Strange Darling (2023)

DER FEIND IM FREMDEN BETT

7,5/10


Strange Darling© 2024 Miramax


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: JT MOLLNER

CAST: WILLA FITZGERALD, KYLE GALLNER, BARBARA HERSHEY, ED BEGLEY JR., ANDREW SEGAL, MADISEN BEATY, BIANCA SANTOS, EUGENIA KUZMINA, STEVEN MICHAEL QUEZADA, SHERI FOSTER, GIOVANNI RIBISI U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Nie, wirklich niemals, ist das Objekt genau dort, wo man es vermutet. Weder unter dem einen noch unter dem anderen Hütchen. Das liegt wohl daran, dass einige von denen, die mit namentlichem Spiel draufgängerische Passanten um ihr Kleingeld erleichtern, Trickbetrüger sind. Da lassen sich die Rochaden noch so genau beobachten – letztlich blickt man ins Leere.

Es gibt Filme, die ähnlich konstruiert sind. Die nicht wollen, dass ihr Publikum viel zu früh ahnt, welche Taktik hier ihre Anwendung findet. Die es darauf ankommen lassen, dass unkonventionelle Erzählweisen nicht immer willkommen sind. Doch diejenigen, die gerne erfrischend Neues erleben und sich mit einem Lächeln an der Nase herumführen lassen wollen, haben mit Strange Darling eine gute Partie – vorausgesetzt, der Versuch, aus der Gewohnheit auszuscheren, wirkt letztlich nicht allzu gewollt. So ein Zerstückeln des Erzählflusses braucht schließlich Geschmeidigkeit, muss sich anbieten und nicht so wirken, als hätte man erst viel zu spät entschieden, ein konventionelles B-Movie mit besonderem Twist zwangszubeglücken. Das merkt auch das Publikum. Bei Strange Darling merkt es das nicht. Denn der Thriller fuhrwerkt mit seinen sechs Kapiteln ebenso herum wie eingangs erwähnter Hütchenspieler. Dabei starten wir gleich mal mit Kapitel Nummer Drei. Und nein, vorne fehlt nichts, hinten fehlt nichts – dieses Puzzleteil wirft uns sogleich mit Anlauf hinein ins Geschehen. Wir sehen eine Blondine, die, blutverschmiert und gehetzt, mit einem roten Sportwagen über die Landstraße brettert. Hintendrein das Böse: ein grimmiger, toxisch-männlicher Killer, Sexualstraftäter, Psychopath – keiner weiß, was dieser Mann sonst noch alles in sich vereint. Er wirkt wie ein Rednex, wie ein diabolischer Hinterwäldler aus Beim Sterben ist jeder der Erste. Er hat es beinhart auf die junge Frau abgesehen, er will sie nicht entkommen lassen, sie ist schließlich seine Beute.

So viel kann sich das Publikum schon denken: Wenn Kapitel Drei den Thriller startet, ist nicht alles so, wie es scheint. Regisseur JT Mollner gibt nur so viel preis, damit es reicht, um bewährte Rollenbilder zu etablieren. Der stereotype böse Mann, die hilflose Blondine, es könnte ein gediegener, generischer Reißer sein, hätte Mollner nicht noch anderes im Sinn. Und da stecke ich aber als Filmblogger und Reviewer in einem Dilemma, denn Strange Darling ist ein Machwerk jener Sorte, über das man so wenig wie möglich schreiben und erzählen sollte. Don’t worry, ich werde das auch nicht tun, denn so lässt sich dieser Beitrag hier sowohl vor als auch nach dem Film bedenkenlos lesen. Was ich erwähnen kann: Der Kick an der Sache liegt im ausgeklügelten Hinauszögern an Informationen, im Zurückhalten wichtiger Wendungen und auch der Geduld, dieses Zögern durchzuhalten. Vielleicht lässt sich Strange Darling ein bisschen mit dem Roadmovie-Albtraum Hitcher – Der Highwaykiller vergleichen. Vielleicht auch nicht. Zumindest aber kam er mir in den Sinn. Und natürlich kommt einem auch Tarantino in den Sinn, denn dieser Mann zählt zu den großen Avantgardisten – was dieser an Stilideen nicht schon alles auf den Weg gebracht hat, damit andere diese variieren können, nimmt zumindest die Hälfte neuzeitlicher Filmchroniken ein. Bei Pulp Fiction pfiff dieser auf chronologische Akuratesse und etablierte das nonlineare Erzählen bei einer weitgehend durchgehenden Handlung, wenngleich das Episodenhafte noch viel stärker in den Vordergrund tritt als bei Strange Darling, bei welchem die Kontinuität einen Filmdreh wie aus einem Guss voraussetzt. Mollner setzt dabei fünf scharfe Schnitte, wirbelt diese aber nicht willkürlich durcheinander, sondern wohlüberlegt. Im Kopf ordnen sich die Fragmente sowieso in die richtige Reihenfolge, das macht das Hirn ganz von allein. Diese Fähigkeit nutzt Mollner auf irrwitzige Weise. Durch diese Methode konterkariert er die Wahrnehmung von Opfer sowie Täter, von Macht und Ohnmacht, Schwäche und Stärke. Angereichert mit perfiden, aber passgenauen Gewaltspitzen und einer Hauptdarstellerin in Höchstform, entwickelt sich Strange Darling zu einem pfiffigen Meta-Thriller, der sich Zeit lässt und dem die Laune am Spiel mit den Konventionen in jeder Szene anzumerken ist.

Man könnte das nonlineare Experiment sogar noch weiterführen. Nach Harald Zettler vom Online-Filmmagazin uncut.at könnten sich die Kapitel eines Films, wenn man es denn hinbekommt, jedes Mal neu ordnen. Was da herauskäme, wäre erfahrenswert. Jedenfalls ein sich ständig veränderndes Erzählen. Strange Darling macht schon mal den Anfang.

Strange Darling (2023)

Everything Everywhere All at Once

DAS CHAOS DES MULTITASKINGS

5/10


EverythingEverywhereAllAtOnce© 2022 Leonine


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: DANIEL KWAN & DANIEL SCHEINERT

CAST: MICHELLE YEOH, KE HUY QUAN, JAMES HONG, STEPHANIE HSU, JAMIE LEE CURTIS, JENNY SLATE, HARRY SHUM JR. U. A. 

LÄNGE: 2 STD 19 MIN


Kennt Ihr den Film Der Partyschreck? Peter Sellers spielt hier, in Blake Edwards Slapstick-Feuerwerk, einen indischen Statisten, der eine Filmcrew zur Verzweiflung treibt, da er nicht und nicht, wie im Drehbuch vorgesehen, auf dem Schlachtfeld sterben will. Immer wieder erhebt er sich und bläst in sein Horn. Und wenn man glaubt, er hat nun sein Leben ausgehaucht, bäumt er sich nochmal auf. Herrlich köstlich. Was das mit Everything Everywhere All at Once zu tun hat? So einiges. Denn die Peter Seller’sche Methode veranschaulicht ganz gut, wie sich das surreale Filmchaos der beiden Daniels immer wieder und von Neuem weigert, seine ohnehin schon kontinuierlich ausufernde Geschichte abzuschließen.

Dabei fällt so ein Vorhaben angesichts des neuen Trends, Multiversen die neuen Zeitreisen sein zu lassen, natürlich nicht leicht. Mit Multiversen lässt sich bequem übers Ziel hinausschießen, denn nichts mehr ist unmöglich. Im MCU hat man den alles überspannenden roten Faden im Auge behalten und rechtzeitig die Kurve gekriegt. Doctor Strange in the Multiverse of Madness ist deshalb so gelungen, weil sich die Macher nicht dazu verleiten ließen, das große Tohuwabohu vom Zaun zu brechen, um mit einem viel zu voluminösen Event dem Publikum unbedingt die Sprache verschlagen zu wollen. Wieder gilt: weniger ist mehr, und: bleib bei dem, was du erzählen willst. Alles im Grunde Weisheiten, die man im Kunstgewerbe eigentlich schon von der Pike auf lernt. Daniel Kwan und Daniel Scheinert, bekannt geworden durch einen furzenden Daniel Radcliffe in der schrägen Robinsonade Swiss Army Man, ignorieren dieses empirische Wissen. Sie setzen sich mit einem rebellischen Trotz, der sich selbst genügt, über Gesetzmäßigkeiten hinweg. Sie fabulieren, philosophieren und ergehen sich in einen dicht gedrängten, scheinbar atemlosen Sermon über das Menschsein.

Michelle Yeoh ist die Heldin dieses kuriosen Reigens, der anfangs noch die Übersicht bewahrt und anmutet wie eine Sozial- und Familienkomödie mit Migrationshintergrund. Yeoh ist Evelyn, Mama einer Tochter und Chefin eines Waschsalons, pflegt ihren Papa und wundert sich über Waymond, ihren eigentlich nichtsnutzigen Ehemann. Gerade als das chinesische Neujahrsfest ansteht, muss die Familie am Finanzamt vorstellig werden, und zwar bei niemand geringerer als Jamie Lee Curtis im konservativen Büro-Look und lustvoller Überzeichnung eines stereotypen Beamtenwesens, das fast schon an Terry Gilliams Brazil erinnert. Die macht den Vieren, die da samt Opa antanzen, die Hölle heiß. Doch es kommt noch dicker: Waymond ist plötzlich nicht mehr der Waymond, den wir bisher kennen, sondern eine Version aus einem anderen Universum, nämlich dem Alphaversum, in welchem Reisen in andere parallele Welten gerne praktiziert werden. Von dort geht auch eine große Gefahr aus, die alles zu verschlingen droht, wäre Evelyn nicht bereit, um das Schicksal der gesamten Existenz zu kämpfen. Dafür müsste sie aber erst das Weltenspringen lernen, was natürlich Platz für reichlich Schauwerte, groteske Ideen und seltsame Wendungen macht.

Im Grunde ist das auch schon das ganze Abenteuer. Die eigentliche Originalität liegt dabei in den Ausgestaltungen der Methoden, von einem anderen Ich zum nächsten zu switchen. Dafür muss man Dinge tun, die einem logischen Verhaltensmuster zuwiderlaufen. Was für eine schöne Idee – die muss man den Daniels lassen, da haben sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort die Köpfe zusammengesteckt und womöglich ein Brainstorming losgelassen, das am Ende des Tages angesichts seiner Ergebnisse so liebgewonnen wurde, dass es eins zu eins in den Film kam. Immer schön, wenn man im Rahmen seiner auszulebenden Kunst das tun kann, was man will. Der verwöhnte und von Formelhaftigkeit ermüdete Zuseher wird es womöglich danken, denn frischer Wind ist im Storytelling des Kinos immer gut. Das dabei die Wahrnehmung der Zeit komplett verloren geht, ist das eigentliche Phänomen dieses Films. Es ist, als säße man bereits Tage im Kinosaal, als wäre ein Filmfestival mit seinen Highlights auf ex genossen worden, und immer noch nicht findet das Werk sein Ende, nachdem es sich mehrmals, wie Peter Sellers eben, zu einem infernalischen Crescendo durchgerungen hatte, um dann ein pathetisches Ende einzuläuten. Das Hinterfragen der Existenz sprudelt in Form gedroschener Phrasen durch die gefühlte Ewigkeit und versickert als bemühtes Blabla, um nochmal, unterbrochen von anderen bedeutungsschweren Zirkusnummern, zum Grande Finale zu gelangen, das in seiner Prämisse plötzlich komplett die Richtung ändert. Wie ernüchternd und überschaubar die Quintessenz des Films, und dafür so viel Brimborium. Die Erkenntnis: Fast alles nur Deko.

Everything Everywhere All at Once

Wo die wilden Menschen jagen

MÄNNER ALLEIN IM WALD

6,5/10

 

wodiewildenmenschenjagen© Sony Pictures 2016

 

LAND: NEUSEELAND 2016

REGIE: TAIKA WAITITI

CAST: JULIAN DENNISON, SAM NEILL, RIMA DE WIATA, RACHEL HOUSE, TAIKA WAITITI U. A.

 

Was macht eigentlich eine WG voller Vampire die liebe lange Nacht? Wer wäscht das Geschirr, wer bringt den Müll raus? Und überhaupt – was passiert, wenn so ein Untoter statt Blut ganz andere Nahrung zu sich nimmt? Über diese Pseudo-Fakten hat uns der Neuseeländer Taika Waititi vor 5 Jahren relativ augenzwinkernd aufgeklärt – obwohl 5 Zimmer Küche Sarg jetzt nicht durchwegs ein geglückter Film ist. Aber zumindest macht er neugierig. Und neugierig hat mich auch das dritte Abenteuer von Thor gemacht. Der Tag der Entscheidung hat dann noch dazu meine Erwartungen erfüllt – denn so ein Genre und so ein Thema verlangen Künstler, die sich selbst, die Kunstrichtung Film und ihre zu erzählenden Geschichten von Grund auf nicht ganz ernst nehmen. Sie lachen gern darüber, schöpfen bei so einem Budget, wie Marvel es hat, aus dem Vollen und modellieren wie mit Fingerfarben und FIMO zum Beispiel ein reueloses Spektakel zwischen Mythen, Märchen und knallbunten Comic-Panels. Ein großer Wurf, dieses Thor-Abenteuer. Man sollte Waititi für ein weiteres Abenteuer aus dem Avengers-Kosmos verpflichten, aber mal sehen, was da kommt. Irgendwo zwischen dem Vampir-Klamauk und dem Blockbuster-Kino verirrte sich noch ein weiterer Film ins letztjährige sommerliche Outdoorkino, der im regulären Programm keinen Platz finden konnte: die skurrile Tragikomödie Wo die wilden Menschen jagen.

Das erinnert mich an das Kinderbuch von Maurice Sendak – Wo die wilden Kerle wohnen – 2009 verfilmt von Spike Jonze. Aber damit hat Waititi´s Film nichts zu tun. Die wilden Menschen sind in diesem Fall ein alter Grantler und ein kugelrunder Teenie. Letzterer ist das widerborstige Waisenkind Ricky Baker, der bei Pflegeeltern auf dem Land unterkommt. Pflegemama Bella weiß, wie dieser zynische Kleinbürger zu nehmen ist. Ihr Ehemann Hec weiß das nicht, denn der ist ein mürrischer Misanthrop, der sich in der Wildnis Neuseelands zwar auskennt, sozial aber überhaupt nichts am Kasten hat. Wie es das Schicksal leider will, segnet die fürsorgliche Ziehmutter unerwartet das Zeitliche – und der längst eingelebte Knabe Ricky Baker soll wieder zurück ins Heim geholt werden. Das geht natürlich gar nicht, dann also lieber in die Wildnis – und Ricky reißt aus. Dessen Flucht zieht einen ganzen Rattenschwanz an Verfolgern nach sich – von Polizei über Medien bis Fürsorge. Allen voran aber den alten Knurrhahn Hec, der sich, wie kann es wohl anders sein, mit seinem Schützling zwischen Farn, Fluss und Lagerfeuer so richtig väterlich anfreundet.

Eine schöne Geschichte – eine eigenwillige Umsetzung. Aber das ist typisch Waititi´s Handschrift. Wer die Vampir-Kommune und Thor´s Gladiatorenkampf mit Hulk kennt, wird auch bei Wo die wilden Menschen jagen bemerken, dass der Neuseeländer einen deutlichen Hang zur ausgelassenen Spielerei hat. Teilweise wirkt seine Waldkomödie wie ein Beitrag aus dem Kinderfernsehen, von Kindern inszeniert. Dann verbindet Waititi stille Momente der Schönheit mit schwarzem Humor. Seine Figuren sind stets positiv motiviert. Sie sind, auch wenn sie trauern – auch wenn sie wütend oder emotional gebeutelt sind – erfrischend mutig, unbeugsam und rotzfrech optimistisch. Am Ende könnte doch alles gut werden, zumindest ahnt Waititi das. Und es ist ihm auch hier ein Anliegen, das zu vermitteln, auch wenn das Versteckspiel in der Botanik immer knapp am Unglück vorbeischrammt. Was der großartig waldschratige Sam Neill und der trotzige Julian Dennison, den wir als Firefist aus Deadpool 2 kennen, verqueren Situationen alles abgewinnen können, bis gar nichts mehr geht, ist von kindlich-naivem Charme. Wie ein Cartoon für Nerds wie Ricky Baker – leicht zu konsumieren, scherzhaft fabulierend und in der Wahl inszenatorischer Extras abwechslungsreich und originell. Zwischendurch fällt es zwar etwas schwer, sich dauerhaft empathisch an die Fersen der beiden impulsiven Eigenbrötler zu heften, doch den beiden eine glückliche Zukunft zu wünschen wird zu einem echten Anliegen. Und dann freut man sich – wie Taika Waititi, der sichtlich Spaß am Filmemachen hat. Und sein Publikum diesen Umstand auch spüren lässt.

Wo die wilden Menschen jagen