lange? Und wie sehr kann er beeinflussen, dass der Spuk vorbeigeht? Gar nicht, denn letzten Endes kommt es anders, und schlimmer, als man glauben will.

In Woody Allens zum Schenkelklopfen humoristischem Episodenfilm To Rome with Love widerfährt in einer der kuriosen Geschichten Roberto Benigni ein ähnliches Schicksal: Zuvor noch ein Niemand, der die Anonymität der Großstadt genießt, wird er eines Tages zum wohl begehrtesten Menschen auf Gottes Erden. Warum, weiß keiner. Das genaue Gegenteil bietet die französische Psycho-Dystopie Vincent Must Die. Hier passiert ähnliches, von einem Moment auf den anderen, und besagter Normalbürger muss um sein Leben rennen, egal wo er auftaucht. Hype und Shitstorm, Hofierung und Verbannung: Dream Szenario bringt beides zusammen und beobachtet dabei genau die Eigendynamik, die dabei entsteht, wenn die breite Masse die Macht hat, Personen des öffentlichen Lebens zu dem werden zu lassen, was ihren Befindlichkeiten entspricht, ohne Rücksicht auf Verluste oder kollaterale Schäden, die das Pushen und Schmähen mit sich bringen.

Soziale Anomalien waren für Kristofer Borgli schon Stoff genug für sein bizarres Drama Sick of Myself, welches die Gier nach Aufmerksamkeit zum Thema hatte. In dieser nicht minder klugen Tragikomödie wie Dream Scenario fügt sich eine mit schwachem Selbstwert ausgestattete junge Frau körperliche Schäden zu, um diese als sonderbare Krankheit zu verkaufen und in den Medien bekannt zu werden. Während hier der Drang zum Ruhm pathologische Züge annimmt, ist in Dream Scenario der Ruhm ein ungewollter Zustand, der sich nicht mal kanalisieren lässt, weil von der Masse bestimmt wird, wie er aussehen soll. In dieser Ohnmacht rudert Nicolas Cage haltsuchend mit den Armen, seine Performance ist wohlüberlegt und fern seiner üblichen Manierismen. Er gefällt sich in diesem seinem Stereotyp zuwiderlaufenden Normalo, dabei packt ihn, dem Verlauf der Geschichte entsprechend, auf skurrile Weise die Verzweiflung eines Menschen, der den Meinungen der anderen ausgesetzt ist wie ein Zebra den Raubtieren fern seiner Herde.

Zwischen gespenstischen Traumsequenzen und einer mysteriösen Wirklichkeit, in der das Unerklärliche zum Spiegel der Gesellschaft wird, hebt Dream Scenario am Ende gar an zu einer Science-Fiction-Vision – eine Richtung, die der Film gar nicht nötig gehabt hätte. Die Welt der Träume ist schon Nährboden genug, um Reales mit dem Irrealen einen Ringkampf austragen zu lassen, der klar macht, wie die Welt von der Schwemme an falschen Wahrheiten manipuliert wird. Leidtragender ist nur ein Einzelner, verursacht durch viele, die sich, ihren Impulsen folgend, davor hüten, ihren Opportunismus zu hinterfragen.

Dream Scenario (2023)

O Beautiful Night (2019)

MIT DEM TOD EINEN TRINKEN

3/10


obeautifulnight© 2019 NFP marketing & distribution GmbH


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2019

REGIE: XAVER BÖHM

BUCH: ARIANA BERNDL, XAVER BÖHM

CAST: NOAH SAAVEDRA, MARKO MANDIĆ, VANESSA LOIBL, EVA-MARIA KURZ, JOHANNA POLLEY, PETER CLÖS, GERHARD BÖS, SVEN HÖNIG, SOOGI KANG U. A. 

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Normalerweise, wenn der Tod an die Tür klopft, wird, wenn es nach der mittlerweile leider in Rente gegangenen Austro-Band EAV geht, etwas zu trinken geben. Zum Beispiel Jagatee. Am besten etwas, wonach man nach dem vierten oder fünften Nachschlag nicht mehr so ganz den Überblick hat. Wie passend für eine Wesenheit, die arme Seelen abholen will ins Jenseits, und dann nicht mehr weiß, wer nun als nächstes ins Gras beißen soll. Den Tod kann man auch ganz leicht überlisten, wie jenes alte Mütterchen, das den Gevatter innigst darum bittet, morgen wiederzukommen, und dieser sein Ehrenwort noch dazu an die Tür des Hauses kritzelt. So lebt die Alte ewig, und der Sensenmann muss klein beigeben.

Im Falle dieser nachtaktiven Tragikomödie mit Mystery-Touch kommt der Tod für einen Angsthasen wie Juri (Noah Saavedra, u. a. Egon Schiele: Tod und Mädchen) gerade recht, ist dieser doch fest davon überzeugt, dass seine Albträume, die einen unmittelbar bevorstehenden Herzinfarkt ankündigen, sehr bald wahr werden. Die Furcht vor dem Leben lähmt ihn – doch der Tod, das Objekt der Furcht schlechthin, weicht in O Beautiful Night von seiner eigentlichen Aufgabe ab. Eines Nachts erscheint er dem schlotternden Hypochonder wie aus dem Nichts, um ihn mitzunehmen. Zuvor aber soll der, der eigentlich nie wirklich erfahren hat, was es heißt, zu leben, das Dasein nochmal genießen. Vom Tod würde man sowas nicht erwarten. Man würde aber auch nicht erwarten, dass dieser in Gestalt eines mit slawischem Akzent sprechenden Vagabunden hier aufschlägt. Statt bleichgesichtig und schwarz ummantelt wie bei Ingmar Bergman ist dieser in Feierlaune und holt den verängstigten Juri aus seinem Schneckenhaus, um ihn durch die Nacht zu geleiten. Dabei ist ein Besuch bei Stripperin Nina, jener Frau, der Juri sein Herz geschenkt hat, mit inbegriffen.

O Beautiful Night hätte so werden können wie Jan-Ole Gersters Berlin-Ballade Oh Boy mit Tom Schilling als orientierungsloser Tagedieb, der durch die Facetten einer Großstadt mäandert. Doch Xaver Böhm, der auch am Drehbuch mitschrieb, verfängt sich in einer Episodenhaftigkeit, die zum Stückwerk wird. Vielleicht liegt es dabei auch an der Darstellung der Figur eines angreifbaren Todes, welcher der Slowene Marco Mandić ein allzu weltliches Gesicht gibt. Dafür frönt dieser viel zu sehr den irdischen Gelüsten, und jede Szene, in der Mandić performt, schreit danach, niemals anzunehmen, dass es sich dabei um eine Entität wie den Tod handeln könnte. Als Teufel wäre die Figur, die wie Lucifer aus gleichnamiger Serie den Lastern des Lebens nicht abgeneigt ist, nachvollziehbar genug. Der Tod aber ist etwas anderes. Zwar auch nicht unbedingt so, wie Neil Gaiman sich diesen in der Serie Sandman vorstellt, aber weiser, ruhiger und doch irgendwie anders als wir Menschen, die nur so umherirren in ihrem beschränkten Radius der eigenen Wahrnehmung. Mandić verleiht der Figur bis auf kleine Ausnahmen keinen größeren Radius, vielleicht weiß er manchmal mehr als andere und taucht ganz plötzlich dort auf, wo er vorher noch nicht gestanden hat. Sonst aber fällt es mir schwer, dieser Figur ein gewisses Maß an Respekt entgegenzubringen.

Wenn schon dieser Tod die recht sperrigen Episoden nicht auf einen Nenner bringen kann – wer tut es dann? Eigentlich niemand. Weder Noah Saavedra, der als Anti-Jedermann in Sachen Hedonismus ziemlich verloren wirkt und sich vom Tod herumschubsen lässt, noch die unnahbare Vanessa Loibl, die völlig unmotiviert zu den beiden schrägen Vögeln ins Auto steigt. Was bei O Beautiful Night nicht funktioniert, sind die nur in Ansätzen vorhandenen Charakterbilder der Figuren, die nicht zu dem werden, was sie eigentlich sein sollten. Die nicht den Film tragen wollen, der aber genau darauf setzt. Saavedra und Loibl lassen sich treiben, währen Mandić als Tod seinen Job scheinbar satthat. Die feine Klinge blitzt manchmal auf, wenn der Bote des Jenseits mit ein paar Russen ebensolches Roulette spielt. Doch auch in diesen Szenen ist die Motivation für das große Ganze zu selbstgefälliges Kunstkino, das seine einzelnen Szenen liebt, seine Figuren aber halbfertig auf eine existenzialistische Tour schickt, die sich niemals so anfühlt, als ginge es um Leben und Tod.

O Beautiful Night (2019)

Beyond the Infinite Two Minutes

IM CAFÉ ZWISCHEN DEN ZEITEN

8/10


beyondtheinfinite© 2022 Busch Media Group


LAND / JAHR: JAPAN 2020

REGIE: JUNTA YAMAGUCHI

BUCH: MAKOTO UEDA

CAST: KAZUNARI TOSA, RIKO FUJITANI, GÔTA ISHIDA, MASASHI SUWA, AKI ASAKURA, YOSHIFUMI SAKAI U. A.

LÄNGE: 1 STD 10 MIN 


Ich hätte gerne einen Kakao. Aber bitte einen von Droste. Und zwar jenen, den die abgebildete Nonne auf der Box der abgebildeten Nonne auf der Box der abgebildeten Nonne auf der Box der abgebildeten Nonne serviert. Ja, das könnte man unendlich fortsetzen. Die Rede ist vom Phänomen Mise en abyme, was ungefähr gleichzusetzen ist mit einem Fass ohne Boden. Anders bekannt ist der Blick ins Unendliche auch als Droste-Effekt, eben basierend auf dem grafischen Entwurf besagter Kakao-Verpackung. Wir kennen das vielleicht am ehesten noch aus Aufzügen – da gibt es manche, deren Innenraum zumindest auf zwei Seiten verspiegelt ist. Auch hier zeigt der Spiegel den Spiegel von gegenüber, der wiederum den Spiegel von gegenüber zeigt, der wiederum… Der Blick hinein ist unendlich. Ein Kuriosum, das in der Kunst oder eben auch in der Werbegraphik ab und an gerne verwendet wird. Auch in der Mandelbrot-Fraktale oder im Apfelmännchen lässt sich besagte Form im Zoom jedesmal neu entdecken.

Aus solchen Spielereien könnte man einen Film machen? Ist passiert. Und was wäre, würde man hier noch zusätzlich die vierte Dimension einfügen? Würde das dann das Raum-Zeit-Gefüge sprengen? Vielleicht, warum nicht. Einfach probieren, dachten sich ein paar Japaner, die mit kaum Budget, Smartphone und in One Shot-Manier eine Gedankenakrobatik ausgearbeitet hatten, die ihre Premiere während der Pandemie gerade mal vor einem Publikum von zwölf Personen feierten. Macht auch nichts, alles ist relativ, dafür ist Beyond the Infinite Two Minutes mittlerweile ein Renner auf allen möglichen Festivals. Man sieht wieder: Originelle Ideen brauchen kein tonnenschweres und sauteures Equipment. Um erfolgreich zu sein, müssen sie einfach als gute Geschichte funktionieren, und sei es auch nur als feierabendliche Anekdote nach Kassaschluss irgendwo in Kyoto in einem kleinen Café im Parterre eines Wohnhauses.

Kato, der Besitzer des Ladens, wird in seiner Wohnung via Bildschirm ganz plötzlich von sich selbst angesprochen. Das Ich aus dem Bildschirm erzählt ihm etwas Unglaubliches: Er sei aus der Zukunft, allerdings nur zwei Minuten von der Gegenwart entfernt. Er selbst würde gleich hinunter ins Kaffeehaus gehen und ihm dasselbe nochmal selbst sagen. Kato macht die Probe aufs Exempel – und sieht sich tatsächlich vom Bildschirm des Wifi-Computers aus dem Laden in seiner Wohnung vor zwei Minuten.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt prustet man los oder verschluckt sich gar an seinem Popcorn. Wie abgefahren ist das denn? Damit nicht genug. Mit der Zeit scharen sich immer mehr Leute um dieses Phänomen, und einer von ihnen hat gar die Idee, den Droste-Effekt zu erzeugen, wenn beide Bildschirme gegenüberstehen. Gesagt, getan – der Blick in die Zukunft und in die Vergangenheit geht immer weiter, aus zwei werden vier werden sechs Minuten… Bis das ganze Experiment dazu genutzt wird, Profit zu lukrieren – und ganz andere Gestalten auf den Plan ruft, die Schlimmstes verhindern wollen.

Was für eine angenehm entrüschtes Spin-Off zur Zeitreise-Thematik? Dark, das Multiverse of Madness, die TVA aus Loki: Vieles davon vielleicht eine Spur zu verkopft. Wie wär‘s mit einem Pocket-Manual zum praktischen Gebrauch? Zur eigenen Do it Yourself-Erschaffung einer alternativen Zeitebene? Zur sofortigen Anwendung und mit garantiertem Spaß-Faktor? Beyond the Infinite Two Minutes ist einer jener kleinen großen Würfe, die beweisen, dass es beim Filmemachen auf die Idee und den Willen ankommt, diese umzusetzen. Dass Improvisation, Freude am Fabulieren und kindliche Neugier alles sind, um sein Publikum verblüffen zu können. In diesem Nippon-Workshop in Sachen SciFi fehlen Naturgesetzen manchmal die Argumente, ist die Zukunft längst nicht in Stein gemeißelt und obendrein laden frisch gebrühte Paradoxone entspannt zum Smalltalk ein.

Beyond the Infinite Two Minutes