The Dive (2023)

LUFT NACH OBEN

6,5/10


thedive© 2023 Protagonist Pictures


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, MALTA 2023

REGIE: MAXIMILIAN ERLENWEIN

DREHBUCH: MAXIMILIAN ERLENWEIN, NACH DEM FILM BREAKING SURFACE VON JOACHIM HEDÉN

CAST: LOUISA KRAUSE, SOPHIE LOWE, DVID SCICLUNA U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Oberstes Gebot beim Tauchen: Immer mit Buddy. Der gegenseitige Check von Ausrüstung und Atemluft ist aber, je weiter man als Tauchprofi voranschreitet, nur noch vernachlässigbare Nebensache. Leicht kann es passieren, und der Übermut, der selten guttut, führt zu Situationen, die sich gerne als irreversibel herausstellen. Diesen Leichtsinn aber sucht man bei The Dive – Arbeitstitel machen Mode – auf den ersten Blick vergeblich. Musste man bei Adrenalinkick-Horrorfilmen wie 47 Meters Down bzw., Uncaged oder dem höhenluftschnuppernden Fall noch dabei zusehen, wie eine der beiden jungen Frauen die andere zur knackigen Mutprobe überreden muss, zum Leidwesen zuversichtlicher Lebensaussichten, bleibt der Hochmut bei diesem Thriller außen vor. Diese zwei Mittzwanzigerinnen  – mental recht unterschiedlich gelagerte Schwestern – machen sich nach längerer Zeit wieder mal gemeinsam zu einem Tauchgang auf, irgendwo an der Küste Maltas. Klar beginnen solche Filme stets mit einem psychosozialen Epilog, meistens auf der Fahrt im Auto zum Ort des Geschehens oder überhaupt nur via Smartphone (siehe The Shallows). Wir erfahren nicht viel von den beiden: Anscheinend hat die eine – May – ein viel angespannteres Verhältnis zur gemeinsamen Familie als die andere – Drew. Irgendetwas hat das Ganze auch mit einem womöglich verunglückten Vater zu tun, der die beiden Töchter wohl schon Zeit ihres Lebens mit dem nassen Element vertraut gemacht hat. Das Tauchen scheint also Routine zu sein, beide sind Vollprofis und dürfen auch legitimerweise irgendwo an einem geeigneten, aber wilden Tauchspot ins Wasser gehen.

Gesagt getan, Drew und May springen ins tiefe Blau, finden eine spektakuläre Höhle inmitten aufgetürmter Felsen und können Unterwasser gar kommunizieren, dank der technikaffigen May, die gleich mit zwei Interkom-Tauchmasken Eindruck schindet. Somit haben wir auch jede Menge Dialog, je tiefer beide sinken, und dann passiert das: Ein Felssturz an der Küste zieht die submarine Landschaft in Mitleidenschaft. Und nicht nur die: May wird in rund 28 Metern Tiefe zwischen zwei Gesteinsbrocken eingeklemmt. Ein Szenario, dass an Danny Boyles Verzweiflungsdrama 127 Hours erinnert. Doch keine Sorge, hier säbelt niemand irgendwem etwas ab. Es kommt ganz anders. Und dieses Andere dreht sich um ein wichtiges Element, dass beide einem Physiktest unterzieht, der sich gewaschen hat: Luft. Sei es komprimierte Atemluft aus der Flasche, sei es Stickstoff im Blut oder die frische Brise oberhalb der Wellen. Sauerstoff wird zum Feind auf Zeit, zum perfiden Stoppuhr-Drillmeister. Denn um überhaupt irgendwelche Überlegungen anzustellen, wie man Schwesterherz retten kann, muss Frau mal durchatmen können.

Stets entweicht die Luft in Maximilian Erlenweins spannendem Tauchsportthriller nach oben. Entweder, um das atembare Gemisch innerhalb natürlicher Taucherglocken auszugleichen oder wenn das Tarier-Jacket undicht wird. Irgendwo steigen immer irgendwelche Bläschen auf, und das ist in den meisten Fällen gar nicht gut. Erlenwein, der mit den Filmen Schwerkraft und Stereo vor allem das Genre des Buddyfilms gerne als Psychothriller inszeniert, findet hier, in der Neuverfilmung des schwedischen Streifens Breaking Surface aus dem Jahr 2020, nicht immer die richtige Balance zwischen Spannung und Drama. Die Backgroundstory der beiden Schwestern ist vernachlässigbar – so wirklich gerne will sich Erlenwein damit nicht auseinandersetzen. Einige romantisch-verklärte Rückblenden im Gegenlicht der Nachmittagssonne sollten reichen, um die Vergangenheit mit ins Spiel zu bringen – was den Film aber kaum bereichert. Erlenwein weiß aber, worauf er sich konzentrieren muss: Erstens auf das Ringen um Atemluft, und zweitens auf Sophia Lowe als die draufgängerische Schwester Drew, die formidabel widerspiegelt, wie man unter Zeitdruck, emotionalem Stress und Panik eine Lösung für ein schwieriges Problem finden muss. Dabei ist verblüffend, festzustellen, dass es kaum eine Aktion gegeben hätte innerhalb einer ganzen Reihe von Versuchen, die man nicht selbst probiert hätte. Das Gefühl, gehetzt zu sein; die extreme Verantwortung, um ein Leben zu retten – das ist das, was The Dive zelebriert. Zwar ist das schauspielerisch nicht das Gelbe vom Ei, denn da gibt es, um mit den Worten zu spielen, ordentlich Luft nach oben – die verzwickte, dicht gepackte Handlung und das psychische Dilemma wird aber zum spannenden, völlig plausiblen Survivaltrip.

The Dive (2023)

Meg 2: Die Tiefe (2023)

FUSSTRITTE FÜR DIE FRESSMASCHINE

6/10


meg2© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, CHINA 2023

REGIE: BEN WHEATLEY

DREHBUCH: JON & ERICH HOEBER, DEAN GEORGARIS, NACH DEM ROMAN VON STEVE ALTEN

CAST: JASON STATHAM, CLIFF CURTIS, WU JING, SHUYA SOPHIA CAI, PAGE KENNEDY, SKYLER SAMUELS, SIENNA GUILLORY, SERGIO PERIS-MENCHETA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Bevor man in einen Film wie diesen geht, sollte gewiss sein, dass so gut wie alles, was in den nächsten zwei Stunden zu sehen sein wird, eigentlich absolut unmöglich ist. Nein, ein Mensch kann nicht in einer Tiefe von 25.000 Fuß eine beträchtliche Strecke ohne Schutzanzug zurücklegen. Und das auch nicht, wenn er seine Nebenhöhlen entlüftet, wie Jason Statham es tut. Nein, ein Megalodon rudert nicht bis ins seichte Gewässer, um kreidezeitliche Amphibienwesen zu jagen, während diese dann kurze Zeit später in besagter Tiefe von 25.000 Fuß auf menschliche Beute spitzen. In Meg 2: Die Tiefe stimmt so einiges nicht, ist die Physik nur eine Frage künstlerischer Freiheit und Ben Wheatley einer, der eine diebische Freude daran hat, endlich machen zu dürfen, was ohnehin kaum jemand anpacken würde. Vielleicht, weil das Skript so sehr das Mögliche verbiegt, dass es andere beschämen könnte, zu einem Tierterror-Reißer wie diesen Journalisten Rede und Antwort stehen zu müssen.

Die Welt des Films aber bietet genau solche Freiheiten und die Möglichkeit für ausreichend Chuzpe, mit der niemand auch nur im Traum daran denkt, sich für so viel unwahrscheinlichen Murks zu rechtfertigen. Im Film ist alles möglich. Und je unmöglicher und unlogischer, umso neugieriger wird man auch als prinzipieller Monster-Action-Fan, der die französische Comicbuchreihe Carthago von Christophe Bec verschlungen und Megalodons seit jeher bewundert hat. Auch in Carthago erblicken Riesenhaie das Licht der Gegenwart, und nicht nur diese. Allerdings versuchen in dieser Geschichte, deren Heldinnen und Helden den Naturgesetzen zu folgen, auch wenn so einiges im Reich der Fantasie zu verorten ist. Ernsthafter als Meg 2 ist es allemal. Und Meg 2 – den sollte man ohnehin keine Sekunde lang ernst nehmen. Obwohl es niemals so hanebüchen wird wie zum Beispiel im Asylum-Kultstreifen Sharknado – ein Guilty Pleasure mit Fangemeinde und für alle, die mit permanenter Hai-Angst leben.

Es ist kurios genug, dass Ben Wheatley, Autorenfilmer und Kino-Exzentriker (u. a. High-Rise, Rebecca), einen Film wie diesen wählt. Der Grund dafür ist verständlich: Warum denn nicht mal dürfen, was man sonst nie darf. Übertreiben, wo andere die Augen verdrehen. Reuelos einfach draufklotzen und Jason Statham zum neuen Chuck Norris ausrufen, unter dessen Füßen sich die Erde womöglich wegdreht und der Haie zum Frühstück verspeist. Der auch unter gnadenlosem Druck und eisiger Kälte immer noch geistesgegenwärtig potenzielle Prädatoren abwehren kann und gar keine Dekompression braucht, um sekundenschnell wieder auf die Beine zu kommen. Statham ist momentan die coolste Socke des Actionkinos, da fehlt einem wie Chris Hemsworth noch einiges an Gelassenheit. Und da Statham in seinem Kampf gegen Ungetüme ganz bewusst und rotzfrech über die Stränge schlägt, um ein parodistisches Jurassic Park unter Wasser abzufeiern, ist Meg 2: Die Tiefe unter diesen Konditionen erstens besser als das relativ handzahme Original Meg, und zweitens tatsächlich (un)freiwillig spaßig.

Inhaltlich gibt’s kaum etwas zu berichten. Kenner des Originals wissen: es gibt dieses isolierte Ökosystem irgendwo nahe den Philippinen, dort kreucht und fleucht es wie vor 65 Millionen Jahren. Klar bleibt dieser ökologische Schatz nicht unbemerkt, und während Jason Statham als Jonas Taylor samt seinem Team auf Erkundung geht, stoßen diese auf eine illegale Bergbaustation, die wertvolle Erze schürft. Zwischen beiden Parteien gibt’s bald Clinch, und zum fröhlichen Hickhack gesellen sich bald eine Handvoll Haie, die als lachende Dritte aufs Frühstück spechteln. Das ganze bizarre Szenario verlagert sich aus der Tiefe bald an die Oberfläche, und das Chaos ist perfekt. Humoristische Einlagen wechseln mit brachialer Monster-Action, Kreischalarm ist garantiert. Da es diesmal nicht nur Haie sind, die den Menschen das Leben schwer machen, darf man sich auf allerlei gefräßiges Zeugs freuen. Der Trash-Platte ist serviert, samt offensichtlich ignorierten Continuity-Fehlern, die trotz oder wegen ihrer Auffälligkeit gleich im Film behalten wurden, denn auch das macht einen trivialen Reißer wie diesen noch trivialer. Spätestens wenn Statham den Monsterhai mit seinen Füßen abwehrt, gibt’s kein Halten mehr.

Natürlich ist, wenn man das Meg-Franchise in dieser Genre-Nische auch weiterhin verorten will, noch Luft nach oben vorhanden. Will heißen: da lässt sich noch einiges draufsetzen an kuriosen Eskapaden, die gerne noch grotesker ausfallen könnten, frei nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert: Vielleicht erreicht Meg 3 dann jene Sphäre, in der sich satirische Kasperein wie Iron Sky sichten lassen. Wichtig dabei wäre aber nach wie vor, eine gewisse dramaturgische Spannung zu garantieren. Denn die sitzt im Schlauchboot ohne Ruder, den spitzen Zahnreihen der Knorpler widerstandslos ausgesetzt. Spannung entsteht dann, wenn dem Film inhärente Naturgesetze den Plan durchkreuzen. Bei Meg 2: Die Tiefe gibt’s diese fast gar nicht mehr, dafür aber den Spaß an der Freude, prähistorisch baden zu gehen.

Meg 2: Die Tiefe (2023)

47 Meters Down

FISCHE VON UNTEN

7/10

 

47metersdown© 2017 Universum Film

 

LAND: GROSSBRITANNIEN, USA, DOMINIKANISCHE REPUBLIK 2017

REGIE: JOHANNES ROBERTS

CAST: CLAIRE HOLT, MANDY MOORE, MATTHEW MODINE, YANI GELLMAN, CHRIS J. JOHNSON U. A.

 

Im Urlaub, da sind die Pflichten des Alltags kein Thema mehr, da ist Frau und Mann schon ein bisschen wer anderer. Außerdem wagemutiger als sonst, Möchtegern-Abenteurer schlechthin, die auch gerne mal über den Durst trinken, dabei leicht zu überreden sind und Dinge wagen, die sie sonst nicht mal im Traum tun würden. Zum Beispiel Käfigtauchen mit Weißen Haien. Ich kenne jemanden, der hat das getan – seiner Meinung nach ein tolles Erlebnis, mit Sicherheit – wenn alles klappt. Dabei werden die zahlenden Gäste ohnehin nur ein paar Meter tief ins Wasser gelassen. Haben die Knorpler dann das Interesse verloren oder neigt sich die Atemluft dem Ende zu, geht’s wieder hoch. Bestanden ist das Abenteuer. Im Rahmen lukrativer Urlaubsflirts will Mann Frau aber unbedingt beeindrucken, also chartert Mann fernab des Mainstream-Tourismus einen unterdurchschnittlich frequentierten Kahn mit zwei Mann Besatzung, davon einer ein zauseliger Ex-Vietnamveteran Marke Matthew Modine (schon lange nicht mehr irgendwo in einem Film gesehen), der mal so zwischen Reling und Steg die salopp formulierte Frage stellt, ob sowieso alle Beteiligten den tauchsport beherrschen. Das wird natürlich bejaht, denn die Damen und Herren Mittzwanziger sind schon voller Tatendrang, obwohl sich dennoch manchmal ein gewisses ungutes Gefühl einschleicht, zumindest bei einer der Ladys. Der Film würde nicht 47 Meters Down heißen, würde sich dieses ungute Gefühl später nicht auch bewahrheiten. Denn der Kahn, mit dem an den Tauchplatz geschippert wird, hat auch schon mal bessere Tage gesehen. Und es ist diesmal nicht die Tücke eines sinisteren Psychopathen, der den Naivlingen ans Leder will, sondern die des Objekts. Und wenn das Käfigseil reißt, geht’s non-stop Richtung Meeresgrund.

Dieses Worst-Case-Szenario passiert dann auch, und erstaunlich ist dabei, welch belastbares Trommelfell die beiden Mädels haben, die ohne Druckausgleich Dutzende Meter tief in die Finsternis stürzen. Allerdings ist dieser Umstand interessanterweise der einzige, der nicht ganz den körperphysikalischen Gesetzen entspricht. Johannes Roberts hat ansonsten nämlich einen Survivalthriller unter Wasser gesetzt, der überraschenderweise ordentlich für Spannung sorgt und Szenen findet, die, vor allem wenn man selbst Taucher ist und Momente wie diese ungefähr nachvollziehen kann, panikmachende Beklemmung erzeugt. Der wirkliche Witz an der Sache ist – der Haikäfig lässt sich öffnen, gefangen sind die beiden Taucherinnen, wie man vermuten würde, also nicht. Der räumliche Hemmschuh liegt in der Unmöglichkeit, jenseits eines Nullzeittauchgangs (also 20 Meter) schnurstracks aufzutauchen, ohne sich die Taucherkrankheit einzutreten. Mit anderen Worten: ein Zwischenstopp wäre nötig, von mehreren Minuten sogar. Wie denn aber, angesichts der gefräßigen Tiere, denen das Blut, welches den beiden Verunglückten aus allen möglichen Wunden sickert, ordentlich in der Nase juckt? Fast schon ein brillanter Umstand, den 47 Meters Down sich da geschaffen hat. Und der Film spielt nicht nur mit Wasserdruck, Luftressourcen und der Trägheit schwerer Dinge, sondern auch mit der Wahrnehmung. Das ist fast schon perfid, mit der zielsicheren Suspense eines Psychothrillers und um Haifischlängen aufregender als Blake Lively in The Shallows oder unlängst Crawl, der leider seiner Vorhersehbarkeit zum Opfer fiel. 47 Meters Down lässt sich viel weniger einschätzen, Erwartungen werden durchaus unterwandert, und wer in Bälde mal vorhat, Sharkwatching zu betreiben, der sollte diesen Film tunlichst, oder zumindest nur fürs erste, lieber meiden. Es sei denn, sie oder er liebt den Nervenkitzel. So wie die beiden Mädels in einem Reißer, der dem Genre des Wildlife-Thrillers frischen Sauerstoff in die Venen pumpt.

47 Meters Down

Jacques – Entdecker der Ozeane

VON SAULUS ZU PAULUS

7,5/10

 

jaques

REGIE: JÉRÔME SALLE
MIT LAMBERT WILSON, AUDREY TAUTOU, PIERRE NINEY

 

Erinnert Ihr euch noch an Wes Anderson´s pseudobiografische Unterwasserdramödie Die Tiefseetaucher? Ja genau – jener Film, in dem Bill Murray diese rote Mütze trägt. Für jene, die es nicht wissen: diese Mütze ist eine Hommage an einen der Unterwasserpioniere des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist eine Verbeugung vor niemand Geringerem als Jacques-Yves Cousteau, der mit seinem Forschungsschiff Calypso die Weltmeere befahren und erstmals bewegte Bilder jenseits des Meeresspiegels eingefangen hat. Allerdings war Cousteau nicht der einzige Pionier zu dieser Zeit. In Österreich hat der Forscher und Fotograf Hans Hass mit dem Patent eines völlig neu entwickelten Tauchgerätes von sich Reden gemacht. Beide gelten als die Begründer der Unterwasserdokumentation. Eine neue Sicht auf die Flora und Fauna unseres Planeten war geboren. Etwas, das man bislang nur erahnen konnte, zeigte sich nun auf den großen Leinwänden der Lichtspielhäuser, in Schwarzweiß wohlgemerkt. Dennoch – die Faszination für dieses Fremde hat Tausende ins Kino gelockt. Soviel Exotik war kaum auszuhalten. Für seinen Klassiker Die schweigende Welt wurde Cousteau sogar mit der Goldenen Palme und dem Oscar geehrt. 

In seinem biografischen Drama Jacques – Entdecker der Ozeane zeichnet Jérôme Salle, Regisseur von Largo Winch und dem knallharten Südafrika-Thriller Zulu, ein differenzierteres, wenn nicht sogar kritisches, weil ehrliches Portrait des Tauchpioniers. Jacques-Yves Cousteau war ein enorm kreativer Kopf und Meister seines Fachs. Jenseits seiner Obession aber musste er erstmal kläglich scheitern. Familie und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen unseres Planeten kamen erst lange nach seinen ehrgeizigen Zielen an die Reihe. Angestachelt von den Möglichkeiten, die Industrie und Technik in den letzten Jahrzehnten offenbart haben, wird aus einem Freigeist ein egozentrischer Geschäftsmann, der die Eroberung des Meeres durch den Menschen bewarb und seine Vision von ganzen Unterwasserstädten auf den Meeresboden realisieren wollte. Dass es ihm hierbei anfangs nicht mal ansatzweise um das schützenswerte, höchst sensible Ökosystem der Weltmeere ging, ist eine desillusionierende, zumindest filmische Wahrheit, dessen Authentizität man wahrscheinlich beim Querlesen weiterer biografischer Daten bestätigt sehen wird. Cousteau war Regisseur, Produzent und Geldhai, ein Idealist mit dem Auftrag, die Natur zu technologisieren. Abschreckend, dieses Bild eines großspurigen Captain Nemo. Wie kann das sein, galt der Abenteurer doch immer als Heiliger der Meeresforschung?

Nun, um zu diesem Schluss zurückzufinden, bedarf es der ganzen Geschichte. Und die erzählt Salle im Einverständnis mit seinem Hauptdarsteller Lambert Wilson auf eindringliche, fesselnde und dramaturgisch dichte Art und Weise. Wilson meistert den Kraftakt eines öffentlichen Menschen mit großer Bravour. Das hagere Gesicht, die rote Mütze, das egozentrische Verhalten, den verblendeten Blick auf die Realität – Wilson nähert sich der historischen Figur mit tosender, ungestümer Treffsicherheit an. Ganz so wie Ulrich Tukur in der für das Fernsehen produzierten Biografie des deutschen Tierschützers Bernhard Grzimek. Der Erzählstil und die Struktur beider Filme ähneln sich sehr. Beide setzen ihren Fokus auf die private Person hinter ihren Publikationen. Ihre Werke und ihre Taten sind zwar Knoten im roten Faden der Geschichte, lassen aber Platz für genaue Charakterzeichnungen. Wilson zur Seite steht eine bemerkenswerte Audrey Tautou. Kettenrauchend, forsch und mit unkenntlich machender Frisur a la Simone Signoret zeigt sich die ehemalige Amelie wiedermal von ihrer besten Seite.

Nach dem Tod seines Sohnes Philippe wandelt sich Cousteau vom Saulus zum Paulus. Aus dem Profitgeier wird ein Aktivist zugunsten des Naturschutzes. Spät, aber doch, haben wir den Mann mit der Mütze nun dort, wo wir ihn haben wollten. Und ganz so wie wir ihn uns vorstellen. Jacques ist ein episches, intensives Drama um die Verwirklichung eines Lebenstraums. Voll falscher Entscheidungen, Reue und einem Neuanfang. 

Jacques – Entdecker der Ozeane