Boston Strangler (2023)

EIN KILLER FÜR DIE ZEITUNG

5/10


BOSTON STRANGLER© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE: MATT RUSKIN

CAST: KEIRA KNIGHTLEY, CARRIE COON, CHRIS COOPER, ALESSANDRO NIVOLA, RORY COCHRANE, DAVID DASTMALCHIAN, PETER GERETY, ROBERT JOHN BURKE, MORGAN SPECTOR U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


True Crime ist im Thrillergenre nicht immer besser, denn dabei müssen sich alle, die am Drehbuch beteiligt sind, an die Fakten halten. Sonst wäre es schließlich kein True Crime, sondern nur irgendeine Kriminalgeschichte, die sich ausgewählte authentische Aspekte zum Würzen der eigenen fiktiven Geschichte herauspickt. Boston Strangler von Matt Ruskin will nicht improvisieren oder dazuerfinden, sondern Fakten liefern. Um aber mehr als nur die Eckpunkte der Geschichte abzuhandeln, engagiert er Keira Knightley, eine wunderbare und hochbegabte Schauspielerin, die aber wider Erwarten selbst hier, in diesem trockenen Umfeld aus abgewohntem 60er-Jahre-Flair, Wählscheibentelefon und bekritzelten Notizblöcken nicht mehr in ihre Rolle investiert als Matt Ruskin selbst schon aus der Biografie von Reporterin Loretta McLaughlin extrahiert hat. Gemeinsam mit Kollegin Jean Cole ist sie dem vermeintlichen Serienkiller, der für die alle nach dem gleichen Schema abgelaufenen Frauenmorde verantwortlich gewesen sein muss, auf der Spur. Im Boston der damaligen Zeit haben diese Gräueltaten wohl keine weibliche Seele in Ruhe schlafen lassen – Mitschuld hatten da auch die Medien, die dieses Thema am liebsten täglich zur Schlagzeile machten. Maßgeblich daran beteiligt waren da auch die eben erwähnten Investigativ-Journalistinnen, von denen nur eine wirklich Praxis besaß, während die andere nur wirklich gut schreiben konnte. Diese andere, McLaughlin, packt der journalistische Ehrgeiz und sie entpuppt sich als Naturtalent. Nach und nach kommen – auch dank mitteilsamer Polizei – so einige obskure Gestalten in Frage. Manche haben ein Alibi, manche nicht. Und irgendwie laufen die Ermittlungen alle auf einen gemeinsamen Nenner zusammen, welcher in einer Nervenklinik zu finden ist, in der alle Verdächtigen zumindest für eine kurze Zeitspanne gemeinsam einsaßen.

Den Film The Boston Strangler gab’s schon einmal, nämlich 1968. Inszeniert wurde dieser von Vielfilmer Richard Fleischer, mit Tony Curtis als Killer, Henry Fonda und George Kennedy in weiteren Rollen. Das Thema ist das gleiche – Der Würger von Boston. Nur: Dieser Film stellt die Ermittlungen der Kriminalpolizei in den Vordergrund, nicht die unterstützende Arbeit der Zeitung. Bei Raskin ist es genau umgekehrt – und natürlich zeitgemäßer. Denn es sind nicht Männer, die die Sache aufklären, sondern eben Frauen mit Mut, Durchhaltevermögen und Selbstbewusstsein. Und dennoch springt der entscheidende Funke in diesem Film nicht über.

Wir haben das Problem, um jeden Preis True Crime sein zu wollen. Und so bewegt sich das Kriminal- und Reportage-Drama von einem Namen zum nächsten, es werden Schauplätze aufgesucht und Leute interviewt. Klar, das gehört alles zum Plot und auch zur Story, doch wäre ein Film wie dieser als Reportage in einem Fachjournal besser aufgehoben gewesen als bei Keira Knightley im zugeknöpften Sixties-Look, die ihre Rolle wie schon erwähnt nicht entwickeln kann. Ebenso setzt Boston Strangler weder auf eine spielerische Herangehensweise noch lockert er seine Aktenparade mit interessanten und von mir aus auch spekulativen psychologischen Interpretationen auf, die das lahmende Drama erfrischt hätten. Wäre es dann kein True Crime mehr? Dem Willen zu diesem Wagnis hatte ich nachgegeben, denn sonst bleibt angesichts dieser pragmatischen Nummer, angereichert mit halbherzigen Einblicken ins Privatleben der Protagonistin, das freie Spiel kreativer Kräfte bei einem Fall fiktiver Natur weitaus attraktiver.

Boston Strangler (2023)

Antlers (2021)

WENN MYTHEN WÜTEN

6/10


antlers© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA, MEXIKO, KANADA 2021

REGIE: SCOTT COOPER

BUCH: HENRY CHAISSON, NICK ANTOSCA, SCOTT COOPER

CAST: KERI RUSSELL, JESSE PLEMONS, JEREMY T. THOMAS, SCOTT HAZE, GRAHAM GREENE, RORY COCHRANE, AMY MADIGAN, SAWYER JONES U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Wenn schon Oberösterreichs Kindergärten keine Ausflüge mehr in den Wald wagen, aus Angst, Meister Isegrim zu begegnen (siehe derstandard.at, 30. März 2023) – was sollen dann Nordamerikas Ureinwohner sagen, insbesondere jene vom Stamm der Cree? Für sie lauert im finsteren Tann, von welchem es dort schließlich reichlich gibt, ein unguter mythischer Zeitgenosse, genannt der Wendigo. Dieser Naturgeist ist niemand, den man beschwört oder für seine Sache einsetzen kann. Dieser hier ist abgrundtief böse und gierig. Furchtbar gierig. Gierig nach Menschenfleisch. Und er schafft es auch, andere, ganz unbescholtene Leute in den Wahnsinn zu treiben. Interessanterweise aber sieht der Wendigo in so mancher Beschreibung gar nicht so aus wie in Scott Coopers 2021 inszeniertem Creature-Horror. Welche Gestalt er letztendlich annimmt, mag an dieser Stelle nicht erwähnt werden. Jedenfalls benötigt er zumindest eine menschliche Hülle, um zu mutieren. Und das, ja, das mag unter Umständen eine ordentliche Sauerei ergeben. Die auch bleibt, denn niemand will nachher aufwischen.

Da wir aber in einer rationalen Welt leben, in welcher nur sein kann, was wissenschaftlich bewiesen wurde, sind Filmemacher brennend daran interessiert, diese arrogante Ansicht vorallem auch in Bezug auf Legenden zu unterwandern. Es entstehen daraufhin Filme wie Moloch oder Midsommar. Oder eben Antlers, auf deutsch: Geweih. Man kann sich also schon denken, woran man das Monster erkennen wird. Bis es aber so weit kommt, quält sich der stark introvertierte Lokalpolizist Paul Meadows mit bestialischen Todesfällen mitten im Forst herum, die nur ein tollwütiger Beutegreifer verschuldet haben könnte. Was aber zerlegt sein Opfer so genussvoll in seine Einzelteile? Neben dieses kniffligen Falles macht sich auch Pauls Schwester und Lehrerin Julia Gedanken um einen ihrer Schützlinge, ein so verwahrlostes wie verstört wirkendes Kind, das langsam vom Fleisch fällt und verschmutzte, löchrige Kleidung trägt. Es wäre mal ratsam, im Zuhause des kleinen Lucas vorbei- und nach dem Rechten zu sehen. Wie sich bald herausstellen wird: Ein grober Fehler, ganz allein und ohne Rückendeckung dort anzutanzen.

Spätestens hier, nach Einführung der Charaktere und einer Sightseeingtour durch ein trostloses Kaff, das unter wolkenverhangenem, grauem Himmel vor sich hindämmert, wird die Katze langsam, aber doch, aus dem Sack gelassen. Die Finsternis macht sich breit, das metaphysische Grauen ist entfesselt. Und auch wenn man von dieser folgenden Hatz nach dem Wendigo absieht, liegt über Antlers eine bleischwere Tristesse, die niemand lange aushalten kann. Dagegen ist Twin Peaks das reinste Elysium, während hier ein jeder seinem tröstlichen Ableben entgegendämmert. Ein bisschen zu borstig pinselt Scott Cooper (u. a. Der denkwürdige Fall des Mr Poe) seine Dark Fantasy, sodass diese an manchen Stellen dick aufgetragen und daher träge wirkt. Jesse Plemons wacht nie wirklich aus seiner Lethargie auf – Keri Russel dafür schon eher. Und dass Kinderdarsteller wie Jeremy T. Thomas keine nachhaltigen psychischen Schäden davontragen, wenn sie in Horrorfilmen mitspielen, ist mit immer wieder ein Rätsel.

Cooper aber schafft die Kurve und sammelt all seine Energie, die er anfangs nicht genutzt hat, um ein spektakuläres Finale abzuliefern, in welchem ganz normale Sterbliche über ihren Schatten springen, um sich dem Bösen zu stellen. Das ist der klassische Clinch des Diesseits gegen eine Anderswelt, die glaubt, Macht ausüben zu können, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Letztlich ist das genauso eine Art Arroganz, als würde man glauben, all das Seltsame zwischen Himmel und Erde wäre nur Humbug. Geister wie der Wendigo werden das schon sein – nur was wäre, wenn nicht? Der Glaube an des Menschen Mission, für das Gute zu kämpfen, stirbt zuletzt.

Antlers (2021)

White Boy Rick

DEAL WITH IT

5/10

 

Matthew McConaughey (Finalized);Richie Merritt (Finalized)© 2019 Sony Pictures Germany

 

LAND: USA 2019

REGIE: YANN DEMANGE

CAST: RICHIE MERRITT, MATTHEW MCCONAUGHEY, BEL POWLEY, JENNIFER JASON LEIGH, BRUCE DERN, EDDIE MARSAN, RORY COCHRANE U. A.

 

Hätte die österreichische und leider schon verstorbene Dokufilmerin Elisabeth T. Spira ihre Alltagsgeschichten in den USA gedreht, hätte es sicher eine Episode gegeben, die mit dem ungefähren Arbeitstitel „Auf der Waffenmesse“ dem Stelldichein rund um Ballermann und Söhne auf den Zahn gefühlt hätte. Natürlich in ihrer entwaffnend diskreten Art, und der eine oder andere Waffennarr hätte wohl manch verstörende Bekenntnisse von sich gegeben. Mit so einem Schwenk über die Tischreihen voller schwarzer Sporttaschen, angefüllt mit Schießeisen aller Art, beginnt das auf realen Begebenheiten beruhende, biographische Kriminaldrama rund um einen Jungen, der Walter White aus Breaking Bad wohl alle Ehre gemacht hätte und der in völlig natürlicher Annahme, Waffen sind Teil des Alltags, seinen Papa auf eingangs erwähntes Event begleitet. Natürlich hat dieser Junge das Spektrum an Waffentypen, deren Gadgets und Wirkungsgrad schon mit der Muttermilch aufgesogen. Ein Jungspund-Profi unter dem Herrn, besser gesagt unter dem alten Herrn, denn Papa Rick lehrt ihn Sachen Erziehung genau das, worauf es ankommt. Wir schreiben die 80er im Drogen-Gomorrha Detroit, und Matthew McConaughey ist mit Vokuhila und Rotzbremse unterwegs. Ein extremer Proletenlook, fehlt nur noch das Goldkettchen. Ob das dabei war, weiß ich nicht mehr. Zumindest hat dieses Rick jr., der anders als seine Schwester zwar nicht zu den Drogen greift, aber alsbald mit den Drogen dealt, da er als zwangsläufiges Spitzel für das FBI arbeiten muss – sonst wandert der väterliche Schnurrbart hinter schwedische Gardinen. Denn das Dealen mit Waffen ist genauso wenig rechtens wie das Dealen mit Crack. Aber wie geht’s wohl so einem Halbwüchsigen, der mit dem großen Unterwelt-Business in Berührung kommt? Der wittert das große Geld. Und aus der Arbeitsteilung mit den Guten, die längst nicht so gut sind, wie sie scheinen (wie kann man einen 14jährigen Jungen nur so ausnutzen?) wird eine wenig überraschende selbige mit den Bösen. Letztere Arbeitsteilung ist wohl profitabler, zumindest vorerst. Das war bei Breaking Bad genauso. Nur der Krug geht solange bis zum Brunnen bis er bricht. Und irgendwann zerbricht auch die Welt von Rick Junior.

Das Krimidrama des britischen Video- und Fernsehfilmes Yann Demange (u. a. das Irlanddrama ’71) nimmt sich ausreichend Zeit, den Prozess eines existenziellen Niedergangs genau zu beobachten. Doch sein Film hat ein grundlegendes Problem, das angesichts seiner Thematik womöglich gar nicht anders gelöst hätte werden können: all die Figuren in White Boy Rick, all diese schon im Vorfeld gescheiterten Charaktere, die ihr Heil im Verbrechen suchen, sind von einer Arroganz durchdrungen, die es schier unmöglich macht, auch nur irgendeine Form von Sympathie zu empfinden. Bei Matthew McConaughey, der schon in Dallas Buyers Club mit fragwürdiger Gesichtsbehaarung Mut zur Hässlichkeit bewiesen hat, darf auch hier am Rande der Gesellschaft stehen. Am Schwierigsten zu begreifen allerdings ist die Rolle des von Richie Merritt dargestellten Teenies Rick, der in einer präpotent altklugen Art anscheinend komplett zu wissen glaubt, wie die Welt funktioniert. Der in seiner Dreistigkeit fast schon widerliche Jungspund macht auf cool, wie es Jungs in diesem Alter eben tun – und reflektiert auch dann nicht sein Tun, als er älter wird, als er sieht, welches Elend sein Tun verursacht. Auch das erinnert an Breaking Bad, auch in Vince Gilligans Serienkult liegen die Skrupel vor dem Elend der „Kunden“ mit der Gier nach Reichtum im verstörenden Dauerclinch, ohne einen befriedigenden Konsens zu finden. Den gibt es auch gar nicht. Und Zukunft hat das Ganze auch nicht, wie die Faktenlage hinter der real existierenden Figur des Richard Wershe jr. preisgibt.

White Boy Rick enthält nichts, was nahegeht. Keinen Charakter, dessen Schicksal tangiert, mit Ausnahme vielleicht von Ricks drogensüchtiger Schwester Dawn (intensiv: Bel Powley). Das haben Biopics über Verbrecher, die im Grunde keinen eigenen Film verdient haben, manchmal so an sich. Und wie man sich bettet, so liegt man, anders lässt sich das gar nicht formulieren. Richie Merritt ist daher auch längst kein Sympathieträger, sondern eher einer, der meint, dass ihn andere gar nicht verdient haben. Das lässt mich als Zuseher außen vor. Diese unreflektierte Arroganz fröstelt, berührt mich eher unangenehm. Und lässt White Boy Rick von mir aus mit seinem Schicksal allein.

White Boy Rick