Magellan (2025)

POSTKARTEN EINES ENTDECKERS

5/10


© 2025 Luxbox Films


ORIGINALTITEL: MAGALHÃES

LAND / JAHR: PHILIPPINEN, SPANIEN, PORTUGAL, FRANKREICH, TAIWAN 2025

REGIE / DREHBUCH: LAV DIAZ

KAMERA: LAV DIAZ, ARTUR TORT, CIRIL BARBA, MIQUEL BARCELÓ, JULIEN HOGERT

CAST: GAEL GARCÍA BERNAL, AMADO ARJAY BABON, DARIO YAZBEK BERNAL, ÂNGELA RAMOS, HAZEL ORENCIO, RONNIE LAZARO, TOMÁS ALVES, RAFAEL MORAIS, VALDEMAR SANTOS, MARIO HUERTA U. A.

LÄNGE: 2 STD 35 MIN


Während Vangelis mit seiner Jahrhundertkomposition Conquest of Paradise auf überwältigende Weise die ganze Szene akustisch einnimmt, voller Fernweh-Vibes und bis zur Halskrause voll mit historischem Pathos, schippert ein noch ranker und agiler Gerard Depardieu als Christoph Kolumbus mit seiner Santa Maria in Richtung der Karibischen Inseln – Ridley Scotts mitreißend opulentes Meisterwerk ist ein Schulbeispiel dafür, wie Entdeckermythen auf die Leinwand gewuchtet werden können. Der Genuese und seine weltbewegende Expedition ist schließlich einer jener globaler Wendepunkte, die so gut wie alles, was danach kam, beeinflusst haben. Ein weiterer ist die Seefahrt des Ferdinand Magellan, doch hierfür hat Ridley Scott keinen Film gemacht. Den darf jemand anderer ein Denkmal setzen, wenn auch ein weitaus kritischeres, objektiveres – um nicht zu sagen: Eines, das den militanten und auch im Glauben recht extremistischen Seefahrer als einen asozialen Tunichtgut hinstellt, der mittlerweile mit seinem Namen auf allen Atlanten und Globen dieser Welt hausieren geht und den was weiß ich was noch angetrieben haben mag, um diesen Globus zu umrunden – jedenfalls weder Ehrgeiz noch das Fernweh noch der Wille, die Welt zu entdecken. So zumindest bleibt Lav Diaz, Filmemacher mit Hang zur Überlänge, relativ ratlos dabei, wie er seinen historischen Charakter überhaupt anlegen soll.

Pop-Up-Portfolio tropischer Gestade

Zur Verkörperung dieser unnahbaren Persönlichkeit holt er sich Gael García Bernal, ein bekanntes Gesicht also, versteckt hinter dichter Gesichtsbehaarung, der aber genauso wenig eine Ahnung davon hat, wie er ins Bild passt, bis Lav Diaz ihm die Regieanweisungen gibt; bis er also das akribisch arrangierte Tableau betritt, bis die passive Kamera ihn einfängt – sie wartet schließlich wie ein verharrendes Tier, unbeweglich, Ausschau haltend, geduldig lauernd, ohne zuzuschlagen. Magellan ist auf eine Art und Weise inszeniert, die mich an die Arrangements des Schweden Roy Andersson erinnert, der mit seinen surrealen Werken Das jüngste Gewitter oder Über die Unendlichkeit die Leinwand zur Guckkastenbühne macht und in seinen Episoden statische Settings samt zugehörigem Blickwinkel einrichtet, der sich aber niemals verändert, sondern das Geschehende in der Totalen abbildet. Lav Diaz arbeitet noch dazu im 4:3-Format, nahezu quadratisch also, und in dieser Quadratur dringt üppig wuchernd der Dschungel der philippinischen Inseln, treiben schwimmende Untersätze aus der Renaissance über die Ozeane wie auf einer Badewanne, stolpern ganze Inselbevölkerungen durch das Dickicht, liegen Tote und Verwundete – Konquistadoren und Eingeborene der Inseln Cebu und Mactan – im tropischen Sand, während sich darüber Gewitterwolken türmen, zerschlissene Fahnen wehen und die bedrängte Sonne spärliches Licht über sie Szene gießt – alles wie die Gemälde später romantischer Maler, die längst schon dem Realismus gehören. Soviel Pathos lässt Lav Diaz dann doch wieder zu, doch immer ist er meilenweit davon entfernt, jene Monumentalität in Bewegung zu versetzen, die wie bei Ridleys Scott alle Sinne betört, ungeachtet dessen, ob dieser in der Rekonstruktion der Geschehnisse historisch akkurat bleibt. Wir wissen, Scott tut das nie – Lav Diaz schon eher, obwohl er auch am Ende einiges durcheinanderbringt und Magellan dafür verwendet, um die Geißel katholischen Missionseifers anzuprangern.

Was fehlt, ist Perspektive

Die befremdend statische Bildgewalt ist eine Sache, sie hält auf Distanz, fühlt sich an wie eine Ansammlung von Postkarten – flache, aber berauschende Bilder, die nichts über ihre Figuren erzählen. Magellan leidet daher unter seiner Tendenz, in seinen Protagonisten nicht mehr sehen zu wollen als Statisten eines historischen Reenactments, ohne sich für das Wesen Magellans zu interessieren. Ihn bei Sonnenuntergang an den Bug zu setzen und gen Horizont schauen zu lassen, reicht nicht. Die Seefahrt so sehr runterzustutzen, dass nur noch Fragmente eines außerordentlichen Hochseedramas übrig bleiben, um dann Magellans Einfluss breitzutreten, der die philippinische Geschichte betrifft, sind leere Kilometer, die außer des Visuellen keinen Mehrwert besitzen. Erst spät wird klar, dass Lav Diaz seinen Film von der anderen Seite hätte aufziehen können, von jener des Stammesältesten Lapu-Lapu, denn der ist schließlich philippinischer Nationalheld und wurde letztlich zur Nemesis des übereifrigen Portugiesen, der dank falscher Entscheidungen auf Mactan seinen Tod fand.

Hätte Lav Diaz die Historie auf eine Weise erzählt, auf welcher sie noch nie erzählt wurde (das hat nicht mal jene sechsteilige Serie mit dem Titel Ohne Grenzen gewagt, die, allerdings sehr sehenswert, auf amazon prime abrufbar ist), hätte er sich die Blamage erspart, womöglich aufgrund mangelndem Budgets die wohl misslungenste Darstellung eines stürmischen Gewitters auf hoher See zu inszenieren. Wenn das Schiff nur leicht schwankt und die Gischt wie aus der Gießkanne plätschert, wäre das wohl eher die Puppenhaus-Ironie eines Wes Anderson gewesen als Teil eines Pop-Up-Naturalismus, der nicht weiß, wo er ansetzen und was er weglassen soll.

Magellan (2025)

Heretic (2024)

WER GLAUBT, STIRBT SELIG

5,5/10


heretic© 2024 Plaion Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: SCOTT BECK & BRYAN WOODS

CAST: HUGH GRANT, SOPHIE THATCHER, CHLOE EAST, TOPHER GRACE U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Über Gott und Religion lässt sich lang und breit und scheinbar endlos diskutieren. Noch dazu ist es ein Thema, zu welchem ich mich nicht lange bitten lasse, um meinen Senf dazuzugeben. Ich hoffte schon, dass Anthony Hopkins als Sigmund Freud und Matthew Goode als Narnia-Schöpfer C. S. Lewis das diskussionsentfachende Thema mitsamt seiner Essenz aufs Tapet bringen würden. Der Film Freud – Jenseits des Glaubens war allerdings eine Enttäuschung. Denn gerade dann, wenn es verbal spannend wurde, quälten den Psychoanalytiker seine gesundheitlichen Gebrechen. In die Tiefe ging dieses Wortduell nie. Dafür aber lässt sich in Heretic genau das finden, wofür in Freud eben kein Platz mehr war: Den Diskurs um Gott, Glaube und Religion, ausgetragen von einem desillusionierten und geläuterten Theologen namens Mr. Reed, der im enthusiastischen Präsentationswahn naiven Gläubigen Gott behüte nicht die Leviten liest, diesen aber anhand gewiefter Anschauungsbeispiele so manche Glaubenssätze auszutreiben gedenkt. Während in Morton Rues Die Welle ein ehrgeiziger Lehrer versucht, anhand eines Selbsttests die Entstehung eines faschistoiden Systems zu veranschaulichen, macht ein besserwisserischer Zyniker ganz ähnlich die Probe aufs Exempel, um herauszufinden, wie leicht oder wie schwer es sein mag, aus dem Stand eine Instant-Glaubensgemeinschaft mit Wundern, Prophezeiungen und Leidenswegen zu errichten. Diesen Mr. Reed gibt ein völlig gegen das Image besetzter Hugh Grant, der im Endeffekt alles andere besser kann als den Charmeur in irgendwelchen RomComs zu spielen.

In Guy Ritchies The Gentlemen war er als linker Hund schon großartig, in Heretic legt er in Sachen Süffisanz und Subversion noch eins drauf. Mit Sicherheit aber ist dieser Mr. Reed kein Antagonist im herkömmlichen Sinn. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten: Er ist gar keiner. Obwohl Hugh Grant im Interview mit cinema behauptet hat, in seiner Rolle das höfliche Gehabe gegenüber den beiden jungen Mormoninnen, die da in sein Haus schneien, um ihre Gemeinschaft zu bewerben, nur vorzutäuschen: Die Figur des Mr. Reed ist im Grunde eine, die ihre Überzeugung genauso lebt wie ihr Gegenüber. Höflichkeit und gelebte Diskussionskultur sind daher auch kein Grund, um nicht auch unorthodoxe Pläne zu schmieden. Dieser Anstand ist also ernst gemeint – und klar, Mr. Reed verbiegt die Wahrheit gerne zu seinen Gunsten, wenn es zum Beispiel darum geht, die Haustür nicht mehr öffnen zu können, da sie einem zeitgesteuerten Mechanismus unterliegt. Doch im Grunde verfolgt er eine Agenda, die all jene remissionieren soll, die missionieren wollen.

Das sind also die beiden Schwestern Barnes und Paxton, die während eines herannahenden Schneesturms das traute Heim eines Gelehrten aufsuchen, um diesen zu belehren. Der aber macht das, was alle religiösen Türklopfer dieser Welt womöglich fürchten: Er sucht die Diskussion. Es braucht dann auch nicht viel, um Religion als das zu enttarnen, was sie eigentlich ist. Dass man dafür das Gesellschaftsspiel Monopoly unterstützend heranziehen kann, beweist Heretic in einer seiner besten Szenen. Die erste Hälfte des Films ist es auch, die das Zeug hat, das Genre des intellektuellen Horrorfilms innovativ zu erweitern. Denn manchmal reicht nur die Wucht einer Performance, wie sie Hugh Grant hinlegt, und ein ausformuliertes Skript, dass es wirklich wissen will. Als Kammerspiel wäre Heretic schließlich spannend genug – als reines Wortduell, welches den Horror der Widerlegung eines Gottes bereits in sich trägt. Doch leider wollen Scott Beck und Bryan Woods (u. a. 65 bzw. mitverantwortlich für das Skript zu A Quiet Place) mehr – obwohl das alles schon genug wäre. Sie wollen einen Horror bemühen, der in drastischeren Bildern lediglich nachkaut, was sowieso schon durchexerziert wurde.

Vergessen wir all die schleichende Suspense der ersten Hälfte. Als wäre man in einem Escape Room für die Frommen, konstruieren die beiden Filmemacher ein Psychospiel ohne Überzeugungskraft. Beklemmende Kellerparty und gespenstische Gestalten, dazu die Stimme Grants aus dem Lautsprecher, um die beiden gemarterten jungen Frauen durch ein Exempel zu führen, dass sich so umständlich anfühlt wie eine Liturgie auf Latein. Der Rest passt dann auch nicht mehr zu Mr. Reeds Charakterbild, obwohl Grant versucht, seine Rolle konsequent durchzuspielen. Es gelingt ihm auch, selbst Sophie Thatcher und Chloe East sind motiviert genug, durch die Hölle zu gehen. Die Conclusio am Ende der blutigen Bibelrunde birgt dann aber eine Erkenntnis, die, um sie zu erlangen, den ganzen um die Ecke gedachten Zinnober nicht gebraucht hätte. Das Wort hätte Wirkung genug gehabt.

Heretic (2024)

Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (2023)

LASSET DIE KINDER ZU MIR KOMMEN

7,5/10


bolognaentfuehrung© 2023 Filmladen Filmverleih


ORIGINAL: RAPITO

LAND / JAHR: ITALIEN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2023

REGIE: MARCO BELLOCCHIO

DREHBUCH: MARCO BELLOCCHIO, SUSANNA NICCHIARELLI

CAST: ENEA SALA, LEONARDO MALTESE, PAOLO PIEROBON, BARBARA RONCHI, FAUSTO RUSSO ALESI, FILIPPO TIMI, ALESSANDRO FIORUCCI, MARCO GOLINUCCI U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Die Geschichte der katholischen Kirche lässt sich mit zwei simplen lateinischen Wörtern zusammenfassen: Mea culpa. Wir alle wissen, was das heisst. Der Zimmermann aus Nazareth, gekreuzigt, gestorben, begraben und wiederauferstanden von den Toten, würde sich, wäre er noch dort, im Grabe umdrehen. Er hätte wissen müssen, dass dem Wesen Mensch wohl kaum mit der Bergpredigt beizukommen wäre. Er hätte wissen müssen, dass Macht, wo sie auch zur Verfügung stünde, allen anderen Werten voran uneingeschränkte Priorität genießt. Das war damals so, ist heute so, und wird auch immer so sein. Welches Instrument eignet sich da nicht am besten, um das Volk gefügig zu machen? Religion – schrecklich, gnädig und massentauglich. Die Sünder zu lenken wird ein leichtes. Und leicht missbrauchbar, das zeigt eine lange Liste an Verfehlungen.

Doch Entschuldigung hin oder her – wie oft die Kirche noch reuevoll zu Kreuze kriechen will, um sich von diesen reinzuwaschen – ich weiß es nicht. Irgendwann ist es auch mal gut, irgendwann sind  Bittgesuche um Vergebung nur noch Worthülsen. Bei Sichtung von Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (im Original schlicht Rapito, was so viel heisst wie Entführung) kommt man schließlich zu einem Punkt, an dem es sichtlich schwerfällt, den Soutaneträgern nochmal die Hand zu reichen. Mag sein, dass diese Verfehlung schon einige Zeit zurückliegt, genauer gesagt rund eineinhalb Jahrhunderte, doch Unrecht wie dieses hat das Zeug dazu, einfach nicht zu verjähren.

Diese Wut im Bauch steigert sich noch weiter, je unverfrorener die Katholische Kirche im Namen Jesu Christi im Italien des 19. Jahrhunderts zu Werke geht. Wieder mal ringen die Konfessionen um Daseinsberechtigung, vor allem die des jüdischen Glaubens. Es wäre zu erwarten gewesen, dass Papst Pius IX, damals Oberhaupt auch über Bologna, religiöse Minderheiten schon vorab aus seinem Territorium verbannt hätte. Doch um ein nicht ganz so diktatorisches Bild an die Weltöffentlichkeit zu vermitteln, durfte schließlich auch auf hebräisch das Essens- und Abendgebet gesprochen werden. Welch Gnade. Die findet aber bald ihr jähes Ende, wenn es darum geht, auch nur versehentlich auf christliche Weise getaufte Juden einer jüdischen Erziehung zu überlassen. So muss die Familie Mortara in verzweifelter Ohnmacht mitansehen, wie ihr siebenjähriger Spross Edgardo von den Handlangern des Klerus entführt und nach Rom überstellt wird, direkt in die Arme des Papstes. Die Familie Mortara setzt alle Hebel in Bewegung, die zur Verfügung stehen, um den verlorenen Sohn wieder zurück in die familiäre Obhut zu bringen. Vor allem die Presse erfährt davon, die ganze Welt scheint erbost – doch Pius IX., damals verdammt mächtig und über ganz Rom herrschend, lässt sich von niemandem die Leviten lesen. Derart herablassende Machtmenschen könnten sso manchem finsteren Charakter aus Game of Thrones das Weihwasser reichen – die Vorbilder für George R. R. Martins Intrigenepos kommen nicht von irgendwoher, sondern finden sich vielleicht genau dort, in den vatikanischen Gemächern. Ein Junge wie Edgardo hat da keine Chance. Und muss zusehen, wie der militante Katechismus in die Gänge kommt, um auch ihn umzupolen – wie auch viele andere seines Alters.

Was Ridley Scott vielleicht für die USA, ist Marco Bellocchio für sein Heimatland Italien: Einer, der die Geschichte als großes Erlebniskino auf die Leinwand wuchtet, der Emotionen wachkitzelt und sein Publikum packt. Gelungen ist ihm das bereits mit Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra. Jetzt gelingt ihm das ein zweites Mal. Sein True Crime-Skandalchronik um den Mortara-Fall ist echauffierendes Erlebniskino, pompös wie eine Oper und hantiert geschickt mit genretypischen Tropen, ebenso wie Ridley Scott. Beide wollen das Rad nicht neu erfinden, beiden ist es vor allem wichtig, Wendepunkte und Schlagzeilen der Geschichte so zu illustrieren, dass sie als hochdramatischer Eyecatcher für die Massen funktionieren. Es wird wohl kaum jemanden geben, der sich nicht in die Szenarien der beiden Entertainment-Historiker (und das ist nicht abwertend gemeint) hineinfinden könnte. Dafür werden Knöpfe gedrückt, die das Gemüt der Zuseher triggern, vor allem der geschichtsinteressierten. Denn das ist immerhin Voraussetzung. Würden einem Schlagzeilen aus der Sakristei sowieso nicht tangieren, dann wars das schon. Ist aber gerade das von brennendem Interesse, vor allem in Zeiten wie diesen, in denen der Antisemitismus wieder aus dem Tartarus kriecht und Glaubenskriege ohnehin, wie schon seit jeher, den Nahen Osten ins Massaker stürzen, lässt sich mitansehen, wie Die Bologna-Entführung noch ein paar weitere Tröpfchen Öl ins Feuer gießt. Die Kirche ist bei dem, was war und dem was ist, schließlich kein Zaungast. Das schreiende Unrecht unter Papst Pius IX. bringt nicht nur die geifernde Machtgier einer Religion ans Licht, sondern auch ihr Verhältnis zum Judentum. Am besten gelingt sowas anhand eines Einzelschicksals, wie eben das des Edgardo Mortara, den man letztlich als verlorenen Sohn und gewonnenes Schaf für faschistoide Glaubenshirten verzeichnen wird müssen. In einer kongenialen Traumsequenz sieht man, wie der Junge Christus vom Kreuz befreit – und dieser von dannen zieht. Hätte der Messias es selbst gekonnt, hätte er seiner eigenen Kirche längst den Rücken gekehrt.

Hinzufügend ist zu bemerken, dass die katholische Weltsynode eben erst ohne große Ergebnisse zu Ende ging. Wichtige Themen zur Reformation einer völlig obsoleten Machtstruktur bleiben anscheinend unverhandelbar. Klar, dass die an den Hebeln der Macht sitzenden ihren Zugang nicht verlieren wollen. Das wollte Pius IX. auch nicht.

Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (2023)

Infidel

DIE STURHEIT DER ALLWISSENDEN

5/10


infidel© 2021 Kinostar


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE / PRODUKTION: CYRUS NOWRASTEH

CAST: JIM CAVIEZEL, CLAUDIA KARVAN, HAL OZSAN, STELIO SAVANTE, BIJAN DANESHMAND, ISABELLE ADRIANI U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Offen seine eigene Meinung zu sagen, das ist schon eine Freiheit, für die es sich zu kämpfen lohnt. Offen den eigenen Glauben zu bekennen: warum nicht? Auch das ist gelebter Liberalismus, in manchen Ländern mehr, in manchen weniger, in wenigen gar nicht. In Ländern, in denen es weniger bis gar nicht geht, verleitet das natürlich zur Provokation, sofern man tough genug ist, die eigene Verschleppung, Kasernierung oder gar Hinrichtung in Kauf zu nehmen. Vielleicht ist das ja für einen guten Zweck, und Märtyrer sind ja schließlich seit Jesus von Nazareth Trendsetter, wenn es heißt, sich selbst bis über den Tod hinaus treu zu bleiben. Aus der Geschichte lässt sich lernen, das sowas funktioniert. Also probiert es Jim Caviezel, diesmal nicht in Sandalen, sondern im schicken Anzug und noch dazu in der Gegenwart, im muslimischen Kairo. Kompliziert wird’s dann, wenn ein Pamphlet für freies Denken mit dem Ziel, ganze Kulturkreise zu missionieren, verwechselt wird.

Dem US-Journalisten Doug Rawlins passiert das. Er verwechselt Diplomatie mit Kompromittierung und stößt im Rahmen eines Fernsehinterviews in Ägypten die muslimische Gemeinde vor den Kopf. Die Kunst der Rhetorik will gelernt sein, und man könnte davon ausgehen, Rawlins würde diese beherrschen. Dem ist aber nicht so. Er macht unmissverständlich klar, dass nur der christliche Glaube der einzig wahre sei. Feingefühl lässt sich woanders verorten. Folglich wird dem eitlen Gecken schon bald ein schwarzer Sack über den Kopf gestülpt, der Sitzplatz im Flieger zurück in die vereinigten Staaten bleibt leer. Natürlich spielen da auch noch ganz andere Faktoren mit, denn ein heikles Missverständnis zwischen Rawles und einem muslimischen Geschäftskollegen war einige Zeit vorher aus dem Ruder gelaufen. Entführt, gefoltert und eingesperrt, muss Jim Caviezel nun um seinen Lebensabend bangen, während Ehefrau Liz sämtliche Hebel in Bewegung setzt, um auf eigene Faust ihren Mann zu finden und freizubekommen.

Der christliche Glaube als einzig wahre Religion: Cyrus Nowrastehs Politdrama Infidel zweifelt nicht an seiner überlegenen Gottesgläubigkeit und legitimiert ungefragtes missionarisches Handeln. Selbstredend darf Jim Caviezel nach Die Passion Christi wieder in die Rolle eines neues Messias schlüpfen, der für das Heil der Welt dem Tod ohne weiteres ins Gesicht sieht. Seine Rolle ist die eines predigenden Jesus sehr ähnlich, nur statt auf Bergen oder öffentlichen Plätzen offenbart der von ihm dargestellte Journalist seine Weisheiten per Blog – bis eben das Fernsehen ruft, und er dort schließlich nicht anders kann, als zu seinem Glauben zu stehen. Das hausgemachte Dilemma schmeckt dann auch nicht so richtig. Und wenn, dann nach zu offensichtlicher Anbiederung an ein obsoletes Märtyrertum. Caviezel legt seine Figur viel zu gelassen an, auch dirigiert Nowrasteh, der mit dem Heiland-Biopic Der junge Messias so ziemlich durchfiel, seinen Befreiungssthriller zwar zügig und kaum langweilig, dafür aber recht routiniert und angesichts der Motive der einzelnen Figuren relativ einseitig.

Infidel

Der Fall Jesus

VON SAULUS ZU PAULUS

4/10

 

Der Fall Jesus© 2017 Pure Flix

 

LAND: USA 2017

REGIE: JON GUNN

CAST: MIKE VOGEL, ERIKA CHRISTENSEN, ROBERT FORSTER, FAYE DUNAWAY U. A.

 

Bei Matthäus 19 heißt es doch so schön: Wer es fassen kann, der fasse es! Dabei beziehen sich Jesus´Worte auf die Bereitschaft, sich dem Glauben einmal mehr, einmal weniger offenkundig hinzugeben. Sich Gott komplett zu verschreiben, oder dessen Botschaften in respektvollem Abstand zu interpretieren. Der Glaube, der ist ja etwas ganz Persönliches, der gehört in jedem Fall nicht dogmatisiert. Und schon gar nicht frei von Zweifel gehalten. Wer es also zur Gänze begreifen kann, diese frohe Botschaft, der soll das tun. Wer hinter den Vorhang blicken kann, der soll das machen. Alle anderen müssen das nicht, sie sollen es so fassen, wie sie es fassen können. Und wer nicht bedungungslos an die Wahrheit glaubt, der kommt deswegen auch nicht weniger ins Himmelreich, das betrifft dann wieder vermehrt die Reichen. Auch Reporter Lee Strobel wäre auch dann ins Himmelreich gekommen (sofern es eines gibt, aber wie gesagt: Zweifel sind immer ein Zeichen dafür, sich mit einem Thema aktiv auseinanderzusetzen) hätte er sich der Authentizität des Neuen Testaments weiterhin verschlossen. Doch irgendetwas ließ den faktenversessenen Journalisten einfach nicht davon abhalten, die Wahrheit über den historischen Jesus herausfinden zu wollen. Nicht aber, weil er dessen Existenz wiederlegen wollte. Nicht, weil er die ganze christliche Lehre für Humbug gehalten hätte. Sondern einfach, weil er schon von Anbeginn an, bevor die Recherchen zu den Fakten überhaupt in Angriff genommen wurden, bereits daran glauben wollte. Wollen also, aber leider nicht können. Das wäre der Glaubwürdigkeit eines Reporters wohl nicht zuträglich, denn solche Berufe zeichnen sich dadurch aus, alles penibel recherchieren zu müssen, um nicht enttarnt zu werden als Kolporteure, die Gesagtes und Gehörtes nochmal unreflektiert aufwärmen. Das geht natürlich gar nicht. Also ist sich Lee Strobel selbst im Weg.

Der Fall Jesus erzählt von der Eigenmission eines Mannes, der später zu einem angesehenen Vertreter des apologetischen Glaubens und der kreationistischen Entstehungslehre (!) werden wird. Womit wir plötzlich bei einer, ich kann mir nicht helfen, überraschend ungetarnten Kirchenpropaganda gelandet sind, die vorgibt, ein geschichtswissenschaftlicher Thriller zu sein, dabei aber von einem völlig verhobenen Trugschluss ausgeht. Dieser lautet wie? Dass Glaube welcher Art auch immer aus der Akzeptanz irgendwelcher Fakten resultiert. Das wird niemals passieren, und auch wenn die Passionsgeschichte des Mannes aus Nazareth irgendwie auch wiederlegt hätte werden können (was aber nicht passiert ist), wäre die Sache des Glaubens immer noch eine andere. Auch wenn die Bibel nicht recht hat, hat der eigene Glaube immer noch Hand und Fuß. Kann also ein Mensch wie Lee Strobel hinsichtlich einer metaphysischen Entität wirklich Überzeugung erlangen, sofern sich die Prämisse, nur zu glauben was man sieht, erfüllt? Oder wäre dieser Mensch ohne des Bohrens in heiligen Wunden nicht ohnehin zur selben Erkenntnis gelangt? Laut dessen Bericht würde ich behaupten: ja. Strobels Frau, die auf ganz anderem Wege zu ihrem Glauben gefunden hat, nämlich in Bezug auf das Wunder, dass ihre Tochter vor dem Erstickungstod bewahrt hat, ist in ihrer Neuausrichtung in punkto Lebenssinn da schon glaubwürdiger, wenn auch hier von einer leicht fanatischen Freude beseelt, die ihr ja zu wünschen ist, die aber dennoch irritiert. Das erinnert unweigerlich an das kürzlich in Wien stattgefundene Massengebet für Exkanzler Sebastian Kurz durch den Awakening Europe-Verein, der natürlich aus den USA kommt, denn dort kommt das ganze erzkonservativ christliche Glaubenskonzept eigentlich her.

Zu diesem bigotten Bekenntnis will uns der von der christlichen Produktionsfirma Pure Flix gedrehte, populistische Film aber eigentlich verleiten. Zu einer Hurra-Erleuchtung, die wie aus heiterem Himmel Ungläubige zu eifrig buckelnden Gläubigen machen soll, ungefähr so wie Saulus zu Paulus wurde, was zwar missionstechnisch damals seinen Mehrwert hatte, aber wer will heutzutage noch missionieren, wo jeder, der etwas damit anfangen will, seinen persönlichen Jesus hat? Der Fall Jesus will das schon, auf Basis unwiderlegbarer historischer Fakten, die für sich schon einen spannenden Einblick in die Bibelarchäologie gewähren, die aber mit der massentauglichen Erweckungssystematik frömmelnder Gebetsgruppen eigentlich gar nichts zu tun haben wollen – und dort auch nicht hingehören.

Der Fall Jesus