The Midnight Sky

DIE ERDE ALS ERINNERUNG

6,5/10


midnightsky© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: GEORGE CLOONEY

CAST: GEORGE CLOONEY, FELICITY JONES, CAOILINN SPRINGALL, DAVID OYELOWO, KYLE CHANDLER, TIFFANY BOONE, DEMIAN BICHIR U. A. 

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Seit seiner Gesellschaftssatire Suburbicon hat man lange, wirklich lange nichts mehr von George Clooney gehört. Viel eher als sein neuestes Werk verbreitete sich im Vorfeld die Hiobsbotschaft ob seiner Gesundheit, da er für seinen Streifen The Midnight Sky einfach zu viele Kilos auf einmal verlor. Wäre diese Gewichtsreduktion denn notwendig gewesen? Nicht zwingend. Im Film selbst spielt er einen an Krebs erkrankten Wissenschaftler, der als womöglich letzter Mensch auf Gottes Erden irgendwo am Polarkreis sein letztes bisschen Dasein fristet, bevor selbst diese Regionen von einer nicht näher genannten Umweltkatastrophe heimgesucht werden wird. Still und heimlich hat sich hier die Welt von seiner Geißel namens Mensch befreit, entweder sind all diese Milliarden dahingerafft oder unterirdisch irgendwo untergebracht worden. Mehr Szenario gibt es nicht. Die Katastrophe ist eine Variable, wir dürfen uns aussuchen, was wir diesmal falsch gemacht haben. Clooney ist also dieser alte Mann, der, mit Stoppelglatze und Rauschebart, in einem Observatorium ganz alleine dem Ende entgegensieht – stoisch und seiner regelmäßigen Dialyse unterworfen. Keine Lust also irgendwo hinzugehen. Bis er dank seiner durchaus hochgerüsteten technischen Möglichkeiten von einer Weltraumexpedition erfährt, die als letzte aller Weltraumexpeditionen im Jahr 2049 vom neu entdeckten Jupitermond K-23 zur Erde zurückkehrt. Ziel der Mission war es wohl, herauszufinden, ob dieser Mond erdähnliche Verhältnisse aufweist – und wenn ja, gleich eine Kolonie dort zu lassen. Mit diesen neuen Erkenntnissen will die Mission Aether also heimkehren. Clooney allerdings will das verhindern, da die Crew hier nur ihren Tod finden würde. Als ob der Stress nicht schon reichen würde, entdeckt der Mann einen blinden Passagier – ein kleines Mädchen, das er nun an der Backe hat.

Für The Midnight Sky, nach dem Roman Good Morning, Midnight von Lily Brooks-Dalton, hat Clooney nicht nur abgenommen, sondern auch noch Produktion, Regie und klarerweise die Hauptrolle übernommen. Sein Film ist kein Blockbuster und kein Eventkino, sondern etwas sehr stilles, leises, wie eine karge, melancholische Ballade, die in eine ratlose, ungewisse Zukunft blinzelt. Die Weltraumszenen rund um ein sehr formschönes, elegantes NASA-Raumboot erinnern an Gravity oder Interstellar, die narrative Ebene rund um Wissenschaftler Auguste Lofthouse (eben Clooney) an den ebenfalls auf Netflix veröffentlichten Science-Fiction-Endzeitfilm Io. Auch dort ist die Erde längst unbewohnbar, nur ein paar Luftblasen erlauben noch freies Atmen, und auch dort hat Margaret Qualley vor, bis zum Ende auszuharren, käme nicht Anthony Mackie und würde sie zur letztmöglichen Evakuierung bewegen wollen. Auch in Io ist die Katastrophe keine näher genannte. Da wie dort geht es darum, dem Planeten Erde Lebewohl zu sagen. Resignative Erschöpfung macht sich breit, das Überleben der Menschheit verblasst hinter Gaias Abgesang. Clooney verleiht diesem stellvertretenden Individuum, der das ganze Unglück wahrnimmt, eine Bitternis sondergleichen. Die Raumcrew um Felicity Jones ist im Gegensatz dazu mal nicht eine ganze Partie psychologisch versagender Psychopathen im Wandel, sondern pragmatische Experten, was das ganze Szenario durchaus glaubhaft macht. Beide Komponenten mögen manchmal nicht so richtig ineinandergreifen. Das Wechselspiel zwischen den Episoden auf der Erde und im Weltraum findet keinen Rhythmus. Manche Astro-Action wirkt deplaziert. Was aber wirkt, das ist die zwar zu erahnende, aber poetische, runde kleine, später sehr persönliche Abenteuergeschichte zu dem großen Thema eines Umbruchs, die nicht viel erklären, sondern viel öfters nur empfinden will. Das ist fast schon besinnliches Weihnachtskino.

The Midnight Sky

Godzilla II: King of the Monsters

KÖNIGRUFEN MIT GEBRÜLL

3,5/10

 

godzilla2© 2019 Warner Bros. Germany

 

LAND: USA 2019

REGIE: MICHAEL DOUGHERTY

CAST: VERA FARMIGA, KYLE CHANDLER, BRADLEY WHITFORD, MILLIE BOBBY BROWN, CHARLES DANCE U. A.

 

Es heißt ja immer: Gottes Wege sind unergründlich. Das gilt für die Spezies Mensch aber auch, und das schon während ihres ganzen Bestehens, und nicht nur einmal waren die fragwürdigen Entscheidungen weniger der Richtwert vieler, die dann zu beängstigenden Prämissen geführt haben. Gott ist dabei anscheinend fein raus, seine Handlungsweisen haben mittlerweile mehr Sinn. Gott ist auch im Sequel zu Gareth Edwards Godzilla-Entwurf von 2014 nur eine artig verhaltene Fußnote, während der Mensch in Sachen kruder Affekthandlung die Welt wieder mal an den Rand des Abgrunds und darüber hinausführt. Was bin ich froh, dass Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg an den Verstand und das Gewissen der drahtziehenden Herrenmenschen appelliert, und nicht irgendwelche Titanen aus dem Koma erweckt. Das scheitert schon allein daran, dass es diese Ungeheuer, soweit wir wissen, gar nicht gibt. Gäbe es sie – würde Greta darauf zurückgreifen, um den Planeten zu retten? Fragen wir sie doch. Vielleicht würde sie meinen, mit Arnie an ihrer Seite hätten wir Begleitschutz, aber nach Sichtung von Godzilla II: King of the Monsters wäre das auch schon in die Jahre gekommene As im Ärmel maximal so hilfreich wie ein Zehenspreitzer am Halux-Stampfer unserer Superechse.

Jedenfalls befinden wir uns in Godzilla II in der Jetztzeit – und überall auf dem Planeten wurden nach Abtauchen der Riesenechse mit dem unstillbaren Hunger nach Atomenergie ganz andere Kreaturen entdeckt, die irgendwie vor sich hinschlummern. Lauter gigantische Dornröschens, die da vor sich hinsägen. Und lauter gigantisch dumme Menschen, die in ihrem Öko-Aktivismus den Abfluss-Häcksler aktivieren, um den Unrat der eigenen Spezies zu dezimieren und so das Gleichgewicht meinen wiederherstellen zu können. Das hatten wir schon in Twelve Monkeys, als Brad Pitt den Zootieren freies Geleit gewährte. Und wir wissen, wie es um den schieläugigen Schönling bestellt war. Aktivismus läuft in unserer Dimension eher auf Greenpeace-Manier ab – mit Schlauchbooten gegen Walfänger und dem Anketten an Atommeilern. Günther Nenning hat damals die Donauauen besetzt, ein Aufstand Marke Gandhi. Doch wahllos die ganze Menschheit zum Handkuss kommen zu lassen, hätte auch er nicht mal im Traum ersonnen. Charles Dance, der Ober-Lennister aus Game of Thrones, der will das schon. Nur glaube ich ihm kein Wort. Genauso wenig wie Vera Farmiga oder Kyle Chandler. Was genau diese Charaktere alle im Schilde führen, ist so seltsam versponnen, krude und konfus wie die politische Correctness populistischer Parteien. Diese Figuren sind alle austauschbar, flach und sind nicht mehr als Beiwerk. Besonders tragisch: die großartige Sally Hawkins als Lückenfüller, die womöglich vertraglich dazu verpflichtet war, hier nochmal die Dramatik Personae aufzuputzen.

Gebracht hat es relativ wenig. Michael Doughertys (z.B. Krampus) Sequel hat die künstlerische Taktik seines Vorgängers Gareth Edwards kaum bis gar nicht verstanden. Oder er hat sie verstanden, wollte nur nicht so geheimnisumwittert penibel seine Monster teasern, vielleicht das Ganze auch einfach so machen, wie sein Geschmack es verlangt hat. Und das ist, gleich rund um den Erdball zu klotzen, als gäbe es kein Morgen. Damit ist der Sprung zum Desastergewitter eines Roland Emmerich wirklich nicht mehr weit, einmal umfallen, und schon sind wir dort. Es stimmt schon, manchmal muss weniger nicht immer mehr sein, oder umgekehrt. Manchmal ist mehr wirklich mehr, aber diese Menge an ikonographischem Flügelschwingen und denkmalverwandten Posen diverser mythologischer Riesen gerät zum inflationären Bauchladenverkauf. Ein Hausieren mit puppenhaften Tieren, die zu groß für Terra sind und zwischen seltsam durchleuchteten Wolkenballungen und Gewitterstürmen so viel Energie freisetzen, dass wir über Jahrmillionen hinweg kostenfrei fernsehen könnten. Was ja auch nicht zwingend unbequem wäre, was uns aber noch mehr den Durchblick nehmen würde, um die kausalen Zusammenhänge unserer Welt zu verstehen. In Anbetracht von Godzilla II – King of the Monsters aber könnten wir uns kosten- sowie bierfrei zudröhnen lassen, bis die Riesenechse nochmal kommt. Hopfen und Malz wäre da nämlich schon längst verloren.

Godzilla II: King of the Monsters

Game Night

DIE WOLLEN NUR SPIELEN

5/10

 

GAME NIGHT© 2017 Warner Bros. Ent. Inc.

 

LAND: USA 2018

REGIE: JOHN FRANCIS DALEY, JONATHAN GOLDSTEIN

MIT JASON BATEMAN, RACHEL MCADAMS, JESSE PLEMONS, KYLE CHANDLER U. A.

 

Spieleabende – ja, die kenn ich. Eine erlesene Auswahl an sozial kompetenten Freunden, jeder bringt etwas mit, ob Bier oder Naschkram, und dann dauert das Ganze bis spät in die Nacht. Wie die Wohnung hinterher aussieht, das wage ich nicht zu beschreiben. Jedenfalls ist das Chaos danach meist nicht ganz so nachhaltig wie bei diesem Live-Act-Agentenspiel von Schnöselbruder Brooks aka Kyle Chandler, der die Spieleabende von „Max“ Jason Bateman nur zu gut kennt und unbedingt noch eins draufsetzen will, was Exklusivität betrifft. Blöd nur, dass genau zur selben Zeit nicht nur Fake-Kriminelle, sondern auch tatsächliche böse Buben unterwegs sind, und die alle gemeinsam das selbe Ziel haben – den Spieleabend zu crashen. Das Verwirrspiel ist alsbald perfekt, die Regeln des Spiels kennt sowieso niemand mehr und so gut wie alle, die man nicht beim Namen kennt, sind Teil der Spielidee.

Regie-Jungspund John Francis Daley, der den unsäglichen Neuaufguss des Griswolds-Klamauk zu verantworten hat, gibt sich in Game Night zum Glück etwas weniger derb, obwohl auch hier vulgäre Kalauer ihre Sendezeit bekommen. Die Idee, ein Detektivspiel aus dem Ruder laufen zu lassen, gabs schon in Robert Moore´s Eine Leiche zum Dessert. Die Gäste waren damals allesamt ikonische Schnüfflerpromis, die tatsächlich einen Mord aufzuklären hatten. In Game Night wird der Gastgeber entführt – und keiner der Anwesenden hat das Zeug zum Hobby-Sherlock Holmes. Dabei ahnt noch keiner, dass die Hopsnahme des überheblichen Bruders längst nicht mehr Teil der gebuchten Show ist. Entsprechend gelangweilt kommen die Freunde in die Gänge, entsprechend konfus gestaltet sich die Lösung des Falls. Und entsprechend den Erwartungen passieren Dinge, die einfach passieren müssen, ohne zu überraschen. Die Krimikomödie verschenkt ihr Mehr-Schein-als-Sein-Potenzial, hält den hakenschlagenden Hasen an den Hinterläufen und bemüht sich nicht mal, die Vorhersehbarkeit des scheinbar Unvorhersehbaren zu unterlaufen.

Viel mehr lässt sich über Game Night nicht berichten. Boulevardkomödien im Kellertheater sind kurioser, lassen den Spaß an der Verwechslung auch so richtig von der Leine. Das kann die nächtliche Eskapade mit Schauspielern in gewohnt routinierter Panik nur ansatzweise für sich nutzen. Dass da mehr drin gewesen wäre, liegt vielleicht wirklich am Ensemble, oder an der Selbstzufriedenheit des Regisseurs – oder überhaupt in der Wahl des Spiels. Aber so sind die Regeln. Und man geht nicht zu einem Spieleabend, um sie zu brechen. Man inszeniert auch keine Komödie, um neue Regeln aufzustellen. Da haben die Filmemacher wohl etwas verwechselt – oder nicht? Wie auch immer – ist mal ein Film vonnöten, der angenehm unterfordert und nicht so perfide hinters Licht führt wie David Fincher´s The Game, dann ist Game Night genau die richtige Wahl. Zündende Ideen für das eigene spielerische Freundeskreis-Revival sucht man allerdings vergebens.

Game Night

Aufbruch zum Mond

DIE NÄHE DES UNERREICHBAREN

9/10

 

aufbruchzummond© 2018 Universal Pictures International Germany GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: DAMIEN CHAZELLE

CAST: RYAN GOSLING, CLAIRE FOY, KYLE CHANDLER, CIARAN HINDS, JASON CLARK, COREY STOLL, PABLO SCHREIBER U. A.

 

Eigentlich hätte ich es mir denken können. Das junge Naturtalent Damien Chazelle hatte mich schon vor zwei Jahren mit dem Musikerdrama Whiplash so ziemlich mit der Peitsche erwischt, und das zu Recht vielprämierte Musical La La Land ließ mich, obwohl ich Singspiele nicht so sonderlich mag, doch noch an das Gute darin glauben. Die Erwartungshaltung also für Chazelle´s drittes Werk war ziemlich hoch – und diese mangelnde Unvoreingenommenheit im Voraus für etwas, das man nicht kennt, kann leicht zu einer Enttäuschung führen. Die kinematographische Erfahrung aber, die ich mit Aufbruch zum Mond machen konnte, war die eines Gewinners, der erst um Einiges später registriert, was eigentlich gerade passiert ist.

Die Astronauten Neil Armstrong, Edwin „Buzz“ Aldrin und Michael Collins haben wohl selbst einige Zeit verstreichen lassen müssen, um überhaupt zu begreifen, welchen Anfang sie da gemacht hatten und ob das alles nicht nur ein Traum gewesen war. Natürlich ist die Nachwirkung eines Filmes nicht mit einem epochalen Schritt wie diesem gleichzusetzen, für ein Leinwanderlebnis aber bleibt Aufbruch zum Mond bewegend genug. Vor allem nachhaltig bewegend. Und all jene, die tatsächlich glauben, die Mondlandung habe gar nicht stattgefunden und niemand geringerer als Stanley Kubrick hätte nach seinem Erfolg von 2001 diese Szenen im Studio nachgedreht, die müssen um Chazelle´s Annäherung an eine Sternstunde der Menschheit keinen großen Bogen machen. Aufbruch zum Mond ist nämlich nicht unbedingt das, was manch einer vielleicht erwarten würde. Das Werk ist auch nicht zwingend gleichzusetzen mit Ron Howard´s Chronik des gescheiterten Mondflugs, nämlich Apollo 13. Auch nicht mit Kaufman´s Der Stoff, aus dem die Helden sind. Beides relativ akkurate Geschichtsstunden und großes Kino, keine Frage. Aufbruch zum Mond aber sieht seine Mission ganz woanders und lässt sich nicht mit der Art vergleichen, die technisch-realistische Weltraumfilme generell anstreben. Dieser Film hat eine deutliche Metabene, auf welcher sich ein völlig differentes Drama abspielt. Nämlich das Drama des Verlustes.

DER TRABANT DES INNEREN FRIEDENS

Selten ist ein Film so grandios als Metapher zu verstehen. Wir sehen zu Beginn Neil Armstrong als einen liebenden Vater. Da gibt es diese kleine Tochter, Karen. Sie stirbt im Alter von zwei Jahren womöglich an Krebs. Näher geht Chazelle nicht auf das Krankheitsbild der kleinen Tochter ein, was aber kaum relevant ist. Nichts ist schwerer zu ertragen, als das eigene Kind zu begraben. Es nie mehr in den Händen zu halten, über dessen Haar zu streichen. Szenen, die im Film immer wiederkehren. Wortlos, grobkörnig, ganz nah, wie mit einer Super 8-Kamera entstanden. Der Tod des Kindes hat die Familie Armstrong natürlich grundlegend erschüttert, und insbesondere Neil, der eine ganz besondere Beziehung zu seiner Tochter gehabt zu haben scheint. Dieser Verlust, diese Erkenntnis des Unwiederbringlichen, die scheint Chazelle´s Figur des Neil Armstrong fortan nicht mehr freizugeben. Immer wieder erinnert Ryan Gosling an den oscarprämierten Casey Affleck in Manchester by the Sea, ebenfalls ein Film, der stark mit den Schicksalen hadert, und eine Bewältigung anstrebt, die nicht zu erreichen ist. Dieses Unerreichbare, diese Dimension des Todes, die unserer Existenz inhärent ist und doch unangreifbar fern – dafür steht unser Trabant, dieser Mond. Eine Art Trost, stets für uns sichtbar. Es ist der Wille zur Nähe des Unerreichbaren, die Gosling´s Armstrong hier antreibt. Um überhaupt das zu erreichen, wofür er erst berühmt werden wird. Doch er tut dies nicht für die Vereinigten Staaten, nicht für irgendein Vaterland, nicht für den Fortschritt. Er tut es ganz alleine für sich. Und da erscheint mir anfangs und sogar während es ganzen Filmes Armstrong als eine unnahbare Persönlichkeit, als ein introvertierter, verbissener Charakter, der die Weltraumkapsel als unsichtbaren Kokon um sich herum mitträgt. Der sich aus dieser erdrückenden Enge menschengemachter Technik nicht hervorzwängen kann. Das macht ihn einerseits sogar zu einem unsympathischen Egoisten, es irritiert und befremdet. Ryan Gosling, generell eher ein Stoiker unter den Schauspielern, bleibt auch hier distanziert, unfähig, der Liebe zu Frau und Kind nachzufühlen, sich gar zu verabschieden, wenn es darum geht, Held zu sein. Vielleicht kommt er niemals wieder. Letzten Endes aber tut er es. Und sein kleiner Schritt wird ein gewaltiger für die Menschheit sein, so nebenbei allerdings. Dieser Grenzgang zwischen Todesverachtung, Wagnis und den Blick hinter den Horizont gerät hier zu einer flirrenden Ballade von Einsamkeit und Sehnsucht nach einem inneren Frieden.

KOMPOSITION AUS DISTANZ UND NÄHE

Erst in zweiter Linie ist Aufbruch zum Mond die Geschichte eines Pioniers, die Erfolgsstory der NASA mit all ihren Meilensteinen zum Ziel. Niemals wieder war der Mensch so weit von der Erde weg. Damien Chazelle gelingen Szenen, die in ihrer hypnotischen Wucht an die Grenzerfahrungen eines Dave aus Kubrick´s 2001 – Odyssee im Weltraum erinnern, da muss unsereins erst gar nicht hinter den Jupiter blicken. Kenner aber wissen: die Szene des Andocktests im Erdorbit ist eine ganz besondere Reminiszenz. Auch liegt der Fokus der Kamera stets auf den traurigen, erwartenden Augen Goslings, der etwas erblickt, was niemand sonst zu sehen vermag. Der den Vorhang einen Spalt breit lüftet. Es ist dieser Blick, der uns wissen lässt, dass hier eine Grenze überschritten wird, das Auge als Sinnbild eines Suchers, der sich einer ewigen Wahrheit nähert. Aufbruch zum Mond erinnert auch an Christopher Nolan´s nicht weniger intensives Kinoerlebnis Interstellar, vor allem die Landung auf dem Erdtrabanten wird zur packenden Sternstunde. Diese Szene ist wie eine Symphonie, wie ein akkurat dirigiertes, majestätisch klingendes Musikstück. Dann, wenn sich der Film daheim in den vier Wänden Armstrongs wiederfindet, Bruchstücken verlorener Gedanken gleich, ist es die Poesie eines Terrence Malick, nur ohne bedeutungsschwerer Stimme aus dem Off. Gesagt wird nicht, was gesagt werden muss. Und wo die Stimme versagt, wird geschwiegen. Die Bilder sprechen für sich, und der Kniff von Kameramann Linus Sandgren ist dabei, für die Schauplätze seines Filmes unterschiedliche Kameras zu verwenden. Während die intimen Szenen des Familienlebens in der ruhelosen Optik eines Homevideos die Distanz zum Publikum verliert, bleiben die NASA-Szenen auf nüchternem Abstand. Chazelle und Sandgren verzichten weitestgehend auf den wirkungsvollen Zauber des Blickes auf schwebende Raumschiffe. Die Magie dieser Erfahrung, die ist anders stark und liegt darin, den Zuschauer mit auf die Reise zu nehmen, lässt ihn den Blickwinkel der Astronauten innehaben, lässt ihn, den phsikalischen Gesetze unterworfen, erzittern wie Armstrong und sein Team. Der Blick durchs Fenster erweitert den Horizont fast mehr als die weite Aussicht über den Orbit. Das ist Kamerakunst, wie sie selten zu sehen ist. Das ist Film, der die Perspektive ändern kann, und der es meisterhaft versteht, das zu tun. Der anders denkt, auf mehreren narrativen Ebenen gleichzeitig, dabei so unfassbar berührt und nicht immer gefällig ist. Der niemals mit Pathos kokettiert oder sentimental wird. Die Rührung ist hier eine andere, eine tiefere, eine elementarere.

Aufbruch zum Mond ist ein bewegendes Kunststück, das die Geschichte des Fortschritts mit psychologischem Drama verbindet. Chazelle´s dritter Geniestreich ist längst nicht nur ein Weltraumfilm, sondern viel mehr. Etwas, dass sich nicht sofort erschließt, dass Zeit braucht, sich zu entfalten. Angesichts des zur Neige gehenden Kinojahres 2018 traue ich mich zu behaupten, dass Chazelle’s Werk für mich wohl das beste Filmereignis des Jahres sein wird. Ein großer Schritt für den Regisseur, und ein noch größerer für´s Kino.

Aufbruch zum Mond

Manchester by the Sea

LEBEN, ERBARME DICH MEINER

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manchester

Wieviel seelischen Schmerz verträgt der Mensch? Oder gibt es einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt und die Psyche entweder dem Wahnsinn verfällt, Suizid als einziger Ausweg erscheint oder die gequälte Person als ausgebrannter, lebender Leichnam durch den Rest seines Lebens wandelt. In alle drei Fällen hat man im Grunde schon kapituliert, aufgegeben, resigniert. Keine erbaulichen einleitenden Worte, um einen Film zu beschreiben. Aber ich mache euch auch nichts vor.

Das, was in Manchester by the Sea dem jungen Familienvater Lee Chandler wiederfahren ist, lässt sich nie mehr, zumindest nicht in diesem Leben, überwinden. Eine Tragödie, die nicht nur ihn, sondern auch seine Ehefrau (unfassbar zerbrechlich: Michelle Williams) an den Rand des Erträglichen und darüber hinaus geführt hat. Solche Menschen wie diese beiden finden entweder einen Neuanfang oder lassen sich im übertragenen Sinne begraben, ohne Chance, sich selbst zu verzeihen oder ein neues Leben zu beginnen.

Kenneth Lonergan´s selbst verfasstes und inszeniertes Drama ist wie ein Bühnenstück Ödön von Horvaths, in welchem sich die Poesie Nick Caves hineinstiehlt. Ein erschütterndes, tieftrauriges Requiem auf das Familien- und das Lebensglück. Eine in graublauen, winterkalten Bildern komponierte Ballade auf Vergebung, Erlösung und Trauer. Inmitten des elegischen, düsteren, aber niemals depressiven Reigens an Gefühlen und Begegnungen verweilt Ben´s Bruder Casey Affleck in einer Stasis der emotionalen Ausgebranntheit. Den Schmerz verschüttet, das Leben an den Rand der Wahrnehmbarkeit gedrängt und auf das Notwendigste heruntergefahren. Affleck gibt den gebrochenen, vom Schicksal verratenen Versehrten als auf seine Grundfunktionen reduzierten Schatten seiner selbst. Ausdruckslos, impulsiv aggressiv und verbittert. Zumindest muss das Leben weitergehen, der Tod wäre keine Lösung. Und auch kein befriedigender Ansatz. So hat sich Casey Affleck alias Lee Chandler dazu entschieden, sich selbst lebenslang in ein Freiluftgefägnis zu begeben, das ihm jegliche Erlösung verwehrt. Erst als sein herzkranker Bruder das Zeitliche segnet und dessen Sohn, großartig gespielt von Newcomer Lucas Hedges, laut testamentarischem Wunsch unter die Obhut seines Onkels soll, erwacht der zurückgezogen lebende, resignative Hausmeister aus Boston ein bisschen mehr zum Leben. Zaghaft, leise, fast unmerklich. doch irgendwie entdeckt Chandler in sich selbst sowas wie Verantwortung. Eine neue Sinnhaftigkeit. Etwas, wofür es sich zum Weiterleben lohnt, obwohl vieles nie mehr verheilen wird und die Welt zu einer guten wird.

Kenneth Lonergan fängt gar nicht erst an, seinem Film auch nur irgendwie jenes Pathos oder jene Gefühlsduselei zu verleihen, die wir aus vielen amerikanischen Melodramen gewohnt sind. Lonergan beobachtet seine Protagonisten mit den Augen eines Realisten. Mitunter auch mit den Augen eines zuhörenden Therapeuten, ohne sich auch nur in bemühten Erklärungen zu verlieren. Die Schauspieler sprechen für sich. Die Szenen erklären sich aus ihrer behutsamen Inszenierung heraus besser, als es jeder Effekt des Tränendrüsendrückens hinbekommen hätte. Und dabei ist die Traurigkeit des Filmes eine ganz andere. Eine kühle, nüchterne, in der Ganzheit eines menschlichen Lebens betrachtete Traurigkeit. Und ihr sitzt man bei Betrachtung des Filmes hilflos gegenüber wie Affleck vor den Trümmern seiner Existenz. Dazu noch fast schon beschämt. Denn wie es nun mit dem Umgang bei einem trauernden, verzweifelten Menschen so ist, gewinnt die Ratlosigkeit die Oberhand. Das Gefühl, helfen zu müssen, wäre fast schon anmaßend, wenn man das Ausmaß des Unglücks betrachtet. Jeder stirbt für sich allein, und jeder trauert für sich allein. Eine ernüchternde Erkenntnis, der sich auch Casey Affleck stellen muss. Und der Zuschauer ebenso, obwohl es äußerst unbefriedigend ist. Er-Lösungen lassen sich eben nicht so schnell finden. In Manchester by the sea bricht die persönliche Apokalypse nicht wie eine alles erzitternde Naturkatastrophe herein. Sie erscheint urplötzlich wie ein erbarmungslos konsequentes Naturgesetz. Und schafft einen neuen Status Quo des Lebens, ohne ihn zu bewerten. Der Mensch bewertet ihn selbst. Und lebt damit. Ganz Ödön von Horvath. Unweigerlich denke ich an sein Drama Der jüngste Tag – in ähnlichem Ausmaß, und in ähnlicher Intensität, schildert der österreichische Dramatiker die Geschichte eines fatalen Fehlers und dessen Auswirkung in Seele und Gesellschaft. Lonergan orientiert sich auch am skandinavischen Erzählkino und schafft es, Emotionen zuzulassen, deren Skalen nach oben offen sind, sich authentisch anfühlen und niemals falsche Hoffnungen wecken.

Das stille, sehr schwere, aber niemals schwermütige Drama ist kein Film, der Spaß macht. Kein Film, der erquickt, ausgleicht oder für gute Stimmung sorgt. Aber von Hoffnungslosigkeit und Resignation ist Manchester immer noch weit entfernt. Zugegeben, das Schauspielkino hat sogar einen gewissen leisen Witz. Und einen zaghaften Silberstreifen am Horizont. Den man aber allerdings nur vermutet. Doch auf den Mut, auf den kommt es an.

 

 

 

Manchester by the Sea