Spaceman: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt (2024)

DIE SPINNEN, DIE KOSMONAUTEN

2/10


SPACEMAN© 2024 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JOHAN RENCK

DREHBUCH: COLBY DAY

CAST: ADAM SANDLER, PAUL DANO, CAREY MULLIGAN, KUNAL NAYYAR, LENA OLIN, ISABELLA ROSSELLINI, SINEAD PHELPS, PETR PAPÁNEK U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Hinter den Jupiter und darüber hinaus durfte schon Kosmonaut Dave in Stanley Kubricks Ewigkeits-Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum reisen, um eine gewisse Wahrheit über unsere Existenz und das ganze Universum zu finden. Und um selbst nochmal wiedergeboren zu werden, als Sternenkind. Nichts geht verloren in den Weiten des Alls, alles ist ein Zyklus aus Vergehen und Werden – da kommt man ins Sinnieren, vor allem dann, wenn der Bordcomputer zum Killer mutiert und alle Besatzungsmitglieder bis auf einen ausradiert. Ins Grübeln kommt auch der tschechische Kosmonaut Jakub Procházka während seines Alleingangs an den Rand unseres Sonnensystems, um eine pinkfarbene Wolke zu begutachten, die womöglich Sternenstaub enthält, der vom Anfang der Zeit stammt. Anders als bei Lovecraft wird diese Farbe aus dem All wohl nicht für physische Mutationen verantwortlich sein, doch wer weiß – das herauszufinden, dafür ist der werdende Vater ein ganzes Jahr lang unterwegs. Warum solo, weiß niemand. Vielleicht, weil Tschechien den Berufsstand des Kosmonauten nicht weiter ausgebaut hat. Vielleicht, weil man nicht einsehen wollte, dass dieses wissenschaftlich gesehen höchst brisante Unterfangen durchaus die Kooperation mit anderen Ländern hätte eingehen sollen. Warum sich „Major Tom“ dieser Challenge annimmt, bleibt ein großes Fragezeichen, auch bis zum Ende des Films hin, der seine entrückte Episode wie im Halbschlaf erzählt, als wäre Kollege Procházka eben aus einem Kryoschlaf erwacht und muss sich erst zurechtfinden in diesem klischeebedingten Ostblock-Raumschiff-Interieur aus Funktelefon, Billigsilikon und buntem Tastenparadies.

Was Spaceman: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt eigentlich soll, würde sich in der literarischen Vorlage von Jaroslav Kalfar womöglich besser erschließen als unter der Regie des schwedischen Chernobyl-Regisseurs Johan Renck. Der bei der heurigen Berlinale uraufgeführte Streifen ist weder das eine, also Beziehungsdrama, noch das andere, nämlich eine erkenntnisgewinnende Weltraum-Odyssee. Wenn, dann letzteres wohl deutlich mehr, und das schon allein dadurch, dass Procházka erkennen muss, dass extraterrestrisches, intelligentes Leben nicht zwingend auf zwei humanoiden Beinen daherstolzieren muss. In diesem Fall entert eine gigantische große Arachnide die engen Räumlichkeiten des Schiffes, ohne aber dem weit von Terra entfernten Homo sapiens ans Leder zu wollen. Diese Spinne, die so gespenstisch danach klingt, als wäre HAL 2000 wieder rebootet worden, weiß anscheinend alles über die Menschheit und den Planeten Erde, hat obendrein Tschechisch gelernt und lockt Procházka mit bedeutungsschwerer Melancholie aus der Reserve. Es fragt sich natürlich: Ist die Spinne nur die Manifestation von Procházkas Geist aufgrund der langen Isolation – oder ist dieses Wesen tatsächlich da? Es fragt sich auch: Wie ist es an Bord gekommen? Und warum schwurbeln die beiden als ungleiche Buddies in eine depressive Stimmung hinein, in der man sich angesichts der rosaroten Wolke besser nicht suhlen sollte?

Wir haben nun den mehr- und glupschäugigen Achtbeiner mit der Stimme von Paul Dano – und den rauschebärtigen Adam Sandler, der einmal mehr und nach seinem Klunker-Thriller Der schwarze Diamant auf Nummer Sicher gehen will, dass ihn keiner mehr für einen oberflächlichen Kalauer-Knaben hält. Die Art und Weise aber, wie er in seiner Rolle als einsamer Abenteurer hineinfindet, hält außer einer tranigen Trauermiene, die zum Ausdruck bringt, das Huhn (in dem Fall wars die Spinne) hätte ihm das Brot weggefressen, keine Variationen in petto. Auf der anderen Seite, auf der Erde nämlich, tut Carey Mulligan genau das gleiche. Sie gibt Procházkas schwangere Partnerin, die zum denkbar unpassendsten Zeitpunkt die Beziehung beendet. Ihre Figur ist ein Sammelsurium verdrießlicher Symptome, die eine Beziehungskrise mit sich bringt. Was Mulligan tut, ist, unergiebige Gespräche mit Lena Olin zu führen und gedankenverloren gen Himmel zu starren. Was Adam Sandler tut, ist gedankenverloren dröge Gespräche mit dem Alien am Laufen zu halten, die, so scheint es, niemanden erquicken. Spaceman ist trotz des vielen leuchtenden Staubs, der bald das Schiff durchdringt, erdrückend substanzlos. Wie ein halbherziges Seufzen ins interplanetare Nirgendwo hinein fühlt sich Rencks Film an, der so tut, als müsse er all die Emotionen, die scheinbar Sandler und Mulligan heimsuchen, mit pseudophilosophischer Bedeutungsschwere analysieren. Die Monotonie des Films killt aber letztlich alles. Weder erschließt sich das Wunder einer mehrfachen Entdeckung noch der Wille zur Zweisamkeit, die Millionen Kilometer überbrücken soll. Bei Spaceman ist es wie am äußeren Rand unseres Sonnensystems: nichts dahinter. Zumindest so lange, bis die mit Ach und Weh heruntergebogenen 108 Minuten vorüber sind.

Spaceman: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt (2024)

Malcolm & Marie

DIE KRÄNKUNG EINER NACHT

5,5/10


malcolm_marie© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2020

DREHBUCH UND REGIE: SAM LEVINSON

CAST: ZENDAYA, JOHN DAVID WASHINGTON

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Wie heisst das Zauberwort? Das lernt man schon im Kleinkindalter. Und eigentlich sind es zwei dieser Sorte. Bitte und Danke. Ein Basislehrgang in Sachen Respekt und Wertschätzung. Wie ist das in einer Beziehung? Muss man da auch andauernd Danke sagen? Ja, muss man. Denn nichts in einer Beziehung ist, nur weil es eine Beziehung ist, selbstverständlich. Das ist etwas, das muss Filmemacher Malcolm noch lernen. Der hat nämlich völlig vergessen, bei der Premiere seines Regiedebüts vor allem seiner besseren Hälfte jenen verbalen Tribut zu zollen, den sie verdient hätte. Meint Marie. Und schon ist die Lunte für eine hitzige Nacht aus Küssen und verbalen Schlägen gezündet. Eine knapp über hundert Minuten lange Wippschaukel an Stimmungen. Da ließe sich ja ein zweites Wer hat Angst vor Virginia Woolf? dahinter vermuten, Edward Albees Beziehungsdrama, ebenfalls an einem Abend, und vor allem einer, an dem sich beide nichts schenken.

Geschenkt haben sich Schauspielerin Zendaya (eben noch in Spiderman: Far from Home als Parkers nonkonforme Klassenkollegin – und schon im bauchfreien Abendkleid) und Tenet-Star John David Washington anlässlich dieses heimlichen Corona-Drehs erstmal ihren negativen Antigentest. Damit sie überhaupt so sehr auf Tuchfühlung gehen können, wie sie es in diesem Zwei-Personen-Drama tun. Location ist ein großzügig verglaster Bungalow irgendwo in Kalifornien, die elegante Bildsprache macht auf sophisticated Schwarzweiß und setzt obendrein noch auf eine angenehm grobkörnige Struktur der Bilder. Das ist schon mal erlesen, da kann man gut und gerne darin versinken. Dazu ein paar jazzige Musiknummern und, am Türrahmen lehnend, den Glimmstängel zwischen den Fingern. Lauren Bacall, Richard Burton, Humphrey Bogart oder wie sie alle heißen, hätten sich in diesen Rollen wohl wiedergefunden. Klar, das sind alles Stars mit unübersehbaren Egos. Malcolm und Marie haben diese auch – stolze Egos, die deren Kränkung zum Anlass nehmen, den Mittelpunkt auf sich zu lenken.

Womit sich die emotionale Teilnahme des Zusehers an diesem schicken Geplänkel mit dispkrepanten Stimmungsschwankungen in Grenzen hält. Sam Levinson hat gar nicht vor, wie ein Edward Albee wirklich ans Eingemachte zu gehen. Klar, die Vergangenheit holt sich ihre Erwähnungen, um diesen Hickhack besser zu verstehen. Die Bekümmernisse der Beiden, ihren Trotz und ihre ständige Eigenrotation, die bleiben in diesem Schloss aus Glas, finden keinen Bezugspunkt nach draußen und haben auf Dauer auch nichts wirklich Relevantes mehr zu berichten.

Annerkennung, Achtsamkeit – Zendaya unter artiger, allerdings aber professioneller Ausführung akkurater Regieanweisungen fordert dieses Verhalten ein, gibt aber nicht viel Einblick in ihre Psyche. John David Washington ebenso wenig, er ergeht sich in gut ausformulierte, aber völlig belanglose Monologe über Kritiker und Filmbiz, die den kargen Plot auf Spielfilmlänge strecken. Malcolm & Marie zelebriert eine eigene Welt, eine eigene gesellschaftliche Biosphäre, so fern von einem greifbar hemdsärmeligen Leben. Das ist das, was Sam Levinson schafft: Eine prätentiöse Blase, darin eine kunstvolle Fotoshow mit zwei hippen Stars, die noch einige Karrierestufen vor sich haben. Das ist Beziehungskiste mit Glamour.

Malcolm & Marie

Die Turteltauben

KRIMINACHT FÜR PAARE

5/10

 

turteltauben© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: MICHAEL SHOWALTER

CAST: KUMAIL NAJIANI, ISSA RAE, MOSES STORM, PAUL SPARKS, KYLE BORNHEIMER, ANNA CAMP U. A. 

 

Wer wissen will, wie und auf welchen Umwegen sich Standup-Komiker Kumail Nanjiani seine zukünftige Ehefrau Emily geangelt hat, dem sei die tragikomische, durchaus bezaubernde Liebesgeschichte The Big Sick ans Herz gelegt. Wirklich ein außergewöhnlicher Film, und ganz sicher deshalb, weil das oscarnominierte Drehbuch auf wahren Begebenheiten beruht. Nanjiani wurde mir damals erstmals zum Begriff – mit Zoe Kazan als Emily bezirzt und streitet sich ein wunderbares, gleichsam schwieriges Duo durch die Hürden des Lebens. Michael Showalter, ebenfalls Komiker, hat den Film inszeniert. Und jetzt, vormals fürs Kino und dann für Netflix, den Spaßvogel mit pakistanischen Wurzeln für eine weitere Komödie ins Boot geholt – einer quirligen Krimikomödie um zwei Turteltauben – also eigentlich um eine in die Jahre gekommene Partnerschaft, die sich nach dem obligaten Strohfeuer Jahre später langsam auseinanderlebt. Beide haben ihre Projekte, und nur ab und an fährt man zu den gemeinsamen Freunden auf ein Glas Wein.

Auf so einer Fahrt zum Dinner passiert das Unerwartete – ein Fahrradfahrer geigt ihnen vor den Kühler. Zum Glück nichts allzu Schlimmes passiert, der Typ radelt weiter, doch mit diesem Intermezzo war´s das aber noch längst nicht – ein Bulle in Zivil schmeisst sich ins Vehikel und will die Verfolgung aufnehmen – um den Mann vor den Augen der beiden Zeugen nun endgültig zu überfahren. Schockschwerenot – das kann doch kein Bulle sein! Und ehe sich die beiden versehen, sitzen sie bis über beide Ohren in einem Mordfall drin, der es, wie es das Schicksal nun mal so will, kurzerhand in die Medien schafft. Vor niemandem sind die beiden Hauptverdächtigen nun sicher. Einziger Weg: den Fall selber lösen.

Schwierig, schwierig, kann ich nur sagen, wenn es darum geht, im Subgenre der Krimikomödie noch originellen Stoff aufzutreiben. Issa Rae und Kumail Nanjiani sind ja wirklich ganz nett, und man schmunzelt bei ihrem „Was sich liebt das neckt sich“- Geplänkel, aber man schmunzelt auch nicht mehr als bei einer der x-beliebigen Beziehungs-Sitcoms aus dem 20minütigen Appetithappen-Fernsehen im Vorabend. Beide, Rae und Nanjiani, sind völlig von den Socken, müssen sich sammeln, tapsen in Fettnäpfchen oder leisten sich Peinlichkeiten. Amor und sonstige Schutzengel lassen sie aber gottlob auch nicht im Stich. Die Turteltauben orientiert sich an reifen Klassikern wie Kopfüber in die Nacht oder Schlaflos in New York. Erst kürzlich gab’s einen ähnlichen Spaßfilm, der die Nacht zum Tag machte und wo es um einen Spieleabend ging, der aus dem Ruder läuft. Ach ja, Game Night. Da war zumindest das Verwechslungspotenzial zwischen Spiel und Realität ganz reizvoll. Abgesehen davon aber ist es hier wie dort dieselbe Masche. Ich weiß schon jetzt nicht mehr, wovon der Mordfall überhaupt gehandelt hat, mir bleibt nur noch das schrille Einhorn- und Goldketten-Outfit der beiden Käuze zwecks Tarnung in Erinnerung, sonst allerdings sind wir von The Big Sick weit entfernt, weil´s hier auch nicht wirklich um irgendwelche besonderen Werte geht, außer um die einer Partnerschaft mit Durststrecken, die nicht unbedingt als versemmelt gelten muss. Schon gar nicht, wenn die unfreiwillig paartherapeutische nächtliche Katastrophe das Zusammenleben relativieren kann. Es zahlt sich aus, darauf zu warten. Und dabei kann man, nebenbei vielleicht, zur bequemen Berieselung diesen Film ansehen.

Die Turteltauben