Weißes Rauschen

VERHEDDERT IN DER ENDLICHKEIT

6,5/10


weissesrauschen_1© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: NOAH BAUMBACH

BUCH: NOAH BAUMBACH, NACH DEM ROMAN VON DON DE LILLO

CAST: ADAM DRIVER, GRETA GERWIG, DON CHEADLE, RAFFEY CASSIDY, SAM NIVOLA, MAY NIVOLA, JODIE TURNER-SMITH, LARS EIDINGER, ANDRÉ BENJAMIN, BARBARA SUKOWA U. A. 

LÄNGE: 2 STD 16 MIN


Der schlimmste Widersacher von Gevatter Tod ist nicht der abstrakte Umstand des ewigen Lebens. Er ist die fehlende Furcht vor ihm. Wer seine Existenz von Geburt bis Ableben sinnvoll nutzt und es dabei noch schafft, völlig angstfrei dem Ende selbiger entgegenzusehen, den kann der Tod nicht tangieren. Nur weil wir nicht wissen, was hinter diesem Mysterium steht, heißt es nicht, dass wir in Panik geraten müssen. Doch andererseits: Panik, wenn sie in Massen auftritt, ist zumindest eine Möglichkeit, die Angst untereinander aufzuteilen. Oder von anderen, die vielleicht weniger davon besitzen, absorbieren zu lassen. Womit wir beim Phänomen der Massendynamik wären, der Gruppensuggestion. Denn wenn einer gen Himmel blickt und den Stern der Weisen erblickt, erblicken es die anderen womöglich auch. Ähnliches Wunder dürfte jenes von Fatima gewesen sein. In Noah Baumbachs Verfilmung von Don DeLillos Roman Weißes Rauschen ist es eher die Faszination Adolf Hitler. Oder das Ende der Welt. Oder beides, denn so weit liegen der Mann aus Braunau und der Untergang der Zivilisation nicht auseinander. Über Adolf Hitler weiß Baumbachs feiste Filmfigur Jack Gladney (Adam Driver, weit, weit entfernt von Kylo Ren) so einiges, und auch über dessen Mechanismen, um die Massen unter seine Knute zu stellen. Er verbindet das Erscheinen des Diktators mit der Möglichkeit des Einzelnen, in der Masse die eigene Existenzkrise verschwinden zu sehen. In der Gemeinschaft gibt es keine Furcht mehr – entweder so. Oder andersrum.

Andersrum kommt es, als ein Öllaster mit einem Zug kollidiert, der chemische Substanzen führt. Alles explodiert, eine Giftwolke entsteht, und die zieht später übers Land. Solange keine extra Winde wehen, lässt sich der Schaden eingrenzen, doch dieses Ideal hält nicht lange vor. Bald herrscht Ratlosigkeit an allen Orten, sogar in den Medien gibt es unterschiedliche Anweisungen, was man nun, als Otto Normalverbraucher, zu tun hat, um heil aus der Sache herauszukommen.

Die To-Do-Liste kann man drehen und wenden, wie man will. In Don DeLillos verschwurbelter Odyssee nach Angstfreiheit kommt hier, aus der kleinen Existenz, keiner lebend raus. Das klingt jetzt etwas nach Jean Paul Sartre, dessen Existenzialismus eine ähnliche Richtung geht – oder so wie der Titel von Sugermans und Hopkins‘ Biografie über Jim Morrisson, der ja, wahrscheinlich ohne es je gewusst zu haben, zum Club 27 zählt. Im Grunde laufen all diese vielen Details und verqueren Geschehnisse auf einen Sollzustand hinaus: Das Ende des eigenen Ichs leichten Herzens hinnehmen zu können.

Auf diesem Weg aber gibt Weißes Rauschen dem Zuseher allzu viele Hausaufgaben. Vor allem sind es solche, die keiner versteht. Zumindest ich nicht. Deshalb mühe ich mich die erste Dreiviertel Stunde durch ein konfuses Alltagsportrait aus exaltiertem Hitler-Experten, tablettensüchtiger Ehefrau und einigen Patchwork-Kindern, von denen einer so allwissend zu sein scheint wie Sheldon Cooper. Worauf wollen Noah Baumbach und Don DeLillo eigentlich hinaus? Nach ungefähr 30 Minuten wäre auch die Möglichkeit gegeben, den Film einfach abzubrechen und sich Sinnvollerem zuzuwenden, denn zu viele leere Filmmeter scheinen abgespult, ohne ihren Zweck zu enthüllen. Anders als in The Meyerowitz Stories oder Marriage Story, die Baumbach selber verfasst hat und auch sein szenisches Gespür widerspiegeln, scheinen Buchadaptionen, vor allem diese hier, nicht die Stärke des Künstlers zu sein. Autorenfilmer ist nicht gleich literarischer Interpret, so viel scheint klar. Nach dieser halben Stunde aber konzentriert sich der Film auf das Katastrophenszenario, und wenn man da den Absprung verpasst hat, wird man auch bis zum Ende dranbleiben müssen. Dann geht es erst so richtig los, und obwohl Weißes Rauschen bereits 1985 geschrieben wurde, lassen sich vor allem in diesem filmischen Mittelteil so einige Seitenhiebe auf den medialen Umgang mit der Corona-Pandemie entdecken sowie auf das Erstarken einer Querdenker- und Besserwisser-Community. Dies geschieht leider nur am Rande, denn Baumbachs Verfilmung will dann doch wieder ganz etwas anderes, oder auf ganz anderem Wege sein diffuses Ziel erreichen, dass allerdings auch, um es als Hauptthema auszurufen, viel zu wenig fokussiert wird.

Weißes Rauschen ist ein verwirrendes Kunstwerk, liebäugelnd mit dem Farbspektrum der Achtziger und einer obsoleten Konsumgesellschaft, die ausgedient hat. Was das wieder mit dem Tod zu tun hat? Genaues lässt sich nicht herausfinden, und dennoch bleibt hier ein gewisses Staunen übrig, das daher rührt, nicht mehr vorhersagen zu können, was denn nun als nächstes geschieht. Ist das, was wir sehen, nun bedeutungsschwer oder so weit irreführend, dass hinter der Fassade einer kaspernden und wertelosen Gesellschaft nur diese Angst vor dem Tod steht, für die Lars Eidinger, der mittlerweile wie Landsmann Daniel Brühl vermehrt in internationalen Produktionen zu sehen ist, den richtigen Stoff hat.

Vielleicht – und das sogar ziemlich sicher – liest sich Weißes Rauschen besser als es sich ansehen lässt. Doch irgendwie hält dieser Reigen den Betrachter fest, als wäre man unfreiwilliger Teil einer Massenhysterie.

Weißes Rauschen

Vox Lux

DAS TRAUMA EINES POPSTARS

5,5/10


voxlux© 2019 Kinostar


LAND / JAHR: USA 2018

BUCH / REGIE: BRADY CORBET

CAST: NATALIE PORTMAN, JUDE LAW, RAFFEY CASSIDY, STACY MARTIN, JENNIFER EHLE, MARIA DIZZIA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Warum genau wollen das manche – ein Star werden? Ist es wirklich nur Ruhm und Reichtum? Diese Stars – sie können sich alles kaufen, alles leisten und haben Einfluss. Einfach sie selbst sein können sie nicht. Ausruhen können sie nicht. Unerkannt bleiben können sie nicht. Auf allen Kirtagen müssen sie sein, um die Erfolgssuppe am Köcheln zu halten, sonst ist der Stern ganz schnell ein sinkender. Aber vielleicht ist dieser Prozess letzten Endes das Beste, was passieren kann. Bleibt nur, es zuzulassen.

Zu solchen Gedanken gelangt man – muss man ganz einfach gelangen, wenn am Screen Natalie Portman als unausstehlicher, weil seelisch zerrütteter Popstar Celeste so gut wie alles Offensichtliche im Leben erreicht zu haben scheint – nur nicht das, worauf es ankommt.

Dabei nimmt das Leben dieser fiktiven Persönlichkeit, die um die Jahrtausendwende den Pophimmel erobern wird wie im tatsächlichen Leben Lady Gaga oder ihresgleichen, in ihren Teenagerjahren eine erschreckende Wendung. Celeste wird Opfer eines schulischen Amoklaufs, kommt mit dem Leben davon. Zwei Narben verunstalten Hals- und Bauchbereich, seitdem erschweren Kreuzschmerzen den Alltag. Bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Anschlags fängt Celeste zu singen an – und wird über Nacht zur Ikone. Ihre Stimme findet bald den richtigen Agenten (Jude Law), der das Mädchen vom Aufnahmestudio bis zur Bühne überallhin begleitet. Und ja: dieses scheinbar von allen psychischen Schmerzen unberührte Individuum schafft es, ganz groß rauszukommen. Nur: sagenhafte Popularität hat ihren Preis. Das ist fast so wie ein Pakt mit dem Leibhaftigen, der die materielle Welt zu Füßen legt, während die wahren Werte ihm ganz alleine gehören.

Kurz mal nachgedacht: es gibt kaum einen Film über Stars ohne Schattenseiten. In den meisten Fällen dominieren sie die Biographie. Auch in A Star is Born hat zwar Lady Gaga das große Los gezogen, Bradley Cooper allerdings gibt sich nach zahlreichen Besäufnissen den Strick. Es scheint, als wäre das Star-Dasein ein Fluch aus Versuchung und dem Rausch des Mittelpunkts. Kann sein, dass Brady Corbet sein Glamour-Drama als kritische Antithese auf den in allen Farben schillernden Traum vom Showbusiness sieht. Hier ist gar nichts schillernd und schmuck, nicht mal die ausladende Stage-Sequenz von Celeste im Glitter-Look, in welcher sekündlich merkbar scheint, wie mühsam diese Performance sein muss. Wie sehr sich dieser ohnehin schon durch alle Öffentlichkeit hindurchverwurstete Mensch sich wegdenkt, während der Automatismus das eingelernte Programm abspult. In Vox Lux ist der Erfolg ungefähr so elektrisierend wie ein Suchtgiftentzug. Vox Lux ist schwerfällig und larmoyant, ein bisschen überkünstelt und von ermüdender Exaltiertheit, die schon beim Zusehen das Verlangen nach einer eigenen Auszeit weckt. Dieses öffentliche Leben fühlt sich verklebt und verdreckt an – unterm Strich falsch. Da setzt Natalie Portman in ihrer heillos überzogenen Darstellung des kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehenden Superstars dem vermurksten Leben noch die Krone auf, in dem sie im klappernden Stelzschritt und aufgebrezelt bis zum Barock-Theater ihre Authentizität verscherbelt.

Befriedigung kommt bei diesem Drama, welches wie eine Oper in mehrere Akte unterteilt ist und hörspielmärchengleich von einem Erzähler aus dem Off begleitet wird, keine auf. Der fahle Nachgeschmack eines nie aufgearbeiteten (amerikanischen) Terror-Traumas und einer latenten Unversöhnlichkeit dem Leben gegenüber sediert jede Szene. So ist das, wenn der Teufel einen Deal macht.

Vox Lux