Asteroid City (2023)

UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER ANDERSON-ART

6,5/10


asteroidcity© 2022 Pop. 87 Productions LLC


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: WES ANDERSON

DREHBUCH: WES ANDERSON, ROMAN COPPOLA

CAST: JASON SCHWARTZMAN, JAKE RYAN, SCARLETT JOHANSSON, TOM HANKS, JEFFREY WRIGHT, TILDA SWINTON, BRYAN CRANSTON, LIEV SCHREIBER, MATT DILLON, EDWARD NORTON, MAYA HAWKE, STEVE CARELL, RUPERT FRIEND, ADRIEN BRODY, WILLEM DAFOE U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Trost und Hoffnung liegen in den Sternen. Und auch die Erkenntnis, als Mensch nicht der Mittelpunkt des Universums zu sein. Mit diesen sozialphilosophischen Überlegungen im Retro-Hartschalenkoffer hat sich Regie-Exzentriker Wes Anderson, der langsam schon zu seinem eigenen Manieristen wird, in die Wüste aufgemacht, genauer gesagt in den fiktiven Ort namens Asteroid City. Als Städtchen lässt sich diese Ansammlung an wenigen Häuschens kaum bezeichnen, als kleiner Touristenmagnet für Hobby-Astronomen allerdings schon. Zum Glück liegt das Kaff auch an einer Durchzugsstraße, an welcher immer mal wieder vor der Exekutive flüchtende Gauner verfolgt werden, mit lautem Tatü-Tata. Doch sonst hängt eine pastellfarbene Idylle über einem Mikrokosmos, der sich fast schon anfühlt wie Barbie-World, nur mit weniger Pink und einem weiteren Farbspektrum, dieses allerdings stark verdünnt.

Doch immerhin: So waren sie, und so sieht man sie auch, die 50er Jahre. Wer sich noch an die alten Werbetafeln erinnern kann, wird darin Andersons Stil wiedererkennen. Dazu zählen schmucke Automobile, die Diner-Restaurantkultur und kuriose Artefakte aus dem Club der jungen Erfinder und Geistesriesen, die zur alljährlichen Meteoriten-Gedenkfeier ihre bahnbrechenden Erfindungen präsentieren. So gut wie alles trifft sich an diesen Tagen an diesem Ort. Manche tun das freiwillig, manche weniger. Witwer Augie Steenbeck (Jason Schwartzman) und seine Kinder zum Beispiel – die haben eine Autopanne und müssen bleiben, bis Opa (Tom Hanks) sie abholt. Dann ist da die Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson), die Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper (Tilda Swinton) und der Country-Musiker Hank (Rupert Friend) – um nur einige zu nennen. Und dann passiert das: Die unheimliche Begegnung der dritten Art. Oder eben: wie Wes Anderson sie interpretieren würde. Als kurios-liebevolles Puppenspiel kombiniert mit Real-Acting. Mit einem Alien, dass seltsamerweise an Max Schreck erinnert. Und der nostalgischen Rückbesinnung an Zeiten, in denen die USA zufrieden waren mit ihrer Allmacht und noch nicht ganz zufrieden mit dem Wettrüsten zum Mond. In welchen die USA den Zwischenfall von Roswell schon acht Jahre lang erfolgreich unter den Teppich gekehrt haben und der technologische Fortschritt zumindest in Science-Fiction Filmen gerade Fahrt aufnahm. Eine Zeit, gleichzeitig so unschuldig und schuldbeladen. Festgefahren in diesem Hin und Her steckt dann auch die ganze skurrile Gesellschaft, verharrend in einem von der Regierung verordneten Lockdown, um den extraterrestrischen Besuch geheim zu halten. Natürlich funktioniert das nicht, das Alien kam wie gerufen und wird zur Leitfigur gedichteter Kinderlieder und zum Schnappschuss eines Kriegsfotografen.

Das ist wieder ganz schön viel auf einmal, wie bei Anderson üblich. Und dennoch geht ihm ein Stoff wie dieser leichter von der Hand als in seinen letzten Filmen, die aus meiner Sicht viel zu gekünstelt und überfrachtet waren und unter ihren Ambitionen, das Setzkastenprinzip voller Anekdoten einfach vor dem Publikum auszuleeren, fast schon erstickten. Asteroid City atmet die Wüstenluft ohne diesen Druck auf der Brust. Mit Schwartzman und Familie als Dreh- und Angelpunkt des Films bewegt sich Anderson nicht ganz so weit von seiner eigenen Geschichte weg, findet aber andererseits auch nicht wirklich zu einer sich weiterentwickelten Story, die auch eine gewisse Wandlung an ihren Protagonisten vornehmen würde. Beides geschieht nicht, für beides ist auch keine Zeit, denn aus welchen Gründen auch immer muss der geschmeidige Lauf einer Science-Fiction-Dramödie aufgrund einer Metaebene unterbrochen werden, die hinter die Kulissen blickt und all die Stars, die wiederum Schauspielerinnen und Schauspieler darstellen, in 4:3 und Schwarzweiß nochmal vorführen, inklusive des Schreiberlings hinter dem Stoff, welches eigentlich ein Theaterstück sein soll, wir aber als Film sehen.

Und das ist das Problem an Andersons Filmen: Er hält sich nicht nur mit Szenen auf, die für das große Ganze eigentlich keinerlei Nutzen haben und auch nicht interessant genug sind, um für sich selbst zu stehen. Er legt seinem Ensemble auch noch Textkaskaden in den Mund, die als reißender Wortschwall über die Szene hereinbrechen und eine eigene schräge Note lukrieren sollen, die aber lediglich als stilistisches Symptom ganz schön viel kreative Makulatur in alle Himmelsrichtungen schleudert. Das Zuviel und zu Irrelevant macht Andersons Filme manchmal anstrengend. Klammert man diese überhöhte Künstlichkeit aber aus, lässt sich unter all dem Klimpim eine augenzwinkernde, leise und liebevoll parodierende Zeitkolorit-Komödie entdecken, die Leute einander über den Weg laufen lässt, die sonst nichts, aber eines verbindet: die tröstende Erkenntnis, im Universum nicht allein sein zu müssen.

Asteroid City (2023)

See How They Run

DER KRIMI IM KRIMI

4/10


seehowtheyrun© 2021 20th Century Studios All Rights Reserved


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2022

REGIE: TOM GEORGE

BUCH: MARK CHAPPELL

CAST: SAM ROCKWELL, SAOIRSE RONAN, ADRIEN BRODY, DAVID OYELOWO, RUTH WILSON, HARRIS DICKINSON, SHIRLEY HENDERSON, PEARL CHANDA U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Schlagen wir mal das Buch der Rekorde auf. Unter der Rubrik Theater und Schauspiel wäre auch in der allerneuesten Guinness-Ausgabe folgender Eintrag zu finden: Agatha Christies Die Mausefalle gilt als das am längsten ununterbrochen laufende Theaterstück der Welt (abgesehen von der überall gesetzten Pause durch Covid-19).

Da kann selbst die Lindenstraße klein beigeben, denn Christies Stück holt sich bereits seit 1952 den Applaus von der Bühne ab, selbstredend in unterschiedlicher Besetzung, wie bei Dr. Who, nur eben als Live-Event. Im Dunstkreis dieser Bühnen-Hommage auf einen klassischen Whodunit bettet Regie-Newcomer Tom George mit der nostalgischen Komödie See How They Run einen Krimi in einen Krimi. Ein bisschen erinnert mich die Sache an den Miss Marple-Klassiker Vier Frauen und ein Mord, einer der vier schwarzweißen Ausflüge von Margaret Rutherford, welche eine Theatertruppe infiltriert, um einem Mörder auf die Schliche zu kommen. Und ja – auch dort segnet so manches Opfer das Zeitliche vorort, auf den Brettern der Welt, jedoch nicht während der Vorstellung wie in diesem nagelneuen Streifen, der aber weniger erfrischend anmutet wie das zum Vergleich von mir herangezogene Samstagnachmittag-Guilty Pleasure von George Pollock aus dem Jahre 1964.

Es passiert also ein Mord. Und der beginnt gar nicht mal aus der Sicht eines wortlosen Beobachters, der quasi das Publikum darstellt, sondern aus der Sicht des Mordopfers. Siehe da, es ist Adrien Brody – zuletzt als Arthur Miller in Blond zu sehen. Dieser spielt hier den Filmemacher Leo Köpernick, der irgendwann in den Fünfzigerjahren und anlässlich der 100. Aufführung von Die Mausefalle den Stoff für einen Film adaptieren soll. Um sein kreatives Know-How einzubringen, fallen ihm einige Adaptionen ein, die das Werk für die Leinwand wohl spannender und griffiger gestalten würden, wofür Produzent John Woolf allerdings keinerlei Interesse zeigt. Der sich selbst überschätzende, zur Gala-Aufführung geladene Köpernick baggert zum Leidwesen des jungen Richard Attenborough noch dazu dessen Ehefrau an, um kurze Zeit später in der Garderobe hinter der Bühne tot aufgefunden zu werden. Wer hat’s getan?, stellt sich der zerknitterte und trinkfreudige Ermittler, Inspektor Stoppard, die Frage. Ihm zur Seite wird ihm – natürlich zu seinem anfänglichen Leidwesen – Constable Stalker gestellt, eine wissbegierige, neugierige und übermotivierte junge Frau, die alles, was ihren Horizont erweitert, in sich aufsaugen möchte – und gar oft voreilige Schlüsse zieht.

Es fällt schwer, die Handlung dieser Krimikomödie länger in Erinnerung zu behalten als bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem ich hier diese Review verfasse. Interessanterweise tummeln sich in diesem Film sämtliche historische Persönlichkeiten der britischen Kulturszene, angefangen eben von Richard Attenborough über besagten Produzent Woolf bis Agatha Christie, die selbst eigentlich noch nie in einem Kinofilm dargestellt wurde, nicht mal in der Ermittlerfarce Ein Leiche zum Dessert, was ich fast vermutet hätte. Diese schillernde Gesellschaft macht Tom Georges Debüt aber auch nicht besser. Einen Whodunit kann man so knackig inszenieren wie Rian Johnson mit Knives Out. Oder aber man inszeniert ihn so völlig ohne Belang wie See How They Run. Sam Rockwell und Saoirse Ronan sind gut, Liv Lisa Fries und Volker Bruch aus Babylon Berlin sind besser. All diesen vielen Figuren mangelt es nicht nur an biografischer Tiefe – auch sind sie nur so weit charakterisiert, soweit ihr Auftritt reicht. Und das, obwohl Rockwells Rolle mehr mit dem Fall verbunden sein will als man vielleicht vermutet hätte. Das macht den Fall aber auch nicht relevanter, sondern noch zerfahrener als er ohnehin schon ist. So schleppt sich das Ensemble durch eine hausbackene Regie, das sich schwertut, selbst die zum Verklären einladenden Fifties entsprechend attraktiv ins Bild zu rücken.

See How They Run (die Bedeutung des Titels erschließt sich mir nicht) bemüht sich, ein Gespür für Krimis besitzen zu wollen, wie Agatha Christie eins hatte. Nur leider setzt Tom George selten die richtigen Schwerpunkte, um den Murder Mystery so richtig den Suspense abzuringen.

See How They Run