Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (2023)

LASSET DIE KINDER ZU MIR KOMMEN

7,5/10


bolognaentfuehrung© 2023 Filmladen Filmverleih


ORIGINAL: RAPITO

LAND / JAHR: ITALIEN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2023

REGIE: MARCO BELLOCCHIO

DREHBUCH: MARCO BELLOCCHIO, SUSANNA NICCHIARELLI

CAST: ENEA SALA, LEONARDO MALTESE, PAOLO PIEROBON, BARBARA RONCHI, FAUSTO RUSSO ALESI, FILIPPO TIMI, ALESSANDRO FIORUCCI, MARCO GOLINUCCI U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Die Geschichte der katholischen Kirche lässt sich mit zwei simplen lateinischen Wörtern zusammenfassen: Mea culpa. Wir alle wissen, was das heisst. Der Zimmermann aus Nazareth, gekreuzigt, gestorben, begraben und wiederauferstanden von den Toten, würde sich, wäre er noch dort, im Grabe umdrehen. Er hätte wissen müssen, dass dem Wesen Mensch wohl kaum mit der Bergpredigt beizukommen wäre. Er hätte wissen müssen, dass Macht, wo sie auch zur Verfügung stünde, allen anderen Werten voran uneingeschränkte Priorität genießt. Das war damals so, ist heute so, und wird auch immer so sein. Welches Instrument eignet sich da nicht am besten, um das Volk gefügig zu machen? Religion – schrecklich, gnädig und massentauglich. Die Sünder zu lenken wird ein leichtes. Und leicht missbrauchbar, das zeigt eine lange Liste an Verfehlungen.

Doch Entschuldigung hin oder her – wie oft die Kirche noch reuevoll zu Kreuze kriechen will, um sich von diesen reinzuwaschen – ich weiß es nicht. Irgendwann ist es auch mal gut, irgendwann sind  Bittgesuche um Vergebung nur noch Worthülsen. Bei Sichtung von Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (im Original schlicht Rapito, was so viel heisst wie Entführung) kommt man schließlich zu einem Punkt, an dem es sichtlich schwerfällt, den Soutaneträgern nochmal die Hand zu reichen. Mag sein, dass diese Verfehlung schon einige Zeit zurückliegt, genauer gesagt rund eineinhalb Jahrhunderte, doch Unrecht wie dieses hat das Zeug dazu, einfach nicht zu verjähren.

Diese Wut im Bauch steigert sich noch weiter, je unverfrorener die Katholische Kirche im Namen Jesu Christi im Italien des 19. Jahrhunderts zu Werke geht. Wieder mal ringen die Konfessionen um Daseinsberechtigung, vor allem die des jüdischen Glaubens. Es wäre zu erwarten gewesen, dass Papst Pius IX, damals Oberhaupt auch über Bologna, religiöse Minderheiten schon vorab aus seinem Territorium verbannt hätte. Doch um ein nicht ganz so diktatorisches Bild an die Weltöffentlichkeit zu vermitteln, durfte schließlich auch auf hebräisch das Essens- und Abendgebet gesprochen werden. Welch Gnade. Die findet aber bald ihr jähes Ende, wenn es darum geht, auch nur versehentlich auf christliche Weise getaufte Juden einer jüdischen Erziehung zu überlassen. So muss die Familie Mortara in verzweifelter Ohnmacht mitansehen, wie ihr siebenjähriger Spross Edgardo von den Handlangern des Klerus entführt und nach Rom überstellt wird, direkt in die Arme des Papstes. Die Familie Mortara setzt alle Hebel in Bewegung, die zur Verfügung stehen, um den verlorenen Sohn wieder zurück in die familiäre Obhut zu bringen. Vor allem die Presse erfährt davon, die ganze Welt scheint erbost – doch Pius IX., damals verdammt mächtig und über ganz Rom herrschend, lässt sich von niemandem die Leviten lesen. Derart herablassende Machtmenschen könnten sso manchem finsteren Charakter aus Game of Thrones das Weihwasser reichen – die Vorbilder für George R. R. Martins Intrigenepos kommen nicht von irgendwoher, sondern finden sich vielleicht genau dort, in den vatikanischen Gemächern. Ein Junge wie Edgardo hat da keine Chance. Und muss zusehen, wie der militante Katechismus in die Gänge kommt, um auch ihn umzupolen – wie auch viele andere seines Alters.

Was Ridley Scott vielleicht für die USA, ist Marco Bellocchio für sein Heimatland Italien: Einer, der die Geschichte als großes Erlebniskino auf die Leinwand wuchtet, der Emotionen wachkitzelt und sein Publikum packt. Gelungen ist ihm das bereits mit Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra. Jetzt gelingt ihm das ein zweites Mal. Sein True Crime-Skandalchronik um den Mortara-Fall ist echauffierendes Erlebniskino, pompös wie eine Oper und hantiert geschickt mit genretypischen Tropen, ebenso wie Ridley Scott. Beide wollen das Rad nicht neu erfinden, beiden ist es vor allem wichtig, Wendepunkte und Schlagzeilen der Geschichte so zu illustrieren, dass sie als hochdramatischer Eyecatcher für die Massen funktionieren. Es wird wohl kaum jemanden geben, der sich nicht in die Szenarien der beiden Entertainment-Historiker (und das ist nicht abwertend gemeint) hineinfinden könnte. Dafür werden Knöpfe gedrückt, die das Gemüt der Zuseher triggern, vor allem der geschichtsinteressierten. Denn das ist immerhin Voraussetzung. Würden einem Schlagzeilen aus der Sakristei sowieso nicht tangieren, dann wars das schon. Ist aber gerade das von brennendem Interesse, vor allem in Zeiten wie diesen, in denen der Antisemitismus wieder aus dem Tartarus kriecht und Glaubenskriege ohnehin, wie schon seit jeher, den Nahen Osten ins Massaker stürzen, lässt sich mitansehen, wie Die Bologna-Entführung noch ein paar weitere Tröpfchen Öl ins Feuer gießt. Die Kirche ist bei dem, was war und dem was ist, schließlich kein Zaungast. Das schreiende Unrecht unter Papst Pius IX. bringt nicht nur die geifernde Machtgier einer Religion ans Licht, sondern auch ihr Verhältnis zum Judentum. Am besten gelingt sowas anhand eines Einzelschicksals, wie eben das des Edgardo Mortara, den man letztlich als verlorenen Sohn und gewonnenes Schaf für faschistoide Glaubenshirten verzeichnen wird müssen. In einer kongenialen Traumsequenz sieht man, wie der Junge Christus vom Kreuz befreit – und dieser von dannen zieht. Hätte der Messias es selbst gekonnt, hätte er seiner eigenen Kirche längst den Rücken gekehrt.

Hinzufügend ist zu bemerken, dass die katholische Weltsynode eben erst ohne große Ergebnisse zu Ende ging. Wichtige Themen zur Reformation einer völlig obsoleten Machtstruktur bleiben anscheinend unverhandelbar. Klar, dass die an den Hebeln der Macht sitzenden ihren Zugang nicht verlieren wollen. Das wollte Pius IX. auch nicht.

Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (2023)

Das Wunder

DAS MYSTERIUM DES SUPPENKASPERS

5/10


daswunder© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA, GROSSBRITANNIEN, IRLAND 2022

REGIE: SEBASTIÁN LELIO

BUCH: ALICE BIRCH, SEBASTIÀN LELIO & EMMA DONOGHUE, NACH IHREM ROMAN

CAST: FLORENCE PUGH, TOM BURKE, KILA LORD CASSIDY, NIAMH ALGAR, ELAINE CASSIDY, TOBY JONES, CIARÀN HINDS, DERMOT CROWLEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Heilige Katharina von Siena, bitte für uns! Die italienische Mystikerin aus dem 15. Jahrhundert war eine jener Lichtgestalten der katholischen Kirche, die sich dadurch auszeichneten, ohne Nahrung auszukommen. Wer also heilig sein oder sich näher zu Gott sehen wollte, der brauchte nur nichts mehr zu essen. Das Manna kommt ohnedies vom Himmel, wie schon für die Israeliten beim Auszug aus Ägypten. Interessanterweise kam das Phänomen der Nahrungsverweigerung aber erst so richtig im viktorianischen Zeitalter in Mode – sowohl in den USA als auch in Europa, und zwar ausschließlich bei Mädchen, vermutlich in Verbindung mit Anorexia nervosa, der sogenannten Magersucht. Einem solchen wundersamen Phänomen widmet sich der jüngste Spielfilm des gebürtigen Argentiniers Sebastián Lelio, der mit Werken wie Gloria oder Eine fantastische Frau in der Filmwelt für Aufsehen gesorgt hat. Basierend auf dem Roman von Emma Donoghue lässt er nun die aktuell sehr angesagte und auch wirklich talentierte Florence Pugh auf ein in ärmlichen Verhältnissen dahinvegetierendes Mädchen los, das Nährstoffe aller Art außen vor lässt.

Im Laufe des Dramas schaufelt die von Pugh dargestellte, so zugeknöpfte wie strenge, wenn nicht gar herrische Krankenschwester umso mehr in sich hinein, je weniger das Mädchen zu sich nimmt – vielleicht aus Frust oder einfach nur, um zu polarisieren. Schwester Wright ist Teil eines von den lokalen Geistlichen ins Leben gerufenen Projektes, welches vorsieht, die minderjährige Probandin rund um die Uhr zu beobachten, um schwarz auf weiß den Einfluss Gottes auf die irdische Existenz zu bestätigen. Wright hat die eine Schicht, Schwester Michael, eine Nonne, die andere. Und tatsächlich: Nahrungszufuhr lässt sich keine beobachten. Die Familie der Anna O’Donnell huldigt ihrem Sprössling, als wäre sie eingangs erwähnte Katharina, betet sie an und ist fest davon überzeugt, auserwählt zu sein. Die skeptische Pugh sieht das natürlich anders. Mit Sicherheit handelt es sich dabei um Betrug. Doch wie dieser vonstatten gehen kann, dafür bedarf es fast schon einer kriminalistischen Beweisführung.

Sebastián Lelio bettet seinen nüchternen Streifen in die irischen Midlands – spröde, unnahbar und gottergeben ist hier alles und jeder. Pugh legt in ihrer Interpretation einer durch und durch freudlosen Person eine Strenge an den Tag, die man ihr am liebsten herauskitzeln möchte. Andererseits aber ist Skepsis diesem Wunder gegenüber unterstützenswert, lässt sich doch bald nicht mehr mitansehen, wie sehr sich das Mädchen in den Laken windet. Düster und angespannt bleibt die Stimmung, in kargen Räumlichkeiten sammeln sich Würdenträger und Dorfgrößen, darunter Toby Jones oder Ciarán Hinds, um den Report der zwei Zeuginnen anzuhören. Das Wunder ist ein unnahbarer, sehr ernster Film. Emotionen bleiben unterdrückt; Fanatismus, Armut und Entbehrungen lassen das unglückliche Grüppchen an Menschen ihre Kreuze tragen, jede Seele das seine. Dabei zwängt Lelio bei Pughs Figur sogar noch eine biographische Metaebene hinzu, die in ihrer ritualisierten Schwermut das Ganze, statt aufzulockern, noch mehr auf den festgestampften Erdboden niederdrückt. Mit dieser kargen Erzählweise gewinnt Das Wunder niemanden für sich. Die Figuren bleiben fern, das Phänomen ist maximal eine Anomalie oder der Protest eines Sturschädels – wie die Rebellion eines Suppenkaspers, der nicht essen will, am Schluss dann ausdünnt wie eine Stabschrecke und im Grab dann vielleicht seine Nähe zu Gott findet. Mehrwert hat die Hungerkur keine, Nährwert ebenso wenig. Und obwohl Florence Pugh in ihren viktorianischen Kleidern auf weiter irischer Ebene eine gute Figur macht, schleppt sich das Drama durch ein leidlich interessantes Mysterium, ohne beharrlich genug hinter den Vorhang zu blicken. Genau das, nämlich die Auseinandersetzung mit dem Glauben und auch mit den Beweggründen des Mädchens und ihrer Familie, hätte den Streifen zu einem zündenden Statement machen können. Das Wunder bleibt aber an der Oberfläche, wie Schlagzeile und Vorspann eines Berichts aus der Zeitung. In medias res wagt der Film dann nicht mehr zu gehen.

Das Wunder

The Eyes of Tammy Faye

GELDBERGPREDIGTEN IM SPENDEN-TV

7/10


tammyfaye© 2021 20th Century Studios All Rights Reserved


LAND / JAHR: KANADA, USA 2021

REGIE: MICHAEL SHOWALTER

CAST: JESSICA CHASTAIN, ANDREW GARFIELD, CHERRY JONES, SAM JAEGER, VINCENT D’ONOFRIO U. A. 

LÄNGE: 2 STD 6 MIN


Am Ende erkennt man sie nicht wieder. Das soll Jessica Chastain sein? Allerdings. Und dabei ist es gar nicht so, dass sich die rothaarige Schöne hinter Kilos an Make-up und Latex vergräbt wie manch anderer Star. Chastain ist noch immer sie selbst. Nur ist die Person, die sie verkörpert, so grundlegend anders angelegt als all ihre bisherigen Rollen, womit man mitunter glauben könnte: hier ist rein die sichtbare Verwandlung schuld an diesem Ausbruch aus festgelegten Stereotypen. Ist aber nicht so. Chastain probiert tatsächlich, gegen die Richtung zu schwimmen, der sie bislang souverän gefolgt war: als toughes, intellektuelles, mitunter auch recht kühles feministisches Kraftpaket, das zwar mit seinen inneren Dämonen hadert, nach außen hin aber die Wahrnehmung der Frau als dem Manne um einiges überlegen durchaus schärft. In The Eyes of Tammy Faye spiegelt sich diesmal aber etwas ganz anderes: der bemitleidenswert naive Glaube an die Dreifaltigkeit, das Gute auf der Welt und dem Götzenbild des Mammon irgendwo in der Schublade in einem Zimmer des pompösen Eigenheims mit dem Namen Bakker unter der Türklingel.

Sorry, noch nie von denen gehört. Aber das ist kein Wunder. Wir haben es, wie so oft in letzter Zeit, mit lokalen Größen aus der amerikanischen Mediengeschichte zu tun. Tammy Faye und Jim Bakker, das waren Fernsehprediger und Evangelisten, die „Silbereisens“ des christlich-manischen Fernsehens, in der Gott Liebe ist und Liebe Gott, und ganz sicher trägt Jesus uns alle wirklich im Herzen. Verbale Brotkrumen, die zum Ende jeder Sendung unter die Zielgruppe gestreut wurden. Die Bakkers hatten gar ihren eigenen Fernsehsender, die Zuschauerzahlen waren enorm, die beiden konnten sich alles leisten, was nur zu leisten war – schwimmend im Geld und sonstigem Konsum und gleichzeitig so spendengeil wie alle NGOs Amerikas zusammen. Ist ja alles für den guten Zweck, da lässt sich nichts dagegen sagen. Wenn der Zweck aber auch den eigenen gut gesicherten Lebensabend einschließt, wird’s problematisch. Und so war’s dann auch: Jim Bakker muss sich mit Vorwürfen herumschlagen, das Geld anderer Leute veruntreut zu haben. Geht moralisch und rechtlich natürlich gar nicht. Tammy Faye gibt die Ahnungslose, weiß ja mit dem Zaster und dergleichen nicht umzugehen; nimmt, was sie bekommt und tut, was Reiche eben so tun. Dafür hat sie ihr Herz am rechten Fleck, singt wie Helene Fischer und steht zur Integration Homosexueller. Würde man den ganzen Fernsehschnickschnack weglassen, gibt sie sich überraschend liberal und offenherzig. Nah am Wasser gebaut ist die aufgedonnerte Dame obendrein, und so verschwimmt oft das Make-up auf ihrem tränenreichen Gesicht.

Kein einfacher Charakter, den Chastain hier für das große Kino neu interpretiert. Allerdings hat das Biopic von Michael Showalter (Die Turteltauben, The Big Sick) zumindest hierzulande keinen Weg auf die Leinwand gefunden. Verdient hätte es das, und wie schon Steven Soderberghs schillernde Bühnenbeichte Liberace hält The Eyes of Tammy Faye nicht nur deren stark geschminkte Augen in die Kamera, sondern auch ganz viel Glamour, Mode und Zeitkolorit. Während Chastain über Jahrzehnte hinweg unter den gerade trendigsten Frisuren und Outfits in die unterschiedlichsten Existenzstadien ihres so erfolgreichen wie -losen Lebens schlüpft, bleibt Andrew Garfield als Jimi Bakker stets er selbst, mit immer grauer werdender Mähne und Latexbäckchen. Die Wandelbarkeit Chastains hätte er wohl gerne, doch zumindest im Spiel findet er als kapitalistischer Pharisäer, der dem Schauspieler durchaus ähnlich sieht, einen guten Zugang zum Publikum.

Showalter setzt auf Ausstattung und die gut sortierten Fakten eines Medienskandals, in dem Gott lediglich als Lippenbekenntnis die zweite Geige spielt und eigentlich wie so oft verschnupft darüber reagieren sollte, wenn die Geldwechsler wieder mal den Tempel füllen.

The Eyes of Tammy Faye

Corpus Christi

WILLST DU PRIESTER, KANNST DU PRIESTER

6,5/10

 

CorpusChristi© 2020 Arsenal Filmverleih

 

LAND: POLEN 2019

REGIE: JAN KOMASA

CAST: BARTOSZ BIELENIA, ELIZA RYCEMBEL, ALEKSANDRA KONIECZNA, LUKASZ SIMLAT, TOMASZ ZIETEK U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


„…wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. So heißt es doch im längst auswendig gelernten und niemals verlernbaren Vater unser, soweit ich mich erinnern kann. Interessanterweise aber hält sich die Kirche selbst am Wenigsten daran. Denn es ist – laut Jan Komasas Filmdrama Corpus Christi – verboten, als vorbestrafter Mensch, so sehr dieser auch geläutert sein mag, das Priesteramt auszuüben. Jesus hätte tadelnd den Kopf geschüttelt. Denn diese Handhabe ist genau das, was Jesu Botschaft nicht ist. Genauso wie das Zölibat, ein gänzlich anders Kapitel. Aber seis drum – die Kirche hat ihre obsoleten Regeln, und der Messias bleibt mit dabei. Der ist auch mit dem Kriminellen Daniel auf einer Spur, denn dieser will nichts anderes, als nach dem Absitzen seiner Strafe im Knast predigen zu dürfen. Geht nicht. er muss ins Sägewerk irgendwo am Land, in der Nähe eines polnischen Dorfes im scheinbaren Nirgendwo. Wie es der Zufall will, ist der ortsansässige Pfarrer gesundheitlich etwas angeschlagen und muss für medizinische Behandlungen mal kurz weg. Altar frei für Daniel, der den Namen seines geistlichen Vorbildes in der Jugendstrafanstalt annimmt, zufälligerweise ein Priestergewand bei sich trägt und die Gelegenheit am Kreuze packt. Was Daniel nicht weiß – die Dorfgemeinschaft hat schon mal bessere Zeiten erlebt. Und hätte einen Geistlichen, der die Nachwirkungen einer Tragödie wieder erträglich macht, bitter nötig.

Zaungäste der letzten Oscar-Verleihung wissen es: Corpus Christi war für die Kategorie Fremdsprachen nominiert, gewonnen hat dann Parasite. Der polnische Beitrag allerdings hat auch seine Stärken, und er erzählt eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht. Tatsächlich hat es einen solchen Fall gegeben, in dem sich ein Fake-Priester die Gunst seiner Schäfchen sichern konnte. Willst du Priester, kannst du Priester. Das Wort Gottes sollte ja beinahe schon jeder verkünden können, der weiß, was er zu sagen hat. Jesus selbst war ja auch kein Geistlicher, sondern schlicht und einfach ein Zimmermann. Überraschend aber auch, dass Corpus Christi vor allem auch auf religiöser Seite auf Anklang stieß, führt doch das Auftreten des jungen Daniel ein langwieriges Studium in Sachen Theologie ad absurdum. Denn letzten Endes spricht man nur mit dem Herzen gut, und Wahrheit braucht keine Prüfung. Der Rest ist Sache eines integren Autodidakts.

Komasas Film ist aber längst kein bleischweres Betroffenheitskino, obwohl Inhalt und Thema etwas anderes vermitteln wollen. Was wie ein düsteres Knastdrama beginnt, schlägt relativ kurze Zeit später die Richtung eines erfrischend anderen Psychogramms einer Gemeinde ein, die drauf und dran war, sich selbst in eine Stasis aus Trauer und Hass zu verbannen – hätte nicht Daniel das Zeug dazu, das Ruder auf unorthodoxe, dafür aber urchristliche Art rumzureißen. Diese kollektive Katharsis setzt Komasa dicht in Szene, seine Bilder sind von weihrauchverhangener Düsternis, dazwischen deftige Rhythmen, viele Zigaretten und fahles Licht. Daniel wird zur erfrischenden Gestalt selbigen inmitten dieser verbohrten Unfähigkeit, den Grundgedanken von Vergebung zu leben. Schauspieler Bartosz Bielenia, von dem man sicher noch so manches hören wird, verleiht dem falschen Prediger eine mitreißende Intensität. Man hört ihm zu, man folgt ihm, man fühlt sich vielleicht irritiert, doch motiviert dies vielleicht festgefahrene Gedanken zur Umkehr. Prachtvoll, dieser Aufruf, genau dem die Hand zu reichen, der ein Unglück vielleicht verschuldet hat. Dabei erscheint die Kleinheit des um sich rotierenden und absolutionsgierenden Menschen so klar und deutlich, und völlig unmissverständlich.

Corpus Christi aber ist kein Läuterungskitsch, und nirgendwo blickt auch nur irgendwer in einen kitschigen Sonnenaufgang. Nein, dieser Film ist kein Freund der Kirche, eher ein Freund einer nicht nur christlichen Ethik. Was am Ende aber aus diesem Abenteuer der Menschlichkeit herauskommt, lässt dann doch nochmal ratlos zurück. Absolution gibt’s dann leider nicht für alle, und ein bisschen Sonnenaufgang am Rande hätte ich mir fast gewünscht. 

Corpus Christi

Die zwei Päpste

EINKEHR-SCHWUNG IM VATIKAN

6/10

 

thetwopopes© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: FERNANDO MEIRELLES

CAST: JONATHAN PRYCE, ANTHONY HOPKINS, JUAN MINUJIN, FEDERICO TORRE U. A.

 

Mit dem Pontifex auf ein Bier zu gehen, das wäre gar nicht mal so unmöglich. Unser aller Franziskus (zumindest für all die Katholiken), der begegnet seinen Schafen nämlich auf Augenhöhe. Der braucht den ganzen Pomp, den ganzen Luxus und das ganze Zeremoniell nicht. Der speist lieber mit den Angestellten in der Vatikansküche. Einer unter vielen, das ist er. Und ein Hoffnungsträger. Einer, der anscheinend wirklich das Prinzip des Franz von Assisi lebt, tagtäglich. Und so nah am Original wie möglich. Wim Wenders hat darüber vor zwei Jahren einen Film gemacht: Franziskus – Ein Mann seines Wortes. Der deutsche Filmemacher, so hat es den Eindruck, begab sich damals wirklich mit dem Argentinier auf Augenhöhe, und so intim und unter vier Augen fühlt sich der Film auch streckenweise an. Nicht von oben herab, in keinster Weise weiser als all die anderen Menschen, denen er sich widmet. Zwischendurch dann Mitschnitte während seiner Reisen rund um den Globus. Franziskus, der ist ein Globetrotter. Einer, der überall sein will, und am liebsten mitten in der Menge. Dieses Authentische, das hat schon damals Kardinal Ratzinger beeindruckt, seines Zeichens Papst Benedikt XVI. und zu Lebzeiten abgedankt. Dabei hatte er damals, bei der Wahl des neuen Papstes nach Johannes Paul II., nur knapp gegen Jorge Bergoglio gewonnen.

Die ungewöhnliche Netflix-Produktion Die zwei Päpste soll nun zeigen, wie es zu diesem Machtwechsel gekommen ist, oder viel eher: welches intime Gespräch diesem seit dem 13. Jahrhundert einzigartigen Staffellauf der Päpste eigentlich vorangegangen ist. Natürlich, darüber lässt sich hauptsächlich nur mutmaßen. Überliefert sind die Gespräche wohl nicht eins zu eins. Überliefert sind eher die Fakten, die dieses Treffen umrahmen. Dass sich Joseph Ratzinger und Jorge Bergoglio trotz ihrer unterschiedlichen Anschauungen in Sachen Religionspolitik gut verstanden haben, zum Beispiel.

Und doch ist der Film Die zwei Päpste eine auffallend unstringente Filmschau. Was meiner Meinung nach zu erwarten war? Eine knisternde, kontroverse, spannende Doppelconference, ein Dialogfilm mit Schliff, womöglich mit dem Knalleffekt der Abdankung. Was hätte Paolo Sorrentino, Liebhaber und schwelgerischer Kritiker des Klerikalen, wohl aus diesem Stoff gezaubert? Etwas so schlagkräftiges und dichtes wie seine Serie The Young Pope mit Jude Law? Womöglich. Umbesetzt hätte er die Rollen von Benedikt und Franziskus aber nicht. Unterstanden hätte er sich das. Denn Anthony Hopkins und Jonathan Pryce sind in diesem biographischen Dialogdrama auf der Höhe ihres Schaffens. Bei Hopkins denkt man längst nicht mehr an Hannibal Lecter – seine Darstellung des betagten Ex-Oberhauptes der konservativen Glaubenskongregation findet in der noch so kleinsten Mimik glaubhafte Entsprechung. Sein Gang durch die Räumlichkeiten des Papstbesitzes refkletiert Schauspielkunst vom Feinsten. Und Pryce? Pryce ist Bergoglio, anders lässt sich das nicht umschreiben. Hätten wir am Ende des Filmes nicht Szenen der tatsächlichen Personen, würde mir der Unterschied rein aus der Erinnerung heraus gar nicht einfallen. Wie er blickt, wie er sinniert, wie er sich schämt für sein Versagen während der Junta-Diktatur in Argentinien – das ist schon eine Imitation, für die es nicht so schnell annähernde Alternativen gibt. Beide zusammen sind ein elektrisierendes Duo. Und dennoch – der Film von City of God-Regisseur Fernando Meirelles zerfällt in einzelne Fragmente, und weiß nicht so recht, was er sein möchte. Ein runder Tisch über den christlichen Glauben im 21. Jahrhundert? Ein Philosophikum? Ein semidokumentarisches Kirchendrama? Oder doch lieber nur eine Hommage an den aktuellen Papst Franziskus? Das Ziel vor Augen Meirelles bleibt verschwommen. Sowieso ist Bergoglio der Mann, um den es hier geht und dessen Vergangenheit mit Archivaufnahmen und SW-Einsprengseln viel mehr im Rampenlicht steht als beim bayrischen Kollegen. Es geht um Schuld, um menschliche Fehler und Vergebung. Um Idealismen und Weltsichten. Der einzige gemeinsame Nenner dieser zerfahrenen Beobachtung ist wohl am Ehesten das Ende obsoleter kirchlicher Weltbilder und der Neuanfang mit entrümpelter, mehr glaubhafter Weitsicht. So wie sie Papst Franziskus zelebriert.

Mit Die zwei Päpste bekommen jene, die es eínteressiert, die Möglichkeit, völlig wertfrei auf das Dilemma der Kirche zu blicken, ohne der visuellen Extravaganz eines Sorrentino, sondern zurückgenommer, karger, nüchterner. Und Wim Wenders filmische Einsicht in die Gedankenwelten des Brückenbauers an dieser Stelle – am besten danach -– wäre wärmstens zu empfehlen.

Die zwei Päpste

Franziskus – Ein Mann seines Wortes

DIE KUNST DES ZUHÖRENS

6,5/10

 

franziskus© 2018 Universal Pictures Germany

 

LAND: ITALIEN, SCHWEIZ, FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: WIM WENDERS

MIT: JORGE MARIO BERGOGLIO alias PAPST FRANZISKUS

 

Durchs Reden kommen d´Leut zamm, so wird gesagt. Da aber mittlerweile in diesem ach so selbstrepräsentativen Zeitalter jeder redet, völlig ungeachtet dessen, ob überhaupt jemand zuhört, ist das besagte Zuhören indessen rar geworden. Das Reden könnte man also mal den anderen überlassen, auffällig sind mittlerweile jene, die nicht so viele Worte verschwenden und hören, was gesagt wird, auch wenn vieles davon heiße Luft ist. Dazwischen aber gibt es jene, die wirklich Wichtiges zu sagen haben. Da muss der Auditor schon genau selektieren und sich denen nähern, die von Katastrophen und Ähnlichem erzählen, von Dingen, die sich unsereins in Abrahams Schoß überhaupt nicht vorstellen können. Einer dieser Zuhörer dürfte der seit 2013 im Amt der katholischen Kirche befindliche Papst Franziskus sein, ein Weglasser und Pompreduzierer unter dem Herrn, der sich mittags in die Kantine zum übrigen Personal des Vatikans kauert oder einfach auf das kugelsichere Papamobil verzichtet, um den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Ja, das tut er, dieser Franziskus, oder eigentlich Jorge Mario Bergoglio, waschechter Argentinier aus Buenos Aires und auffallend natürlich. Aktiv wie ein Außenminister zu Krisenzeiten und irgendwie überall schon mal gewesen. So zumindest zeigt es Wim Wenders in seinem vom Vatikan in Auftrag gegebenen Porträt eines ungewöhnlichen Mannes in Weiß, der Energien an den Tag legt, die mir schon allein beim Zusehen abhandenkommen und der einem Terminplan folgt, der dichter kaum sein kann.

Frühsommer letzten Jahres kam Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes ins Kino, fünf Jahre zuvor begannen die Vorbereitungen zu diesem Film, also eigentlich kurz nach Franziskus´ Antritt zum Pontifikat. Zeitraubend daran war die Sichtung all des Materials an Mitschnitten vergangener und zukünftiger Events, Reden vor versammelten Mengen und Besuche in mitunter auch diverser Brennpunkte. Franziskus, so lässt sich erkennen, gibt sich niemals die Blöße, verunsichert zu wirken, ganz egal, was er tut oder sagt. Sein ideologisches Konzept scheint Hand und Fuß zu haben. Natürlich, und das muss man an dieser Stelle auch sagen, ist Wenders Auftragsarbeit ein Werk, dessen Entstehung der Vatikan klarerweise unterstützt hat. Folglich bleibt Papst Franziskus jeglichen kritischen Beäugungen erhaben, verpackt den wortlastigen, wohlwollenden Steckbrief aber auf eine Art, die sicher nicht als katholischer Werbefilm zu bezeichnen ist. Warum?

Jedenfalls mal, weil Wim Wenders am Regiestuhl sitzt. Weil er mit dem Franzosen David Rosier, der schon bei Das Salz der Erde mit dabei war, all die Fragen ersonnen hat, die dem vielbeschäftigten Papst aufgetischt werden sollen. Weil Wenders ein genauer Hinblicker ist, der sich mit der intellektuellen Abtastung außergewöhnlicher und expositionierter Persönlichkeiten schon ausreichend gut genug beschäftigt hat, um zu wissen, wie er sich Menschen solchen Formats zu nähern hat. Das geschieht auf leisen Sohlen, das geschieht als Zuhörer eines Mannes, der selbst meistens Zuhörer ist. Da beide natürlich nicht zuhören können, würde der Film schweigen, also schöpft Franziskus zu dem einen oder anderen Thema aus seinem Gedankengut und wirkt, natürlich jetzt nicht wider Erwarten aber doch, erstaunlich weise und erstaunlich gütig. Unaufgesetzt, geradeheraus und im übertragenen Sinne ungeschminkt. Nüchtern und klar ist der ganze Film, so nüchtern und klar wie die Einstellung des Pontifex zum materiellen Reichtum des Einzelnen. Hinter den Ambitionen des Mannes steckt wahrlich ein Konzept, das arbeitet Wenders diskret hervor, und ich weiß nicht, inwiefern und inwieweit sich das Vatikan-Fernsehen da eingemischt hat, aber einen Film wie diesen so weit umzutakten, dass er tatsächlich so wirkt, als wäre man mit dem betagten Argentinier bei anregenden Gesprächen in einem gediegenen Kaffee, ist als geglückter Balanceakt zu bezeichnen, der für eine konfessionelle wie konventionelle Macht wie den Vatikan unerwartet unklerikal wirkt, jenseits aller Frömmelei und selbstinszeniertem Gutmenschentum. Es scheint also so, als wäre Papst Franziskus tatsächlich ein Mann seines Wortes. Oder besser: ein Mann seiner Wörter, der Kluges spricht und wo es passieren kann, dass leidenschaftliche Redner wieder zu Zuhörern werden.

Franziskus – Ein Mann seines Wortes

Spotlight

VERRAT AM GLAUBEN

6/10

 

spotlight

Regie: Thomas McCarthy
Mit: Michael Keaton, Rachel McAdams, Mark Ruffalo, Stanley Tucci

 

Die Wurzel des widernatürlichen Übels liegt weit in der Vergangenheit. Um ca. 306 nach Christus kamen bei einer Synode im spanischen Elvira alle anwesenden Würdenträger zu dem Entschluss, das Enthaltsamkeitszölibat über all jene zu verhängen, die zum Dienst in der katholischen Kirche bestellt wurden. Von nun an sind weder Ehe noch körperliche Intimitäten für Priester aller Art gestattet. Man hat ja schließlich mit Gott verheiratet zu sein. Dass die Kirche indessen die Natur des Menschen mit Füßen tritt und die Freiheit des menschlichen Empfindens ignoriert, ist mittlerweile vor allem jenen bekannt, die der zweifelhaften Institution den Rücken gekehrt haben. Oder zu Agnostikern wurden, wohlgemerkt mit ruhendem Glaubensbekenntnis. Der Mensch kann nun einmal nicht aus seiner Haut. Nicht jeder ist ein Apostel. Und zu glauben, die Apostel wären enthaltsam gewesen, nur weil die Bibel für diese Erwähnung keine Verwendung gefunden hat, geht einher mit naiver Frömmigkeit. Die Verteufelung des Sex führt natürlich soweit, dass der stärkste menschliche Trieb nach dem des Überlebens im Rahmen der Kirche folglich pervertieren musste. Was Jahrhunderte lang unter den klerikalen Teppich gekehrt wurde, findet nun im agnostischen Medienzeitalter des Westens das Licht der Öffentlichkeit: Der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche der katholischen Kirche. Und was nicht weniger grauenerregend und verstörend als die triebgesteuerte Machtgier scheinbar frommer Menschenfischer zu sein scheint, ist der Eifer des Vatikans, die begangenen Verbrechen ihrer Gottesdiener zu vertuschen. Die Wahrheit, so sagt man, kommt irgendwann immer ans Licht. Dank des Engagements einiger weniger Journalisten, die für das Magazin Spotlight einen flächendeckenden Massenmord an unzähligen Kinderseelen aufdecken konnten. Dafür mussten die Frauen und Männer tief im Sumpf eines scheinbar organisierten Verbrechens wühlen, der in seinem Ausmaß nur sehr schwer bis gar nicht nachvollziehbar scheint. Und die Kirche zwar momentan erschüttert hat, diese aber des Weiteren wohl kaum beeinträchtigen wird. 

Ganz so wie Thomas McCarthy´s Film. Seine akribische Chronik rund um den Missbrauchsskandal ungeahnten Ausmaßes, der 2001 den amerikanischen Osten in Aufruhr gebracht hat, ist gut recherchiert und von einer illustren Besetzungsliste. Missbrauch ist klarerweise nichts für einen angenehmen Kinoabend. Und im Vorfeld kann es schon passieren, dass man zweimal überlegt, ab man sich einer derart schweren, unbequemen Thematik aussetzen möchte. Da muss die Situation schon passen, der Geist hellwach sein und die Stimmung nicht schon von vornherein getrübt. Doch keine Sorge – Spotlight ist weit davon entfernt, die Emotionen des Publikums über die Maße zu beanspruchen. McCarthy´s Film ist kein reißerisches Reality-Grauen, sondern nüchternes Infotainment. Das Drehbuch von Josh Singer ist von hohem Niveau – ausgefeilt, in seiner Perspektive wechselnd und ungemein präzise. Nachrichten im Kinoformat. Ein Report ohne CNN-Allüren. Etwas, das aufmerksam zuhören und teilnehmen lässt. Qualitätsfernsehen, ja. Aber kein Kino. Dazu lässt Spotlight trotz seiner menschlichen Tragödie überraschend kalt. Vielleicht, weil er sich zu sehr auf seine Fakten verlässt und weniger die menschliche Komponente mit einbezieht. Wer aber glaubt, dass hier nicht auch die Opfer selbst zu Wort kommen, irrt. McCarthy schenkt ihnen Aufmerksamkeit, doch nicht so ausdauernd wie dem vierköpfigen Spotlight-Team, das im Fahrwasser der Unbestechlichen zeigt, wie investigativer Journalismus zu funktionieren hat. Spotlight handelt von der Reportage der Aufklärung, weniger von dem Defizit der Kirche. Von der Hartnäckigkeit, die gerechte Wahrheit ans Licht zu bringen, weniger von den Folgen eines weitreichenden Missbrauchs. Würdenträger kommen kaum welche zu Wort. Die Institution bleibt ein undefinierbarer Schatten im Hintergrund, wie eine Weltverschwörung.   

Vielleicht ist Spotlight deswegen so sehr wie eine Zeitung, deren Bilder laufen gelernt haben. Ein fachliches Journalistendrama im Stile eines Sidney Lumet, nicht so sehr am Menschen interessiert als vielmehr an Schlagzeilen, die der Wahrheit verpflichtet sein sollen. 

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