Nawalny (2022)

DER VERZWEIFELTE KAMPF DES GUTEN

8,5/10


© 2022 Niki Waltl / Polyfilm


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DANIEL ROHER

DREHBUCH: ODESSA RAE, SHANE BORIS, MARIJA PEWTSCHICH

BESETZUNG: ALEXEI NAWALNY, JULIJA BORISSOWNA NAWALNAJA, CHRISTO GROSEW, DASHA NAWALNAJA, ZAKHAR NAWALNY, MARIJA PEWTSCHICH, LEONID WOLKOW U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Am Ende liegt er sterbend auf dem Schlachtfeld, alleine und mit der Wut des Gerechten in den Eingeweiden. Wohlwissend, bis zuletzt für das Gute gekämpft zu haben. Gegen Machtmissbrauch, gegen Unterdrückung, gegen Verfolgung, Mord und Kerker. Für die Freiheit der Meinung und der schillernden Vielfalt des Lebens. Egal wie, egal mit wem. Da kann es einem noch so erschwert werden, die genauen Umstände von Alexei Nawalnys Ableben herauszufinden: Zählt man eins und eins zusammen, wird sonnenklar, dass Putins größter und einflussreichster Gegner gezielt beseitigt wurde.

Heuer, am 14. Februar 2025, jährte sich Nawalnys Todestag zum ersten Mal. Dessen Witwe, Julija Borissowna Nawalnaja, versucht seitdem aus dem Exil heraus, das russische Regime zu bekämpfen. Die Nachrichten berichten davon wenig. Dort kommt nur zur Sprache, was die Gemüter der Weltbevölkerung tangiert, vorzugsweise die politische Horrorgroteske um Trump sowie das Erstarken und Nicht-Erstarken faschistoider Gruppierungen in Europa. Umso wichtiger sind Dokumentationen wie diese, die Enthusiasmus, Willensstärke und Vehemenz genug besitzen, um ein Thema so weit zusammenzufassen, dass es zum Pflichtpogramm für jene wird, die Aufklärung benötigen, die sich weiterbilden müssen und in deren Händen die Zukunft einer Menschheit liegt, die sich durch Freiheit, Gleichheit und die Vernunft des Bescheidenen auszeichnet.

Auch all die anderen, die sich ohnehin unabhängig von allen Narrativen informieren wollen, und wissen, was Nawalny für einen Kampf geleistet hat, sollten den Oscar-geadelten Dokumentarfilm aus 2023 auf dem Schirm haben. Oder bestenfalls gehabt haben. Der Aktivist selbst kommt oft zu Wort, er sitzt während der Covid-Pandemie in einem nachgebildeten Café der Black Forest Studios im Schwarzwald und berichtet vom Drama seiner Vergiftung. Soviel gaben auch die Medien preis: Denn 2020 wurde das Nervengift Nowitschok dem Politiker beinahe zum letalen Verhängnis. Allerdings nur beinahe. Er konnte genesen und die Zeit nutzen, um mithilfe der Rechercheplattform Bellingcat herauszufinden, wer wohl hinter diesem perfiden Mordversuch stecken könnte. Spätestens da wird der Film zum hochspannenden und unfassbar erschreckenden Investigationsthriller, der so manches fiktive Studiowerk weit abgeschlagen zurücklässt.

Wie es Daniel Roher gelingt, Alexei Nawalny nicht von der Seite zu weichen, bei emotional Privatem nicht aufzufallen und gerade jene denkwürdigen und ausschlaggebenden Momente mitzufilmen, die das russische Regime als Mord-Maschinerie entlarven, sieht man in diesem Genre mitunter äußerst selten. Meist versuchen sich selbst ins Licht der Kamera rückende Alleinunterhalter wie Michael Moore der spektakulär inszenierten Wahrheit auf den Grund zu gehen. Daniel Roher macht das anders. Sein Star ist nicht er selbst, sondern der Held des Jahrzehnts. Er lässt ihn tun und machen, hält die Kamera drauf; kann womöglich, im Moment der Entlarvung, selbst kaum glauben, was er da gerade dokumentiert. Es ist ein Gänsehautmoment, der die Tatsache als Schreckgespenst darstellt, das von Nawalny gebändigt wird. Ein Triumph, diese Szene. Ein Triumph, dieser Film.

Umso tragischer der nicht mehr darin enthaltene, sondern in den Medien dokumentierte Epilog von Nawalnys Verhaftung, des Prozesses, der Inhaftierung und des Todes zwei Jahre später. Trotz der schmerzlichen Niederlage hat dieser Verfechter für das Gute in Kooperation mit dem so wichtigen Medium Film die Welt zwar zu einem noch traurigeren, jedoch die Dinge besser begreifenden Ort gemacht.

Nawalny (2022)

In Liebe, Eure Hilde (2024)

AUS LIEBE IM WIDERSTAND

6/10


in-liebe-eure-hilde© 2024 Pandora Film / Frederic Batier


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2024

REGIE: ANDREAS DRESEN

DREHBUCH: LAILA STIELER

CAST: LIV LISA FRIES, JOHANNES HEGEMANN, LISA WAGNER, ALEXANDER SCHEER, EMMA BADING, SINA MARTENS, LISA HRDINA, LENA URZENDOWSKY, NICO EHRENTEIT, FRITZI HABERLANDT, FLORIAN LUKAS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Schluchzen, Tränen, Betroffenheit im Kinosaal. Emotionale, mitunter verstörte Missstimmung. Wohin mit den eigenen Emotionen nach einem Film wie diesem?

In Liebe, Eure Hilde von Andreas Dresen fordert und überfordert. Das biographische Drama als schwermütig zu bezeichnen, wäre fast schon banal. Schwer verdaulich trifft es eher, nur: Schwer verdaulich muss auch nicht zwingend bedeuten, dass sich dahinter ein guter Film versteckt. Die Schwere eines Films liegt dabei weniger an den Themen. Es lassen sich diese auch ganz anders erzählen, ohne dabei die Relevanz zu verlieren. Einen Film über den Holocaust zu erzählen in Form einer Tragikomödie wie Das Leben ist schön, mag ein innovativer Ansatz gewesen sein. Sexueller Missbrauch und Demenz im Doppelpack zu bearbeiten, ohne dabei das Publikum danach zum Therapeuten schicken zu müssen, mag Michel Franco in Memory gelungen sein. Andreas Dresen nimmt sich nach Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush erneut einer True Story an, gebettet in den biographischen Auszug über eine historische Person. Sein neuer Film handelt vom Schicksal der Widerstandskämpferin Hilde Coppi, die im August 1943 wegen Hochverrats und Spionage hingerichtet wurde. Dieser Fall erinnert unweigerlich an Sophie Scholl. Marc Rothemund hat im Jahr 2005 der weißen Rose ein erschütterndes und stark auf ihr Tun und Wirken fokussiertes Denkmal gesetzt, Julia Jentsch absolvierte dabei wohl eine ihrer besten Acts. Nun folgt ihr Liv Lisa Fries, bekannt aus der fulminanten zeitgeschichtlichen Krimiserie Babylon Berlin, und erhält dabei von Andreas Dresen reichlich Spielzeit, um jene noch so erdenkliche Emotion, die eine junge Frau mit diesen Ambitionen zu dieser Zeit und unter diesen Umständen gehabt haben kann, in ihre Rolle zu legen. Niemals ist das zu dick aufgetragen, denn Fries legt in all ihren Auftritten stets eine grundlegende Natürlichkeit an den Tag, die kein Regisseur der Welt ihr austreiben kann. Mit diesem schauspielerischen As im Ärmel hätte In Liebe, Eure Hilde ein wegweisendes Politdrama werden können. Doch Dresen hatte etwas andere im Sinn: Das Tun und Wirken Hilde Coppis außen vorzulassen und stattdessen den Menschen dahinter zu präsentieren. Leider ein Trugschluss. Denn Menschen wie Coppi definieren sich vorallem durch ihre Ideale, ihre Ideen und hehren Ziele. Dresen macht aus dieser historischen Person etwas, womit diese, würde sie den Film sehen, vielleicht selbst nicht glücklich gewesen wäre.

Was bleibt, ist die Rolle der Frau als bedingungslos Liebende, als fürsorgliche Mutter und hinnehmende Ehefrau. Wieviel davon ist tatsächlich so gewesen? Ihr Sohn Hans Coppi, der am Ende des Filmes dann auch noch zu Wort kommt, kann darüber keinen Aufschluss geben. Briefe aus dem Gefängnis allerdings schon. Drehbuchautorin Laila Stieler ersinnt daraus eine viel zu bescheidene Betrachtung einer austauschbaren, universellen Frauenrolle, die, so wie es scheint, in den Widerstand hineingerutscht zu sein scheint, unreflektiert und aus bedingungsloser Liebe im Rollenbild der Vierziger. Fast schon erscheint diese Prämisse seltsam trivial, um es sich leisten zu können, den Aspekt des Widerstandes nur peripher zu behandeln. Dieses Periphere betrifft allerdings auch all die anderen Personen, die Hilde umgeben. Sie bleiben schemenhaft und grob umrissen, Johannes Hegemann gibt Hans Coppi auffallend wenig Charakter, geschweige denn Charisma. All das wird von Liv Lisa Fries überblendet, die den Film so schmerzlich macht.

Der dargestellte Schmerz aber ist das nächste Problem nebst dem verpeilten Fokus, den Dresen gesetzt hat: Sein Hinhalten genau dorthin, wo es wehtut, mag dem Film Authentizität geben und das Publikum auch die Chance geben, allerhand nachzuspüren, was man nicht erleben will. Die Zuseher müssen sensibilisiert werden. Des Öfteren jedoch ertappt sich Dresen dabei, dieses Schmerzempfinden zum Selbstzweck werden zu lassen. Ob minutenlanges Wehen-Management bei der Geburt des kleinen Hans oder die Hinrichtung selbst: Für In Liebe, Eure Hilde hat das kaum einen Nutzen. Es sei denn, die Qualität eines Films misst sich an seiner Schwere.

In Liebe, Eure Hilde (2024)

Uncle Frank

… AND WHAT I AM NEEDS NO EXCUSES

7/10


unclefrank© 2020 Amazon Studios

LAND: USA

DREHBUCH & REGIE: ALAN BALL

CAST: PAUL BETTANY, SOPHIA LILLIS, PETER MACDISSI, JUDY GREER, STEVE ZAHN, MARGO MARTINDALE, STEPHEN ROOT U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Erst diesen Herbst lud „Sheldon“ Jim Parsons alle seine Freunde zu einer Geburtstagsparty. Je später der Abend, desto mehr wurde das Ganze zur Gruppentherapie einer ganzen Schar Homosexueller (und einem Heterosexuellen), die sich ihrer schwierigen sozialen Lage mehr als bewusst wurden. The Boys in the Band ist übrigens ein ausgesprochen sehenswerter und berührender Film. Nicht weniger berührt Paul Bettany, der bei Jim Parsons nicht geladen war, der allerdings wunderbar diese Gruppe ergänzt hätte. Paul Bettany, bekannt als Vision aus den Marvel-Filmen und als Dryden Vos aus Solo – A Star Wars Story, gibt in diesem auf amazon prime veröffentlichten Drama eben jenen titelgebenden Uncle Frank, der sich Anfang der Siebzigerjahre mehr oder weniger von seiner Familie distanziert hat, da keiner wissen soll, dass auch er mehr auf Männer als auf Frauen steht. Der Vater, ein forscher Patriarch, dürfte schon so was geahnt haben, da er sich Frank gegenüber distanziert verhält. Als dieser stirbt, entschließt sich Frank, im Rahmen des Begräbnisses und inmitten seiner Familie sein Coming Out einzuplanen. An seiner Seite: Nichte Sophia Lillis (u. a. Es, Hänsel und Gretel), die in Frank so etwas wie ihren Seelenverwandten sieht und das ganze sensible Drama auch aus ihrer Sicht schildert.

Paul Bettany war nie besser. Wirklich nicht. Als New Yorker Literaturprofessor mit stilsicherem Oberlippenbart und gewinnendem Lächeln, der sich in urbanen Gefilden auch nicht davor scheut, sich zu seiner Beziehung mit einem Mann zu bekennen, mit der übermächtigen Figur seines Vaters allerdings zu kämpfen hat, entwickelt der Schauspieler ein nuanciertes Arrangement an Gefühlen, zeigt sich verletzlich und erschüttert. Tatsächlich lässt sich die Gefühlswelt von Uncle Frank lesen wie in einem offenen Buch, lässt sich die vernichtende Ablehnung der Vaterfigur nachspüren wie ein Amboss auf den eigenen Schultern. Gegen diese Ablehnung, gegen diese Mauer der Verachtung kämpft sich Bettany tränenreich und seine Scheu überwindend vor Richtung Akzeptanz, Toleranz und vielleicht auch Wohlwollen. Dazu braucht es Mut, gerade angesichts des fehlenden elterlichen Vertrauens ins eigene Kind. Alan Ball hat hier mit sehr viel Sorgfalt dieses emotionale Coming Out umschrieben und auch inszeniert, dank des gewinnenden und engagierten Casts ist das eine schöne, menschliche und nur in wenigen Momenten auch sentimentale Geschichte geworden, die letzten Endes manches dann vielleicht zu glatt zeichnet. Man könnte auch Zuversicht dazu sagen, und was wäre da dann verkehrt daran?

Uncle Frank