Vaiana

PARADIES NACH PLAN

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Vaiana

Sommer, Sonne, Strand und Meer – Begriffe, die zum Träumen einladen und das Fernweh nähren. Ein Film, der im ewigen Paradies spielt und mit Palmen, Korallen und Südseerhythmen punkten möchte, kann kein Ladenhüter sein. Zumindest geht Disney mal davon aus und setzt alles auf eine Insel. Eine Insel im Stillen Ozean, vielleicht Samoa, vielleicht Vanuatu oder Hawaii, jedenfalls ein Paradies voller Südeseegottheiten und Legenden. Paul Gauguin wäre entzückt gewesen. Wenn sich die perfekt animierte Inselwelt zu herrlich verklärenden Chören von ihrer Schokoladenseite präsentiert, feiern die Glücksbotenstoffe fröhliche Urständ und das Leben wird um einige Nuancen bunter, abenteuerlicher und farbenfroher. Ganz so präsentiert sich das warmwassergebadete, dramatisch-humorvolle Südseemärchen und hat nichts Anderes vor, als in den Fußstapfen der Eiskönigin einen ebensolchen Erfolg einzufahren wie die klirrend kalte Schwester im hohen Norden. Das Problem dabei ist – man merkt es dem Film Vaiana jede Minute an.

Wenn Disney seinen Erfolg so vehement durchkalkuliert, bleibt von der Spontaneität und Natürlichkeit einer filmischen Erzählung nichts mehr übrig. Die Produktionen werden austauschbar, schablonenhaft und klar erkennbar aus kommerziell erträglichen Versatzstücken zusammengeschustert. Das Mädchen Vaiana mag sich zwar anders verhalten als ihre aschblonde Schwester Prinzessin Elsa, in groben Zügen aber sind beide vom gleichen Schlag. Großäugige, ranke und schlanke Mädchen aus dem Computer, die sich als konstruiertes Alter Ego in den Köpfen kleiner Mädchen häuslich einrichten. Nutzt es nichts, so schadet es auch nichts. Das erste Idol im Leben beginnender Grundschüler ist geboren. Ob Vaiana das gleiche Zeug dazu hat, wird sich erst im Merchandising- und Retail-Sektor zeigen. Allerdings hat Disney zu Zeiten der Eiskönigin ein weitaus höheres Budget für bedruckten Krimskrams aller Art zur Seite gelegt. Von Vaiana bleibt vielleicht nur buntes Polyester-Bettzeug. Und auch das alles dominierende, zentrale Solo der zarten Südseeschönheit will um jeden Preis an Idina Menzels wunderbar gesungenem und allen Eltern bis zum Nimmerhören bekannten Let it Go anschließen. Zurecht oscarprämiert, hat die kraftvolle Selbstbekenntnis Elsas auch beim wiederholten Male das Zeug zum Gänsehautklassiker. Tatsächlich erzielt der Song Far I´ll go einen ähnlichen Effekt. Für romantisch-sehnsüchtige Balladenliebhaber eine Sternstunde des Schmachtens und Träumens. In der deutschen Synchronisation übrigens gesungen vom wohl am meisten polarisierenden Schlagerstar der letzten Jahre – Helene Fischer. Eine Dame mit guter Stimme, von der man nie weiß, ob sie das, was sie singt, selbst gerne hört. Jedenfalls muss ihr Ich bin bereit – so die deutsche Übersetzung – mit Sicherheit gefallen. Uns – oder mir – gefällt es. Und dann gibt’s da noch den schrulligen Helden voller lebhafter Tattoos, eine Karikatur aus IZ Kamakawiwo’ole und Dwayne „The Rock“ Johnson. Sympathisch, tapfer und – wie bei Disney üblich – von liebenswertem Charakter. Verwunderlich sogar, dass eine Hommage an den leider verstorbenen, schwergewichtigen Insulaner, der Judy Garland´s Over the Rainbow wieder salonfähig machte, gänzlich ausbleibt. Und die schielende Intelligenzbestie von Huhn sorgt auch bei Kindern jüngeren Alters, die sich mit den älteren Geschwistern ins Kino verirren, für Lacher. Somit ist die ganze Familie bedient und alles gut durchdacht. Schablonenhaft, wie ich schon sagte.

Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Und man ahnt natürlich schon von Anbeginn an, wie es enden wird. Spannend ist was Anderes – zumindest für Erwachsene. Dennoch, und allen kritischen Bemerkungen meinerseits zum Trotz, wissen die Macher von Vaiana haargenau, was das Publikum berührt, belustigt und Freude bereitet. Das Südseeabenteuer ist perfekt, und hat von allem etwas. Genauso wie es sein soll, und das aber ohne Überraschungen.

 

 

 

Vaiana

Hotel Rock ‚N‘ Roll

OSTROWSKI ALL INCLUSIVE

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hotelrock

Liegt es an der Regie Michael Ostrowskis oder am Drehbuch Michael Glawoggers? Womöglich an beidem. Denn der letzte Teil der Sex & Drugs & Rock ’n‘ Roll-Trilogie geht aber so was von zielgerichtet am Ziel vorbei, dass man fast schon gezwungen sein muss, Ostrowskis obsessive Liebe zu Kostümen und knalligen Farben nicht mehr in die Bewertung des Filmes miteinzubeziehen.

Ich erinnere mich noch gut an den ersten Teil dieser teils surrealen, teils zugedröhnten Filmidee. 2004 kamen Nacktschnecken ins Kino. Und trotz Vorbehalte habe ich den Kinobesuch im Nachhinein in keinster Weise bereut. Die satirische Komödie rund um Lust, Frust und dem Selfmade-Pornobusiness war eine augenzwinkernde Farce, die zwar auch genug an Bodenhaftung verloren, sich aber immer wieder zwischen traumartiger Symbolik und clownesker Situationskomik eingependelt hat. Bei Teil 2 – Contact High – waren die Macher schon deutlicher neben der Spur. Was aber im Grunde auch zum Thema gepasst hat. Der rote Faden war da aber nur mehr Beiwerk. Und das Interesse der Zuschauer auch. Mit Teil 3 hat der schräge Vogel und Komödiant Michael Ostrowski aufgrund des viel zu frühen und sehr bedauernswerten Ablebens von Regiemeister Michael Glawogger beim Grande Finale der Trilogie die Verantwortung auch über die Regie übernommen – und sich eindeutig verhoben. Der knackige Steirer mag ja ein Multitalent sein und am liebsten auf allen Kirtagen gleichzeitig seinen Allerwertesten verpflanzen. Wenn man aber das künstlerische Zepter über alles und jeden hat und niemandem mehr Rechenschaft schuldig ist, passiert zwar etwas sehr persönliches, aber mitunter im wahrsten Sinne des Wortes auch etwas sehr eigenwilliges. Eine ähnliche Tendenz sehen wir bei den aktuellen Werken von Kinski-Bändiger Werner Herzog. Egozentrische Kopfgeburten, die das Publikum vor vollendete Tatsachen stellt.

Hotel Rock ’n‘ Roll ergeht es nicht anders. Die verschwurbelte Grenzkomödie rund um ein vererbtes Hotel hätte zwar genug Potenzial für allerlei Situationskomik und skurriler Ideen – letzten Endes ist die grelle Klamottenkiste scheinbar willkürlich angereichert mit Klamauk, der an die Zeiten von Gottschalk und Mike Krüger erinnert, seltsamen Dialogen und scheinbar lose übereinander gesetzten Handlungsteilen, die im Grunde zwar zusammenpassen, aber irgendwie deplatziert wirken. So, als würden ganze Teile aus dem Drehbuch fehlen. Und so, als würde man mit Fingerfarben einen leeren Bogen Papier vollkleckern, nur weil die Farben so schön farbig sind. Logik hat die Groteske daher keine mehr. Und die Figuren sind nicht mehr als Zerrbilder in einem Spiegelkabinett. Hauptsache bunt. Und Hauptsache laut. Doch das ist zu wenig und relativ uninteressant, um nicht zu sagen langweilig. Einziger Lichtblick ist wieder einmal der ewig grantelnde Georg Friedrich als Möchtegern-Gangster mit Langhaarmähne, der allen die Show stiehlt und die wenigen Lacher zur Gänze für sich verbucht. Und was Detlev Buck in dem ganzen fahrig inszenierten Zinnober zu suchen hat, weiß nur Ostrowksi selbst. Der sollte mal anfangen, nicht immer sich selber zu spielen und zumindest die Regie jemand anderem überlassen.

Hotel Rock ‚N‘ Roll

Frühstück bei Monsieur Henri

GRUMPY OLD MONSIEUR

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henri

Walter Matthau und Jack Lemmon waren es. Clint Eastwood war es. Auch Bill Murray und Ein Mann namens Ove waren es. Grantige, alte Männer. Mitunter aggressiv, sekkant, eigensüchtig und genauso brötlerisch. Seltsam verschroben und unnahbar. Aber tief drin im Herzen, jenseits der harten Schale, fast schon Mutter Teresa. Genauso ein Grumpy old Man ist der französische Witwer Monsieur Henri, der eine junge, erfolglose Studentin zuerst widerwillig, dann mit unlauterem Hintergedanken, bei sich als Untermieterin einquartiert.

Warum aber werden alte Menschen so unleidlich, dass man es in ihrer Nähe einfach nicht mehr aushalten kann? Oft sind es Vorboten beginnender Demenz, doch meistens ist es Frust und Trauer, die nicht mehr oder nur schlecht abgebaut werden kann. Verzweiflung, dass nichts mehr so geschmeidig geht wie früher. Selbsthass und Minderwertigkeitskomplexe. Dann schützt man sich mit Zorn. Und Feindseligkeit seiner Umwelt gegenüber. Und da durchzudringen, ohne vorher selbst die Nerven zu verlieren, ist meist ein Ding der Unmöglichkeit.

Die junge Constance, mit aufreizender Koketterie dargeboten von der jungen Schauspielerin Noémie Schmidt, bietet dem alten, knurrigen Grantler, verkörpert von Altstar Claude Brasseur, so gut es geht die Stirn. Der Film von Ivan Calberac ist aber weniger eine Screwballkomödie oder ein ähnlicher verbaler Schlagabtausch, wie man es vielleicht gerne gewollt hätte, sondern eine leise, boulevardeske Tragikomödie rund um Lebensfrust, Überdruss und Neubeginn. Brasseur schafft es, sich schleichend und fast unmerklich zu verändern, und verleiht dadurch seiner Figur Glaubwürdigkeit. Auch dessen Sohn und Schwiegertochter komplettieren das Ensemble des kammerspielartigen Filmes auf stimmige Weise. Überrascht wird man in Frühstück bei Monsieur Henri allerdings nicht. Die Geschichten um die Läuterung eines lebensüberdrüssigen alten Menschen gibt es schon zu oft, um über die Tatsache wirklich erstaunt zu sein. Auch die Reibungsfläche zwischen junger und alter Generation ist zumindest in dieser Komödie zu glattpoliert, um der Thematik neue Facetten abzuringen.

Was bleibt, ist eine leichte, mitunter nachdenklich stimmende Familienunterhaltung im typisch französischen, charmanten Komödienstil, die zum Teil an die Coming of Age-Dramödie Verstehen Sie die Béliers? erinnert. Auch in diesem Film geht es um eine junge Frau, die beginnt, Verantwortung für sich selbst und ihr Leben zu übernehmen und ihre Zukunft mit Musik definiert. Allerdings sind die Béliers weitaus besser geglückt. Das mag vielleicht an der Figurenkonstellation und an der skurril anmutenden Geschichte liegen. Beides ist bei Monsieur Henri vorhersehbar und nicht neu. Trotzdem – sehenswert ist die Läuterung eines Griesgrams aber dennoch, vor allem dank der Darsteller und dem Wohlfühlfaktor, der zur Grundausstattung französischer Alltagskomödien gehört. Und wer die Atmosphäre von Pariser Altbauwohnungen liebt, kann sich hier zumindest für knappe zwei Stunden kostenlos einquartieren, ohne delogiert zu werden.

 

Frühstück bei Monsieur Henri

La La Land

EMMA IM WUNDERLAND

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lalaland

Musicals? Nein Danke, wirklich nicht. Bislang habe ich das Genre so sehr gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Wobei ich aber hier von den Produktionen neueren Datums schreibe. Bevor das breitenwirksame Musiktheater vom künstlerisch wertvollen und durchaus unbequemen Sprachrohr der 60er und 70er Jahre zum kommerzorientierten Event mutieren hat müssen, gab es durchaus einige Premieren, die man so ja gar nicht zum oberflächlichen Singspiel zählen kann. Diese Kunstwerke waren viel mehr als das. Jesus Christ Superstar, Cabaret, Hair, My Fair Lady und wie sie alle heißen – das sind inhaltlich wie musikalisch denkwürdige Ereignisse. Viele andere Musicals bestehen entweder aus dem Ausschlachten längst bekannter Ohrwürmer oder einem eingängigen Song, um welchen sich mittelmäßige musikalische Arrangements gruppieren. Die sind dann allesamt schnell wieder vergessen. Vor allem wenn dann noch Schauspieler, die normalerweise – und das aus gutem Grund – nie singen, dem Publikum zugemutet werden müssen.

Doch dann passiert das. Und als ich zum ersten Mal davon gehört habe – das war im Frühsommer letzten Jahres, Filmfestspiele Cannes – habe ich kopfschüttelnd w.o. gegeben. Diesen Film werde ich mir sicher nicht ansehen. Ja, das war meine Meinung. Und ja, trotz Emma Stone, die ich sehr schätze. Monate später allerdings haben die Medien ganze Arbeit geleistet. Golden Globe und 14 Oscarnominierungen. So wunderbar, so großartig, so einzigartig soll der Film sein. Als Filmfan und Freizeitjournalist konnte ich nun schlussendlich an La La Land nicht mehr vorbeikommen. Es musste sein. Musical hin oder her. Wahrscheinlich werde ich fluchtartig den Kinosaal verlassen müssen. Oder mich in die Lehnen meines gepolsterten Sitzes krallen. Hoffentlich können die beiden – Stone und Gosling – nur ansatzweise besser singen als Meryl Streep oder Ewan McGregor. Nun, ich habe es überstanden.

Und ja, La La Land ist tatsächlich wunderbar, großartig und einzigartig. Habe ich das tatsächlich geschrieben? Ja stimmt, das habe ich. Damien Chazelle´s musikalisches Melodram – ich nenn es mal so – ist ein traumgetanztes Wunschkonzert, so fließend, geschmeidig und aufgeweckt erzählt, als wäre das Genre eben erst erfunden worden. Und mittendrin – ebenso aufgeweckt, einnehmend und farbenfroh – eine phänomenale Emma Stone. Die junge Dame mit dem rotblonden Haar, den großen Augen und der sagenhaften Mimik ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass das Erfolgsmärchen aus dem Land des ewigen Sommers so sehr gelungen ist. Jede Szene, in der sie auftritt, ist ein Gewinn und eine Bereicherung. So bezaubernd dürfte zuletzt Julie Andrews gewesen sein, sei es in Mary Poppins oder Der Zauberer von Oz. Emma Stone ist so reizend und begeisternd, dass Chazelle sonst nicht mehr viel benötigt, um das schwungvolle Kinoevent sehenswert zu machen. Dennoch gibt er sich damit nicht zufrieden. Selbst Ryan Gosling, der in vielen seiner Filme außer seiner Attraktivität nicht viel mehr zu bieten hat, zeigt sein ganzes Können und schließt damit an seine Sternstunden aus Lars und die Frauen oder Crazy Stupid Love an. Übrigens – bei Crazy Stupid Love waren Emma Stone und Ryan Gosling schon mal ein Paar. Und haben bestens miteinander harmoniert. So wird in La La Land die Step-Nummer nicht zu einer Hommage an Ginger Rogers und Fred Astaire, sondern zu einer ganz eigenen Nummer. Und die Nummern? Da hat Komponist Justin Hurwitz schon jetzt eingängige Evergreens geschaffen. Melodien wie honigsüße Perlenketten, die noch lange nach dem Film mitschwingen und für positive Vibes sorgen. Wobei die von Damien Chazelle erdachte Geschichte, gegliedert in eigentlich 5 Akten, nicht unbedingt und bei Weitem kein vorhersehbares Happy-Day-Movie ist und auch sonst jegliche Und „Wenn sie nicht gestorben sind“-Attitüde vermeidet. Die Story, mit zielsicher getimten und wenigen, aber guten Musiknummern ausgestattet, begleitet unsere beiden Stars auf berührende, unglaublich lebendige Weise auf ihrem teils holprigen, teils glücklichen, teils unglücklichen Weg zum Erfolg. Dabei ist der Begriff Erfolg fast schon zu nüchtern formuliert. Es ist mehr als das – es sind Lebensträume, die da verwirklicht werden sollen. Ein nach den Sternen greifen, was die beiden auch tatsächlich sinnbildlich tun werden. Doch früher oder später wird klar, dass man im Leben nicht alles haben kann. Und dann kommt es darauf an, was wichtiger ist. Oder wichtiger hätte sein sollen. La La Land erzählt auf spielerische Art Liebesgeschichte, Charakterdrama und Großstadtmärchen in einem. Huldigt dem guten Technicolor- und Cinemascope-Variete aus der Nachkriegszeit, ohne aber verstaubt zu wirken. Ganz im Gegenteil. Whiplash-Virtuose Chazelle setzt alle die Teile neu zusammen. Altes wird wieder jung. Biederes Unterhaltungs – und Ablenkungskino wird auf das neue Jahrtausend gepimpt. Hier ist was Magisches und gleichzeitig Greifbares entstanden. Dank der unglaublichen Emma Stone, der eingängigen Musik und der nahtlosen Regie, die wie aus einem Guss für mehr als zwei Stunden zum Träumen einlädt.

Ehrlich gestanden – die Ouvertüre des Filmes hat mir allerdings schon ein ungutes Gefühl bereitet. Vor jemandem wir mir mit einem gespaltenen Verhältnis zum Genre. Doch mein Tipp vorweg: davon soll man sich nicht täuschen lassen. Es kommt anders, als man glaubt. Denn rückblickend macht alles wieder Sinn – und klingt auch zum Wieder- und Wiederhören gut.

Und 14 Oscarnominierungen? Zwar nach wie vor etwas hochgegriffen, aber überraschend ist es nicht mehr. Da ist schon was Besonderes passiert. La La Land – wobei mir der Titel immer noch Kopfzerbrechen verursacht – ist ein anspruchsvolles, musikalisches Ereignis rund um Jazz, Schauspielkunst und Selbstverwirklichung. Ein mitunter leicht kritisches Werk, aber mit viel Verständnis und Sympathie für seine Figuren. Und Emma im Wunderland hat ihr kommendes Schicksal fast schon autobiografisch und prophetisch auf die Leinwand gebannt. Der Oscar, so darf ich prognostizieren, ist ihr sicher. Und damit womöglich ihr Lebenstraum.

 

La La Land

Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne

DAS TROUBADIX-SYNDROM

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marguerite

„Nein, du wirst nicht singen! Nein du wirst nicht singen!“ Und schon bekommt der Barde des kleinen, uns wohlbekannten gallischen Dorfes mit dem Schmiedehammer einen Scheitel gezogen. Bei der Darstellung eben jener Sachverhältnisse handelt es sich, wie wir alle wissen, um den gänzlich verkannten Barden Troubadix aus den Comics über Asterix und seine Freunde, meisterhaft gezeichnet und ersonnen von Rene Coscinny und Albert Uderzo. Seine Gesangsqualitäten sind für jedermann ein Graus, Troubadix selbst jedoch hat an seinem Talent nichts zu meckern. Viel mehr noch, er hält sich für ein verkanntes Genie.

Ungefähr so oder ähnlich ergeht es Madame Marguerite. Mit dem einzigen Unterschied, dass ihr Publikum keine offenherzig ehrlichen Banausen sind, sondern Lügner und Schwindler. Warum? Nun, weil Madame Marguerite enorm wohlhabend ist, und für wohltätige Zwecke sehr oft und sehr gerne die Spendierhosen an hat. Und eine Kuh, die man melken kann, wird man doch nicht vergrämen?

Lose basierend auf den tatsächlichen Fall der Florence Foster Jenkins, einer amerikanischen Sopranistin, die weder Ton noch Rhythmus traf und mit ihren seltenen, aber skurrilen Konzerten als akustische Freakshow durchaus für volle Hallen sorgte (aktuell im Kino mit Meryl Streep in der Hauptrolle), erzählt die französische Tragikomödie von einem leidenschaftlichen Opernfan, der geradezu obsessiv sein Leben dem Gesang widmet. Und das nicht nur als Zuhörer, sondern auch als Interpret. Das Fatale und Traurige an der eher schwermütigen als leichtfüßigen Geschichte ist der Verrat der Gesellschaft an ihrer Person. Das beginnt beim Butler, der die Verrücktheit der verblendeten Frau fotografisch dokumentiert, um selbst berühmt zu werden. Und endet beim eigenen Ehemann, der sogar noch fremdgeht, da er seine Gemahlin für ein Monster hält. Gerade kommt mir David Lynchs Der Elefantenmensch in den Sinn. Nur Madame Marguerite, souverän und sensibel verkörpert von „Odette Toulemonde“ Catherine Frot, ist alles andere als hässlich. In diesem Fall ist ihr Gesang die abscheuliche Mutation, die alle anderen für sich ausnützen. So bleibt Madame in dem hochgerüsteten Elfenbeinturm gefangen, den ihre Mitmenschen um sie erbaut haben. Und verliert die Fähigkeit der Selbstreflexion.

Irgendwie ist Xavier Giannolis Film eine Parabel auf den Preis, den versponnene, zerbrechliche Seelen zahlen müssen, wenn sie von der Öffentlichkeit hochgeschaukelt werden. Zu welchem Zweck auch immer, doch meistens ist es Geld und die Gier nach eigenem Ruhm. Somit ist das mit expressivem Theaterlicht und üppigem Interieur ausgestattete Drama ein beklemmender Kreuzweg, der radikal endet. Und keine gute Stimmung hinterlässt. Die Welt kann auch auf andere Art eine Illusion sein. Nämlich im falschen Feedback der anderen. So sehr die Aufrichtigkeit unserer Umwelt oftmals wehtun kann, so reinigend wäre sie manchmal. Diesen Gefallen hat man Madame Marguerite leider nicht getan.

 

Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne

Verstehen Sie die Béliers?

WER NICHT HÖREN KANN MUSS FÜHLEN

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beliers

Was für ein Lebenszeichen des französischen Filmes – obwohl es die meisten der in dieser herrlichen Familienkomödie agierenden Charaktere nicht hören können. Seit Sophie Marceau in den 80er Jahren in La Boum das Leben ihrer Familie und ihrer Mitschüler gehörig auf den Kopf stellen durfte, hat es kaum mehr Kinogeschichten gegeben, die in ihrer Natürlichkeit und ihrem Charme das Erwachsenwerden dermaßen einfühlsam erzählen konnten. Die Ausgangssituation in diesem Film ist alleine schon ungewöhnlich – als einzig hörende Tochter einer vierköpfigen, sonst gehörlosen Familie, versucht das 16jährige Mädchen Paula, aus der zwangsläufigen Abhängigkeit vor allem ihrer Eltern auszubrechen und ihre eigene Identität zu finden. Und wann bitteschön ist die Definition der eigenen Person notwendiger als auf dem Weg ins Erwachsenenleben?

Die Schauspielerin Louane Emera legt ihre Rolle der Paula dermaßen ungekünstelt und bodenständig an, dass man sie einfach lieb gewinnen muss. Die junge Schauspielerin ist wahrlich eine Entdeckung und steht Konkurrentinnen wie Sophie Marceau aus La Boum um nichts nach. Im Gegensatz zu dem Teenagerklassiker von damals dringt Verstehen Sie die Béliers  noch tiefer in das Seelenleben des Teenagers vor, ohne dieses jedoch krampfhaft zu sezieren. Das gelingt vor allem aufgrund der Tatsache, dass die besonderen Bedürfnisse ihrer Familie den Kontrast zwischen Individualität und familiärer Verpflichtung noch verstärken.

Den wahren Knalleffekt in der locker flockigen, angenehm humorvollen Geschichte gibt es aber dann, als das junge Mädchen sich entschließt, Gesangsunterricht zu nehmen. Einfach großartig, wie Regisseur Eric Lartigau das Loslösen aus dem gemachten Nest namens Familie darzustellen weiß. Ist es in Ordnung, dass sich das eigene Kind im Zuge seines Älterwerdens dazu entschließt, etwas zu tun, wovon die eigenen Eltern nicht profitieren können? Ist man seinen Erzeugern Rechenschaft schuldig für das, was man tun oder sein möchte. Laut der Familie Béliers, und auch meiner Meinung nach, ist man das nicht. Dieser Anspruch kann die Familie bei ihrem Nachwuchs leider nicht geltend machen. Bedingungen, die vielleicht früher einmal, allerdings vor gar nicht allzu langer Zeit, eine gesellschaftliche, selbstverständliche Bürde waren. Lartigaus Film ist ein Loblied an die Selbstbestimmung und die jugendliche Freiheit. An die Leidenschaft des Lebens, des Loslassens und an die bedingungslose Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Dabei schildert Verstehen Sie die Béliers seine berührende Story mit einer sommerlichen Leichtigkeit, wie es nur französische Filme können.

Nach wie vor kann Frankreich die besten Komödien erzählen. Vor allem welche mit Weisheit, jeder Menge kluger Gedanken und niveauvollen Anekdoten, ohne dabei die Bodenhaftung zu verlieren. Und die Musik, hier in akustischer Gestalt typisch französischer Chansons, macht das kleine Meisterwerk noch erlesener.

 

Verstehen Sie die Béliers?