10 Cloverfield Lane (2016)

MIT QUERDENKERN IM BUNKER

8/10


10-cloverfield-lane© 2016 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2016

REGIE: DAN TRACHTENBERG

DREHBUCH: JOSH CAMPBELL, MATTHEW STUECKEN & DAMIEN CHAZELLE

CAST: MARY ELIZABETH WINSTEAD, JOHN GOODMAN, JOHN GALLAGHER JR., SUZANNE CRYER, DOUGLAS M. GRIFFIN, BRADLEY COOPER U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Dass New York von einem Monster heimgesucht wurde, versetzte damals so einige, denen virale Kampagnen für Filmproduktionen nicht so bekannt waren, in Angst und Schrecken. So, wie Matt Reeves seinen Found Footage-Schocker Cloverfield promotet hat, wurde damals nur die vermeintlich reale Hexe aus Blair Witch. Fake also, noch weit vor KI – und umso effektiver. Dabei war nicht nur die PR bahnbrechend, sondern auch der Film selbst. Knackig, panisch, beklemmend und dicht. Die stete Abwesenheit des Aggressors schürte noch dazu die eigene Fantasie, wie damals, in Ridley Scotts Alien. Interessantes Detail am Rande: Der Film hört genau zur selben Uhrzeit auf, wie er begonnen hat.

Cloverfield wird als Code-Begriff des Militärs für paranormale Begebenheiten angewandt, zumindest in dieser von J. J. Abrams produzierten Trilogie, die eigentlich nur lose miteinander zusammenhängen, scheinbar wenig gemeinsam haben, und doch allesamt einer Ausnahmesituation gegenüberstehen, deren Umfang sich eigentlich nie begreifen lässt und deren Ursache und Wirkung niemand kennt. In der Verzweiflung des Menschen, keine Erklärung für das zu finden, was er sieht, und das, was er sieht, nicht willentlich ist, zu glauben – darin liegt die Intensität vor allem, von Cloverfield – und auch von 10 Cloverfield Lane.

Auch A Quiet Place lässt die wehrlose Menschheit dumm sterben, wenn sie denn zu viel Lärm macht. In Bird Box erfährt man noch weniger von den Dingen, die sich abspielen – völlig im Dunklen tappt hier die Welt. In 10 Cloverfield Lane von Dan Trachtenberg (Prey), das wie gesagt als Sequel zu Matt Reeves Katastrophenfilm funktionieren kann, aber nicht muss, haben weder das Publikum noch die drei Protagonisten im Film keinerlei Ahnung – und vor allem: keinerlei Gewissheit darüber, was da oben abgeht – sitzen doch alle drei in einem penibel eingerichteten Bunker, der alle Stückchen spielt und so eingerichtet ist wie ein Wochenendbungalow, mit jeder Menge an Vorräten, fließend Wasser und elektrischem Strom vom Generator.

Die Grundsituation des Films ist schnell erklärt: Mary Elizabeth Winstead gibt hier Michelle, die nach einem Autounfall in den heiligen Hallen von Querdenker Howard erwacht. Der verbietet ihr zu gehen, schwört er ihr doch hoch und heilig, sie vor dem Untergang gerettet zu haben; vor der Apokalypse aus Radioaktivität oder Giftgas oder was auch immer. Entweder waren es die Russen oder die Nordkoreaner oder etwas ganz anderes will sich den Planeten unter den Nagel reißen – würde man selbst dieser übereifrigen Autorität, die John Goodman fernab seines komödiantischen Potenzials mit einer gefährlichen Jovialität verkörpert, Glauben schenken. Wie quälend ist der Gedanke, nicht genau zu wissen, ob Goodman wohl recht hat oder nicht? Michelle ist hin und hergerissen, aber tendiert eher zur Flucht, die sich nicht so leicht umsetzen lässt. Darüber hinaus ist da noch Emmett, einer, der sich freiwillig in den Schutz von Howard begeben hat, denn er hat das rote Licht gesehen, das da plötzlich aufgegangen war.

Wie 10 Cloverfield Lane mit den Vermutungen spielt, ist Suspense-Kino, wie man es selten sieht. Einerseits könnte Howard ein aufrichtiger Gutmensch sein, der weiß, wovon er spricht. Allerdings könnte er auch ein Psychopath sein, der weiß, wovon er spricht. Oder doch ein heillos überforderter Querdenker, der es ehrlich meint, aber in Wahrheit keine Ahnung hat. Trachtenbergs Film, an welchem auch Damien Chazelle mitgeschrieben hat, füttert sein Bedrohungsszenario mit den Werten von Vertrauen und Verlässlichkeit, bis nichts mehr übrig scheint. Es nährt sich von der Kehle zuschnürenden Angst, im Informationszeitalter ohne Informationen auszukommen und sich nur auf Vermutungen verlassen zu müssen, die man um alles in der Welt selbst einer Überprüfung unterziehen will. Die Wahrheit wird zum höchsten Gut und ist mehr wert als die eigene Gesundheit. Diese Metaebene gibt 10 Cloverfield Lane eine ungeahnte Tiefe, streut noch dazu Story-Twists ein und setzt die Benchmark für ein straffes Kammerspiel ohne leere Worthülsen neu.

Zuviel auf den Film darf ich hier aber auch nicht eingehen. Der größte Spaß ist dabei, so ahnungslos wie möglich in den bunker zu wandern. Da ich aber ungefähr wusste, wie die ganze Sache ausgeht, haben mich all die Wendungen zumindest nicht eiskalt erwischt. Und dennoch: Auch wenn man schon so eine Ahnung hat, ist es immer noch ein großer Unterschied, den Film selbst zu sehen als gespoilert zu bekommen, mit all seinen auf Konfrontation angelegten Figuren, aus denen sich so viel mehr entwickelt, als man hätte ahnen können. Und ja: Ahnen heißt nichts wissen. Doch Wissen ist Macht.

10 Cloverfield Lane (2016)

Kate

TOTGESAGTE BALLERN LÄNGER

4/10


kate© 2021 Netflix

LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: CEDRIC NICOLAS-TROYAN

CAST: MARY ELIZABETh WINSTEAD, WOODY HARRELSON, MIKU MARTINEAU, MIYAVI, JUN KUNIMURA, TADANOBU ASANO, MICHIEL HUISMAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Was Actionheldinnen und -helden heutzutage alles an Schmerzen ertragen müssen, ist wirklich nicht mehr als menschlich zu betrachten. Mit seinen Blessuren und offenen, blutenden Wunden wäre Norman Nordstrom aus Don´t Breathe schon längst jemand, auf dessen Sims man Blumen stellt, und auch John Wick wäre nach Sequel Nr. 2 nur mehr ein Häufchen gebrochener Knochen. Wer Nobody mit „Saul“ Bob Odenkirk gesehen hat, vermutet vielleicht eine ungesunde Form von Analgesie. Actionhelden müssen bluten, mit Ausnahme von Jason Statham oder Chuck Norris, aber sonst – sonst müssen sie alle aus dem letzten Loch pfeifen, sich nochmal und nochmal aufrappeln und Energien aus der Reserve zaubern, die man gerne hätte, um zumindest den Arbeitsmontag gut zu beginnen.

Geerdet hat das Bild vom heldenhaften Schmerzensmann Bruce Willis, barfuß im Nakatomi-Plaza – verschwitzt, verdreckt, blutend. Das andere Ende davon verkörpert nun Mary Elizabeth Winstead – vergiftet, will heißen: todkrank, blutend, von Hämatomen übersät und so lädiert wie ein VW Käfer nach einem Auffahrunfall. Dabei hat für die toughe Killerin, die das Knowhow fürs Morden und Töten schon im Schulranzen herumtrug, ihr Handwerk gut gelernt und auch sonst gute Karten. Schon deswegen, weil der väterliche Freund und Mentor Woody Harrelson alles Administrative erledigt. Kate muss also nur abdrücken. Doch das will sie nicht mehr länger tun müssen – sie will raus aus dem Geschäft. Wir erinnern uns: John Wick ist damals auch ausgestiegen, Jessica Chastain in Code Ava ebenso. Doch so einfach geht das nicht, das weiß man, wenn man ein oder zwei Killer-Thriller bereits gesehen hat. Kurz bevor das normale Leben also beginnen kann, gibt’s den Giftcocktail mit Polonium 204. Da gibt’s kein Gegenmittel, da stirbt man, während sich die Organe zersetzen. Was Kate aber vor ihrem Ableben zumindest noch erreichen will (bevor sie – Gott bepüte – als Geist mit unerfüllten Aufgaben durch die Gegend spukt): dem Verursacher dieses Attentats zur Rechenschaft ziehen.

Kate von Visual Effects-Profi Cedric Nicolas-Troyan (Fluch der Karibik 2, The Huntsman and the Ice Queen) trägt mindestens so dick auf wie Chad Stahelskis John Wick-Trilogie. Die Killer von heute sind Berserker, die beim Töten anderer, wildfremder Menschen nicht das Geringste empfinden. Emotional und auch sozial also enorm verkümmert – dank solcher Defizite kann man sich vor dem Screen also gemütlich zurücklehnen und einer kaltschnäuzigen Winstead dabei zusehen, wie sie sich durch ein verkitschtes, rosa-lila-flirrendes Tokyo ballert und sticht, dabei immer wieder ob ihres Gesundheitszustands doch auch zusammenbricht, um dann wieder durchzustarten, dank dosierter Energiespritzen, die sie sich in den Schenkel jagt. Kate ist am Ende noch kaputter als Keanu Reeves es jemals war, doch seltsamerweise, trotz des illustren Bodycounts, dem Medienoverkill kolportiert entertainmentsüchtiger Jungjapaner und zahlreichen Actionsequenzen ergeht sich der Streifen in austauschbarer Langeweile. Vielleicht, weil man alles schon gesehen hat, weil die Coolness, die Winstead zur Schau trägt, so aufgesetzt wirkt. Weil Woody Harrelson ebenfalls vor lauter Langeweile nicht weiß wohin mit seiner Fachkenntnis. Weil dann auch noch dieses beschützenswerte obligate Kind plötzlich mit dabei sein muss. Nicht schon wieder, denke ich mir. Sehe diesen rosa-lila Manga-Look und stelle fest, dass nicht jeder, der beim Film dabei ist, gleich auch Filmemachen kann.

Kate

Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn

ZOFF AUS VILLA KUNTERBUNT

7/10

 

birdsofprey© 2020 Warner Bros.

 

LAND: USA 2020

REGIE: CATHY YAN

CAST: MARGOT ROBBIE, EWAN MCGREGOR, MARY ELIZABETH WINSTEAD, ROSIE PEREZ, ALI WONG, JURNEE SMOLLETT-BELL, CHRIS MESSINA U. A. 

 

Was wäre eigentlich aus Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf geworden? Wir wüssten es, hätte die schwedische Kinderbuchautorin jemals über die Zukunft ihres Rotschopfs auch schriftlich nachgedacht. Vielleicht hat sie das, ich weiß es nicht. Aber falls nicht, so könnte ich mir vorstellen, dass Pippis Zukunft womöglich durchaus jener von Psychiaterin Harlinn Quinzel geähnelt hätte. Vorausgesetzt natürlich, Pippi wäre mit Mitte Dreißig immer noch so von infantiler Anarchie beseelt gewesen wie sie es zu ihrer Kindheit war, völlig autark in ihrer Villa Kunterbunt residierend, mit Affe und Pferd, während sie die örtliche Exekutive permanent an der Nase herumführt. Harley Quinn allerdings hat zwar kein Pferd, aber immerhin eine Hyäne, die sich durchaus gern an Menschen vergreift. Die Gespielin vom Joker (allerdings des Jokers aus dem Suicide Squad-Universum, nicht aus jenem von Tod Phillips) ist, wenn man so will, eine Art Feedback bei dem Versuch, sich vorzustellen, was Pippi als Erwachsene wohl für einen Radau machen könnte. Der Grund dafür war bei Harley Quinn der Korb vom Joker. Aus ist´s mit der Bonnie & Clyde-Masche, Wahnsinn im Doppelpack. Ohne den Dauergrinser ist Quinn gar nicht mehr so auffallend durchgeknallt. Neben der Spur auf alle Fälle, aber zumindest kommen da viel deutlicher ihre nerdigen Ecken und Kanten zum Vorschein, die irgendwie sympathisch sind. Das findet natürlich „Obi-Wan“ Ewan McGregor gar nicht, der mit garstiger Spielfreude den Antagonisten ekelhaft fies anlegt. Harley Quinn ist ihm, da nun solo, ein Dorn im Auge, Gründe dafür gibts viele. In diesem dampfenden Sündenpfuhl des Bezirkes East-End kommen ihr aber noch ganz andere Beinchensteller in die Quere, die aber alle nicht Quinn, sondern irgend etwas anderes wollen, um am Ende aber festzustellen, dass sie als rach-, glücks- und ehrgeizsüchtige Girlie-Gang eine ganze Menge verbindet.

Ihr Auftritt bitte: Black Canary, Huntress und Cassandra Cain dürften eingefleischten DC-Comiclesern wohl ein Begriff sein. Ich jedenfalls bin noch nicht so tief in den Dschungel Gothams vorgedrungen, umso unvoreingenommener ließ sich für mich auch dieses Stelldichein an trotziger Emanzipation genießen, was sich in seiner Gesamtheit entschlossen hat, tatsächlich einer der sehenswertesten Comicfilme aus dem DC-Universum zu sein. Birds of Prey – The Emancipation of Harley Quinn ist wirklich gelungen. Margot Robbie ist sowieso die Idealbesetzung für diese schräge Figur, die nicht viel weniger grinst als der Joker, Oneliner schiebt und mit gedrechseltem Holz gerne Mannsbilder vermöbelt. Während bei Todd Philipps Joker gar nichts mehr auf die leichte Schulter genommen wird und Zack Snyders heroische Ikonographien nur bemüht selbstironisch sind, verortet man in Cathy Yans Origin-Story serientaugliche Action-Comedy, die zwar keine besonders satirischen Spitzen loslässt wie Taika Waititis Thor, dafür aber den Drive in einem knackigen Script verorten kann. Wie, wo, warum und weshalb hier eine Handvoll Damen zum knochenbrechenden Kränzchen antanzen, ist souverän verknäuelt, setzt die Konsequenzen ihres Handelns völlig richtig und hält sich nicht unnötig mit bemüht komplizierten Wendungen oder nebenher laufenden Storylines auf, die niemanden interessieren. Birds of Prey macht Spaß und hat genau das Quantum an Teamspirit, das sich vorrangig bei Joss Whedon (bestes Beispiel: Buffy) verorten lässt (was bei Justice League aber nicht groß geholfen hat) und genau hier seine richtige Balance findet. Birds of Prey ist ein verkappter, frecher Teeniefilm. Oder das martialische, durchaus dezent-blutige Zerrbild einer High School-Clique, die als einzige den Absprung verpasst hat und sich folgedessen nirgendwo mehr integrieren will. Die mal mehr oder weniger begabten Superheldinnen lassen ihrer Ambivalenz freien Lauf, und erlauben sich im Grunde, was ihnen gerade einfällt. Womit wir wieder bei Pippi wären, die niemals was anderes getan hat, die später auch mal auf die schiefe Bahn geraten hätte können, um sich dann wieder auf ein paar Werte zu besinnen, die unter anderem besagen: die Feindinnen meines Feindes sind meine Freundinnen. Was soviel heisst wie: Lieber gemeinsam als einsam asozial.

Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn

Gemini Man

DIE SMITH-IDENTITÄT

5/10

 

null© 2019 Paramount Pictures, Skydance and Jerry Bruckheimer Films

 

LAND: USA 2019

REGIE: ANG LEE

CAST: WILL SMITH, MARY ELIZABETH WINSTEAD, CLIVE OWEN, BENEDICT WONG U. A.

 

Will Smith, der grundsympathische Gutmensch, der niemals auch nur im Traum daran denken würde, die Rolle eines Antagonisten zu übernehmen, weil das sein Fanpublikum einfach nicht sehen will, ist auch schon in die Jahre gekommen. Dass bisschen Grau erkennt man schon im millimeterhohen Haaransatz seiner Stoppelglatze, und dank der Super-HD-Optik von Gemini Man ist der kräuselnde Faltenwurf an den Wangen unübersehbar. Wie gut, dass es längstens die Möglichkeit gibt, sich in der digitalen Welt einem Deepfake zu unterziehen – oder besser Deepface. Was aber auch nicht korrekt wäre, denn Deepface bezeichnet ja die Transplantation ganzer Köpfe auf andere Körper, die dann Dinge machen, die von begehrter Person ja gar nie gemacht wurden. Passender wäre wohl eher Facelifting – oder radikaler Jungbrunnen, wie eben im Falle von Will Smith, der, so wurde mir gesagt, fast schon schockiert war, sein jüngeres Ich so lebendig zu sehen. Ob ich an seiner statt im Zuge einer solchen Begegnung an mich halten könnte, mein unerfahreneres Ich über all meine körperlichen und geistigen Unzulänglichkeiten aufzuklären, um folglich dann Ratschlage vom Stapel zu lassen, auf die mein Gegenüber wohl gerne selbst gekommen wäre? In Gemini Man stellt sich diese Frage, und die Antwort löst sich in versöhnlichem Wohlgefallen auf. Dieses Harmonieren ist dermaßen auf einen allumfassenden, verständnisvollen Weltfrieden fokussiert, dass man meinen könnte, das Klonen von Menschen kann ja gar nicht mal so schlecht sein, wenn diese Fertigkeit nur in den richtigen Händen liegt. Vielleicht eben in jenen von Will Smith, doch der will einfach nur seine Ruhe haben, angeln gehen oder Vorsitzender humaner Ethik werden.

Schön, dass ihm das so gut gelingt. Ja, das tut es wirklich, denn Will Smith ist ein ganz anderer Auftragskiller als es Denzel Washington als Equalizer oder John Wick jemals waren. Smith hat nicht so diese „Hallo, da bin ich“-Attitüde und wirft sich auch nicht so medienwirksam ins Gemetzel. Er wäre auch nicht so ein Stehaufmännchen wie Keanu Reeves, und anstatt sich im Blutdurst an jenen zu rächen, die ihm sein Auto demoliert haben, würde er lieber einen Gesprächstermin mit seiner Versicherung checken. In Gemini Man geht es also um einen Killer, der ganz anders tickt, besonnener ist, mehr ins Kalkül zieht. Und gerne schmerzresistenter wäre als er letztendlich ist. Denn sein eigenes jüngeres Ich, das besorgt´s dem alten Mann, wie er ihn nennt, so richtig ordentlich. Mit Motorrad, Fäusten und wenig therapeutischen Wasserbädern. Das Ganze ließ Ang Lee, seines Zeichens überhaupt kein Verfechter des Actionkinos und eher auf entspanntere Filmstoffe spezialisiert, in 3D und mit einer Bildrate von 120 pro Sekunde verfilmen. Allerdings aber ist Gemini Man für so einen technischen Schnick Schnack der falsche Film. Weil er seine Darsteller gerne in Full Shots und die Action in einer seltsam beengten Halbtotale präsentiert. Einstellungen für einen hemdsärmeligen Actionfilm alter Schule, zu dem lupenreiner Hochglanz einfach nicht passen will. Durch diese Optik erhalten wir einen Bildeffekt, der bereits bei Wiedergaben in Super HD zu bemerken ist – jenen billiger Seifenopern. Das ist ein stilfreier Schuss ins eigene Knie.

Auch sonst strauchelt Gemini Man dabei, sich als denkwürdiges Beispiel des zeitnahen Science-Fiction-Films zu behaupten. Hätte der Plot nicht den Aspekt der Klon-Problematik mit zugegebenermaßen atemberaubendem Facial-Motion-Capture, anhand dessen perfekter Illusion ich wirklich kein einziges Mal bemerkt hätte, dass Will Smith nicht tatsächlich auch als jüngeres Ich existiert, würde nicht viel übrigbleiben als der verdünnte Aufguss eines Jason Bourne– oder Wer ist Hanna?-Szenarios. Kann ja spannend sein – in diesem Fall ist es das aber nicht, denn Ang Lee hatte wohl keine andere Wahl, als sich mit vorliegendem Schnellschuss-Drehbuch zufriedenzugeben, denn Gemini Man war, so vermute ich, für den Altmeister nicht viel mehr als eine Auftragsarbeit, mit all seinen stereotypen Antagonisten-Idealismen, die sich für eine bessere Welt ereifern. Smith steigt gemeinsam mit der smarten Mary Elizabeth Winstead am besten aus dem Szenario aus, ihnen sieht man gerne zu. Und ist froh, wenn sich der ehemalige Prinz von Bel Air irgendwann keine Blessuren mehr holt. Die seit Bruce Willis im Nakatomi-Plaza nur noch selten so glaubhaft verschmerzt wurden.

Gemini Man