Kazakh Scary Tales (2025)

KRABBELSPUREN IM STEPPENSAND

5/10


© 2025 Short Brothers


LAND / JAHR: KASACHSTAN 2025

REGIE / DREHBUCH: ADILKHAN YERZHANOV

KAMERA: YERKINBEK PTYRALIYEV

CAST: KUANTAI ABDIMADI, ANNA STARCHENKO, DINARA BAKTYBAYEVA, AZIZ BEISHENALIEV, SHAKH MURAT ORDABAYEV U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Man könnte ja meinen, man stehe in der kasachischen Steppenlandschaft, weit und breit kein Berg, und würde, sofern man den Rundumblick innehält, nichts auch nur annähernd übersehen, was vielleicht auf einen zukommen oder das monotone Landschaftsbild stören könnte. In dieser Steppe, in der mangelnder Regen das Gras verdorren lässt und der graue Staub zwischen den Zähnen knirscht, auch dann, wenn kein Wind weht; in dieser Steppe fühlt sich Filmemacher Adilkhan Yerzhanov wie zuhause. Schließlich ist es sein Land und es sind seine Bedingungen. Als Verfasser eines Manifests zum kasachischen Partisanenkino liegt dem Künstler wohl sehr daran, dem gängigen staatlichen Mainstreamfernsehen und auch dem ähnlich gelagerten, unverfänglichen und einlullenden Themenkino zu entsagen und stattdessen lieber, ohne jegliche staatliche Förderung, seine eigenen Visionen umzusetzen. Das mögen welche sein, die nicht allen schmecken, doch noch ist es nicht so weit wie im Iran, in dem Filmemacher eben längst nicht mehr mitteilen können, was auf deren Zunge brennt.

Dale Cooper und der Schamanismus

Yerzhanov, längst in der Branche bekannt, kann sich’s leisten. Er pfeift aufs Geld und auf den Einfluss von Behörden, die ausschließlich politisch, aber nicht künstlerisch und schon gar nicht progressiv denken. Er macht Filme wie zum Beispiel Steppenwolf – einen knallharten, dystopischen Actionthriller über eine Mutter auf der Suche nach ihrem Sohn. Begleitet wird sie dabei von einem Ex-Polizisten, der keine halben Sachen macht und gerne den Hammer schwingt. Yerzhanov macht aber auch Fernsehen, und dabei ist der Entwurf einer mehrteiligen, paranormalen Kriminalgeschichte entstanden, deren erste drei Folgen zu einem spielfilmlangen Triple-Feature zusammenmontiert wurden. Verschmolzen und neu geschnitten für die Leinwand, trägt das Konstrukt nun den Titel Kazakh Scary Tales – was ein bisschen nach Arbeitstitel klingt, allerdings aber auch ein gewisses Versprechen für Grusel und Horror gibt. Vor allem dann, wenn man weiß, womit der fantastische Reigen eigentlich beginnt. Denn dem Erscheinen des abgehalfterten Klischee-Kommissars aus der Stadt, der wie eine Mischung als FBI-Agent Dale Cooper aus Twin Peaks und Inspektor Columbo wirkt, gehen schockierende Todesfälle in einer Geburtsklinik voraus. Birzhan, so der Name des Polizisten, der samt Familie in die öde Provinz Kataras versetzt wurde, muss sich mit den lokalen Ordnungshütern herumschlagen, die überhaupt nicht bereit sind, dem übereifrigen Fremden unter die Arme zu greifen. Ganz im Gegenteil – die Fälle seltsamer Kindstode sollen lieber nicht weiter verfolgt werden, schließlich sind hier, und das weiß die unmotivierte Gruppe streitsüchtiger Polizisten, ganz andere Mächte im Spiel. Mächte, die nicht von dieser Welt sind. Zum Glück stößt Birzhan auf eine Hellseherin, einem Medium, das sich in der Mythologie des Ortes auskennt, und bald den Verdacht hegt, es könnte alles mit einem Fluch zu tun haben – dem Fluch von Albasty.

Fernsehen ist nicht gleich Kino

Zugegeben, das klingt alles sehr schön rätselhaft, auch skurril, man lernt Neues über Mythen aus einem Teil der Welt kennen, der sich in den Nachrichten rar macht. Der Einblick in die zentralasiatische Twilight-Zone beschert neuen Input für Liebhaber des Übernatürlichen, und mit Yerzhanovs Ambition, sowohl Kino als auch Fernsehen zu bedienen, mag das staubgeborene Wunderding eines horrorhaften, bizarren Thrillers eine sichere Bank sein. Letztlich aber entwickelt sich Kazakh Scary Tales zu einem nicht unanstrengenden, weil angestrengten Unterfangen. Dem Werk ist deutlich anzusehen, dass der narrative Aufbau deutlich den Regeln einer Fernsehserie folgt. Und wir wissen längst: Geschichten im Kino oder eben im Fernsehen zu erzählen – das sind zwei Paar Schuhe. Yerzhanov will alle zwei Paar anprobieren, letztlich passt nur jenes Paar für das Kleinformat daheim. Bei einer Serie kann sich die Geschichte Zeit lassen – vor allem dann, wenn nach drei Episoden noch längst nicht das Ende kommt. In Kazakh Scary Tales ist irgendwann des Rätsels Lösung zwar gefunden, öffnet aber weitere Türen in die Zwischenwelt, und ja, es wird klar, da kommt noch was.

So gesehen mag der Film eine gestreckte Pilotfolge sein, alleine, um Charaktere einzuführen und die Parameter erst einmal zu setzen, bevor man tiefer vordringt in das Unheilvolle dieser Provinz. Dabei entstehen, am Stück genossen, vertrödelte Nebensächlichkeiten, Entschleunigung dort, wo Yerzhanov dringender hätte vorwärtskommen sollen. Der absurde Witz, der an den im deutschen Sprachraum wohlbekannten österreichischen Ermittler Kottan von Peter Patzak erinnert, hat zwar sein eigenes Kolorit und verträgt sich gut mit dem Aberglauben und der Verschrobenheit der lokalen Bevölkerung, doch der Spannung tut das keinen Gefallen. Als Thriller plätschert Kazakh Scary Tales vor sich hin, bleibt selten am Punkt, verstrickt sich in kausalen Zusammenhängen, die den morbiden, wenig kinderfreundlichen Spuk nur noch mehr ausbremsen. Kompliziert erzählt ist also halb verloren, so reizvoll sich die Synopsis auch anhört, so eintönig zieht sie sich hin, passend zum grasbewachsenen Nirgendwo, in das man starren kann. Und vielleicht spielen die Sinne dabei ja Streiche. Doch das setzt nur bedingt versprochene Reize.

Kazakh Scary Tales (2025)

Artemis Fowl

STIMMEN AUS DER IRISCHEN UNTERWELT

3,5/10

 

artemisfowl© 2020 Nicola Dove / The Walt Disney Company

 

LAND: USA 2019

REGIE: KENNETH BRANAGH

CAST: FERDIA SHAW, COLIN FARRELL, JUDI DENCH, JOSH GAD, LARA MCDONNELL, NONSO ANOZIE, TAMARA SMART U. A.

 

Was Joanne K. Rowling kann, können andere doch auch: mit dem Harry Potter-Hype hat sich gegen Ende der Neunziger das literarische Genre der Jugend-Fantasy auf olympische Höhen gestemmt. Darunter dann einige, die es fast in ähnliche Höhen geschafft hätten, allerdings deutlich drunterblieben, die aber genug Leser finden konnten, um in Potters Fahrwasser mitzuplantschen. Percy Jackson zum Beispiel, mit den Figuren aus der griechischen Mythologie, derer sich natürlich auch Rowling bedient hat. Wirklich kreativ musste da keiner werden – die europäische Sagenwelt ist ein Fass ohne Boden, auf jedem Teil des Kontinents erzählt man sich etwas anderes. Hinzu kommt das Erbe eines Tolkien, der Orks, Zwerge und Elfen für den realitätsflüchtenden Liebhaber magischer Welten mit Peter Jacksons Verfilmungen neu etabliert hat. Natürlich blieb da Irland mit seinen Leprechauns und Fairies nicht außen vor. 2001 erschien unter der Feder Eoin Colfers das erste Abenteuer eines zwölfjährigen superklugen und superreichen Alleskönners und Erbe einer Verbrecherdynastie: Artemis Fowl. Die Fowls schwimmen im Geld, so wie die Waynes, und der distinguierte Knabe erinnert nicht rein zufällig an den juvenilen Bruce, der einen Butler an seiner Seite hat, der auch voller Skills zu stecken scheint, die das Unbequeme vor den Toren des Schlosses halten.

Da stellt sich natürlich die Frage: wie sehr identifiziert man sich mit einem geistig hochbegabten, reichen und durchaus arroganten Burschen, der keine Ecken und Kanten zu haben scheint, alles besser weiß und den nichts erschüttert? Die Skala von eins bis zehn arbeitet sich nur mühsam nach oben. Artemis Fowl ist irgendwie einer, der sowieso alles im Alleingang regeln kann, zumindest interpretiert Shakespeare-Liebhaber Kenneth Branagh den verfilmten Star der Buchreihe genau so, die, gäbe es den Film nicht, mir womöglich unbekannt geblieben wäre. Man erkennt: Casting-Frischling Ferdia Shaw verleiht dem jungen Meisterdieb (was im Film längst nicht klar wird, dass dieser überhaupt einer sein soll) ein an emotionalen Facetten armes Charakterbild. Was bleibt, ist Überheblichkeit unter einem völlig entgleisten Haarschnitt. Mit Sonnenbrille und Begräbnis-Outfit sieht Shaw eher aus wie ein junger Rekrut aus den Untiefen der Men in Black-Organisation. Und im Grunde genommen ist es das ja auch: Was es zu entdecken gilt, das sind die mythischen Welten im Untergrund, die sowieso die ganze Zeit parallel zu der unsrigen existieren. Gut, das ist auch alles andere als neu. Der Punkt geht an Harry Potter. Jenseits der irischen Wiesen tummelt sich ein fahriges High-Tech-Universum an Elfen, Kobolden und Trollen, wovon der eine oder andere in die Menschenwelt entkommt und in kostengünstigem CGI für Radau sorgt. Vor allem die Figur des Trolls wirkt wie ein computergenerierter Zwischenstand ohne Plastizität. Mit unfreiwilliger Komik fehlbesetzt bleibt Charaktermimin Judi Dench als spitzohrige Reinkarnation mit David Bowie-Gedächtnisfrisur, die durch eine unausgegorene phantastische Welt trottet, und die in jeder Minute nicht weiß, was sie hier eigentlich zu suchen hat.

Das sind die Dinge, die mir bei Artemis Fowl vorrangig in Erinnerung geblieben sind. Alles andere ist ein flüchtig notierter Spickzettel für einen über mehrere Filme hinwegziehenden roten Faden, der versucht, das Anfang und das Ende eines Epos zusammenzuhalten, dabei aber ziemlich durchhängt. Dieses Ringen um ein bestimmtes Artefakt hat weder Atmosphäre noch Zauber, auf Zeitdruck schnell hin inszeniert, unter der Fuchtel des Disney-Finanzresorts dahinkreisend und irgendwie längst nicht fertig. Branagh kann unmöglich damit glücklich gewesen sein – ich weiß, wie gut der Mann sonst inszenieren kann. Artemis Fowl dürfte dasselbe Schicksal erleiden wie The Seventh Son, die Verfilmung gleich mehrerer Romane des britischen Autors Joseph Delaney. Oder Der dunkle Turm von Stephen King. Alles Schnellschüsse, runterkupiert auf 90 bis 100 Minuten und wahllos mehrere Elemente aus verschiedenen Büchern vereinend. Was wohl dahintersteckt? Vielleicht haben all die Filme gemeinsam, dass die Studios schon während der Produktion gesehen haben, dass das Projekt nicht das erfüllt, was es versprochen hat, angesichts sämtlicher Verträge aber die Sache zu Ende gebracht werden muss. Und statt der Schublade gibt’s neuerdings das studioeigene Streaming-Portal, wo sich Filme wie diese leicht ins Exil retten lassen.

Artemis Fowl

Trollhunter

MYTHEN, DIE WÜTEN

7/10

 

trollhunter1© 2011 Universal Pictures Germany

 

LAND: NORWEGEN 2011

REGIE: ANDRÉ ØVREDAL

CAST: OTTO JESPERSEN, GLENN ERLAND TOSTERUD, JOHANNA MØRCK, TOMAS ALF LARSEN U. A.

 

Was war das nicht für ein Hype rund um den Hexenhorror The Blair Witch Project? Viral Marketing par excellence, und so mancher dachte dabei wirklich, dass das gefilmte Rohmaterial authentisch ist. Ein neuer Stil war da plötzlich mehr als nur amatuerhafter Spuk, es waren diese Fake-Arrangements, die von da an das relativ zügig ausreizbare Found-Footage-Genre in die Welt des Kinos gesetzt hatten. Das mit der Wackelkamera, den gehetzten Kameraschwenks und dem permanenten Vergessen, auf der Flucht vor dem Grauen die Aufnahme zu unterbrechen, das hat sich mittlerweile schon des Öfteren in einer gewissen Redundanz verbissen. Noch mehr Laufmeter dahinziehenden Waldbodens mit Gekeuche und Gekreische aus dem Off waren danach wirklich kaum noch nötig. Irrtum – Cloverfield hat´s dem Publikum nochmal ordentlich gegeben. In Sachen Monsterhorror ein gewitzter Knüller. Und was die Amerikaner können, können die Europäer allerdings auch. Mit einer Mockumentary aus dem hohen Norden, in dessen Vorspann steif und fest behauptet wird, dieses Filmmaterial begutachtet und für echt befunden zu haben. So kann man sich in die Irre führen lassen, aber so kann man sich auch hingeben in eine alternative Realität, die so gerne möchte, dass es so mythische Wesen wie Trolle oder Zwerge tatsächlich gibt.

Gehen wir mal davon aus, es gibt sie. Oder gehen wir einmal davon aus, wir hätten nie geglaubt, dass es sie gibt, wären aber offen für stichhaltige Widersprüche – vorliegende, brisante Doku würde uns eines Besseren belehren, indem sie sich an die  Fersen eines Sonderlings heftet, irgendwo in der Unwirtlichkeit Norwegens, wo der Wald alles ist und teilweise auch so verlassen und wild wie in den entlegensten Gegenden Kanadas. Gut möglich, dass dieses Dickicht manch krypotozoologische Sensation verbirgt. Irgendwas ist da im Argen jedenfalls, so finden das drei Hobbyfilmer, die einfach so aus Neugier dem seltsamen Eremiten folgen, bis der trotz anfänglichem Widerstand klein beigibt – und geradezu bereitwillig über sein außergewöhnliches Tun als Trolljäger aus dem Nähkästchen plaudert – inklusive Feldforschung und handfesten Beispielen, wie denn so eine Trolljagd tatsächlich vonstatten geht.

Der norwegische Autorenfilmer André Øvredal hat sich da einen riesengroßen Spaß erlaubt, einen köstlichen Nerdfilm und Fantasy-Irrsinn sondergleichen, den Taika Waititi wohl nicht besser hinbekommen hätte. Sein 5 Zimmer Küche Sarg – eine Mockumentary über Alltagsvampire – ist so dermaßen überzeichnet, dass diese nur noch wenig dokumentarische Attitüden aufweist. Trollhunter zehrt ziemlich lange an der Reality-Gier des Zusehers, und setzt die Geduld der reichlich naiven Jungfilmer gehörig auf die Probe. Sie machen womöglich all die gleichen Fehler wie seinerzeit die Hexenjäger von Blair, aber diesmal haben sie wenigstens einen harten Kerl an der Seite, der mit Blitzlicht und Betonhammer auf die Pirsch geht. Dabei tut mir als eingefleischten Troll-Fan (nur echte Trolle, nichts au dem Internet) das Herz richtig weh, wenn es darum geht, diese Urviecher, die ihr Revier verlassen, allesamt erlegen zu müssen. Das muss doch nicht sein – oder doch? Zumindest darf die Menschheit niemals erfahren, dass es Trolle wirklich gibt, daher ist auch das Bildmaterial heiß begehrtes Ziel staatlicher Geheimdienste, die den Pionieren in Sachen realer Mythen und Monster ebenfalls auf den Fersen sind. Das ist spannend und kauzig, und die Ideen, die all die Spuren erklären, die diese mal befellten, mal dreiköpfigen, mal riesenhaften Knilche nun mal zwangsläufig hinterlassen, wirklich gut ausgedacht. Da sieht man Schutthaufen am Waldesrand oder Felsstürze gleich mit anderen Augen. Logisch, manches könnte ja auch ein Bär sein – aber was, wenn nicht? Øvredals Drehbuch hat da tatsächlich Hand und Fuß, und es passt verblüffenderweise wirklich vieles zusammen. Haarsträubend ist natürlich das Handeln der kleinen Menschleins angesichts dieser latenten Gefahr, die von den Riesen ausgeht, aber das ist eher wieder dem Subgenre des Slasher-Horrors entlehnt, deren Jumpscare-Benefits wohl bei aller Vernunft mager ausfallen würden. Trollhunter ist aber kein Horrorfilm; nichts, was Grauen erregt, sich aber an entdeckerfreudigem Suspense die Hände schmutzig macht, der seine Giganten gut getimt ins Bild rückt und wieder verschwinden lässt. Der weiß, wie Spannungsaufbau funktioniert, und sich das Beste und Größte bis zum Schluss aufhebt.

Es gibt ihn also vielleicht, diesen feuchten Traum aller Kryptozoologen, die sich an Nessie oder Bigfoot bereits jahrzehntelang die Zähne ausgebissen haben und vielleicht Lust auf Anderes bekommen, vielleicht mehr den Spuren frühmittelalterlicher Epen folgend, wie Beowulf und Grendel, wobei letzterer den Trollen in Øvredals Film sicherlich Pate gestanden hat. Kurzum: Trollhunter ist ein spinnertes Vergnügen zwischen Monstermuff und rettendem Sonnenlicht, trotz all der wirren Optik.

Trollhunter