Lohn der Angst (2024)

LASTERHAFTE WÜSTENSAFARI

1,5/10


lohnderangst2© 2024 Netflix Inc.


ORIGINALTITEL: LE SALAIRE DE LA PEUR

LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: JULIEN LECLERCQ

DREHBUCH: HAMID HLIOUA, NACH DEN SKRIPT VON GEORGES ANAUD

CAST: FRANCK GASTAMBIDE, ALBAN LENOIR, ANA GIRARDOT, SOFIANE ZERMANI, BAKARY DIOMBERA, ASTRID WHETTNALL, ALKA MATEWA, SARAH AFCHAIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Lohn der Angst könnte man angesichts dieser filmischen Arbeit auch ganz anders interpretieren: Lohnt es sich denn, trotz Furcht vor einer bereits in den ersten Filmminuten auf Verdacht prognostizierten Niete weiter dranzubleiben? Ähnliches denke ich mir, als Julien Leclercqs Verwurstung eines fast schon selbstfahrenden Action-Plots, weil so absurd und radikal, über den Flachbildschirm flimmert. Zu sehen sind knochenharte Französinnen und Franzosen, die Nerven wie Stahlseile besitzen und, verfolgt von hasserfüllten Abziehbild-Terroristen, wie man sie in Wüstengegenden Nordafrikas oder dem Nahen Osten eben anzutreffen glaubt, um ihr Leben brettern, das ihnen selbst wohl wenig wert zu sein scheint, da sie so tun, als wären sie Dolph Lundgren, Jean-Claude van Damme oder Arnold Schwarzenegger. Als wären sie Sly Stallone mit seiner Entourage an Söldnern aus der Expendables-Reihe, die nichts zu fürchten brauchen, außer, dass ihnen vielleicht der Himmel auf den Kopf fallen könnte, wären sie denn gläubig.

Wie mit Charakteren mitfiebern, die selbst nicht fiebern, und dass trotz eines ihnen auferlegten Himmelfahrtskommandos? Mal sehen, was aus ihnen wird, im Laufe der Handlung. B-Film-Schauspieler Franck Gastambide gibt einen Möchtegern-Jason Statham, dem, so wird behauptet, viel daran liegt, die Familie seines Bruders und auch den Bruder selbst in Sicherheit zu bringen. Letzterer, Sprengstoffexperte außer Dienst, sitzt wegen der Geldgier des anderen im Knast. Für einen Spezialauftrag winkt dem zum Handkuss gekommenen Bruder völlige Straffreiheit plus das nötige Kleingeld, um woanders neu anzufangen. Natürlich, als stoische harte Socken, wie sie alle sind, und die nichts und niemand mehr erschüttern kann, machen alle mit. Auch Ana Girardot (nicht verwandt mit Annie Girardot) als die Verkörperung weiblicher Härte mit Lust auf Entspannungssex ohne Bedeutung, die gleich zu Beginn des Films mal zeigt, wie der Hase rammelt, ist mit von der Partie. Sie müssen – das wissen wir aus Henri Clouzots Klassiker und William Friedkins Remake aus den Siebzigern – kiloweise Nitroglyzerin über unwegsames Gelände rund 800 Kilometer an ihren Zielort bringen, um eine brennende Ölquelle zum Versiegen zu bringen, die, würde sie weiter lodern, ein ganzes von Flüchtlingen besiedeltes Areal in den Untergang reißen wird. Sie haben dafür zwanzig Stunden Zeit, und die bösen Terroristen sitzen ihnen im Nacken, die gleichzeitig auch die Exekutive eines x-beliebigen Klischee-Militärstaates verkörpern.

Als ob die Eindämmung der Katastrophe nicht auch im Interesse der Schurken wäre, doch solcherlei zu hinterfragen, davor hütet sich Leclercq genauso wie vor dem menschlichen Drama, welches der eigentliche Katalysator, der feurige Antrieb für einen Actionthriller wie diesen sein sollte. Lohn der Angst führt sich selbst ad absurdum, weil es all die Laufzeit lang darauf verzichtet, seine Helden Angst empfinden zu lassen. Abgesehen davon, dass das schauspielerische Engagement gerade mal für einen soliden B-Movie-Reißer reicht, dessen Macher nur wollen, dass innerhalb des prognostizierten Zeitfensters alles im Kasten ist, was im Kasten sein muss, um keine Unkosten zu haben, ist das Trio viel zu abgebrüht und hartgesotten, um auch nur eine Sekunde lang nicht imstande zu sein, diese hochexplosiven Flüssigkeiten auch im Knight Rider-Boost völlig problemlos an ihren Zielort zu bringen. Die Steine, die Leclercq ihnen in den Weg streut, sind lediglich Kieselsteine, die vielleicht im Schuh drücken – mehr nicht. Wie wenig man die Spannungsschraube anziehen, wie lustlos die Fahrt über holpriges Gelände gestaltet werden kann, auf welchem es nicht mal eine Hängebrücke gibt, die in Friedkins Version ein szenisches Highlight darstellt, zeigt dieser Fehlversuch einer Neuinterpretierung, deren Gefahrenguttransport sich so packend gestaltet, als wäre man auf einer frisch asphaltierten Autobahn unterwegs, und nur die statistische Wahrscheinlichkeit eines Auffahrunfalls verursacht die notwendigen Schweißperlen auf der Stirn.

Lohn der Angst (2024)

Ein Mann namens Otto (2022)

AUCH GRANTLER HABEN NACHBARN

6/10


Tom Hanks (Finalized);Manuel Garcia Rulfo (Finalized);Cameron Britton (Finalized);Juanita Jennings  (Finalized);Mariana Trevino (Finalized)© 2022 CTMG, Inc. All rights reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: MARC FORSTER

BUCH: DAVID MAGEE, NACH DEM ROMAN VON FREDRIK BACKMAN

CAST: TOM HANKS, MARIANA TREVIÑO, MANUEL GARCIA-RULFO, TRUMAN HANKS, RACHEL KELLER, CAMERON BRITTON, JUANITA JENNINGS, PETER LAWSON JONES, MACK BAYDA, MIKE BIRBIGLIA U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Den Amerikanern, die ungern Filme mit Untertiteln sehen (denn englische Synchronisationen gibt es keine – das würde sich auch kaum rentieren), darf man Geschichten wie diese, die von einem Griesgram handeln, der zum nächstenliebenden Menschen wird, nicht vorenthalten. Dafür gibt’s eine einfache, aber kostspielige Methode: Man inszeniert den Film komplett neu, und zwar auf amerikanischem Boden und in englischer Sprache. Und um wirklich genug Leute ins Kino zu locken, setzt man ganz vorne einen bewährten Publikumsliebling hin, der schließlich wirklich etwas kann und seine Sache auch gut macht. Derart amerikanisierte Versionen diverser originärer Klassiker gibt es eine Menge. Zum Beispiel Michael Hanekes Funny Games. Oder Drei Männer und ein Baby. Auch Ziemlich beste Freunde wurde zwar nicht „geschwedet“ (siehe Abgedreht – Be Kind Rewind), sondern für’s amerikanische Publikum neu aufgelegt. Meist sind diese Sprachkopien nicht viel besser als das ohnehin schon vollendete Original. Aber das Kino dankt, und das sowieso viel kinoaffinere US-Publikum dankt es mit stolzen Besucherzahlen.

Ein Mann namens Ove, nach dem gleichnamigen Roman von Fredrik Backman und von Hannes Holm 2015 auf die Leinwand gebracht, war darauffolgendes Jahr für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert. Zweifelsohne hat diese Geschichte rund um Menschlichkeit und Nächstenliebe seinen Platz im europäischen Filmolymp verdient. Rolf Lassgård gibt der anfangs miesgelaunten Figur Tiefe und eine nachvollziehbare Biografie mit auf den Weg. Er lässt sie Sehnsucht, Trauer und Verlustschmerz verspüren. Er lässt sie darauffolgend aufblühen, hoffen und einen Sinn im Leben sehen. Dank fürsorglicher und offenherziger Nachbarn, die sofort erkennen, dass dieser unhöfliche Prinzipienreiter sehr wohl noch ein großes Herz hat – im wahrsten Sinne des Wortes.

In der Neuverfilmung quält sich Tom Hanks als hagerer, ergrauter und knorriger Misanthrop mit der Sinnlosigkeit seines Restlebens herum und will dem ein Ende setzen. Alles beginnt mit dem Kauf von eineinhalb Metern Seil, was gleich zu Diskussionen an der Baumarktkassa führt. Mit dieser Szene führt der Star mit der Qualitätsgarantie eine Figur ein, die sich vielleicht nur äußerlich von jener des Rolf Lassgård unterscheidet. Bei Tom Hanks wissen wir aber auch: Der Mann kann kein schlechter Mensch sein, weil Hanks meist zu den Guten gehört (mit einigen wenigen latenten Ausnahmen, wie in The Circle oder Elvis). Daher bemüht er sich manchmal zu offensichtlich – und das ist auch fürs Publikum nicht zu übersehen – seine Mundwinkel tunlichst der Schwerkraft auszusetzen, denn so missmutig dreinzublicken ist so gar nicht sein Stil. Alles in allem aber gibt er in den Momenten, wenn er sein Umfeld anpöbelt oder einsam daheim aus dem Fenster blickt, wieder mal Lichtblicke seines künstlerischen Schaffens wider. Auch der Rundum-Cast – allen voran Mariana Treviño als die gutherzige Nachbarin Marisol – füllt seine Rollen bis in jede Charakter-Ecke aus. Ja, die Verfilmung von Marc Forster fühlt sich gefällig und geschmeidig an. Ist aber für Kinogeher, die gerne auch Europäisches mit Untertiteln wertschätzen, kein Muss mehr.

Ein Mann namens Otto ist aber nicht besser als die Originalverfilmung. Und prinzipiell auch nicht schlechter. Doch der schwedische Streifen war zuerst da. Forsters Remake ist also weder besser noch schlechter, aber auch nicht anders. Denn eine Geschichte wie diese kann man auch nicht wirklich anders interpretieren. Theaterstücke, vor allem Klassiker, kann man in die Neuzeit verfrachten, man kann sie mit den unterschiedlichsten Requisiten bestücken und ihnen dank der Möglichkeit variabler Bühnengestaltung unterschiedliche Handschriften verleihen. Bei Ein Mann namens Otto wüsste ich nicht, wo man ansetzen könnte. Also spricht Otto die gleiche Sprache wie Ove, das Szenario vermittelt die gleichen Emotionen, die gleiche Atmosphäre, es ist tatsächlich eine amerikanisierte Kopie. Wäre Forsters Arbeit die erste Verfilmung des Romans, er wäre wahrlich beachtenswert gewesen. So aber hatten wir das alles schon, und ja, es ist solide und gut gespielt, aber als Remake, das eigenständig sein will, relativ uninspiriert. Was nicht heißen soll, dass Amerika den Film nicht dankend annehmen wird. Ich hingegen hab‘ ihn bereits gekannt.

Ein Mann namens Otto (2022)

Dumbo

ALLES WAS OHREN HAT, FLIEGT!

6,5/10

 

DUMBO© 2019 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2019

REGIE: TIM BURTON

CAST: DANNY DE VITO, COLIN FARRELL, EVA GREEN, MICHAEL KEATON, ALAN ARKIN, LARS EIDINGER U. A.

 

Jetzt mal in Echt. Disneys Dekaden umspannende Filminventur macht vor gar nichts halt. Ein Riesenprojekt, welches die Masterminds dort am Laufen haben. Da werden die ältesten Zeichentrickfilme aus den heiligen Archiven geholt, von allen Seiten gemustert und nebst notwendiger Digitalisierung noch zusätzlich als Live-Act nachgedreht. Warum nur? Nun, weil’s erstens geht. Und zweitens, weil’s neugierig macht. Wie denn wohl zum Beispiel Winnie Puuh als echter Bär aussieht (Gut, das wäre nicht schwierig zu beantworten, da müsste man nur in die New York Public Library). Oder Shir Khan und Baghira. Oder das Biest, das mit der Schönen tanzt. Oder eben Dumbo. Bei Dumbo wäre es ja besonders interessant. Obwohl mich die ersten Vorab-Infos über Disneys Ambition, die traurige Geschichte des missgebildeten Dickhäuters wirklich real neu zu verfilmen, etwas irritiert haben. Braucht es denn das wirklich? Zugegeben, das habe ich mich vor Christopher Robin auch gefragt. Und vor The Jungle Book. Und zugegeben – eigentlich ja. Eigentlich braucht es das wirklich. Denn es sind oft ganz andere Geschichten, ganz andere Sichtweisen, die da ins Drehbuch geschrieben werden. Und ja, Disney macht das, weil’s geht. Und weil es das verdammt gut kann.

Sofern kein Vergleich aus dem reichlich illustrierten Brehms Tierleben vorliegt, kann ich bei Betrachten des Familienevents Dumbo tatsächlich nicht mehr mit Sicherheit sagen, wo die Echtheit von Tieren aufhört und wo die Animation beginnt. Dieser akkurate Realismus ist wirklich verblüffend. Und auch wenn schon damals bei Ang Lees Life of Pi der Tiger im Boot schon so täuschend echt ausgesehen hat – würde man den Stand der Dinge mit damals vergleichen, wäre die Katze ungleich unnatürlicher. Die Elefanten in Dumbo sind es augenscheinlich (noch) nicht. Aber fragt mich in ein paar Jahren wieder, denn da ist immer noch Luft nach oben, auch wenn ich das kaum glauben kann. Beim Elefantenbaby mit den großen Ohren, da weiß ich schon, dass der nicht echt ist. Aber er sieht so verdammt echt aus. Und wie er da unterm Stroh das Licht der Zirkuswelt erblickt und später ein Schaumbad über sich ergehen lässt, da grenzen die simulierten Eigenschaften von Wasser- und sonstigen Molekülen, die auf nicht weniger simulierter Elefantenhaut abfließen, wirklich schon an die Magie einer perfekten Illusion. CGI ist nicht nur mehr CGI – langsam fangen die Wesen aus dem Rechner an, Seele zu besitzen. Das war schon unlängst bei Alita so. Und auch Dumbo hat das gewisse Etwas.

In Anbetracht dieser Kunstfertigkeit hätte Tim Burton ja gar nicht mehr viel zu tun gehabt. Der niedliche Pachyderme ist ein Selbstläufer – oder wohl eher ein Selbstflieger. Drum herum gibt sich der Visionär mit dem Hang zum verspielt-morbiden Gothic-Grusel-Look recht bescheiden und wühlt in seiner eigenen Mottenkiste, die Requisiten aus seinen früheren Werken wie Charlie und die Schokoladenfabrik enthält. Der Vergnügungspark des sinisteren und seltsam frisierten Unternehmers Vandervere scheint ein wenig kreatives Sammelsurium sämtlicher Kulissen zu sein, die alle schon mal irgendwo verwendet wurden. Die permanente lila Abendstimmung und die etwas überstrapazierte Darbo-Werbespotoptik der 20er Jahre ergibt eine gewisse gleichförmige Unaufgeregtheit, bei der Burton sein Licht etwas unter den Scheffel stellt. Aber womöglich passiert das zugunsten einer familientauglichen Story, die sich ohnehin mehr auf Elefant und Mensch konzentriert. Und der Mensch, der hat schon seine kauzigen Vertreter. Vor allem ist es schön, wieder mal Danny deVito vor der Kamera zu sehen, der seit seinem Independent-Auftritt in Wiener Dog lange als vermisst galt. Als impulsiver Zirkusdirektor macht er sowieso eine famose Figur. Und Eva Green, Lieblingsstar von Tim Burton nach Ehefrau Helena Bonham-Carter, glänzt als grazile Trapezkünstlerin, die auf den Elefanten kommt.

Dumbo als charmantes Live-Act-Abenteuer funktioniert unterm Strich überraschend gut, ist zwischendurch sogar und insbesondere für jüngeres Publikum durchaus spannend, vor allem, wenn man Dumbos Ohren noch nicht trauen kann. Doch keine Sorge, bei Disney endet doch alles gut – oder doch nicht? Schicksalsschläge müssen sein, sonst wäre es nicht Disney, und die gut gemeinte Parabel über Außenseiter, Freaks und das Anderssein ist eine Zirkusnummer, die in Sachen Animationskunst staunen lässt, sonst aber eher recht solide und konventionell Stars in die Manege eskortiert, die ihre Attraktionen jedenfalls brav geübt haben.

Dumbo