Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution

WAS FRAUEN WOLLEN

7/10


misswahl© 2020 eOne Germany


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, IRLAND, AUSTRALIEN 2020

REGIE: PHILIPPA LOWTHORPE

CAST: KEIRA KNIGHTLEY, JESSIE BUCKLEY, GUGU MBATHA-RAW, GREG KINNEAR, RHYS IFANS, LESLEY MANVILLE, SUKI WATERHOUSE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Wer ist die Schönste im ganzen Land? Diesen Umstand im Rahmen einer Gala fürs Establishment zu zelebrieren, ist nicht das eigentliche Problem. Schönheit, so subjektiv sie auch sein mag, muss sich nicht verstecken. Das wirkliche Problem, mit dem die Frauenrechtlerinnen Anfang der Siebziger Jahre und auch heute noch zu kämpfen haben, ist der Umstand, dass diese Frauen eben nur als das gesehen werden: als reizvolle Objekte mit den richtigen Maßen und Kurven. Das, finden diese anderen Frauen, ist einfach zu wenig. Ist vielleicht gut, aber zu wenig. Gleiche Chance für das weibliche Geschlecht in Beruf, Bildung und Karriere wäre wichtiger: da lässt sich selbst heute noch ordentlich dran feilen – wie prekär muss die Lage  wohl vor 50 Jahren gewesen sein? Da hieß es: nichts wie raus auf die Straße und demonstrieren. Aufstehen für etwas, das endlich mal Sinn macht.

Das britische BBC Entertainment, das ja stets eifrig dabei ist, historische Biographien und ebensolche Wendepunkte kinematographisch aufzubereiten, um so Unterhaltung und Allgemeinwissen für das filmaffine Volk zu kombinieren, nimmt sich mit Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution (besserer Titel wie so oft im Original: Misbehaviour) den Aktionismus medienwirksamen Ungehorsams zur Brust, indem Regisseurin Philippa Lowthorpe jene Ereignisse nacherzählt, die dem wütenden Zwischenfall bei der Miss World Zeremonie 1970 vorausgegangen waren (Keine Sorge: das Happening selbst bekommt sehr wohl auch seine Sendezeit). Die Misswahl beobachtet auf mehreren Fronten gleichzeitig – insgesamt sind es vier. Da wäre die Storyline rund um Entertainer Bob Hope (großartig herablassend und gleichzeitig charmant: Greg Kinnear), der letzten Endes auf der Showbühne die meiste Häme kassiert. Da wäre die Storyline rund um den Miss World-Organisator Eric Morley, gespielt von Notting-Hill-Faktotum Rhys Ifans als geschäftiger Allrounder. Da wäre die Storyline rund um Gugu Mbatha-Raw als Grenadas Schönheitsgöttin und eben jene um Keira Knightley sowie die draufgängerische Jessie Buckley, die anfangs das eine und das andere Ende der Frauenbewegung bilden, letzten Endes aber an einem Strang ziehen, wenn die Katze aus dem Sack soll. Ein klug gecastetes Ensemble vereint sich um ein straffes Script, dessen Szenen richtig getimt und genau da sind, wo sie hingehören 

Die Misswahl überlässt als zeitgeschichtliche Chronik natürlich nichts dem Zufall – wie denn auch. Die Fakten stehen geschrieben, das ist es nur gut und recht, ihnen auch emotional und wohlrecherchiert gerecht zu werden – künstlerische Freiheiten außen vorgelassen, die müssen sein, sonst wär´s recht trocken. Was Die Misswahl sicher nicht ist. Vielmehr ein kluges Panoptikum aus eigenwilligen Patriarchen, dem schillernden Showbiz und nachhaltigen Mutmacherinnen.

Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution

The Bad Batch

ZURÜCK IN DIE KOMFORTZONE?

7,5/10

 

thebadbatch© 2017 Netflix / Darren Michaels, S.M.P.S.P.

 

LAND: USA 2017

REGIE: ANA LILY AMIRPOUR

CAST: SUKI WATERHOUSE, JASON MOMOA, GIOVANNI RIBISI, KEEANU REEVES, JIM CARREY, DIEGO LUNA, YOLONDA ROSS U. A. 

LÄNGE: 2 STD 59 MIN

 

Als absolutes No-Go, also für Homo sapiens, ist der Verzehr seiner eigenen Spezies. Das wird niemals salon- oder gesellschaftsfähig werden, dafür haben Karnivoren genug andere Quellen, um sich zu bedienen. Ausnahmefälle gibt es. Mir fällt hier sofort der 90er-Katastrophenfilm Überleben! von Frank Marshall ein: eine Footballmannschaft stürzt mit dem Flugzeug in den Anden ab. Hätten die im Schnee liegenden Leichen nicht die notwendige Energie geliefert, wären vermutlich alle gestorben. In der amerikanischen Wüste im Süden von Texas kann es neuerdings passieren, dass umherstreunende Menschen zum kulinarischen Freiwild werden. Warum? Weil in Ana Lily Amirpours Vision einer nahen Zukunft Problemfälle der Vereinigten Staaten von Amerika kurzerhand verbannt werden. Da gibt es einen Zaun, und jenseits des Zaunes existiert kein Gesetz mehr. Niemandsland also. Der jungen Arlen passiert genau das. Sie muss sehen, wo sie bleibt, unter sengender Sonne und eben gejagt von Kannibalen. Gut, manche werden jetzt sagen: The Bad Batch ist vermutlich sicher so ein Horrorslasher mit ganz viel Blut, Gore und verstörenden Bildern. Überraschenderweise ist dieser Film, der so klingt wie astreiner Splatter, zwar manchmal leicht verstörend, aber im Großen und Ganzen überhaupt nicht das, wofür man ihn hält. Es kommt immer darauf an, wie ein Tabuthema wie dieses dargestellt wird. Und auch: in welchem Kontext die Schlachtplatte serviert wird, die zum Glück eben keine ist.

Was Amirpour hier entwirft, ist eine Gesellschaft, die sich, auf ihre Werkeinstellung zurückgeworfen, neu zu organisieren versucht. Da bleibt Kannibalismus die bequemste Methode, um an Nahrung zu gelangen, denn in der Wüste wächst und lebt sonst nichts. Da stellt sich die Frage: wirklich nicht? Den Hintern bekommen die Gestrandeten nicht hoch, es ist ihre Bequemlichkeit, die sie zu Monstern macht. Betrachtet man die Fähigkeit des Menschen, aus dem Nichts heraus einen ganzen Planeten beherrscht zu haben, erscheint das Kentern der traurigen Filmfiguren als ein Schatten dieser Erfolgsstory. Die Abwesenheit von proaktivem Überlebenswillen zaubert so manchen Machtnutzer auf die Bühne, das Fußvolk blickt auf, lässt sich bezirzen und beschallen, an einem Ort namens Comfort. Diese Bequemlichkeit birgt das Ende der Selbstbestimmung und öffnet Tür und Tor für Manipulation. Der angestrebte Traum einer besseren Welt ist wie die Dauerberieselung billiger Fernsehshows, selbst die Statue of Liberty geistert durch eine stagnierende Unbeholfenheit. Aber es wäre nicht ein zutiefst menschlicher Film, ein zutiefst wertesuchender ebenso, wenn unsere Heldin nicht mit wütender Kraft und trotz schwerwiegenden körperlichen Handicaps diese verlorengegangenen Skills finden möchte.

The Bad Batch ist überdies ein enorm körperlicher Film. Die brutalen Szenen der „Fleichverwertung“ sind nie explizit zu sehen. Der Verlust der Extremitäten ist der Verlust von Selbstbestimmung. Der Verzehr ebensolcher im Prinzip das gleiche. Amirpours Film ist ein bemerkenswertes Kunstwerk. Sehr lakonisch, mit staubtrockenem Humor verfeinert. Die teils surreale Bildsprache (vor allem der gigantische, leuchtende Ghettoblaster), so manch ungewöhnlicher Auftritt bekannter Stars und ein eingängiger Sampler erzeugen eine rätselhafte Stimmung, die zwischen Pop Art und filzigem Italowestern einen sonderbaren Umweg einschlägt, um das zu erreichen, was als ungenutztes Potenzial ohnehin schon die ganze Zeit da war.

The Bad Batch

Pokémon Meisterdetektiv Pikachu

MONSTER FÜR ZWISCHENDURCH

5/10

 

pikachu© 2018 Warner Bros. Pictures Germany

 

LAND: USA, JAPAN 2019

REGIE: ROB LETTERMAN

CAST: JUSTICE SMITH, KATHRYN NEWTON, RYAN REYNOLDS, KEN WATANABE, SUKI WATERHOUSE, BILL NIGHY, RITA ORA U. A.

 

Diese Dinger sind wie Schokoriegel: süß, handlich und immer mit dabei. Pokémon eben. Für die, die es noch nicht wissen: Pokémon ist die Sparversion des japanischen Ausdrucks Poketto Monsuta, was so klingt wie Pocket Monster und auch genau das bedeutet. Obwohl – so klein sind die Dreikäsehochs nun auch wieder nicht. Aber süß und immer mit dabei, das sind sie schon. Knuffiger Bonus obendrein: Pokémons kann man (zum Glück?) nicht verstehen, sie quaken und quietschen und fiepen, maximal bringen sie ein Wort zustande, das sie repetativ verwenden. Wie PSY-Entenwesen Enton. Wer mit Pokémons nie etwas am Hut hatte oder sich dem Hype vor ein paar Jahren, nämlich Pokémons überall im Land via App zu suchen, der kann sich dennoch getrost in den Film setzen. Denn so wirklich komplex ist das Universum im Film bei weitem nicht. Auch wenn die Namen der jeweiligen Kreaturen nicht geläufig sind – keine Angst, sie werden vorgestellt. Und die Range ist überschaubar. Im Zentrum des ganzen plüschig-amphibischen Abenteuers: Mega-Pokémon Mewtu, seines Zeichens die Urform aller Kreaturen und einer göttlichen Erscheinung gleich über den Dingen schwebender Endgegner, dessen Auftauchen für einige Unruhe in Ryme-City sorgt – der Stadt, in der Menschen und Pokémons in einer schillernden Koexistenz zusammenleben. Man könnte all diese Kreaturen aus diesem alternativen Universum auch durch Hunde ersetzen, magische Hunde, die mehr können als nur bellen, das Stöckchen holen und mit dem Schwanz wedeln. Ein sonntäglicher Spaziergang im Park könnte sich in Anbetracht der über den weg laufenden Hunderassen tatsächlich auch so anfühlen, und es lässt sich aus dem Ärmel geschüttelt so tun, als wäre Ryme City gar nicht mal so weit entfernt. Von diesen gepflegten und umhegten Taschen- und Dauerbegleitern für Zwischendurch gibt es mittlerweile über 800 verschiedene. 53 davon kommen im Film vor – ja, das könnte hinkommen. Vom Schlabber-Klecks bis zum Feuer speienden Drachen ist da alles dabei.

Und die Darstellung dieser Welt, die funktioniert wirklich gut. Dabei werden Erinnerungen an Roger Rabbit wach – da hielten Cartoonfiguren jedweder Art, allerdings mit viel mehr Wortgewalt, das Zusammenleben mit den Menschen für eine gewinnbringende Kosten-Nutzen-Rechnung. Bis dem teuflischen Christopher Lloyd die ganze gechillte Gesellschaftssymbiose zuwiederlief. Pokémon Meisterdetektiv Pikachu startet mit einem ähnlichen Setting, nämlich dem einer Detektivgeschichte. Statt Bob Hoskins tritt nun Jungspund Justin Smith das Erbe seines verschwundenen Vaters an – und hat das kultige Pelzknäulel Pikachu mit dem Zickzackschwanz von nun an an der Backe. Wundersamer Bonus: Pikachu kann sprechen, und lässt sich auch verstehen. Was es spricht, klingt nach Deadpool Ryan Reynolds, allerdings jugendfrei. Unter diesen Voraussetzungen ist das ungleiche Gespann bald auf heißer Spur unterwegs, muss Feuer speiende Ringkämpfer abwehren, die Gestik eines Pantimos interpretieren oder rabiate Griffel loswerden. Das klingt jetzt sogar ein bisschen nach dem Tierlexikon eines Newt Scamander, so gesehen in Phantastische Tierwesen. Ja, irgendwie ist es das auch – aber dann doch ganz anders. Denn diese entworfene urbane Koexistenz, die hat ihren Reiz, sowohl optisch als auch in den Szenen eines bunt-bereichernden Alltags, der die Artenvielfalt preist.

Was dann doch hinterher trippelt wie die kleinen Pfoten des gelben Promi-Pokémon, das ist der austauschbare Plot. Natürlich, es ist mühsam, einen phantastischen Familienfilm zu entwickeln, der Nachwuchs wie Eltern begeistern kann. Der die Charakterlichkeit der Pokémons nicht verändert und den Nintendo-Kult ehrt. Was dabei rauskommt, ist viel plastische Liebe zum realistisch anmutenden Detail, irgendwo zwischen den Muppets und dem Revival von Marvels Howard, ein tierischer Held. Im Grunde aber sind all diese Geschichten sehr ähnlich. Und hinter der visuellen Finesse von Pokémon Meisterdetektiv Pikachu versteckt sich eine Krimikomödie vom Fließband, die sich durch keinerlei Besonderheiten auszeichnet, sondern trotz all seiner erzwungenen Story-Twists so vorhersehbar ist wie das Scheitern von Pechvogel Donald Duck. Da fehlt einfach das gewisse Etwas, und Konfusion ist nicht gleich Komplexität. Meistens ist eine stringentere Story die dichtere – weil dann auch noch Zeit bleibt, näher auf das Knuddel-Verhältnis zwischen Mensch und Fellknäuel näher einzugehen. Das hat Rob Lettermann (u. a. Gänsehaut) teilweise ziemlich verabsäumt, und bis auf Enton wächst einem so keiner richtig ans Herz. Der Handlung, der können Grundschul-Kids sowieso nicht mehr ganz folgen, und selbst Erwachsenen fällt dieses bemühte Hin und Her bald schon auf den Wecker, ohne es verstehen zu wollen. Was bleibt, ist ein zitatenreiches, buntes Abenteuer sowohl für Kenner als auch für Anfänger (wie mich), ein Elysium der Kuscheltiere, die zu teilautonomen Haustieren werden und das Alltagsleben versüßen, während irgendwo im Hintergrund ein holprig recycelter Familienkrimi vonstatten geht, der sich oft verfährt und letztendlich in einem Schema-F-Getöse mündet, das ermüdet. Schön, wenn nach der Heimkehr aus dem Kino dann das eigene Tierchen auf einen wartet – vielleicht mit einem Upgrade?

Pokémon Meisterdetektiv Pikachu