Glass Onion: A Knives Out Mystery

WER IM GLASHAUS SITZT

6/10


glassonion© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: RIAN JOHNSON

CAST: DANIEL CRAIG, JANELLE MONÁE, EDWARD NORTON, DAVE BAUTISTA, KATE HUDSON, KATHRYN HAHN, LESLIE ODOM JR., MADELYN CLINE, JESSICA HENWICK, NOAH SEGAN, ETHAN HAWKE, HUGH GRANT U. A. 

LÄNGE: 2 STD 20 MIN


Mit Rian Johnsons Whodunit Knives Out hätte Krimigöttin Agatha Christie eine Riesenfreude gehabt, war der doch ganz im Stile ihrer eigenen Fälle konzipiert, die manchmal so undurchschaubar waren, dass man sich als Leser nur noch wundern konnte, warum man auf die Wahrheiten dahinter nicht schon eher gestoßen war. Christie hat ihre kriminalistischen Abenteuer stets so verwoben, dass die Indizien und Verdachtsfälle in munterer Geistesgegenwart die richtigen Haken schlugen, ohne zu weit auszuholen. Johnson ist mit Knives Out genau diesen Anweisungen – oder anders gesagt: dem Stil des überschaubaren Kreises üblicher Verdächtiger – gefolgt. Das Ergebnis war von Christopher Plummer über Don Johnson bis Ana de Armas der illustre Reigen eines familiären Tohuwabohus, inmitten dieses Sturms im Herrenhaus Daniel Craig als moderner Hercule Poirot, genannt Benoit Blanc. Mit französischem Namen, aber ohne französischem Akzent. Für seine charmante, eloquente und auch zurückhaltende Art hat er sich wohl vom Gehirnakrobaten aus Belgien inspirieren lassen, den mittlerweile Kenneth Branagh in ganz anderen Filmen sehr solide nachinterpretiert. Blanc ist einer aus der Gegenwart. Ein bisschen wie Sherlock Holmes am Verzweifeln, wenn keine neuen Fälle eintrudeln. Von James Bond fehlt jede Spur.  

Und so wird Benoit Blanc in seinem zweiten Fall auf die Insel eines unanständig reichen Superreichen a la Elon Musk geladen, der mit seinen engsten Vertrauten ein luxuriöses Wochenende zu verbringen gedenkt, das noch dazu mit einem netten Cluedo-Spiel aufgepeppt werden soll, übertragen auf das Anwesen und all die netten Gäste. Was diesen Miles Bron am meisten überrascht, ist das Erscheinen seiner längst aufs Abstellgleis des Erfolges verfrachteten Business-Partnerin Andi, die ebenfalls eine dieser verzwickten Rätsel-Einladungen in Form einer Box erhalten hat. Dass Benoit Blanc auch noch aufschlägt, war im Gegensatz dazu überhaupt nicht vorgesehen. Doch der ist nun mal hier, und schon bald, nachdem alle ihre Ambitionen anhand langer Gespräche dargelegt haben, kommt es zum verhängnisvollen abendlichen Umtrunk. Einer streckt die Patschen, und es ist nicht der Hausherr, welcher im Spiel eigentlich das Opfer sein sollte.  

Rian Johnson setzt zu Beginn seines Glamour-Krimis die richtigen Hebel in Bewegung. Das Böse unter der Sonne lauert anfangs überall, wir haben das Mittelmeer, Leinenhosen umspielen Daniel Craigs Beine, Kate Hudson trägt einen breiten Sonnenhut wie seinerzeit Diana Rigg unter Guy Hamiltons Regie. Janelle Monáe (u. a. Moonlight, Harriet) unterstreicht ihre stoische Mimik mit flaschenbodengroßen Sonnengläsern. Während Dave Bautista, unser geliebter Drax aus dem Marvel-Kosmos, hier völlig aus der Agatha Christie-Reihe tanzt. Als tätowierter Youtube-Hüne ist er mit von der Partie und bringt das ganze Sammelsurium aus Motiven, Indizien und Manierismen auf einen etwas anderen Kurs. Und endlich – endlich darf Edward Norton wieder mal aus dem Nebenrollenschatten diverser Wes Anderson-Filme heraustreten und eine größere Rolle spielen, die ihm formidabel zu Gesicht steht. Als reicher Schnösel geht er problemlos durch, vielleicht spielt er sich auch ein bisschen selbst, ist doch klar, wie wenig umgänglich der Star hinter den Kulissen agieren kann.

Mit all diesem Potenzial sollte Johnson ein ähnlicher Spaß gelingen wie bei seinem Franchise-Kick Off. Und ja, es sieht alles danach aus. Die Charaktere sind wohlpositioniert, alle haben ihre Hühnchen, die sie mit Edward Norton rupfen wollen. Die Sonne brennt heiß, das Anwesen ist unübersichtlich genug, um zündende Mystery darin zu verstecken. Was für ein Filmabend, könnte man meinen. Und dann holt Johnson aus. Sehr weit, viel zu weit. Wie beim Stabhochsprung wuchtet er sich über die dramaturgische Latte, unter welcher kompaktes Rätselraten garantiert scheint – und ufert aus. Mit Rückblenden, die viel zu lange dauern, verwässert Glass Onion – A Knives Out Mystery seine Mitgefangen-Mitgehangen-Regel zu sehr, um seinen anfänglichen Suspense zu halten. Story Twists werden viel zu früh platziert, all die Motive der einzelnen Figuren so sehr ausgewalzt, als ginge es längst nicht mehr darum, einen Mord aufzuklären. Das ist nur bedingt interessant, wohingegen Mona Lisas Lächeln, das einmal hinter Panzerglas und dann wieder ohne erstrahlt, einen netten Sidekick ergibt, der für die Story aber ungenutzt bleibt. Genauso wenig wie manches Detail am Rande, dass mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. So ist schnell klar, worauf der Krimi, der nur noch zur Nebensache wird, hinausläuft. Und Benoit Blanc, der kann nicht viel mehr tun als seine Indizien-Rede zu schwingen und zuzusehen, wie sich die erfolgsverwöhnte Elite untereinander aufreibt. Genau das ist schließlich sehenswert, während die Hatz nach der Mörderin oder dem Mörder hinter dem Horizont des Mittelmeeres entschwindet.

Glass Onion: A Knives Out Mystery

Music

I JUST LOVE MY LITTLE WORLD

7/10


music© 2021 Alamode Film


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: SIA

CAST: MADDIE ZIEGLER, KATE HUDSON, LESLIE ODOM JR., HECTOR ELIZONDO, MARY KAY PLACE, BEN SCHWARTZ, JULIETTE LEWIS, SIA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Die australische Konzeptkünstlerin Sia ist aus meiner Sicht schon eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Bevor mir allerdings noch irgendeines ihrer Musikstücke in den Ohren lag, war ihr grimassierendes Konterfei unter schwarzweißer Perücke eine Zeit lang omnipräsent. Daran kann sich vermutlich fast jeder erinnern, der mit Popmusik auch nur irgendwie was anfangen kann. Der Song zum Findelkind-Drama Lion war dann der Einstand. Never give up – eine sehr eingängige Nummer. Wenn man mich fragen würde, was die Dame denn sonst noch interpretiert hat – aus dem Stegreif wüsste ich es nicht. Aber, nach Sichtung ihres Spielfilmdebüts Music, weiß ich wieder ein bisschen mehr. Denn: wenn schon texten, komponieren und singen – warum nicht auch gleich den eigenen Musikfilm auf die Beine stellen, der dann so treffsicher betitelt wird, um klarzumachen, wovon dieser in erster Linie eigentlich handelt. Um Sias Musik. Im Mittelpunkt steht Patenkind Maddie Ziegler, eine achtzehnjährige Tänzerin, die auch ab und an in Sias Musikvideos aufkreuzt. Ihr hat die Künstlerin einen ganzen Film zum Geschenk gemacht – wer braucht schon ein neues Auto oder eine vorfinanzierte Studentenwohnung. Music ist maßgeschneidert für jemanden wie Maddie Ziegler, und was Leonardo Di Caprio am Anfang seiner Karriere in Gilbert Grape famos hinbekommen hat, gelingt auch ihr: die Darstellung eines autistischen Sonnenscheins, stets mit Kopfhörern auf dem Kopf, durch die keine Musik schallt, denn die Musik, die Music braucht, ist drumherum schon laut genug. Manchmal auch disharmonisch. Manchmal überlappen sich mehrere Melodien, es ist ein einziges Chaos in Musics Kopf. Zu allem Überfluss stirbt auch noch die umsorgende Großmutter. Was jetzt? Da gäbe es noch Halbschwester Zu (Kate Hudson mit Stoppelglatze), die zwar mit ganz anderen Problemen wie Alkoholsucht zu kämpfen hat, die aber immerhin so pflichtbewusst ist, sich ihrer Verwandtschaft anzunehmen. Wenn man selbst Probleme hat, vielleicht lösen sich dann die Probleme des anderen. Nicht zu vergessen Nachbar Ebo, der an Zu Gefallen gefunden hat und der bei der Pflege von Music zur Hand geht.

Da ist es wieder, das Rain Man-Konzept. Barry Levinson hat das mit Tom Cruise und Dustin Hoffman schon vorgemacht. Nur allerdings ohne musikalische Intermezzi. Hätte Music diese artifizielle und revueartige Sicht auf die Welt nicht, könnte man leicht meinen, Sia könne zwar viel, aber nicht unbedingt Filmemachen. Betrachtet man das tragikomische Melodram ganz ohne Sias Handschrift, verliert man zwar nicht den Überblick, muss sich aber die Handlung teilweise selbst zusammenreimen, da Sia ihr eigenes und für uns nicht zugängliches Vorwissen zu ihrem Werk für alle voraussetzt. Ein Kavaliersdelikt, wenn man so will, das einigen Filmemachern immer mal wieder passiert. 

Durch die Schaffung einer weiteren Sichtweise bekommt das versponnene Märchen rund um allerlei Defizite die nötige Verspieltheit und alltagsphilosophische Tiefe. Dabei illustriert es Musics Wahrnehmung mit knallbunten Kulissen, Kostümen und hyperaktiven Choreographien, die ein bisschen an Björks Exaltiertheit erinnern und in denen Maddie Ziegler sowie die ganze Tanzgruppe wild gestikulierend und mit staunenden Gesichtern zwischen Willi Wonkas Schokoladenfabrik und Mary Poppins innerer Balance umhertänzeln. Das mag gewöhnungsbedürftig sein. Doch hat man sich mit Sias visuellem Liebreiz mal angefreundet, was durchaus recht schnell gehen kann, entbehrt die poppige und wohlkomponierte Musik nicht einer gewissen Faszination, die überdies ein irritierendes und nachhaltiges Wohlgefühl erzeugt. Die rätselhaft glücklich macht. Und die dem Filmgenuss ausnehmend gut gefällt.

Music

One Night in Miami…

REFLEXIONEN ZUM FEIERABEND

7,5/10


onenightinmiami© 2020 Amazon Studios


LAND: USA 2020

REGIE: REGINA KING

CAST: ELI GOREE, KINGSLEY BEN-ADIR, LESLIE ODOM JR., ALDIS HODGE, BEAU BRIDGES, LANCE REDDICK U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Gestern, am 22. Jänner, wäre Soul-Legende Sam Cooke 90 Jahre alt geworden. Doch der Mann, der ist schon lange tot. Er wurde erschossen, angeblich in Notwehr, im Alter von gerade mal 33 Jahren. So einen Tod musste Malcolm X ebenfalls erleiden. Am 25. Februar 1964 allerdings wussten beide noch nichts von ihrem tragischen Schicksal, als sie mit Cassius Clay aka Muhammed Ali und dem Football Star Jim Brown auf den Sieg des berühmten Boxers gegen Sonny Liston anstoßen wollen. In einem Hotel in Miami, irgendwann spätnachts. Dieses Treffen hat allerdings nie wirklich stattgefunden, es ist rein fiktiv. Gekannt haben sich die vier Schwarzen aber schon. Vor allem Malcolm X und Ali waren gute Freunde, und ersterer konnte den Boxer letzten Endes auch zum Islam bekehren. Die vier treffen sich also in einem Hotelzimmer, und nicht an einer Bar, um zu feiern. Warum? Weil Malcolm X jede Sekunde fürchten muss, von Rassisten attackiert oder gar ermordet zu werden (was schließlich auch eintrat – aber nicht durch Rassisten, sondern durch Mitglieder der Nation of Islam. Doch das nur am Rande). In diesem Zimmer treffen vier unterschiedliche Lebenskonzepte und Einstellungen aufeinander, es wird gelacht, es wird aus früheren Zeiten erzählt, es wird gestritten, getrotzt und sich wieder versöhnt. Diese Nacht, die ist fast schon zu ideal, um wahr zu sein. Und dennoch wird sie unter der Regie von Schauspielerin Regina King (Oscar für If Beale Street Could Talk) zu einem vor allem textlich beeindruckenden Come Together.

Sowas passiert auch nur, weil One Night in Miami… ein Theaterstück ist. Dramen für die Bühne sind ausgesucht dialogstark, ausgefeilt bis zum letzten Punkt, die Atempausen akkurat gesetzt. Das war auch schon bei Ma Rainey’s Black Bottom so, ein verbal wuchtiger Film. Oder The Boys in the Band – Jim Parsons Einladung zum Geburtstag. Alles Werke, die mit sicherer Hand und geradezu vorbildlich für das Kino adaptiert wurden. Doch leider nur fürs Streamingkino, denn alle drei Werke wären auch visuell erste Sahne. One Night in Miami… punktet daher mit edler Ausstattung und ordentlich 60er-Kolorit. Was das Dialogdrama aber noch mehr zu einer ganz besonderen Gesprächsrunde werden lässt, ist am wenigsten dessen Plot, denn viel passiert hier nicht. Was diese Nacht bietet, ist ein Innehalten und Reflektieren, ein Abwägen des Status Quo und ein Sinnen über die Zukunft. Was den Film also so besonders werden lässt, dass ist das gemeinsame Agieren von vier recht unbekannten Künstlern, die in ihren inszenierten Alter Egos ihren Meister gefunden haben. Kingsley Ben-Adir entwirft einen sowohl scharfsinnigen als auch provokanten, obsessiven Malcolm X. Eli Goree ist als Cassius Clay der resolute Muskelprotz von nebenan, Aldis Hodge der wohl rationalste der vier und Musicalstar Leslie Odom Jr. setzt als leidenschaftlicher Soulsänger Sam Cooke mit einer detailliert manieristischen Performance dem Schauspielabend die Krone auf. Regina King  hat mit dem durchdachten Theaterstück schon vieles auf der Habenseite – mit dem seit langem wohl am besten aufeinander eingestimmten Ensemble in einem Film ist ihr damit ein wortgewandter, sehr empathischer und auch ernstzunehmend gesellschaftskritischer Wurf gelungen, der, ähnlich wie Ma Rainey’s Black Bottom, Kämpfer, Verbündete und Opportunisten im Kampf der Schwarzen um gleiches Recht sichtet und dabei in eine aufwühlende Vergangenheit blickt.

One Night in Miami…

Harriet – Der Weg in die Freiheit

FLUCHT NACH VORNE

5/10

 

HARRIET© 2019 Universal Pictures Germany

 

LAND: USA 2019

REGIE: KASI LEMMONS

CAST: CYNTHIA EVIRO, LESLIE ODOM JR., JOE ALWYN, CLARKE PETERS, JENNIFER NETTLES U. A. 

 

Letztens lief wieder mal Steven Spielbergs vielfach oscarnominiertes Südstaatendrama Die Farbe Lila im Free TV. Whoopie Goldberg war damals die Idealbesetzung, und hätte es damals in den 80ern schon die Idee gegeben, ein Biopic über Harriet Tubman zu produzieren, wäre sie natürlich ebenfalls erste Wahl gewesen. Gegenwärtig übernimmt solche Rollen wohl Cynthia Eviro. Ein breiteres Publikum kennt sie vielleicht aus Black Panther – die resolute Schildmaid aus Vakanda. Ich muss zugeben, diese Schauspielerin ist extrem wandelbar. Mit Harriet werden Eviro vermutlich noch mehr Türen ins Filmbiz geöffnet, da ihre schauspielerische Leistung in vorliegendem Historienfilm der Academy gar eine Oscarnominierung wert war. Sonst ist Harriet in kaum einer Weise preisverdächtig. Und das liegt natürlich nicht an der äußerst spannenden und ungewöhnlichen Episode aus dem Vorabend der Sezessionskriege. Eine Art Rebellion wird hier erzählt, der Sturm vor dem Hurrikan, der ein ganzes Land in den Ausnahmezustand versetzen wird. Eine Art Rogue One der schwarzen, versklavten Minderheit, angeführt von einer stolzen, freiheitsliebenden, patenten jungen Frau, die nicht weniger zu verlieren hätte als ihre wiedergewonnene Freiheit.

Kurze Zeit vor dem Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs: die damals noch nicht als Harriet in die Geschichte eingegangene junge Frau fristet ihr Dasein mitsamt Familie unter der Fuchtel eines strengen Großgrundbesitzers und Überbauern, der seine Sklaven selbstredend als Eigentum betrachtet. Die Möglichkeit einer Vermählung steht im Raum, doch der Sklaventreiber gibt die junge Frau nicht frei. Trotz Zugeständnis des Vorbesitzers gelten nun andere Regeln. Was für eine Schmach, was für eine untragbare Situation. Noch dazu soll Harriet neu verkauft werden, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommt. Einziger Weg raus aus dem Schlamassel: die Flucht. Wie durch ein Wunder schafft sie es, sich über Hundert Meilen zu Fuß Richtung Norden durchzukämpfen. Kaum zu glauben, dieses Schicksal. Ob ihr fester Glaube an Gott, mit dem sie tatsächlich immer wieder Zwiesprache hält, geholfen hat? Oder all ihre Visionen? Zumindest sollen diese sie vor Schlimmerem bewahrt haben. Kein Fehler, wenn man diesem Umstand mit Skepsis begegnet. Der Heilsfigur Harriet gelänge hier fast schon eine kleine Apotheose. Doch warum nicht, für kultische Verehrung reichen die Fakten ohnehin schon. Wie viele Sklavinnen und Sklaven Harriet aus der Knechtschaft befreit hat, ist erstaunlich. Nicht umsonst trägt die resolute Dame den Decknamen Moses. Religion spielt also eine wichtige Rolle. Vielleicht ist da wirklich was dran?Jedenfalls hatte Harriet selbst schon eine Ahnung, was den Bürgerkrieg betraf. Dass die Nordstaaten gegen die Yankees siegen würden. Dass die Sklaverei alsbald der Geschichte angehören wird. Genau dieser Aspekt macht Harriet zu einem interessanten Prolog, zu einer wichtigen Vorgeschichte zum oft dokumentierten, dramatisierten und in Prosa gefassten Krieg der beiden Himmelsrichtungen Nord und Süd.

So faszinierend diese Chronik einer Nacht- und Nebel-Rebellion auch sein mag, so konservativ und manchmal uninspiriert lässt sich der Film darüber aus. Vieles erinnert an Twelve Years a Slave, zum Glück allerdings bleiben uns die blutigen Folterszenen aus Steve McQueens zermürbendem Leidensweg erspart. Die übrigen Komponenten haben fast schon etwas Westernhaftes, wenn Harriet mit breitkrempigem Hut und Revolver den gefährlichen Süden aufmischt. Eviro verleiht ihrer Figur sowohl Zerbrechlichkeit als auch eine zutiefst militante Attitüde. Unnahbar bleibt sie trotzdem, gleichsam entrückt und für ganz anderes bestimmt als das übrige Volk. Ein Moses eben, nur ohne Gesetzestafeln.

Im Grunde ist Harriet – Der Weg in die Freiheit ein recht simpel erzählter, fast schon volkstümlicher Film. Ein Umstand, oder gar eine Versuchung, dem Geschichtsfilme wie dieser sehr gerne erliegen, weil sie sich vielleicht zu sehr auf die Attraktivität der Fakten verlassen, ohne aber eine eigene künstlerische Handschrift einzubinden, eine persönliche Sicht der Dinge. Könnte gut sein, dass Geschichte nicht verfremdet werden soll, aber sagt das mal Quentin Tarantino. Harriet wird dadurch vielleicht auch etwas zu spröde, zu trocken. Eine Meinung fehlt, ansonsten bleibt es gespielte Dokumentation. Und das ist mir fürs Kino fast zu wenig.

Harriet – Der Weg in die Freiheit