Die Croods

ICE AGE WAR GESTERN

8/10

 

croods@ 2013 Dreamworks / Quelle: indiwire.com

 

LAND: USA 2013

REGIE: Chris Sanders, Kirk De Micco

MIT DEN STIMMEN VON Nicolas Cage, Ryan Reynolds, Emma Stone (original) U. A.

 

Von wegen früher war alles besser. Gar nicht wahr. Die humanoiden Wesen der präzivilisatorischen Frühgeschichte hatten überhaupt nichts zu lachen. Das Leben war hart, es gab anfangs nicht mal Feuer, und geschlafen wurde auf Stein in Höhlen, die nur bedingt vor gefräßigen Räubern bewacht wurden. Das Leben der Steinzeit, das war kein Honiglecken. Sondern ein permanentes Zittern. Und auch im Familienverband wurde es nicht besser, ganz im Gegenteil. Da hatte Mann auch noch Verantwortung zu übernehmen für den neugierigen Nachwuchs, der jeden Sonnenuntergang die letzten Strahlen der Sonne einfangen will. So eine Familie sind Die Croods. Eine fünfköpfige, stets hungrige Familie inklusive Oma, die die Nacht im Schlafhaufen verbringt und für das Frühstück noch schnell einem Elefantenvögel das Nest ausräumen muss, um satt zu werden. Gar nicht leicht. Nein. Wenn da nicht plötzlich ein Jüngling Marke Homo sapiens auftauchen würde, der die Familie Croods ins gelobte Land führen will – jenseits vulkanischen Sperrgebiets. Denn die Tektonik feiert fröhliche Urständ und ruckelt und zuckelt, was das Zeug hält. Eruptionen und Pyroklastische Ströme inklusive. Die muss keiner von den Croods live erleben.

Was folgt, kennen wir aus Ice Age. Ein Roadmovie ohne fahrbaren Untersatz, quer durchs Gelände. Aber obwohl uns die Geschichte in Ansätzen bekannt vorkommt, ist sie in Chris Sander´s Animationskomödie unvergleichlich besser erzählt. Die Steinzeit von Dreamworks Pictures ist eine fabelhafte, bunte Welt, die sich aber so was von überhaupt nichts auf prähistorische Authentizität gibt. Die Steinzeit des Cartoon-Kinos, die ist so zauberhaft, surreal und abgehoben, als hätte Kinderbuchautor Erwin Moser, leider erst kürzlich verstorben, einen Schwank aus der Frühzeit des Menschen erzählt. Auch bei Erwin Moser ist die Welt, die er beschreibt, bei Weitem nicht die unsere, sondern eine phantastische Verschmelzung aus Erdachtem und Bekanntem. Was in der Welt der Croods so kreucht, fleucht und den Boden erzittern lässt, sprüht vor Einfallsreichtum und ist obendrein noch unglaublich schön anzusehen. Inmitten dieses kreativen Szenarios frei nach naturhistorischen Fakten stolpert und bricht die eigenwillige Familie durchs Unterholz. Die Flintstones wären nicht so weit gekommen, trotz fahrbaren Untersatzes. Auch bei Fred Feuerstein und Co spielt Geschichtsbezug keine Rolle. Da leben Dinos mit Menschen unter einem Dach. Dinos gibt’s bei den Croods aber nicht. Das geht dort noch besser. Über Land schreitende Wale, Piranhavögel und bunt befellte Säbelzahntiger.

Schnappschüsse vor Erfindung der Fotografie? Klar geht das. Wer nach all dem märchenhaften Zoobesuch langsam müde wird, darf sich an einer für Animationsfilme ungewohnt niveauvollen wie selbstironischen Situationskomik erfreuen. An überraschend gelungenen Slapstick, der brüllen lässt vor Lachen. Und auch skeptische Familienfilm-Muffel vom Zwerchfell-Bann befreit. Ice Age war gestern, und obwohl The Croods bereits schon vier Jahre auf dem Buckel haben, lässt die zwar inhaltlich nicht sehr originelle, aber in den Details wunderbar erdachte andere Familien-Comedy Scrat, Sid und Co etwas alt aussehen. Und ja, den kuschelweichen, bunten Tiger würde ich lieber kraulen als Diego.

Die Croods

Happy Family

FAMILIE ALS FREAKSHOW

5/10

 

happyfamily

REGIE: HOLGER TAPPE
MIT DEN STIMMEN VON MAXIMILIAN EHRENREICH, ULRIKE STÜRZBECHER, HAPE KERKELING

 

Dadadadam – Schnipp Schnipp! – Wir alle kennen mit Sicherheit die unverwechselbare Titelmelodie der Schwarzweiß-Sitcom Die Addams Family, die in den 90ern zwei Kinofilme mit dem Dream-Team Raul Julia und Anjelica Huston nach sich zog. Und die nicht minder skurrile OmU-Serie The Munsters, die später dann nachkoloriert und synchronisiert wurde. Ein Leckerbissen der frühen Vorabendserie – meist aber, zumindest im österreichischen Rundfunk, spätabends ausgestrahlt. Mit kindlicher Lust am Parodieren hatten beide Fernsehformate den sozialen Mikrokosmos Familie am Kieker. Familie – das ist medial gesehen in den meisten Fällen so etwas Ähnliches wie eine Freakshow. Nirgendwo sonst bringt das Zusammenleben unterschiedlicher Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Eigenheiten so viel Wahres über das Verhalten des Menschen in der Gemeinschaft ans Tageslicht wie in einer Familie. Da geht’s nicht nur um Liebe, Vertrauen, Respekt, Ordnung und Aufgabenteilung. Da geht’s auch, überspitzt gesagt, um das ganz persönliche Über-Leben als Individuum. In heilloser Überzeichnung wird jede oder jeder Einzelne zum unverwechselbaren Freak mit ganz eigenen Vorzügen oder Schwachpunkten. Genauso – ob mit Handpuppen beim Psychotherapeuten oder als Gruselikone in Film und Fernsehen – lässt sich in der Familienaufstellung optisch klar abgegrenzt am Leichtesten Stellung beziehen.

Der deutsche Schriftsteller David Safier hat in seiner Fantasysatire Happy Family die Alltagsleiden und Defizite einer Durchschnittsfamilie namens Normalverbraucher mit Addams Family und The Munsters auf einen Nenner gebracht. Gelesen habe ich das Buch selbst nicht – der Film, so dachte ich mir, muss reichen. die Entscheidung war richtig. Die etwas an den Haaren herbeigezogene Mär von Dracula, der unter Zuhilfenahme einer rumänischen Hexe Hausfrau und Mutter Wünschmann zum Vampir mit Seele mutiert sehen will, um nicht allein zu sein, ist entweder als Film oder als Buch so ziemlich auserzählt. Urmel-Regisseur Holger Tappe hat die turbulente, aber enorm konfuse Komödie abgedroschenen Familienklischees unterworfen, die maximal Erkennungs – und Übertragungswert auf das eigene Vater-Mutter-Kind-Gefüge haben, jedoch nicht wirklich das Zwerchfell erschüttern.

Happy Family fehlt Bodenhaftung, eine gewisse ernsthafte Ruhe zwischendurch, die das Thema abverlangen würde, und eine Grenze fürs wilde Fabulieren nach oben hin. Tappes Verfilmung ufert aus bis zur Belanglosigkeit und schafft es nicht, einen eigenen Stil zu finden. Happy Family will so sein wie Ich – Einfach unverbesserlich. Will so sein wie Illumination. Das erkennt man an der Gestaltung der Figuren. Kantig und spitznasig. Glasig-große Augen und spindeldürre Körper. Merkmale von Gru und Co. Auch die hysterische Art des Erzählens, des Slapsticks und der Kalauer hart an der Schmerzgrenze lassen vermuten, dass die Welt der Minions und die Welt der Wünschmanns ein und dieselbe ist. Ob das beabsichtigt war, wage ich zu bezweifeln.

Happy Family

Valerian – Die Stadt der tausend Planeten

SHAKEHANDS IM WELTRAUM

7/10

 

valerian

REGIE: LUC BESSON
MIT CARA DELEVIGNE, DAN DEHAAN, CLIVE OWEN, ETHAN HAWKE, RIHANNA

 

Am Anfang war nur ein Händeschütteln, ein simpler Willkommensgruß. Höflich, respektvoll. Hunderte Jahre später ist es ein Schmelztiegel aus mindestens zweitausend nebeneinander und miteinander lebender Lebensformen, die das Städtekonglomerat Alpha bewohnen. Und es wird größer, immer größer. Ein Ballungsraum, dem aber glücklicherweise nie der Platz ausgehen wird, so sehr das Gebilde noch expandieren mag. Alpha – das ist der Traum eines funktionierenden, intakten Babels. Eine Welt tausender Sprachen und Dialekte. Ein amorphes Konstrukt des Friedens, ein künstlicher Planet. Keine Ringwelt wie bei Larry Niven´s Romanidee, dafür aber ein stählernes Geoid. Ein Himmelskörper mit unzähligen Hohl- und Zwischenräumen. Die Stadt der tausend Planeten ist zu schön, um wahr zu sein. Aber was schön und fern des Realen zu sein scheint, dem geben sich Science-Fiction-Fans mit Hang zum phantastischen Fabulieren nur allzu gerne hin. (Fans von Star Wars zum Beispiel. Oder den Guardians of the Galaxy.) Und endlich hat das Kino wieder neues, erfrischendes Augenfutter für Freunde des Phantastischen im Programm.

Nach dem Weltraumklassiker Das fünfte Element hat sich der schreibwütige Kultregisseur Luc Besson den Comics von Valerian & Laureline (auf Deutsch: Valerian & Veronique) angenommen. Lange zögernd, ob diese Geschichten überhaupt verfilmbar wären, hat frühestens James Cameron´s Avatar den Startschuss für eine konkrete Realisierung gegeben. Wenn es gelingt, wie in dem Motion-Capture-Planetenepos komplette Welten entstehen zu lassen, dann dürfte Valerian eigentlich auch kein Problem mehr sein. Gesagt getan – rund 8 Jahre später beeindruckt der französische Weltraumzirkus mit überbordendem Einfallsreichtum, üppigen Welten und jeder Menge Kreaturen jenseits des zu Erwartenden. Wenn ein Film mit der Artenvielfalt eines Star Wars-Universums mithalten kann, dann Valerian. Hier treiben sich nicht weniger Wesen herum wie in den Cantinas zwischen Tatooine und Coruscant. Oder in der geheimen Basis der Men in Black. Wer die Qualität eines Filmes am Einfallsreichtum misst, der sich in den Figuren, Details und Settings widerspiegelt, kann sich auf ein verblüffendes, schwelgerisches Meisterwerk gefasst machen, dass von Lebensräumen und Lebensweisen erzählt, die jede für sich ein eigener Film wert wären. Da gibt es riesige, gepanzerte Seekühe, die in Symbiose mit telepathischen Quallen leben. Da gibt es Gürteltier-ähnliche Wesen, die alles, was sie zu fressen bekommen, multiplizieren können. Oder Tick, Trick und Track des Universums, die als gut bezahlte Informanten durch Alpha spazieren. Besson setzt in seinem neuen Film – womöglich der Anfang einer Filmreihe, je nach Kassenerfolg – die Latte noch höher als beim fünften Element.

Das Schicksal des Volkes der wachshäutigen, hochgewachsenen Pearls ist das Herzstück von Valerian. Mit viel Liebe zum Detail skizzieren Besson und sein Team eine intelligente Ethnie zwischen Massai und Na´vi, die ähnlich um ihre Existenz kämpfen muss wie die blauhäutigen Riesen auf der Dschungelwelt Pandora. Um diese humanoide Katastrophe herum entspinnt sich ein rasantes Agentenabenteuer, das zwar charmanter, barocker und verspielter, aber weniger chaotisch und zynisch daherkommt wie die Guardians of the Galaxy. Und da liegt vielleicht auch das einzige Handicap des seit dem ersten Kinotrailer gespannt erwarteten Filmes. Ein Handicap, dass Marvel´s unendliche Kinoweiten nicht hat. Valerian fasziniert aufgrund seiner fremdartigen Völker – aber weniger aufgrund seiner Hauptdarsteller. Cara Delevigne, extravagantes Model und IT-Girl, passt sowohl Raumanzug als auch sommerliche Touristenkluft. Sicher eine interessante Besetzung, und überzeugender als ihre Hexen-Performance in Suicide Squad. Aber bei weitem nicht so exaltiert und spielfreudig wie die blutjunge Milla Jovovich an der Seite von Blondschopf Bruce Willis. Womit wir schon bei seinem Erben wären – Dane DeHaan. Mag der Junge noch bei Chronicle denkwürdige Superkräfte entwickelt haben – in Valerian bleibt er als Vertreter seiner Gattung Homo sapiens ziemlich farblos. Delevigne und DeHaan zusammen erinnern an Jennifer Lawrence und Chris Pratt aus Passengers. Auch bei diesen beiden hätte es zwar laut Drehbuch knistern sollen. Im fertigen Film blieb davon aber wenig über. In Valerian gebärden sich die beiden Superagenten nicht anders als zwei Collegefreunde, die für ein Schulprojekt recherchieren müssen. Sich gegenseitig triezend, küssend und schmollend wirbeln sie durch die Straßenschluchten der schwebenden Stadt und bemühen sich, mit Starlord und Co Schritt zu halten. Sie bleiben doch einige Lichtminuten hinter den Erwartungen zurück, was Luc Besson mit seiner bestechenden Optik zu kompensieren versucht.

Auf der Habenseite bleibt Valerian also ein süchtig machender, wenn auch manchmal etwas zu synthetischer kreativer Genuss, von dem man immer mehr haben will. Auf der anderen Seite ist die Weltraum-Freakshow an fremden Physiognomien und Moden ein Abenteuer, dessen Figuren aus dem Rechner mehr Persönlichkeit haben als die realen Stars, was nicht unbedingt zum Vorteil gereicht. Mit Ausnahme des genialen Cameos von Ethan Hawke. 

Valerian – Die Stadt der tausend Planeten

Ich – Einfach unverbesserlich 3

DIE TIC TAC-TAKTIK

8/10

 

Ich3

REGIE: PIERRE COFFIN, CHRIS RENAUD
MIT DEN STIMMEN VON STEVE CARRELL, CHRISTEN WIIG

 

Erst vor Kurzem habe ich ein Interview gelesen, welches das Filmmagazin cinema mit dem Mastermind der Illumination-Studios, Chris Meledandri, geführt hat. Der knapp 60jährige Kreativkopf ist Schöpfer bekannter Trickfilmikonen der letzten zehn Jahre wie das Urzeithörnchen Scrat oder die hyperaktiven gelben Tic Tacs, genannt Minions. Mit letzteren hat er eine globale Franchise vom Zaun gebrochen. Die quäkenden, quengelnden, unverschämt schadenfrohen Helferleine zieren von der Kaffeetasse bis zur Bettwäsche Waren aller Art. So nah am popkulturellen Signet ist kaum eine Figur aus den neuzeitlichen Animationsschmieden von Übersee – maximal noch der Clownfisch Nemo. Dennoch, so betont, Meledandri, ist es stets oberstes Gebot von Universal und Illumination, keinesfalls Disney und Pixar nachzueifern. Nicht mal im Traum sei daran zu denken, auch nur ansatzweise mit den Stilmitteln der übergroßen Konkurrenz zu liebäugeln. Also zieht Illumination seit Beginn an ganz andere Saiten auf. Schrillere, kantigere, mitunter auch schwarzhumorige Saiten. Paradezyniker wie Gru finden sich bei Disney vergebens. Dort ist alles charmant, schrullig oder liebevoll verzogen – bei Meledandri und seinem Team bürstet man Klischees gegen den Strich und lässt seine Anti-Helden ab und an mit blauem Auge davonkommen. Bei all diesem Handkantencharme und Hang zu galligen Parodien wären Tom & Jerry oder etwa Tex Avery´s notgeiler Wolf bei Illumination viel besser aufgehoben als bei Disney. Das sollte man als Kinogeher wissen – auch wenn man seinen Nachwuchs mitnimmt.

Bei Ich – Einfach unverbesserlich 3 geht es ganz einfach laut zu. Und unglaublich rasant. Wer die ersten beiden Teile von Gru´s Abenteuern nicht kennt, wird ohne Umschweife ins Geschehen katapultiert. Action, soweit das Auge reicht. Slapstick zum Abwinken. Und bunt, bunt, bunt. Doch noch nie zuvor war der Plot so kauzig, augenzwinkernd und spannend wie im dritten Teil des Superagentenknallers. Im Hinblick auf die immer schwächer gewordenen Fortsetzungen von Ice Age war ich fest der Überzeugung, dass der Ich – Einfach unverbesserlich-Reihe ähnlich die Luft ausgehen wird. Hohe Erwartungen sind es also keine gewesen. Vielleicht hat mich der neue Animationszirkus aber gerade deswegen so überzeugt?

Der meiste Witz liegt in der Konfrontation von Gru und Dru. Der stets in Weiß gekleidete Schlagerstar-Verschnitt mit der Hansi Hinterseer-Gedächtnisfrisur ist neben den üblichen Verdächtigen das Herzstück des Films. Da hat sich Illumination ins Zeug gelegt. Obwohl die Figur genauso aussieht wie der glatzköpfige Ex-Bösewicht und Ziehvater Gru, ist sein Verhalten ein grundlegend anderes. Die beiden passen trotz ihrer Ähnlichkeit gar nicht zueinander, und die dauernden Eifersüchteleien und ihr gemeinsamer Coup erinnern an Depardieu und Richard in ihren besten Zeiten. Allerdings geht es noch schräger: der rachsüchtige, in den 80ern steckengebliebene Bubble Gum-Bösewicht mit Halbglatze und Rotzbremse ist gleichzeitig so abstoßend wie faszinierend. Seine Seitenhiebe und Reminiszenzen an die gute alte Zeit der Schulterpolster, Discokugeln und Rubik-Würfel geht zwar am jungen Publikum spurlos vorbei, dafür begeistert es die Elternschaft. Somit hat jeder, was er braucht, um Spaß zu haben. Und dennoch bleibt die Story auf der Spur, obwohl sie mehrere Nebenschauplätze liefert, die so gar nicht notwendig gewesen wären. Auch wenn die gelben Wichte dem Film lediglich in einer Parallelhandlung folgen – der Bühnenauftritt der Minions auf der Sing-Bühne ist jetzt schon Kult.

Ich – Einfach unverbesserlich 3 ist seit Langem das Beste, was Illumination hervorgebracht hat. Ein krawalliger Spaß, hektisch zwar und unverbesserlich albern, aber irgendwie packend und voller verhaltensauffälliger Persönlichkeiten. Niemand ist hier normal, und gerade das macht den Film so unerwartet sympathisch.

Ich – Einfach unverbesserlich 3

Jack und das Kuckucksuhrherz

DEIN IST MEIN GANZES HERZ

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kuckucksuhr

Wer sagt, dass nur Disney, Pixar und Sony computergenerierte Animationsfilme machen können? Zugegeben, das amerikanische Triumvirat der digitalen Kinounterhaltung ist nicht nur Marktführer, Bestverdiener und künstlerisch betrachtet die Creme de la Creme im Rahmen seiner Zunft. Aber Europa hat da auch etwas zu sagen. Zumindest bemüht es sich, mit den Virtuosen jenseits des Atlantiks mitzuhalten. Und das scheint tatsächlich zu gelingen. Wobei es dabei nicht um die Fertigkeit der zum Leben erweckten Welten geht. Da haben die Amerikaner den Vogel bereits abgeschossen. Europa kompensiert sein Nachzüglertum wohl mit etwas ganz Anderem. Während die eingangs genannten Produktionsschmieden stilistisch gesehen immer auf dasselbe Pferd setzen – typisch für Disney – zeigen die Filmkünstler der EU deutlich mehr Mut zur Variation und kompensieren ihr Defizit mit ungewöhnlicher Optik und ausgefallenem Charakterdesign. Einer dieser jüngeren, von Luc Besson produzierten Filme ist die Nacherzählung eines Märchens um einen liebeskranken Jungen, dessen Herz dem einer Kuckucksuhr gleicht und den Dienst versagt, sobald aus gelegentlicher Schwärmerei für Mädchen deutlich mehr wird.

Luc Besson hat bereits mit den spitzohrigen Elfenabenteuern Arthur und die Minimoys seine Liebe fürs virtuelle Kino entdeckt, nun darf die französisch-belgische Co-Produktion unter der Regie von Mathias Malzieu, Leadsänger der französischen Kultband Dionysos, auf seine finanzielle Unterstützung bauen. Mathias Malzieu selbst hat die romantisch-verwunschene Geschichte verfasst und seinen ganz eigenen, persönlichen Film dementsprechend bebildert und ausgestattet. Das Verwunderliche ist: auf den ersten Blick sieht Malzieu´s Film nicht so aus, als wäre er aus dem Computer. Seine Figuren und die Beschaffenheit der Kulissen deuten auf ein aufwändiges Stop-Motion-Märchen in der Machart der Laika-Studios hin. Einflüsse von Tim Burton und Pop-Up-Büchern, die um die Jahrhundertwende entstanden sind, kann man kaum übersehen. Was aber wie eine Mischung aus skurril-rüschenhafter Darbo-Werbung und Martin Scorsese´s Hugo Cabret wirkt, ist ganz und gar digital gerendert. Einen analogen Filmtrick zu imitieren ist ein Stilmittel, das freilich seinen Reiz hat. Jack und das Kuckucksuhrherz gleicht einem Kasperltheater für Erwachsene aus den Jahrmärkten des viktorianischen Zeitalters, als man Elefantenmenschen und Kleinwüchsige noch zur Schau stellen durfte.

Der bunte, melancholische Puppenzirkus hat aber leider so seine Probleme. Und das beginnt bei der Marionettenhaftigkeit der Figuren, die, langbeinig, feingliedrig und mehr oder weniger frei von herzerwärmender Mimik ihre schmerzvoll-verliebte Gechichte erzählen müssen. Anders als bei Mein Leben als Zucchini, in welchem die abstrahiert dargestellten Kinder zumindest durch ihre übergroßen Augen einen tiefen Blick in die Kinderseele gewähren, fehlt bei Jack und das Kuckucksuhrherz das emotionale Portal, welches den Zuseher auf die emotionale Ebene des Märchens gebracht hätte. Nun, denkt man sich, mit dem passenden Score und den einen oder anderen Gesangsnummern lässt sich schon eine gewisse Stimmung erzeugen. Mathias Malzieu hat aber einen derart persönlichen Film gemacht, dass er diesen auch mit seiner eigenen Musik unterlegen hat müssen. Der Musikstil von Dionysos passt zu seinen fragilen Marionetten wie die Faust aufs Auge, oder wie AC/DC zu Stolz und Vorurteil. Mit dem aufgeregten Score macht er es dem Zuseher noch um einiges schwerer, Zugang zu dem eigenwilligen, hochstilisierten Theater zu finden, wenn schon die hölzernen Gesichter dies nicht bewerkstelligen können.

Die Disharmonie innerhalb des Filmes könnte manch einer natürlich als künstlerisches, unerwartetes Novum betrachten und freudvoll beklatschen. Manch einer aber, so wie ich, könnte angesichts dieses fehlenden Gespürs des Regisseurs den phantastischen Liebesfilm als ein zwar visuell interessantes, aber etwas starres und schwer zugängliches Werk betrachten, das sichtliche Probleme damit hat, den Wünschen und Ansprüchen von Universalkünstler Malzieu gerecht zu werden. Wieder mal ein Film, der zeigt, wie schwierig es ist, alles alleine machen zu wollen.

 

 

Jack und das Kuckucksuhrherz

Vaiana

PARADIES NACH PLAN

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Vaiana

Sommer, Sonne, Strand und Meer – Begriffe, die zum Träumen einladen und das Fernweh nähren. Ein Film, der im ewigen Paradies spielt und mit Palmen, Korallen und Südseerhythmen punkten möchte, kann kein Ladenhüter sein. Zumindest geht Disney mal davon aus und setzt alles auf eine Insel. Eine Insel im Stillen Ozean, vielleicht Samoa, vielleicht Vanuatu oder Hawaii, jedenfalls ein Paradies voller Südeseegottheiten und Legenden. Paul Gauguin wäre entzückt gewesen. Wenn sich die perfekt animierte Inselwelt zu herrlich verklärenden Chören von ihrer Schokoladenseite präsentiert, feiern die Glücksbotenstoffe fröhliche Urständ und das Leben wird um einige Nuancen bunter, abenteuerlicher und farbenfroher. Ganz so präsentiert sich das warmwassergebadete, dramatisch-humorvolle Südseemärchen und hat nichts Anderes vor, als in den Fußstapfen der Eiskönigin einen ebensolchen Erfolg einzufahren wie die klirrend kalte Schwester im hohen Norden. Das Problem dabei ist – man merkt es dem Film Vaiana jede Minute an.

Wenn Disney seinen Erfolg so vehement durchkalkuliert, bleibt von der Spontaneität und Natürlichkeit einer filmischen Erzählung nichts mehr übrig. Die Produktionen werden austauschbar, schablonenhaft und klar erkennbar aus kommerziell erträglichen Versatzstücken zusammengeschustert. Das Mädchen Vaiana mag sich zwar anders verhalten als ihre aschblonde Schwester Prinzessin Elsa, in groben Zügen aber sind beide vom gleichen Schlag. Großäugige, ranke und schlanke Mädchen aus dem Computer, die sich als konstruiertes Alter Ego in den Köpfen kleiner Mädchen häuslich einrichten. Nutzt es nichts, so schadet es auch nichts. Das erste Idol im Leben beginnender Grundschüler ist geboren. Ob Vaiana das gleiche Zeug dazu hat, wird sich erst im Merchandising- und Retail-Sektor zeigen. Allerdings hat Disney zu Zeiten der Eiskönigin ein weitaus höheres Budget für bedruckten Krimskrams aller Art zur Seite gelegt. Von Vaiana bleibt vielleicht nur buntes Polyester-Bettzeug. Und auch das alles dominierende, zentrale Solo der zarten Südseeschönheit will um jeden Preis an Idina Menzels wunderbar gesungenem und allen Eltern bis zum Nimmerhören bekannten Let it Go anschließen. Zurecht oscarprämiert, hat die kraftvolle Selbstbekenntnis Elsas auch beim wiederholten Male das Zeug zum Gänsehautklassiker. Tatsächlich erzielt der Song Far I´ll go einen ähnlichen Effekt. Für romantisch-sehnsüchtige Balladenliebhaber eine Sternstunde des Schmachtens und Träumens. In der deutschen Synchronisation übrigens gesungen vom wohl am meisten polarisierenden Schlagerstar der letzten Jahre – Helene Fischer. Eine Dame mit guter Stimme, von der man nie weiß, ob sie das, was sie singt, selbst gerne hört. Jedenfalls muss ihr Ich bin bereit – so die deutsche Übersetzung – mit Sicherheit gefallen. Uns – oder mir – gefällt es. Und dann gibt’s da noch den schrulligen Helden voller lebhafter Tattoos, eine Karikatur aus IZ Kamakawiwo’ole und Dwayne „The Rock“ Johnson. Sympathisch, tapfer und – wie bei Disney üblich – von liebenswertem Charakter. Verwunderlich sogar, dass eine Hommage an den leider verstorbenen, schwergewichtigen Insulaner, der Judy Garland´s Over the Rainbow wieder salonfähig machte, gänzlich ausbleibt. Und die schielende Intelligenzbestie von Huhn sorgt auch bei Kindern jüngeren Alters, die sich mit den älteren Geschwistern ins Kino verirren, für Lacher. Somit ist die ganze Familie bedient und alles gut durchdacht. Schablonenhaft, wie ich schon sagte.

Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Und man ahnt natürlich schon von Anbeginn an, wie es enden wird. Spannend ist was Anderes – zumindest für Erwachsene. Dennoch, und allen kritischen Bemerkungen meinerseits zum Trotz, wissen die Macher von Vaiana haargenau, was das Publikum berührt, belustigt und Freude bereitet. Das Südseeabenteuer ist perfekt, und hat von allem etwas. Genauso wie es sein soll, und das aber ohne Überraschungen.

 

 

 

Vaiana

Trolls

EIN FALL FÜR DIE TROLLFAHNDUNG

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trolls

Glück kann man nicht essen. Und das gibt’s auch nicht in kleinen, pharmazeutischen Dosen, abgepackt in Form von farbenfrohen Wichteln, die sich Trolls nennen, und eine erstaunliche Vorliebe für Cupcakes, Singen und Kuscheln an den Tag legen. Tatsächlich handelt das allem Anschein nach superkitschige Märchen von ewig partyschmeißenden, knapp zehn Zentimeter großen Gnomen, die von griesgrämigen Riesen namens den Bergen unentwegt gejagt, gefangen und verputzt werden, um durch die orale Einnahme der sorgenfreien Radaubrüder den Rhythmus des immerfröhlichen Lebens zu verspüren. Wenn man sich den Placebo-Effekt lange genug einredet, so kann’s passieren, dass das Ergebnis wie erwartet eintritt. Ein bisschen erinnert die Vorgehensweise der ogerartigen Riesen das an jene kannibalischer Völker aus Neuguinea oder Borneo, die durch den Verzehr besiegter Feinde deren Seele in sich aufzunehmen glaubten. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. Nicht aber in jenem Land, wohin uns diese zauberhafte, quirlige Animationsfantasy entführt.

Mädchen und Jungs dürften von Trolls gleichermaßen begeistert sein. Und auch wenn alles auf eine verkitschte Kommerzhysterie hindeutet – die Erwachsenen werden staunen, was alles zwischen Cupcakes und Regenbogen sonst noch Platz hat. Nämlich allen voran eine kluge Geschichte, die den Vergleich mit anspruchsvollen Kindergeschichten im Stile von Mira Lobe nicht zu scheuen brauchen. Freilich, Kitsch ist genug vorhanden. Die Farbe Rosarot verursacht genauso Augentränen wie farbexplodierende Feuerwerke, funkelnde Glitzertrolle und allerhand quietschbunter Fantasiewesen in einer Mischung aus Plastilin und Filzbastelei. Andererseits aber, und das hätte man kaum hinter diesem Film vermutet, finden sich die haarprächtigen Kerlchen in einem düster-bizarren Filmkosmos ähnlich eines Tim Burton wieder. Die Welt der Bergen erinnert stark an den Laika-Puppentrickfilm Die Boxtrolls. Vor allem die Optik erinnert zeitweise an Stop-Motion, auch dank der Beschaffenheit filz- und stoffartiger Landschaften. Manch eine Kreatur könnte aus Nightmare before Christmas in die kindliche Welt von Dreamworks hinübergerutscht sein. Der Mix des Filmes macht es aus, dass wir es hier tatsächlich mit einem gelungenen Stück Kinderkino zu tun haben, das zugleich spannend, weise und überaus komisch ist. Vor allem die Figur des unansehnlichen, aber drolligen Bergen-Zimmermädchens Bridget ist ein greifbarer, berührender Charakter geworden, voller Sehnsüchte und Selbstzweifel. Wenn das Mädchen dann unter ihrem wallenden Trolls-Haar und in Plateauschuhen ihrem geliebten Prinzen gegenübertritt (übrigens mein Favorit), werden Erinnerungen an John Waters Musical Hairspray wach. Dieses Switchen zwischen verspielter Lieblichkeit und einem bizarren Mut zur Hässlichkeit macht den Reiz des Filmes aus, weniger die neuinterpretierten Ohrwürmer aus den 80ern.

Trolls sprüht vor Elan und entführt die ganze Familie auf eine abenteuerliche Sinnsuche zwischen Gefressen werden und Glückshormonen. Und die magischen, enorm belastbaren Frisuren der kleinen Wesen lassen den Drei-Wetter-Daft von Schwarzkopf reichlich alt aussehen.

Trolls