Black Phone 2 (2025)

KEIN ANSCHISS UNTER DIESER NUMMER

5/10


© 2025 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: SCOTT DERRICKSON

DREHBUCH: SCOTT DERRICKSON, C. ROBERT CARGILL, NACH DER KURZGESCHICHTE VON JOE HILL

KAMERA: PÄR M. EKBERG

CAST: MADELEINE MCGRAW, MASON THAMES, ETHAN HAWKE, JEREMY DAVIES, MIGUEL CAZAREZ MORA, DEMIÁN BICHIR, ARIANNA RIVAS, MAEV BEATY, ANNA LORE U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN



Was war Scott Derricksons paranormaler Serienkillerthriller nicht für ein akkurater Filmleckerbissen, dahingleitend auf der Mystery-Schiene des Horror-Genres: Ein schwarzes Telefon im Keller eines Psychopathen, das, längst nicht mehr ans Netz angeschlossen, schauderhaft oft die Nerven des entführten Mason Thames kitzelt. Speziell in einem Punkt macht The Black Phone die erfrischende Wende: Nicht die Geister sind es diesmal, die die Lebenden quälen. Sie unterstützen diese, um der Bestie Mensch das Handwerk zu legen. Der von Thames verkörperte Finn ist der letzte einer ganzen Reihe ermordeter Kinder, die noch gar nicht wissen, dass sie überhaupt gestorben sind. Als spukhafte Vision manifestieren sie sich vor den Augen des Entführten und in den Visionen von dessen Schwester, die, daheim um ihren Bruder bangend, als Medium Hinweise genug erhält, um den Ort des Verbrechens letztlich ausfindig zu machen. Derricksons geradliniger Nägelbeisser besitzt ganz schön viel Atmosphäre, hat eine originelle Optik und das Herz am rechten Fleck. Zwar gerät die Sache ganz schon düster, doch letztlich ist The Black Phone zwar kein Feel Good-Horror, aber immerhin ein Feel-Better, je mehr sich die Dinge zuspitzen. Der verzweifelte Kampf Kind gegen Killer, der noch dazu eine so schaurige Maske trägt, weil sich die Mimik darauf auf geheimnisvolle Weise ändert, lässt sich wohl kaum eins zu eins auf ein Sequel übertragen, ohne dass sich dieses den Vorwurf gefallen lassen muss, einfach nur das Erfolgsrezept des Erstlings zu kopieren.

Ist so kalt der Winter

Eben da muss etwas Neues her. Oder eben etwas Altes, neu aufgegossen. Wie zum Beispiel die Idee von einem Psychopathen, der es geschafft hat, den Tod zu überwinden, um in den Träumen anderer aufzutauchen. Natürlich drängt sich da Nightmare – Mörderische Träume mit Antagonist Freddy Krüger auf, der sich mit gesottenem Gesicht, rotgrün gestreiftem Pulli und Klingenfingern durch die Träume argloser Teenies metzelt. Gut kopiert wird fast schon zum Original? In Black Phone 2 kehrt Ethan Hawke wieder zurück, doch anders als Freddy hat der Greifer nur dann freie Fahrt, wenn das Opfer den sechsten Sinn hat. In diesem Fall steht die Schwester des aus Teil eins entführten Finn im Mittelpunkt. Visionen von übel zugerichteten Kindern, die  Jungschauspielerin Madeleine McGraw in ein tief verschneites Wintercamp nach Colorado locken, machen bald deutlich, dass der totgeglaubte „Greifer“ noch lange keine Ruhe findet. Und seit Shining wissen wir: Die Isolation eines Ortes durch Schnee und Eis, diese für einen Thriller dramaturgisch eingegrenzte Spielfläche, auf der nur wenige Parameter über Sieg und Niederlage entscheiden, funktioniert als wohlige Zutat fast schon unter Garantie. Umso bedauerlicher, wenn die Story, die sich in dieses Setting zwängen will, plötzlich deutlich zu viel will.

Albträume in Super 8

Was an Black Phone 2 in Erinnerung bleibt, ist der Sound. Wenn Madeleine McGraw träumt, kippt die Geräuschkulisse in ein unheimliches Rauschen, Knistern und Knacken, der Bildstil gefällt sich als einer, den man von den Super 8-Filmen aus der Frühzeit des Home-Videos kennt. Schaurig ist das ausiovisuelle Experimentieren allemal, wenngleich Verpackung nicht alles ist. Um anders zu sein als das Original, erfinden Derrickson und  C. Robert Cargill ein bemühtes, komplexes Szenario und ziehen dabei die ganze Familie der Protagonisten mit hinein – inklusive Vergangenheitsbewältigung und jeder Menge Cold Case-Fälle, die der Reihe nach auftauen. Der gemeinsame Nenner von allem ist besagter Greifer, der plötzlich mehr ist, als er jemals war. Eine Figur wie diese braucht aber keine Biografie, sie nimmt ihr so manches Mysterium. Das Grauen, das in The Black Phone noch nach dem Zufallsprinzip zuschlägt, erhält in seiner Fortsetzung zu viel an Vorbestimmung und kollektiver Bewältigungspflicht, zu viel des Phantastischen und eine aufgesetzte Mystery, die nicht nur unter der Anstrengung leidet, den direkten Erzählfluss des Vorgängers beizubehalten, sondern sich selbst im Streben nach Originalität deutlich verkopft und verkonstruiert. Da helfen auch immer wieder die gleichen Visionen aus Blut und entstellten Gesichtern nichts, auch nicht Hawkes üppige Zombie-Visage. All das ist nur noch Brimborium mit zu vielen Charakteren, die alle wichtig sein und dem genre-eigenen Credo „Keep it simple“ nicht zuhören wollen. Was bleibt, ist der kämpferische Drang des Guten, dem Bösen die Leviten zu lesen. Die gesunde Wut auf den „Greifer“ ist nach wie vor befreiend – der Rest engt sich zu sehr selbst ein.

Black Phone 2 (2025)

Dracula – Die Auferstehung (2025)

DER LÄNGSTE LIEBESKUMMER ALLER ZEITEN

7/10


© 2025 Shanna Besson / LBP – EUROPACORP – TF1 FILMS PRODUCTION – SND/ LEONINE Studios


ORIGINALTITEL: DRACULA: A LOVE TALE

LAND / JAHR: FRANKREICH, FINNLAND, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE: LUC BESSON

DREHBUCH: LUC BESSON, NACH DEM ROMAN VON BRAM STOKER

KAMERA: COLIN WANDERSMAN

CAST: CALEB LANDRY JONES, ZOË BLEU SIDEL, CHRISTOPH WALTZ, MATILDA DE ANGELIS, EWENS ABID, DAVID SHIELDS, GUILLAUME DE TONQUÉDEC, HAYMON MARIA BUTTINGER U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


An Caleb Landry Jones hat das französische Film-Urgestein Luc Besson einen Narren gefressen. Der Schauspieler mit den markanten Gesichtszügen brillierte zuletzt als ein Mensch unter vielen Hunden im Thrillerdrama DogMan – und hat vermutlich genug Synergien zwischen sich und dem Regisseur entfacht, um im nächsten Projekt wieder mit dabei zu sein. Diesmal, da ist er nicht einer, der so manchen Vierbeiner durch urbane Gefilde schickt, um unbequemen Gesellen die Gurgel durchzubeissen – diesmal setzt er selbst dort an, als wohl berühmtester Untoter der Literatur- und Filmgeschichte: Als Graf Dracula, vormals Vlad Tepes, der Pfähler – von Bram Stoker mit den Schandtaten einer Gräfin Báthory vermischt und zum charmantesten Blutsauger aller Zeiten auf ewig zum Nonplusultra einer unstillbaren Sehnsucht beschworen. Vergleiche mit Francis Ford Coppolas üppigem Budenzauber Bram Stokers Dracula aus den 90ern sind durchaus erwünscht, gibt es doch tatsächlich in Machart und Optik so einige Parallelen. Dabei mag Luc Besson überhaupt keinen Horror. Wir wissen, dass ein Thriller mit aparten Killerqueens, die die Unterwelt nicht selten mit dem Laufsteg verwechseln, wohl in erster Linie das ist, womit der Mann sein Geld verdient. Was bisher niemals war, wird diesmal zur sogenannten Blutsprobe: Dracula – Die Auferstehung nennt sich der nicht wenig üppige Schinken, und da Besson keinen Horror mag, ist sein Film wohl eher auch im Segment der schwülstigen Fantasy zu verorten, mit einigen wenigen blutigen Szenen, die schließlich sein müssen, sonst müsste man erst gar nicht von Vampiren erzählen.

Der Liebe auf ewig nachjammernd

Auferstehung ist als übersetzter Titel-Appendix deutlich schwächelnd. Im Original deklariert sich der Film deutlich als Liebesgeschichte, womit zumindest im deutschsprachigen Raum das potenzielle Publikum wohl eher gewusst hätte, ob es sich Caleb Landry Jones als Eckzahn-Graf antun sollte oder nicht – gerade dann, wenn man selbst schon nicht so sehr auf Horror steht. Meine Meinung ist: ja, für Hasenfüße, die das eine oder andere Mal in Kauf nehmen können, die Hand vor Augen zu halten, wenn einer untoten Dame der Kopf abgerissen wird, ist Bessons besonderer Blickwinkel ein empfehlenswerter. Denn anders als erwartet weiß Besson die richtigen Schrauben anzuziehen und ein aufgeräumtes Tempo vorzugeben, das den Staub altbekannten Schmuses, der unter dem Teppich gekehrt bleibt, nicht aufwirbelt.

Womit der Kultregisseur wohl den richtigen Riecher gehabt hat, ist sein Hauptdarsteller. Als Vlad Tepes in der Drachenrüstung, der im 15. Jahrhundert eigentlich nur existiert, um sich seiner großen Liebe Elisabeta gewiss zu sein, kämpft er am Schlachtfeld gegen die Osmanen. Als er dann die Hiobsbotschaft erhält, seine Geliebte würde nicht mehr unter den Lebenden weilen, wird aus dem leidenschaftlichen Recken eine zwischen untröstlichem Selbstmitleid und unstillbarem Liebeskummer gebeutelte Ikone des Jammertals und der Wehmut. Durch die Abkehr vom christlichen Glauben findet der zähnefletschende Dämon seinen Weg in die Welt, diesmal auch bei Tageslicht. Gnade wird ihm nach dem Aufspießen der bischöflichen Eminenz nämlich keine gewährt, also muss er ewig leben – schmachtend, hungernd, wartend darauf, dass Elisabeta wiedergeboren wird. Tatsächlich findet er sie – irgendwann im 19. Jahrhundert, und zwar nicht, wie in Bram Stokers Roman, in Yorkshire, sondern in Paris, im Schatten des Eiffelturms, der viel größer erscheint, als er eigentlich ist.

Zwischen Grunge und Märchenbühne

Mit von der Partie ist diesmal auch Christoph Waltz als emotional unterentwickelter Priester, der sich auf das Jagen von Vampiren versteht und diesem Grafen schon seit längerem auf der Spur war. Was Waltz aber an langweiligem Spiel aus der Soutane zaubert, macht Landry Jones wieder wett. Sein Schmachten und Gieren nach Erfüllung und Liebe ist geradezu hinreißend, wenn auch dick aufgetragen. Die feine Klinge mag man bei Dracula – die Auferstehung vermissen, doch das wiederum wäre ohnehin nur Perlen vor die Säue. Dieser Film ist so gleichsam nachtschwarz wie zuckerlrosa, als würde man eine Cremetorte verkosten, die ein bisschen nach Eisen schmeckt. Landry Jones ist auch nicht Gary Oldman aus Coppolas Streifen, sondern die strähnige Grunge-Version auf einer überlebensgroßen Märchenbühne für romantische Erwachsene, die Dracula mal als das sehen wollen, was er vielleicht wirklich immer schon war: Ein verzweifelter Verliebter, als Topf ohne Deckel, als einer, für den die Liebe kein chemischer Prozess ist, sondern eine Philosophie der Unendlichkeit. Was sie letztlich bedeutet, und welche Konsequenzen das hat, mag in diesem Film zu einem überraschenden Outcome führen, sodass der emotional mit sicherer Hand geführte Trip dann doch noch die zarten Töne einer untröstlichen Tragik anklingen lässt.

Dracula – Die Auferstehung (2025)

In A Violent Nature (2024)

SCHWEIGEN IM WALDE

6/10


InAViolentNature© 2024 capelight pictures


LAND / JAHR: KANADA 2024

REGIE / DREHBUCH: CHRIS NASH

CAST: RY BARRETT, ANDREA PAVLOVIC, CAMERON LOVE, REECE PRESLEY, LIAM LEONE, CHARLOTTE CREAGHAN, LEA ROSE SEBASTIANIS, LAUREN-MARIE TAYLOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Anderswo, zum Beispiel in Mittelerde, würde eine armselige und durch die Sünde der Gier ins Monströse verzerrte Figur nach einem Schmuckstück suchen, das man am Finger trägt: Die Rede ist von Gollum und seinem Ring, seinem – wie er selbst nicht müde wird zu betonen – Schaaaatz, den später Frodo Beutlin um den Hals baumeln lässt. Jemanden sein liebstes Kleinod zu entwenden geht gar nicht. Und tatsächlich haben diese Kreatur des Gollum und die Kreatur eines Untoten, geistig zurückgebliebenen Riesenbabys mit historischem Feuerwehrhelm auf dem Kopf abgesehen von ihrer leidvollen Lebensgeschichte, die beide Wesen letztlich korrumpiert hat, gemeinsam: Diese seltsamen Existenzen kreisen jeweils um ein Artefakt, sie stehen und fallen mit ihm, es provoziert sie oder hält sie in Stasis. In letztere befindet sich die Ausgeburt eines untoten Psychopathen, Zeit seines Lebens jemand mit besonderen Bedürfnissen, dem in einer wenig aufgeschlossenen Kleinstadtgesellschaft übel mitgespielt wurde. Und zwar so sehr, dass diese diesen Johnny tödlich verunfallen ließ. Der Sturz vom Feuerwehrturm war der Anfang vom Ende, was danach kommt, der blanke Horror. Den so wie Gollum will Johnny nur sein Artefakt zurück, koste es was es wolle. Anders als der verkorkste Hobbit treibt ihn aber noch etwas anderes an: Vergeltung und eine daraus resultierende Blutgier.

So gräbt sich das humanoide und stets schweigsame Monstrum aus dem Waldboden und macht sich im Trott eines Spaziergängers auf die Jagd nach neureichen Bobo-Erwachsenen der Smartphone-Generation, die wenig Achtsamkeit kennen und wenn es darauf ankommt, bereitwillig das Opfer spielen. Das Ungewöhnliche an Chris Nashs Naturpark-Slasher ganz ohne Hütte im Wald ist die sorgsam eingepflegte Meta-Ebene eines gefahrvollen Ökosystems, getarnt als natürliche Idylle, in der für den urbanen Fortschrittsmenschen, der sich zunehmend von der Natur zu distanzieren scheint, unberechenbare Gefahren lauern. Die volatile, schwer verortbare Existenz eines Unheils in Gestalt des Schlächters Johnny lässt ihn vollends im entschleunigten, stillen Grün des Waldes aufgehen, wie das Alien in der mechanischen Düsternis der Eingeweide eines Raumschiffs. Diese Gefahr einer bösen Natur entspräche der Conclusio aus John Boormans Beim Sterben ist jeder der Erste. Nur statt den Rednex, die in einer greifbaren Realität das Unheil säen, schlendert in In a Violent Nature etwas Metaphysisches und nicht Reales durch den Forst, bestückt mit zentnerschweren Ketten, an deren Enden wuchtige Haken baumeln. Was Johnny damit letztlich anstellt, lässt Nash in so deftigen wie bizarren Gewaltspitzen münden. Und eines muss dabei klar sein: In a Violent Nature mag anmuten wie die Neuordnung eines längst etablierten Subgenres des Horrorfilms, sucht sich letzten Endes aber genau jene bewährten Versatzstücke zusammen, die Fans an diesen Filmen so lieben.

Anfangs sieht es auch so aus, als hätte der Film die Ambition, aus der Sicht des Antagonisten erzählt zu werden. Eine Idee, die aber nicht aufgeht. Und wenn, dann nur szenenweise, wie John Carpenter es getan hat, um Kultfigur Michael Myers in Halloween ins Spiel zu bringen. Später aber wechselt auch dort der Blickwinkel, um das Böse nicht zu entmystifizieren und auch um Identifikationsfiguren zu schaffen, die Johnny partout nicht darstellt. Aus diesem Grund muss Chris Nash umdenken, aus einem konsequent geplanten Experiment wird nichts. Letztlich bleibt In A Violent Nature ein Slasher wie alle anderen – blutrünstig und bedrohlich, dafür aber auch langsamer, in sich ruhender.

Der Kontrapunkt einer von wärmenden Sonnenstrahlen begünstigten, lieblichen Natur, akustisch begleitet durch das Gezwitscher zahlreicher Vögel, lässt den einsamen Killer als modernen Waldschrat oder wilden Mann in einer mystischen Anthologie der schweigenden, aber archaischen Schrecken noch ausgefuchster erscheinen.

In A Violent Nature (2024)

Zombi Child

DIE KINDER DER TOTEN

6,5/10


zombichild© 2020 Grandfilm


LAND / JAHR: FRANKREICH 2019

BUCH / REGIE: BERTRAND BONELLO

CAST: LOUISE LABEQUE, WISLANDA LOUIMAT, MACKENSON BIJOU, KATIANA MILFORT, ADILÉ DAVID, NINON FRANÇOIS U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Zombies gibt es wirklich. Zumindest sagt man das, und zwar auf Haiti. Dort, wo Voodoo mehr ist als nur eine Zaubershow. Vielmehr eine Lebenseinstellung, eine Art metaphysische Weltsicht. Als der erste belegte Fall eines Zombies gilt Anfang der 60er Jahre ein Mann namens Clairvius Narcisse. Der brach eines Tages auf der Straße tot zusammen, wurde beerdigt – und kurze Zeit später wieder zum Leben erweckt, um als untote Kreatur ohne eigenen Willen mit anderen Zombies als Sklave auf einer Zuckerrohrplantage zu arbeiten. Irgendwie hat dieser Mann es geschafft, den Willen seiner Herren zu brechen und zu seiner Familie zurückzukehren, wo er bis zu seinem zweiten Tod gelebt hat. Klingt kurios? Ist es auch. Und es ist der erste mir bekannte Zombie-Film, der um genreübliche Versatzstücke wie Kannibalismus, Blutdurst und rasender Impulssteuerung einen großen Bogen macht. Mit dieser Darstellung des Zombie-Mythos bringt Regisseur Bertrand Bonello das medial hochgeschätzte und durch The Walking Dead massentauglich gewordene Thema auf den Boden kulturgeschichtlicher Tatsachen zurück. Dabei teilt Bonello seinen Film in zwei Hälften. Die eine schildert chronologisch die Ereignisse, die damals auf der karibischen Insel angeblich stattgefunden haben. Die andere erzählt die Coming of Age-Story der französischen Schülerin Fanny, die während ihres Aufenthaltes im Internat mit der Abfuhr ihres Freundes zurechtkommen muss. Ihr zur Seite steht eine kleine Gruppe vertrauter Freundinnen, die sich regelmäßig, zur nachtschlafener Zeit, als eingeschworene Schwesternschaft im Kunstsaal der Schule treffen. Dabei wird ein neues Mitglied aufgenommen – ein haitisches Mädchen namens Mélissa, die bei einer Tante lebt, und die man gut und gerne als Voodoo-Priesterin bezeichnen könnte. Fanny ist davon fasziniert – und spielt mit dem Gedanken, ihre Dienste in Sachen Liebeskummer in Anspruch zu nehmen.

Zombi Child fügt sich wunderbar an eine Reihe ähnlich gelagerter, augenscheinlicher Jugendfilme an, wie zum Beispiel When Animals Dream von Jonas Alexander Arnby oder Raw von Cannes-Preisträgerin Julia Ducournau. In allen diesen Filmen dringt das Paranormale in den ganz normalen Alltag junger Mädchen ein, die sich damit abmühen müssen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Bonellos Film kommt allerdings ohne Blut und Todesfälle aus, dafür ist das Überschreiten dieser Grenze hier im Film eine, die nicht weniger Wirkung hat. Statt verwesender Gesichter und bissfester Launen handelt das Voodoo-Drama von Seelenreisen und der Dominanz solcher. Vom Beschwören garstiger Dämonen und dem Bannen selbiger. Der westafrikanische Kult ist nichts, womit man einfach so aus Neugierde herumspielt, meint der Regisseur. Und auch nichts, das sich gerne als reißerisches Horror-Vehikel verbraten lassen will. Zombi Child nimmt die Möglichkeit einer unbekannten Dimension wie dieser durchaus ernst. Vielleicht ein bisschen zu ernst, und vielleicht schmeckt diese Art der Zombie-Interpretation verwöhnten Zombieland-Veteranen nicht wirklich, weil sie mit Schlitzen und Ballern nicht weit kommen. Als beruhigt beunruhigende Exkursion zu den Wurzeln eines Mysteriums allerdings ist Zombi Child Kopfkino für geschmacksorientierte Tellerrand-Balancierer, den Blick in den Abgrund inbegriffen.

Zombi Child