A Private Life (2025)

WER THERAPIERT DIE THERAPEUTIN?

6,5/10


© 2025 Sony Pictures Entertainment


ORIGINALTITEL: VIE PRIVÉE

LAND / JAHR: FRANKREICH 2025

REGIE: REBECCA ZLOTOWSKI

DREHBUCH: ANNE BEREST, REBECCA ZLOTOWSKI, GAËLLE MACÉ

KAMERA: GEORGE LECHAPTOIS

CAST: JODIE FOSTER, DANIEL AUTEUIL, VIRGINIE EFIRA, MATHIEU AMALRIC, VINCENT LACOSTE, LUÀNA BAJRAMI, IRÈNE JACOB, SOPHIE GUILLEMIN, FREDERICK WISEMAN, AURORE CLÉMENT U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Ob Sigmund Freud jemals selbst auf der Couch gelegen hat? Wohl eher nicht, hat dieser doch die Psychoanalyse erst dahingehend entwickelt, dass sich bis heute jenes Konzept erhalten hat, den Betroffenen eher liegend und die therapierende Person wohl eher sitzend vorzufinden. Eine Ausgangssituation, die bereits schon eine gewisse klare Trennung der Aufgaben erklärt, und beileibe keine Wechselwirkung zwischen Patient und Therapeut. Die Hierarchie ist also eine unverrückbare. Doch wie sehr ist diese Idee der Erforschung und Bearbeitung einer Seele denn noch zeitgemäß, und wieviel Selbstreflexion verträgt oder sollte dabei die therapeutische Institution vertragen können, um auf Augenhöhe mit dem Gesprächspartner zu bleiben?

Dieses Gefälle ist zumindest in Rebecca Zlotowskis Rollenbetrachtung nach wie vor gegeben, und zwar sehr deutlich, überangestrengt steil, die Couch nur eine Betrachtungsfläche irgendwo weit unten, während Jodie Foster als Psychiaterin Liliane Steiner, die die Weisheit der Seelenklempner bereits längst mit dem Löffel gegessen hat, auf ihre Patienten herabblickt. Kaum umgeben von Freunden und Familie, sondern nur von jenen, die viel dafür ausgeben, um seelisch wieder in Ordnung zu kommen, mag Liliane Steiner gerade jene Patientin durch ihre Abwesenheit ins Auge fallen, die sich später wohl mutmaßlich umgebracht haben soll – durch eine Überdosis an Beruhigungsmitteln, die auf eine falsche Angabe auf dem Rezept zurückzuführen ist. Wer hat hier wohl seine Finger im Spiel? Die Patientin selbst, deren Tochter, oder gar der Ehemann, der lange Zeit schon ein Verhältnis hat?

Frankophile Jodie Foster

In A Private Life, einem französischen Psychodrama, das so aussieht, als wäre es ein Krimi und mit den entsprechenden Versatzstücken arbeitet, um vielleicht auch nur das Publikum in die Irre zu führen, fällt natürlich auf, dass die mit dem Filmbiz aufgewachsene und sich bis heute am Ruhm relativ schadlos gehaltene Jodie Foster einen Charakter verkörpert, der im Grunde nach Isabelle Huppert schreit, und zwar voller Inbrunst und Leidenschaft. Doch Huppert, Vielfilmerin und vielleicht auch schon vom Filmbiz etwas müde, räumt das Feld für eine Amerikanerin, die fließend französisch spricht, wie Foster es eben tut, und die sich, das muss man festhalten, viel zu selten durchs europäische Kino bewegt. Genau das steht ihr formidabel, insbesondere das Arthousekino. Mit dem spielerischen Charme dessen, und dem Bewusstsein, das im Independent-Sektor nicht allzu viel auf dem Spiel steht, holt sich Foster ihre schauspielerische Kraft zurück. Denn so lustvoll hat man den Star schon lange nicht erlebt. So lustvoll und bereit, sich mit einer Figur auseinanderzusetzen, die in der Geschichte gerade das nicht tun will: Sich selbst reflektieren.

Der Anschein eines Whodunits

Eingebettet in ein souveränes Ensemble aus bekannten Gesichtern wie Daniel Auteuil, Virginie Efira und Mathieu Amalric sehnt sich Foster nach der französischen Weise des Filmemachens und vertraut sich Rebecca Zlotowski an, die ein geheimnisvolles, teils sogar schrulliges Moralwerk gedreht hat, das sich als eigentlich unauffälliger Film durch Bibliotheken, die Dunkelheit fremder Landhäuser und Therapiezimmern stiehlt, während es draußen regnet, das Mysterium eines Todesfalls und Verdächtigungen wie Nebel durch die Gassen treiben, während langsam, aber doch, die Seiten wechseln, man möchte es kaum wahrnehmen. Irgendwann findet sich Fosters Figur der Liliane in den Tiefen ihres Unterbewusstseins wieder, vielleicht sogar in einem früheren Leben, keine Ahnung, was Hypnose im Gehirn tatsächlich auslöst. Als unauffälligen Twist mag man diesen Moment in diesem Film bezeichnen, während das Investigative seine Kreise zieht und die Tränendrüsen der Psychiaterin nur Empfindungen kolportieren.

Die Läuterung einer Zynikerin

Es mag tatsächlich dieses versteckt Agierende in diesem Vexierspiel der Psyche sein, dass die Geschichte kaum aus sich herausgeht, dass sie in sich selbst etwas feststeckt, wie Liliane Steiner eben. Mitunter wagt Zlotowski auch die hämische Parodie des In-sich-Eintauchens, des Unterbewussten, der Psychoanalyse an sich. Das Überhebliche dabei erfährt hier ordentlich Reibung. Das alles mag sehr viel für einen Film wie diesen sein, mag sein, dass A Private Life mit all den Ansätzen mitunter etwas überfordert scheint, doch im Grunde will er in all diesen Bestrebungen immer nur ein und dasselbe: Achtsamkeit. Letzten Endes gelingt der läuterungsbewusste Umkehrschluss fast wie von selbst.

A Private Life (2025)

Maigret (2022)

DIE MÄDCHEN UND DER KOMMISSAR

6,5/10


Maigret et la jeune morte© 2022 Pascal Chantier / Ciné@/F comme Film


LAND / JAHR: FRANKREICH, BELGIEN 2022

REGIE: PATRICE LECONTE

BUCH: PATRICE LECONTE, JÉRÔME TONNERRE, NACH DEM ROMAN VON GEORGES SIMENON

CAST: GÉRARD DEPARDIEU, JADE LABESTE, MÉLANIE BERNIER, AURORE CLÉMENT, CLARA ANTOONS, ÉLIZABETH BOURGINE, ANDRÉ WILMS, PASCAL ELSO U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Als hätte der österreichische Künstler Gottfried Kumpf den Geist eines ikonischen Polizeiermittlers entworfen, gegossen aus Messing, mit Hut und Mantel, und vielleicht einer Pfeife; die Hände in den Manteltaschen, vor sich hin sinnierend, mit melancholischem Blick. So sieht Gérard Depardieu schließlich aus, wie ein Fels in der Brandung, still im Denken, grübelnd, behutsam. Nicht nur Kumpf hätte an dieser Figur herumgewerkt haben können, sondern auch einer wie Friedrich Dürrenmatt, der mit seinem Kommissär Bärlach einen ähnlichen Kapazunder mit tief ins Privatleben eindringenden Fällen hadern hat lassen. Jules Maigret ist im ähnlich. Georges Simenons Paradeermittler Frankreichs ist wie der Bulle von Tölz an der Seine, nur weniger kauzig, dafür introvertiert und wortkarg. Gérard Depardieu gibt diesem Mann ein eigenes Gesicht, und das, obwohl wir das Konterfei des Stars zur Genüge kennen. Er ist der Paradeschauspieler Frankreichs, somit ist es naheliegend, dass dieser auch mal in eine Rolle schlüpft, die vor ihm bereits Jean Gabin, Heinz Rühmann oder gar Rowan Atkinson innehatten.

Und so schiebt sich der selten lächelnde Mann durch ein Paris jenseits touristischer Attraktionen. Wir sehen maximal den Invalidendom als Kulisse eines Filmstudios. Sonst aber fällt die Metropole der Liebe einem scheinbar letzten Herbst anheim. Der Asphalt ist grau, das Gemüt des kriminologischen Denkers ebenso. Es fällt ihm schwer, sich noch nach Dienstschluss an einen neuen Tatort zu quälen, doch er ist pflichtbewusst und hat eine Mission. Vor ihm liegt eine junge Tote ohne Identität, Messerstiche zieren Brust- und Bauchbereich, das Abendkleid ist rot von Blut. Kommissar Maigret geht fortan den kleinsten Hinweisen nach, die wie Brotkrumen in der Stadt verteilt sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Identität des Opfers lange Zeit unklar bleibt. Doch wie sich nach und nach das Gesamtbild eines Motivs ergibt, bringt Patrice Leconte (u. a. Die Verlobung des Monsieur Hire) angenehm entschleunigt und präzise auf die Leinwand. Wenn auch diese Episode so scheint, als wäre sie nur eine x-beliebige aus einer ganzen Reihe bereits abgedrehter Reihenkrimis.

Zum Glück arbeitet Gérard Depardieu dagegen, und zwar mit einer gewissen Ehrfurcht vor einer Kultfigur, die man nicht so ohne weiteres uminterpretieren kann. Sein Maigret ist keiner, der über den Fällen steht, sondern einer, der nichts dagegen hat, befangen zu sein, weil ihn irgendetwas an seine eigene Biografie erinnert. Mit sichtbarer Lust an der Reduktion lässt Depardieu so ziemlich offen, ob der Art und Weise seiner Arbeit geplantes Kalkül oder intuitive Herangehensweise zugrundeliegt. Diese Unklarheit bereichert Maigret um eine geheimnisvolle Komponente, wenn er fast schon eins werdend mit der urbanen Kulisse über den Bürgersteig wandelt – wie ein Geist, wie eine nicht immer moralische, vielleicht doppelbödige, aber gerechte Institution. Warum Leconte gerade diesen Roman als Vorlage gewählt hat, nämlich Simenons Maigret und die junge Tote, ist vielleicht damit zu erklären, da dieser aufgrund eines recht schlichten Plots eben die Möglichkeit bietet, aus diesem herbstkalten Krimi voller Melancholie viel eher das Psychogramm eines Auserwählten zu kreieren.

Maigret (2022)