Der Hochstapler – Roofman (2025)

DER FREUNDLICHE RÄUBER AUS DER NACHBARSCHAFT

7/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: DEREK CIANFRANCE

DREHBUCH: DEREK CIANFRANCE, KIRT GUNN

KAMERA: ANDRIJ PAREKH

CAST: CHANNING TATUM, KIRSTEN DUNST, PETER DINKLAGE, BEN MENDELSOHN, UZO ADUBA, JUNO TEMPLE, EMORY COHEN, LAKEITH STANFIELD, MELONIE DIAZ, MOLLY PRICE U. A.

LÄNGE: 2 STD


Robert Redford würde sagen: Ein Gauner & Gentleman. Er wüsste, wovon er spräche, hat er doch in David Lowerys Kriminalromanze einen unverbesserlichen Bankräuber gegeben, der wie kein anderer beim Leeren der Kassen einen Charme versprühen konnte, da hätte man wohl gerne die Hände hoch genommen, wäre man dabeigewesen. Ähnlich wird es wohl den Angestellten diverser Fast Food-Filialen ergangen sein, als sie frühmorgens zu Betriebsbeginn nicht die ersten waren. Dieser Jeffrey Manchester nämlich war, wie Redford im Film, sowas wie der freundliche Räuber aus der Nachbarschaft. Eine verharmlosende Formulierung? Einschätzen lässt sich als Genötigter, der in eine bedrohliche Situation wie diese gerät (und da reicht ein mit der Waffe fuchtelnder Vermummter allemal) selbst freundliches Verhalten nicht, Durchgeknallte gibt es schließlich genug, die vorgeben, nett zu sein, um kurze Zeit später den Henker zu spielen. Man kann also nicht sagen, dass der Roofman keine Gewalt ausgeübt hätte – wenn schon keine physische, dann bleibt immer noch die psychische Misshandlung, denn beschwichtigende Worte hin oder her: Extremsituation ist Extremsituation, da hilft nicht mal die wärmende Jacke, damit die ihrer Freiheit beraubte Belegschaft in der Kühlkammer des Restaurants nicht friert.

Achten Sie auf die Marke!

Sieht man mal darüber hinweg, haben wir es in Der Hochstapler – Roofman von Derek Cianfrance mit der unglaublichen, aber tatsächlich wahren Geschichte eines prädestinierten Asozialen zu tun, der sich mit Superschurke Gru verbrüdern könnte, damit beide unisono in die Welt herausposaunen könnten: Das bin ich, einfach unverbesserlich! In die Rolle jenes Mannes, der immer noch im Gefängnis sitzt und wohl 2036 erst eine Chance bekommen könnte, auf Bewährung entlassen zu werden, schlüpft Channing Tatum, der seit Blink Twice längst gezeigt hat, dass er auch anders kann als nur die Jump Street zu entern. Um akkurat bei der Sache zu bleiben, muss Cianfrance allerdings auch so tun, als müsste er Product Placement betreiben, Markenwerbung quer durch den Film, aber es geht nicht anders, diese Labels müssen hier rein, von MacDonalds bis Toys R Us – gerade die Lettern einer Filiale der Spielwarenkette leuchten des Öfteren von der Leinwand – dahinter, in den Untiefen des Kinderparadieses, findet das Superhin während der Flucht vor der Executive einen Ort, an welchem ihn, wenn er es richtig anstellt, niemals jemand entdecken könnte. Während er also der Möglichkeit entgegenharrt, das Land zu verlassen, gerät er in Kontakt mit einer kleinen Kirchengemeinde (grandios: Ben Mendelsohn als hüftschwingender Prediger), und wie es der Zufall so will, findet er dort auch seine große Liebe: Kirsten Dunst.

Fühlen Sie den Blues!

Was für eine Kriminalromanze, könnte man an dieser Stelle seufzend loswerden und sich dabei an die Stirn greifen. Doch, wie heisst es so schön; die kitschigsten und gleichzeitig auch besten Geschichten schreibt das Leben selbst. Mag sein, dass Cianfrance hier die eine oder andere Komponente etwas weichgezeichnet hat, doch im Grunde bleibt die Story ganz so, wie sie sich zugetragen hat. Akzeptiert man diese Tatsache, tut sich hier leidensfähiges, amerikanisches, authentisches Gefühlskino auf, was mich nicht wundert, denn Cianfrance beherrscht das Farbenspiel der Emotionen dank Erfahrungen, die er in Blue Valentine oder The Place Beyond the Pines bereits gesammelt hat, mit sicherer Hand. Der Hochstapler – Roofman verhält sich dabei zwar weitaus komödiantischer, pfeift aber im spärlichen Licht der Abend- und Morgendämmerung die hoffnungslos hoffnungsvolle Blues-Ballade eines um Glückseligkeit ringenden Outlaws von den Dächern. Aus dem gewieften Kriminellen wird ein Antiheld, bei dem die Frechheit zumindest zeitweise siegt. Es würde mich wundern, hätte der Mann bis heute keine Fans. Und wenn nicht, dann spätestens mit diesem Film.

Der Hochstapler – Roofman (2025)

Wolfs (2024)

NACHTSCHICHT FÜR SCHÖNLINGE

3,5/10


Wolfs© 2024 Apple TV+


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: JON WATTS

CAST: GEORGE CLOONEY, BRAD PITT, AUSTIN ABRAMS, AMY RYAN, POORNA JAGANNATHAN, ZLATKO BURIĆ, RICHARD KIND U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


„Was ein Mann schöner is wie ein Aff‘, is ein Luxus.“, meinte einst Tante Jolesch. Folgt man dieser Weisheit, ist der Luxus in vorliegendem Film fast schon obszön. Denn was sind die beiden nicht für schöne Männer? George Clooney und Brad Pitt sind eine Augenweide, wohl die größten Augenweiden seit Sean Connery, der ja unangefochten und bis ins hohe Alter als der Sexiest Elder Man Alive gelten konnte. Jetzt rücken diese beiden Superstars nach, und sie sehen besser aus als je zuvor. Brad Pitt mit sechzig, Clooney mit dreiundsechzig Lenzen, und beide benötigen dringend einen Espresso, am liebsten aus dem Hause eines gewissen Schweizer Lebensmittelkonzerns. Wider Erwarten aber interessiert Kaffee hier niemanden die Bohne, obwohl sich Clooney und Pitt die ganze Nacht um die Ohren schlagen, anstatt irgendwo weitab lästiger Unbequemlichkeiten ihren Charme zu pflegen. Wolfs nennt sich die lederjackige, nokturne Krimikomödie, inszeniert von Spiderman-Reboot-Profi Jon Watts und dank eines kraftlosen Skripts entsprechend kraftlos in Szene gesetzt.

Ja, das kommt jetzt ein bisschen plötzlich. Gerade noch ergötze ich mich an der maskulinen Eleganz zweier Kino- und Werbelegenden, und dennoch reicht dieses Charisma im Doppelpack nicht aus, um mit Wolfs einen den Schauspielern adäquaten Kraftakt zu absolvieren. Wir sehen: Schönheit und Bekanntheit allein reichen nicht, um frappante Mängel eines Films zu kompensieren. Da wirken beide wohl eher verloren als gefordert, eher antriebslos als vom Sog einer schicksalsträchtigen Nacht mitgerissen. Vielleicht hätte man das Problem, mit welchem dieser Film hadern muss, vorab vermuten können: Die siegessichere Prämisse, dass Stars bereits die halbe Miete sind; die gemähte Wiese; der mächtige Brocken auf der Habenseite. Was soll da schon schiefgehen?

Zu Beginn des Films schon mal einiges, aber das ist wohl inhaltlicher Natur. In einem Hotelzimmer muss die New Yorker Staatsanwältin Margaret (Amy Ryan) erschrocken feststellen, dass ihr „Mann für gewisse Stunden“ aufgrund einer Überdosis Drogen plötzlich das Zeitliche gesegnet hat. Da liegt er nun, zwischen den Scherben eines Beistelltisches. Was also tun? Die völlig verstörte Dame klingelt bei George Clooney, der als gewiefter und akkurater Problemlöser dann auch vor Ort aufschlägt und sich an die Arbeit macht. Das alles wäre ein Routinejob, würde nicht auch noch Brad Pitt mit hoteleigenem Schlüssel ins Zimmer schneien. Obwohl der eine den anderen gerne hinauskomplimentieren möchte, müssen beide letzten Endes wohl zusammenarbeiten, um auch die Tasche voller Koksziegel wieder an den Absender zu bringen, um Komplikationen zu vermeiden, die das Hotelmanagement nicht haben will. Womit beide wohl nicht rechnen: Der tote Gigolo ist vielleicht gar doch nicht so tot wie angenommen. Für den Rest des Abends gibt’s für Zusatzjobs wohl kein Zeitfenster mehr.

Gentlemen wie Clooney und Pitt können noch so tun, als würden sie sich nicht ausstehen können – ihr ewiger Hickhack, der sich anfühlt, als würden sich Spencer Tracy und Katherine Hepburn necken, obwohl sie sich lieben, fällt viel zu zahnlos aus, um daraus einen privaten Konflikt zu entwickeln, der vielleicht diesen fadenscheinigen Plot gerettet hätte. Viel tut sich nicht in dieser einen Nacht, und ob nun heiße Ware ihren Besitzer findet oder nicht, tangiert nicht im Geringsten. Als Thriller, der sich mit einer Konkurrenz von hunderterlei ähnlichen Filmen messen muss, versagt die seichte Angelegenheit völlig. Ob Kroaten, Albaner oder sonst wer, die hinter dem Stoff und vielleicht auch hinter Clooney und Pitt her sind – sie alle sind verschenkte Stereotypen.

Wer die beiden feschen Superstars, die sich kaum anstrengen und genau wissen, was ihre Ausstrahlung hergibt, mehr oder weniger an die Wand spielt, ist Austin Abrams (u. a. Scary Stories to Tell in the Dark) als von seinem Drogentrip Genesender, der erst langsam, aber doch, die Gefahr wittert, in der er sich befindet. Für so einen Film aber zwei Idole zu verschleudern, die sichtlich unterfordert nur darauf warten, am Ende der Nacht dann doch noch ihren Espresso zu genießen, ist verlorene Liebesmüh.

Wolfs (2024)

River (2023)

ZEIT IM (ÜBER)FLUSS

8/10


river© 2023 Tollywood Studio Project


LAND / JAHR: JAPAN 2023

REGIE: YUNTA YAMAGUCHI

DREHBUCH: MAKOTO UEDA

CAST: RIKO FUJITANI, YUKI TORIGOE, MANAMI HONJÔ, GÔTA ISHIDA, YOSHIMASA KONDÔ, SAORI, SHIORI KUBO, MASAHIRO KUROKI, KOHEI MOROOKA, MUNENORI NAGANO, HARUKI NAKAGAWA U. A.

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Zwei Minuten vor, zwei Minuten zurück. Es sind immer zwei Minuten, mit denen Junta Yamaguchi machen kann, was er will. Unter Garantie sind diese Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft, da kommt noch mehr, viel mehr. Das wiederum werden wir erst in ein paar Jahren erfahren, diesmal aber hält sein herzallerliebster Mindfuck einige Zeit vor, denn was man aus River alles mitnehmen kann, ist erstens mal Feel-Good jede Menge, ein immer wiederkehrendes nachhaltiges Kichern auf den Lippen und obendrein die idyllische Romantik einer zarten Sympathie zwischen Mikoto und Taku, einem Koch, der unbedingt nach Frankreich auswandern will, weil die French Cuisine ihn ruft.

Die bezaubernde Riko Fujitani, bereits bekannt aus Yamaguchis Vorgängerfilm, gibt die in schickem Kimono gekleidete Hotelangestellte eingangs erwähnten Namens in einem Etablissement irgendwo in den Bergen Japans, an einem Fluss namens Kibune gelegen. Ein Ort der Ruhe und der Kraft – beschaulich, bescheiden, den Weltschmerz allüberall auf der Welt vergessen lassend. Mikoto ist aber dennoch nicht ganz zufrieden mit ihrem Leben – und erhofft sich vom Gott des Flusses (oder wer oder was hier auch immer den Laden schmeißt) zumindest einen Beistand, was die Zeit betrifft – möge der Moment so bleiben, wie er ist. Gebetet und erfüllt scheint der Wunsch. Mikoto findet sich nach zwei Minuten des Tuns plötzlich an derselben Stelle wieder, an der sie vorhin gestanden hat, direkt am gluckernden Bächlein. Was den Eindruck eines Déjà-vu vermittelt, ist letzten Endes mehr. Es betrifft alle – Mikoto, die Köche, die Gäste, das ganze Hotelpersonal. Alle zwei Minuten stellt sich die Welt auf Repeat, alle Charaktere „respawnen“ dort, wo sie vor zweimal 60 Sekunden gewesen sind. Was tun mit dieser Zeit? Und wie aus dieser hängengebliebenen Schallplatte des Lebens ausbrechen? Andererseits: Was lässt sich in diesen zwei Minuten alles bewerkstelligen, wie sehr könnte man in dieser Zeit seinen Status Quo überdenken? Und würde die Liebe Mikotos dann nicht ewig währen?

Seinem 2020 mit spielerischem Entdeckerdrang entworfenen Zeit- und Raumexperiment Beyond the Infinite Two Minutes ist der Platz in den Annalen des Science-fiction-Films sicher. Die Verknüpfung von humoristischer Neugier, Situationskomik und populärwissenschaftlicher Logik ist längst schon ein Subgenre, das man Yamaguchi nicht mehr nehmen kann. Mit dem Enthusiasmus von Zurück in die Zukunft und japanischer Boulevardkomödien wird der Blick in die zeit voraus allen Anwesenden fast zum Verhängnis. In River besteht in erster Linie nicht die Frage nach dem Warum, sondern erstmal viel mehr nach dem Was jetzt. Yamaguchi braucht in dieser warmherzigen und auf überwältigende Weise bezaubernden, weil so bescheidenen Komödie nichts weiter tun, als auf seinen zwei Minuten zu beharren. Was sein Ensemble daraus macht, ist voll von zum Niederknien komischen Momenten und leidenschaftlicher Situationskomik. Die beiden Geschäftspartner, die immer wieder ihre volle Reisschüssel vor sich haben. Der Produzent, der nicht aus seiner Dusche kommt. Dessen Schreiberling, ein Serienautor, der die zwei Minuten nützt, um alles Mögliche anzustellen, nur nicht seine Schreibblockade zu lösen.

Beschwingt und voller Ideen setzt Yamaguchi hier vermehrt auf das Zwischenmenschliche, auf die soziale Interaktion und das Herzliche. War in seinen Beyond the Infinite Two Minutes viel mehr die mathematisch-philosophische Schabernack im Mittelpunkt, ist der sogenannte Time Loop fast schon Nebensache, ganz so wie in Und täglich grüßt das Murmeltier, ein viel zitierter Genreklassiker als Mutter aller Zeitschleifenfilme. River aber variiert diese Prämisse so sehr, um sich längst nicht mehr den Vorwurf der Nachahmung anhören zu müssen. River lässt allesamt alles nochmal erleben, während Bill Murray der Einzige war, der immer wieder dieselben Stunden mit neuem Sinn füllen musste. Durch diese Änderung der Parameter ist River ein komplett eigenständiges, originäres kleines Kunstwerk der Mindfuck-Komödie, die man auch nur sehr schwer nachverfilmen kann. Zu sehr ist das Werk mit japanischem Lokalkolorit verbunden, zu sehr bilden seine Charaktere mit dem einmal verschneiten, einmal frühlingshaften Ort Kibune eine Einheit. Es ist ein Genuss, Minute für Minute diesen bestens aufgelegten Zeitschleifenbewältigern dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben trotz temporärer Einschränkung in den Griff bekommen wollen. Man könnte meinen – so kurz unsere Existenz auch sein mag: Der Spaß an der Sache lohnt sich selbst für zwei Minuten.

River (2023)

Der Sommer mit Anaïs

GELEGENHEIT MACHT LIEBE

7,5/10


sommermitanais© 2022 Filmladen


LAND / JAHR: FRANKREICH 2021

BUCH / REGIE: CHARLINE BOURGEOIS-TACQUET

CAST: ANAÏS DEMOUSTIER, VALERIA BRUNI TEDESCHI, DENIS PODALYDÈS, JEAN-CHARLES CLICHET, ANNIE MERCIER, ANNE CANOVAS, CHRISTOPHE MONTENEZ U. A. 

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Kann es nicht sein, dass wir den Schlimmsten Menschen der Welt bereits in der norwegischen Tragikomödie selben Titels gesehen haben? Möglich, doch vielleicht irren wir uns. Es ist zu vermuten, dass die von Renate Reinsve dargestellte Julie Aus Joachim Triers filmischem Gefühlschaos mit Anaïs Demoustier den Rang abgelaufen bekommt. Zumindest aber sind beide ungefähr gleich auf in ihrem Streben, sich nirgendwo festlegen und alles auskosten zu müssen, was das Leben eben so hergibt, dabei aber jedwede Bodenhaftung verlieren, die für innere Gelassenheit wohl wichtig wäre. Sowohl Julie als auch Anaïs sind Freigeister mit Körper und Seele, und Anaïs hat zum Beispiel gar kein Problem damit, eine ungeplante Schwangerschaft einfach abzubrechen, denn das würde ihr Leben unweigerlich in eine Richtung lotsen – für welche die experimentierfreudige Mittdreißigerin längst noch nicht bereit ist. Da gibt’s noch ganz andere Erfahrungen, die Frau machen muss. Zum Beispiel die einer Beziehung zu einem deutlich älteren Buchverleger (Denis Podalydès), der Anaïs gleich ganz für sich beanspruchen will, was diese natürlich wieder in eine Ecke drängt. Anaïs nimmt abermals Reißaus, es treibt sie hierhin, es treibt sie dorthin, und dann weckt die Ehefrau dieses älteren Ex, eine bekannte Schriftstellerin, ihr Interesse. Im Rahmen eines Literatursymposiums in einem Landhotel vergisst Anaïs ihre studentischen Pflichten und quartiert sich genau dort ein, wo die reifere Emilie (Valeria Bruni Tedeschi) ihre Vorträge hält. Langsam entsteht so etwas wie ein sommerlich leichter Flirt zwischen den beiden, die einerseits in ihrer Mentalität unterschiedlicher nicht sein können, andererseits aber vieles gemeinsam haben. Vielleicht auch die Lust am Abenteuer und am Unberechenbaren; an verspielten, ungebundenen Affären und vielsagenden, koketten Blicken.

So einen Augenaufschlag, verbunden mit gewinnendem Lächeln, weiß Anaïs Demoustier famos zu beherrschen. Die eindrucksvolle Schauspielerin wurde seinerzeit, nämlich 2003, von niemand anderem als Michael Haneke entdeckt, der sie 2003 für sein Endzeitdrama Wolfzeit besetzt hat. Jetzt, so viele Jahre und unzählige Filme später, darunter auch Werke von Quentin Dupieux, beeindruckt sie genauso Liebhaber der frankophonen Romantik wie Virginie Efira oder Juliette Binoche es tun. Mit klugem Wortwitz und kreativer Starrköpfigkeit, aber auch mit einer fast schon kindlichen Sehnsucht nach Nähe und dem Mysterium sich anbahnender Liebschaften in genau diesem Stadium verdreht sie selbst ihrem Publikum den Kopf.

Charline Bourgeois-Tacquet lässt sich von dieser Ausstrahlung nur so weit vereinnahmen, dass sie sich nicht mit der Kamera ausschließlich auf Anaïs Demoustier stürzt und alles andere drumherum vergisst, sondern immer noch mit einer zurückgelehnten Entspanntheit eine charmante zwischenmenschliche Konstellationen beobachten kann, die sich nicht auf Druck in irgendeiner aufgeräumten Message kanalisieren müssen. Es ist, als hätten die beiden Schauspielerinnen viel freie Hand gehabt, um manches zu improvisieren oder für anderes wiederum eigene Worte zu finden. Dieses leise und immer stilvolle Abenteuer unter französischer Sommersonne spart nicht mal Tragik ganz aus, weiß aber so gut damit umzugehen wie eben Joachim Trier. Es ist ein Genuss, den Sommer mit Anaïs zu verbringen, zumindest die paar strandwarmen Momente voller Understatements, deren dahingleitende Figuren sich nicht nur einander, sondern auch selbst überraschen. Das Genre des französischen Liebesfilms: stets darauf bedacht, Wirbelwinden wie Anaïs niemals die Chance zu nehmen, irgendwo und irgendwann alle Prinzipien über Bord zu werfen und jeden Moment neu anzufangen.

Der Sommer mit Anaïs

Was dein Herz dir sagt – Adieu, ihr Idioten!

REVOLTE AM ABSTELLGLEIS

7/10


wasdeinherzdirsagt© 2022 Jérôme Prébois – ADCB Films


LAND / JAHR: FRANKREICH 2020

BUCH / REGIE: ALBERT DUPONTEL

CAST: VIRGINIE EFIRA, ALBERT DUPONTEL, NICOLAS MARIÉ, JACKIE BERROYER, PHILIPPE UCHAN, BASTIEN UGHETTO, MARILOU AUSSILLOUX, TERRY GILLIAM U. A. 

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Was das Herz begehrt, Wo die Liebe hinfällt – und jetzt auch noch das: Was dein Herz dir sagt. Aber ich empfehle allen  Kitschverweigerern gleich vorweg, sich in diesem Fall nicht unbedingt abschrecken zu lassen. Wir wissen ohnehin, dass so manche deutschsprachige Titelvergabe für internationale Filme am eigentlichen Thema vorbeigehen. Aber ein kleines Zugeständnis zum Original gibt es: Adieu, ihr Idioten (eine Floskel, die man derzeit auf viele Teilbereiche der Politik und Gesellschaft anwenden kann) ist zumindest erhalten geblieben. Und trifft die Seele dieser kleinen, bezaubernden Anarcho-Tragikomödie viel eher. Und hier sieht man wieder: Frankreich ist nach wie vor ungeschlagener Meister darin, Komödien zu inszenieren, die in keiner auch nur sonst wie banalen Szene zum Femdschämen einladen oder lächerlich wirken. Sie haben Charme, Tiefe und eine unnachahmbare Leichtigkeit, von welcher alle Höhen und Tiefen eines Films profitieren. Hollywood kann da immer noch lernen, Deutschland ebenso. Österreich – hätten wir unsere Kabarettisten nicht, sähe es traurig aus. Doch die im Film lebendig gewordenen Aussteiger-Franzosen verabschieden sich nicht mit einem Stinkefinger wie vielleicht anderswo, sondern mit einem Understatement, das Stil besitzt.

Hier, in Albert Dupontels selbst verfasster und immer nur dezent ins Absurde abgleitenden Komödie, in der er auch selbst die Hauptrolle spielt, treffen drei vom Leben betrogene Individuen aufeinander, die keinen Platz mehr in einer Welt des Fortschritts finden. Die am Abstellgleis gelandet sind, im Dunkeln sitzen, sich von Haarspray vergiften haben lassen oder durch Jungspunde frisch aus dem Studium ersetzt werden. Ja, so läuft es derzeit. Und jene, die das ganze so weit kommen lassen, trösten sich selbst mit heuchelndem Altruismus. Schließlich sind wir alle sowas von sozial. Suze Trappet, gespielt von Virginie Efira, wird an einem Lungenleiden sehr bald das Zeitliche segnen. Bevor dies aber geschieht, hat sie noch ein Ziel: Ihren damals zur Adoption freigegebenen Sohn finden. Wie es der Zufall so will, trifft sie auf den ausrangierten IT- und Sicherheitsexperten Cuchas, der sich so gut wie überall auf diesem Planeten hineinhacken kann und nun seinen Platz als Koryphäe auf seinem Gebiet räumen muss. Er will seinem Leben ein Ende machen, doch dieses Vorhaben geht schief. Zu guter Letzt komplettiert ein blinder Archivar (begnadet komisch: Nicolas Marié) das schräge Trio, der im Übrigen die meisten Lacher in diesem Film für sich beanspruchen kann und ja, man muss sagen: Witze über Blinde sind keinesfalls politisch korrekt. Doch wie Marié hier die Kunst des Slapsticks zelebriert, kommt den kuriosen Eskapaden eines Stan Laurel relativ nah. So sind die drei also unterwegs quer durch ein verfallenes, teils futuristisches Frankreich in einer Grauzone zwischen Vergangenheit und Moderne. Weinen ihrer Habenseite nach und trotzen einer unbestimmten Soll-Zukunft. Man könnte sagen, Was dein Herz dir sagt – Adieu ihr Idioten! ist eine skurril-sympathische, urbane Spazierfahrt mit dem Herzen am rechten Fleck. Gut, auch das ist eine Floskel. Doch lassen sich damit die Ambitionen der drei nur zu gut verstehen, und wenn man beobachtet, wie der unmöglich zu lösende Schicksalsknoten dennoch aufgeht und wir damit fast schon in einer metaphysischen, märchenhaften Dimension der Tragikomödie angelangt sind, dann schüttelt man nicht den Kopf ob so vieler Unglaubwürdigkeit, sondern nimmt diese Abgehobenheit mit einer fast schon zärtlichen Zuneigung an.

Und es ist, wie es ist: Virginie Efira ist, wie schon Huppert, Binoche oder Marceau, eine sinnliche Persönlichkeit, eine mit feinem erotischem Charisma. Liebevoll und warmherzig und man möchte sie in den Arm nehmen und knuddeln, und dazu auch vielleicht gleich die anderen beiden Loser, die eigentlich gar keine sind. Dupontel hingegen widmet den Film dem verstorbenen Monty Python-Mitglied Terry Jones und lässt sogar Terry Gilliam in einem kleinen, frechen Cameo den Screen passieren. Warum er das tut? Jones war ein großer Fan seines Regiedebüts Bernie, das schien Dupontel viel bedeutet zu haben. Den grotesken Humor der Briten aber übernimmt er ganz und gar nicht, obwohl sich einer wie John Cleese perfekt in das Setting eingefügt hätte. Was dein Herz dir sagt – Adieu, ihr Idioten! bleibt französisch und trifft daher mit nicht ganz so schwarzem, aber dunkelgrauem Humor ins Ziel. Bringt zum Lachen und erwärmt an so nebelgrauen Tagen wie diesen das zu allen Schandtaten bereite Gemüt, wenn es heißt, sich nicht unbedingt so verhalten zu müssen, wie die anderen es wollen.

Was dein Herz dir sagt – Adieu, ihr Idioten!