The Night Clerk

MENSCHEN IM HOTEL

4/10


nightclerk© 2020 EuroVideo


LAND: USA 2020

REGIE: MICHAEL CRISTOFER

CAST: TYE SHERIDAN, ANA DE ARMAS, HELEN HUNT, JOHN LEGUIZAMO, JOHNATHON SCHAECH U. A. 

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


In Philipp Noyces urbanem Erotikthriller Sliver konnte Feschak William Baldwin den ganzen Tag damit zubringen, die Bewohner eines Hochhauses mit versteckten Kameras zu observieren, darunter auch die sinnliche Sharon Stone. So ein Spechtler, könnte man meinen. Bei Tye Sheridan als autistischer Nachtportier Bart liegt die Sache da schon anders. Denn der hat – von sich aus gesehen – guten Grund, seine Hotelgäste zu bespitzeln. Was nicht heißt, dass dieser daraufhin brühwarm alles Gesehene weitererzählt. Nein. Aus dem Verhalten der beobachtenden Personen versucht er, soziale Kommunikation zu erlernen. Wie man wann was sagt, wie und wann welche Phrasen Verwendung finden. Einfach, um Teil der Gesellschaft zu werden. Denn als Autist ist man alles andere als das. Da fällt es selbst schwer, gemeinsam mit Mama an einem Tisch zu sitzen. Mutter Helen Hunt bringt ihm sein Essen stets in den Keller, wo er lebt, beobachtet und vor sich hin sinniert.

Jetzt ist es nur eine Frage der Zeit, damit aus The Night Clerk den Sprung vom Psychodrama zum Thriller macht: denn irgendwann wird Bart Zeuge eines Mordes. Die Ermittler tappen im Dunklen, ahnen nichts vom Kamera-Geheimnis des eigenwilligen, aber zuverlässigen Angestellten, der sich bald darauf versetzen lässt, um dem Tatort nicht mehr nahe sein zu müssen. Im neuen Hotel angekommen, trifft er auf die liebreizende Ana de Armas, in die er sich Hals über Kopf verliebt – die aber, nichts ahnend, mit dem Mörder im wahrsten Sinne des Wortes unter einer Decke steckt.

The Night Clerk ist der klare Fall einer Direct-to-DVD-Premiere. Angesichts einer viel stärkeren Genre-Konkurrenz hat dieser Film hier von Michael Cristofer (u. a. Original Sin mit Angelina Jolie) keine schlagkräftigen Argumente, um eine Kinoauswertung zu rechtfertigen. Als einer, der am Asperger-Syndrom leidet und sozial integrer werden will, macht Tye Sheridan (der Star aus Ready Player One) keine schlechte Figur. Das Krimikonstrukt rund um Sheridan ist allerdings ein völlig liebloser und oberflächlich hingeschluderter Mordfall, den selbst Columbo lieber delegieren würde. Hinten und vorne fehlt hier jede Menge Biss. John Leguizamo als Ermittler bleibt hölzern, die selten zu sehende Helen Hunt hat womöglich mangels anderer Filmangebote für dieses schale Projekt ihre Zusage erteilen müssen, um irgendwie wieder vor die Kamera zu kommen – so sehr sieht man ihr diese Notwendigkeit an. Die Sache mit dem Autismus hat schon so manches Filmprojekt vor dem totalen Absturz bewahrt und entbehrt nicht einer gewissen zynischen Bühnenpräsenz, die sich in stereotypen Verhaltensmustern überall leicht darstellen lässt. Einen ganzen Film kann diese Entwicklungsstörung aber auch nicht tragen, vor allem, wenn dieser sonst nichts hergibt. Alternative gefällig? Funktioniert hätte das ganze als Love Story zwischen Sheridan und de Armas, ganz ohne Krimiplot.

The Night Clerk

Jean Seberg – Against All Enemies

IST DER RUF ERST RUINIERT…

5/10

 

seberg© 2019 Prokino

 

LAND: USA 2019

REGIE: BENEDICT ANDREWS

CAST: KRISTEN STEWART, JACK O’CONNELL, ANTHONY MACKIE, ZAZIE BEETZ, YVAN ATTAL, MARGARET QUALLEY, VINCE VAUGHN, COLM MEANEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN

 

Welcher Filmfan kennt ihn nicht – den Klassiker der Nouvelle Vague: Außer Atem. Neben einem blutjungen Jean Paul Belmondo war damals Jean Seberg mit auf der Flucht. Der Ausgang der Geschichte ist kein Geheimnis. Seit diesem Zeitpunkt war Sebergs aparter Kurzhaarschnitt auch keines mehr. Von Jeanne d ‚Arc also zur Gangsterbraut ohne rosige Zukunft, inklusive Staatsgewalt im Nacken. Die Ironie des Schicksals: rund 10 Jahre später (Francois Truffaut drehte seinen Klassiker bereits 1959) sollte ihr die Staatsgewalt tatsächlich im Nacken sitzen, nämlich in Form des FBI unter J. Edgar Hoover, der mit seiner Abhöreffizienz der ostdeutschen Stasi um nichts nachstand. Mehr noch: potenzielle Unbequeme der Regierung konnten mit dem sogenannten Counterintelligence Program, kurz COINTELPRO, gnadenlos überwacht und letzten Endes auch mit gezielter Verleumdungstaktik „neutralisiert“ werden. In schlimmstem Fall trieb diese Vorgehensweise psychisch labile Personen in den Selbstmord. In dieser umtriebigen Zeit also, zwischen Vietnamkrieg und Black Power-Bewegung, war Jean Seberg als gutgläubige Idealistin mit Geld in der Tasche wie ein argloses Bambi, dass sich an fremden Gemüsegärten labt. Ihre Verbindung mit dem Aktivisten Hakim Jamal alleine war Grund genug, die Schauspielerin ins Fadenkreuz zu nehmen.

Was wie ein grimmiger Spionagethriller klingt, ist vorrangig das gestreckte Psychogramm einer egozentrischen Weltverbesserin, die ihre Bekanntheit nutzt, um Dinge zu bewegen. Prinzipiell mal egal wofür, Hauptsache für eine gute Sache. Jene mit der Black Power-Bewegung scheint ihr passiert zu sein. Ex-Twilight-Bella Kristen Stewart spiegelt diese Attitüde eines sich selbst überschätzenden Stars ganz gut wider. Der Kurzhaarschnitt, der saß schon meilenweit unter dem Meer bei Underwater, und sie trägt ihn immer noch sichtlich mit Stolz, wobei sie noch eins draufsetzt und mit ihrer Franchise-Vergangenheit ebenso brechen will wie Robert Pattinson, in dem sie sogar das eine oder andere Mal die Hüllen fallen lässt. Kristen Stewart will nun mit Seberg gänzlich im Arthouse-Charakterfach angekommen sein. Schauspielerisch bleibt dennoch Luft nach oben – statt Jean Seberg wirklich zu sein, bleibt ihr der sichtbare Eifer haften, die biographische Figur nur sein zu wollen. Doch sie bemüht sich. Und man sieht ihr trotzdem gerne dabei zu.

Zwischendurch allerdings bleibt die prinzipiell durchaus aufreibende True Story im gern zitierten 60er-Zeitkolorit stecken, verlustiert sich in stilvollen Settings und will manchmal so sein wie ein Film von Tom Ford – gemächlich, stilvoll, unterlegt mit zeitgenössischen Musikstücken, oftmals ein Gläschen Hochprozentigen in der Hand. Mit einem Zuviel an diesen durchaus netten Bildern verwässert Regisseur Benedict Andrews sein emotionales Drama zu einem porösen Biopic mit einer leidenschaftslosen FBI-Komponente, die die Routine ihrer Bespitzelungsarbeit auf das Ensemble überträgt – Ulrich Mühe (Das Leben der Anderen) ist Agent Jack O’Connell nämlich wirklich keiner. Viele Nebenrollen bleiben auch wirklich nur Staffage, die sich einer Retro-Optik unterordnen, mit der Jean Seberg – Against All Enemies als Erzähl-Tool alleine klarkommen möchte. Das bleibt dann doch etwas kraftlos.

Jean Seberg – Against All Enemies

La Gomera

DRAUF GEPFIFFEN

4/10

 

lagomera© 2019 Alamode Film

 

LAND: RUMÄNIEN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2019

REGIE: CORNELIU PORUMBOIU

CAST: VLAD IVANOV, CATRINEL MARLON, RODICA LAZAR, SABIN TAMBREA, ANTONIO BUÍL, AGUSTI VILLARONGA U. A.

 

Wenn die Spatzen es von den Dächern pfeifen, dann ist alles längst kein Geheimnis mehr. Eine Redewendung, die, wenn man sie genau nimmt, ja gar nicht stimmen kann, denn: verstehen wir, was Spatzen so pfeifen? Natürlich nicht, blöde Frage. Das verstehen nur die Spatzen untereinander. Oder vielleicht die Ureinwohner aus La Gomera, einer relativ grünen Insel der Kanaren, westlich von Nordafrika und ein Teil Spaniens. Dort ist El Silbo sowas wie eine Geheimsprache, gleichzeitig aber auch ein Kulturgut und wirklich eine ziemlich ausgefallene Art und Weise, sind nicht im Klartext unter vier Augen zu unterhalten, auch wenn die Gesprächspartner zur Stoßzeit in der U-Bahn stecken. Diese Sprache hat es nun aus dem Tourismusbüro von La Gomera und aus jedem noch so erdenklichen Reiseführer ins Kino geschafft. In einen Film, der womöglich nicht ganz so viel Geld vom Fremdenverkehrsamt der Insel zugesteckt bekommen hat und, statt die Sonnenseiten des Eilands zu zeigen oder einen pfiffigen Inselkrimi zu präsentieren, ganz auf Schema F in Sachen Drogenkrimi setzt.

Man könnte ja meinen, hier hätte Aki Kaurismäki so seine Finger im Spiel. Hauptdarsteller Vlad Ivanov ist wohl der mit Abstand stoischste Schauspieler, den es gibt. Allerdings ist diese fehlende Mimik nicht Mangel eines schauspielerischen Talents wie bei manch einem B-Movie-Star. Man sieht, Ivanov versucht sichtlich, sich gar nichts anmerken zu lassen. Das ist fast schon grotesk, dieses zomboide Auftreten. Aber gut, es gibt diesem Streifen einen lakonischen Touch, dafür umwuselt ihn eine Femme fatale mit kohlrabenschwarzem Haar und steckt dem Undercoverpolizisten ein Ticket nach La Gomera zu, damit dieser die Pfeifsprache erlernen kann. Wenn er die beherrscht, gehts wieder zurück nach Rumänien, um einen ganz anderen Mittelsmann aus dem Gefängnis zu boxen, der 30 Millionen Euro verschwinden hat lassen. Ein Plot also, der von den Socken haut? Mitnichten. Dieses Hin und Her aus Verrat und Gegenverrat im mafiösen Rauschgiftmilieu ist leider Dutzendware, darüber hinaus ist der Thriller des rumänischen Regisseurs Corneliu Poromboiu unnötig verschwurbelt erzählt. Das Interesse daran ist endenwollend, zumindest bei mir. Und gleichermaßen stellt sich mir die Frage: Warum eigentlich El Silbo, warum diese Pfeifsprache, warum muss dieser stoische Phlegmatiker so ein schwieriges Lautealphabet büffeln? Gibt´s keine verschlüsselten Handys mehr?

Nun, genau das ist das Problem in La Gomera. Diese verschlüsselten Handys gibt es schon, und darüber hinaus auch sonst alles, was der Elektronikmarkt an Überwachungsgadgets zu bieten hat. Poromboiu weiß schon, was er mit seinem Film ausdrücken will. An allen Ecken und Enden beobachten versteckte und weniger versteckte Kameras das Geschehen oder harren Wanzen hinter vier Wänden auf heißen Hörstoff. Da heisst es: zurück zu den Wurzeln, ausweichen auf ein analoges, am besten verbales Medium, das keiner entschlüsseln kann. Eine nette Idee, keine Frage. Doch der Anspruch, hier eine zynische Antwort auf den gläsernen Menschen zu geben, auch wenn dieser durch kriminelle Aktivitäten diese regelrecht heraufbeschwört, bleibt aufgrund des konfusen Plots und trotz einer stimmigen Pointe am Schluss einschläfernd ungehört. Wie ein missglückter Pfiff.

La Gomera

Official Secrets

DER STAAT BIN AUCH ICH

7/10

 

oficcialsecrets© 2019 Constantin Film

 

LAND: USA, GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: GAVIN HOOD

CAST: KEIRA KNIGHTLEY, MATTHEW GOODE, RHYS IFANS, RALPH FIENNES, MATT SMITH, MARTIN BRIGHT, INDIRA VARMA, ADAM BAKRI U. A.

 

Was würde man bloß tun, wenn plötzlich klar wird, dass die Mächtigen nichts anderes im Schilde führen als uns Bürger zum Narren zu halten? Womöglich würden wir die Füße still halten, aus Angst, uns mit etwas zu Großem anzulegen. Wegsehen wäre hier das kleinere Übel, zumindest für die Person im Einzelnen, nicht aber für einen ganzen Teil der Weltbevölkerung. Würde man die Konsequenzen abwägen, hätten die Mächtigen also freie Bahn für welche Tricks auch immer. Und die Medien, die hecheln wie pawlowsche Hunde nebenher. Manchen aber war das Ausmaß des Frevels zu groß, und die Konsequenzen einer Gegenwirkung vielleicht nicht ganz so bewusst. Wie zum Beispiel bei Übersetzerin Katherine Gun, einer Whistleblowerin wider Willen.

Dass die us-amerikanische Irak-Offensive auf erstunkenen und erlogenen Beweismitteln beruht, das wissen wir längst. Womöglich auch aufgrund der Aktivitäten von Katharine Gun, die tatsächlich nur (so sagt der Film) ihrem Gewissen so manches schuldig war und dabei so ganz nebenbei Freunden von der investigativen Presse brandheißes Material zugesteckt hat. Das Memo: ein Aufruf zur Manipulation einer UN-Resolution zum Angriff auf Saddam Hussein. Wenn das bekannt werden würde, wäre das ein Stachel im Fleisch der Kriegstreiber. Wahrheiten wie diese aber müssen ans Licht. Und so kam es dann auch. Hätte Katharine Gun doch nur still gehalten; wären ihr die ständigen Verhöre Unschuldiger nicht ganz so sehr an die Substanz gegangen und wären ihre Ideale einfach militanter gewesen, wäre Katharine Gun inkognito geblieben und hätte ihr Leben als kluge, wertebewusste Bürgerin weiterhin bewahrt. Keira Knightley gibt sich im Film dann auch genau so: als junge, unbescholtene und engagierte Frau in einer liberalen Beziehung, die gut mit Sprachen kanAnecken mit den Mächtigen war wohl nicht das, was Whistleblowerin Keira Knightley eigentlich wollte – dennoch macht sie in diesem packenden True-Story-Drama eine kämpferisch gute Figur.n und dann so etwas wie dieses tückische Mail in die Finger bekommt.

Dieser Official Secrets-Act ist alleine schon eine Zumutung und läuft dem Bestreben, transparent zu regieren, völlig zuwider. Klauseln gibt’s da nämlich keine, und Aufdeckern von Machtmissbrauch sind da die Hände gebunden. Tsotsi-Regisseur Gavin Hood lässt in der Klarheit britischer News angesichts dieses Beispiels wütend machender Ohnmacht Keira Knightley wiedermal großartig aufspielen. Kein Film, indem die aparte Britin nicht ihren Rollen völlig gerecht wird. Auch hier bangt und kämpft sie, behält aber stets ihre Selbstachtung, den Kopf hoch erhoben und hat zum Glück jenen ritterlichen Trotz, der notwendig ist, diese Art von Ächtung durchzustehen. Ihr zur Seite: Jurist Ralph Fiennes, der fast ein bisschen wirkt wie Bonds M, nur spürbar sozialer. Hat sich diese True Story tatsächlich so zugetragen, dann grenzt das fast an ein Wunder, wie die Sache ausging. Bei Snowden und Assange lief die Sache anders. Knightleys Kampf für ihre Existenz ist in diesem akkurat inszenierten Aufklärungskino fesselnd dokumentiert, spannend und emotional obendrein. Irgendwann geht es nicht mehr um das Wohl der Welt, sondern darum, seinen eigenen Hintern zu retten. Official Secrets ist ein höchst sehenswertes Filmbeispiel um Selbstlosigkeit, Mut aus Angst und der Freiheit des Gewissens. Und nicht zuletzt um die Fragwürdigkeit von Staatsgeheimnissen, die uns alle angehen sollten.

Official Secrets