A Working Man (2025)

SELFMAN MIT VORSCHLAGHAMMER

4/10


© 2025 Amazon Content Services LLC.


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE: DAVID AYER

DREHBUCH: DAVID AYER, SYLVESTER STALLONE

CAST: JASON STATHAM, ARIANNA RIVAS, JASON FLEMYNG, DAVID HARBOUR, MICHAEL PEÑA, NOEMI GONZALES, EMMETT J. SCANLAN, EVE MAURO, MERAB NINIDZE U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Was tun bei scheiternden Gewerkschaftsverhandlungen? Der ÖGB schickt jemanden wie Jason Statham an die Front, denn der wird reinen Tisch machen. Schließlich ist Statham einer von denen, die am Bau die Drecksarbeit machen, die hart mit anpacken, die sich auf Augenhöhe motivierend zunicken und dann schwitzend, verdreckt und müde von einem langen Tag vor langsam sinkendem Gestirn die 0,5l-Flasche Bier köpfen, sich dabei zuprosten und das pathetische Ideal eines Hoch- und Tiefbau-Commercials leben. Sieht man aber genauer hin, ist diese gnadenlos austauschbare Figur des Levon Cade ganz und gar nicht einer, der sich für eine Arbeit wie diese qualifiziert sieht. Er weiß, dass er mehr kann als alle anderen. Er weiß, dass er über dem einfachen Volk steht, weil er jeden, der ihm auch nur ansatzweise blöd kommt, zu Kleinholz verarbeiten könnte. Levon Cade weiß, dass er ein Held ist. Ein starker Mann, frei von störenden Emotionen, frei von Selbstzweifel: straight, hart und gerecht.

Wenn einer wie Statham sein Können nicht dafür nutzt, um Macht auszuüben und andere zu unterdrücken, liegt diese wohl in den richtigen Händen. Wie bei Superman, Batman oder Daredevil auch. Doch Stathams Figuren – oder sagen wir: die eine Universal-Figur, die er in jedem seiner Filme anwendet – verankert seine Skills in einer realen Alternativwelt, in der jene, die sich für das Gute einsetzen, immer gewinnen. Das ist es, was die Zielgruppe sehen will. Steht Statham drauf, ist Statham drin. Hat einer wie Sylvester Stallone am Drehbuch mitgeschrieben, ist die Idee eines Rambo nicht weit, die als Blaupause für alles steht, was Statham je verkörpert hat. Er ist der über Leichen gehende Berserker in einer einfachen, schwarzweiß gestrickten Welt, wo die Bösen wirklich Böse sind und die Guten so schwach, dass sie die Hilfe eines einzelnen erbeten, der niemals auch nur in die Nähe eines Krankenhauses gerät, weil er niemals auch nur mehr als einen Kratzer davonträgt, den man mit Hansaplast überkleben könnte.

So behelfen sich Jason Statham-Filme oft des gleichen Grundmusters, das in leichten Farbvariationen immer die gleiche Geschichte erzählt. Der nach außen hin scheinende einfache Mann trägt das Geheimnis mit sich herum, in Wahrheit eine Kampfmaschine zu sein, die diesem alten Leben den Rücken kehrt. Stets wird der, der die Gewalt ausübt, dazu genötigt, dies zu tun. Es ist schließlich für das Allgemeinwohl, für das Leben der anderen, nie für den Selbstzweck. So einfach macht es sich das amerikanische Actionkino, und wie die Besucherzahlen zeigen, ist diese Mechanik, obwohl bis zur Geschmacksneutralität ausgelutscht, immer wieder eine sichere Bank, die mit unangenehmen Überraschungen im Handlungsablauf hinter dem Berg hält.

David Ayer lässt sich immer wieder für Projekte wie diese gewinnen. So auch für A Working Man, wobei es wesentlich interessanter gewesen wäre, wenn dieser kolportierte Steuerzahler aus der Arbeiterklasse auch wirklich nur das gewesen wäre: einer, der Ziegel schleppen, Zement anmischen und Baugerüste verschweißen kann, und nicht einer, der obendrein noch Martial Arts beherrscht und im Alleingang ganze Heerscharen an bösen Stümpern tötet. Als Ex-Royal-Marine, der ein neues Leben angefangen hat, muss er hier die Tochter seines Baumeisters aus den Händen von Menschenhändlern befreien. Dass ihm dies gelingt, ist kein Spoiler, sondern bereits in den ersten Minuten eine zweifelsfrei klar eingeschlagene Richtung. Mehr braucht man über den Plot gar nicht zu berichten, denn wirklich mehr gibt es auch nicht. Dass Levon Cade mit dem Attribut eines alleinerziehenden Witwers auch noch Familiengefühle weckt, ist zuviel der Ambitionen.

Hat Statham unter der Regie eines Guy Ritchie doch mehr charakterliche Facetten als in anderen Filmen, mangelt es ihm in A Working Man akut an Persönlichkeit. Nach Schema F prügelt und killt er sich bis in die obersten Kreise eines Syndikats. Da man ohnehin weiß, dass dem Helden nichts passiert, und Stallone die banalste aller Ordnungen verfechtet, wird der leb- und lieblose Reißer zu einem Stück bärbeißiger Langeweile ganz ohne Schutzhelm und Zollstock, dafür mit Stereotypie und Genre-Klischees. Und einer nervtötenden Dosis selbstgefälligem Beschützerinstinkt.

A Working Man (2025)

Mickey 17 (2025)

DER RECYCELTE MENSCH

7/10


© 2025 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: BONG JOON-HO

DREHBUCH: BONG JOON-HO, NACH DEM ROMAN VON EDWARD ASHTON

CAST: ROBERT PATTINSON, NAOMI ACKIE, MARK RUFFALO, TONI COLLETTE, STEVEN YEUN, ANAMARIA VARTOLOMEI, HOLLIDAY GRAINGER, CAMERON BRITTON, STEVE PARK, IAN HANMORE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 17 MIN


Bong Joon-Ho muss Vegetarier sein. Etwas anderes hätte man nach seinem Schweinehund-Märchen Okja schließlich ohnehin nicht annehmen können. Jetzt, mit Mickey 17, zementiert er ein weiteres Mal die Conclusio in sein Meinungsportfolio, dass niemand verwurstet gehört – weder Mensch noch Tier. Die Würde bleibt auch bei Tieren unangetastet, ob sie nun genau solche kognitiven Fähigkeiten besitzen wie unsereins oder nicht. Um ehrlich zu sein, ist der Mensch im Entschlüsseln tierischer Sprache keinen Schritt weitergekommen, lediglich Mutmaßungen führen dazu, dass das Vokabular von Hund, Wal oder Affe deutlich differenzierter sein könnte als angenommen. Ein ähnlicher Verdacht könnte auch angesichts der autochthonen Lebewesen auf fernen Planeten aufkommen – so gesehen zum Beispiel auf dem treffend benannten Himmelskörper namens Niflheim, angelehnt an die in den nordischen Mythen existierende Welt des Nebels, des Eises und der Finsternis. Um abzuklären, ob dieser Ort etwaige Gefahren für den Menschen birgt, wird einer wie Mickey Barnes in die winterliche Frischluft gestoßen. Er ist schließlich entbehrlich, all die anderen nicht. Warum? Der Kerl ist ein Expendable – der einzige Expendable auf einem Kolonialkreuzer, auf dem eine dorfgroße Gemeinde unter der Führung des an Elon Musk (und nicht an Donald Trump) erinnernden Möchtegern-Diktators Kenneth Mitchell und dessen saucen-affiner First Lady ein neues Reich gründen soll, vier Jahre Reisezeit von der längst zerstörten Erde entfernt. Als austauschbarer Billigmensch muss Mickey im plüschigen gemüts-Outfit eines Versuchskaninchens alle möglichen wissenschaftlichen und existenzsichernden Experimente über sich ergehen lassen. Ob tödliches Bakterium, kosmische Strahlung oder ein Sturz in eine Gletscherspalte: Mickey hat zwar Angst vor dem Tod, wird aber immer wieder recycelt, aus allen möglichen organischen Abfallprodukten, um erneut als systemerhaltende Ein-Mann-Exekutive für allerlei Drecksarbeit herhalten zu müssen. Da passiert es, dass der Sturz durchs Eis gar nicht mal so lethal ausgeht. Mickey Nummer 17 – nach 16 Toden – überlebt dank der Hilfe einer außerirdischen Spezies, abfällig bezeichnet als die Creeper, und muss seine Koje bald mit Mickey Nummer 18 teilen. Einziges Problem: Multiple Personen sind unter Mitchells Regime nicht erlaubt.

Edward Ashtons Roman Mickey 7 hat für den Protagonisten dieser schillernden Science-Fiction-Satire nur sechs vorangegangene Tode geplant. Bong Joon-ho treibt die vom System betriebene Entbehrlichkeit genussvoll auf die Spitze und webt in dieses Szenario gleich mehrere gesellschaftskritische Themen ein, die aber allesamt niemals mit dem erhobenen Zeigefinger fuchteln. Er verzichtet auch auf platte Vergleiche mit realen Umständen und verfremdet sie so weit, dass sie dennoch, wie in einem pädagogisch ausgefeilten Kinderbuch für gar nicht weltfremde Heranwachsende, verstanden werden können. Jean Ziegler stellte zum Beispiel in einem Buch die Frage: Wie kommt der Hunger in die Welt? Bong Joon-ho gibt zu bedenken, wer eigentlich in einer Gesellschaft wie dieser und der unseren das Werk am Laufen hält, ohne dafür jene Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen, die diesen Menschen zustehen würde. Mickey ist die fleischgewordene Metapher für den systemrelevanten Austauscharbeiter, der sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode schuftet, während die oberen Gesellschaftsschichten mit aufsteigender Tendenz immer mehr dem Peter-Prinzip folgen und auf jene unter ihnen treten. Filme wie Der Schacht von Galder Gaztelu-Urrutia oder auch Joon-Hos genialer Revolutions-Actioner Snowpiercer thematisieren Ähnliches. Mickey 17 aber ist von all diesen Filmen der schrulligste, liebevollste und verspielteste. Dafür kann man dem leidenschaftlich agierenden Robert Pattinson in seiner (und das ist nicht nur eine Phrase) bislnag besten Rolle nicht genug danken. Er legt seinen von allen Seiten getretenen Mickey mit einer schlurfigen, verpeilten, naiven Gottergebenheit an, er macht ihn zum Nichtsnutz und zum Improvisateur bar excellence gleichermaßen. Zum sozial-menschlichen Ideal und zum gehorsamen Befehlsempfänger. Er ist der einfachste unter den Einfachen, durch seine Unvoreingenommenheit aber auch jener mit der größten sozialen Kompetenz. Skills, die alle anderen über ihm nicht besitzen. Auch wenn Pattinson dann zweimal zu sehen ist – der Mann weiß, wie er sein Verhalten differenziert, damit man beide spielerisch unterscheiden kann. Der übrige Cast kann sich ebenfalls sehen lassen. Ruffalo wiederum dürfte seine Performance des Chauvinisten aus Lanthimos Poor Things niemals so recht abgelegt haben.

Den größten Clou fährt Bong Joon-ho mit der Liebe zu anderen Arten ein. Nach dem nilpferdigen Okja sind es diesmal knuffige Mischwesen aus Assel, Elefant und Moschusochse mit einem Schuss Lovecraft’schem Cthulhu. Wesen, die genauso wertzuschätzen sind wie jeder einzelne Hominide, der hier als Alien-Rasse auftritt, um die Andersartigen aufgrund machtgieriger Inkompetenz auszulöschen. Diese Kreaturen aber schließt man ins Herz, man bewundert die Raffinesse der Filmemacher, diese zum Leben zu erwecken. Mickey 17 wird zur kauzigen Komödie, niemals zu albern, niemals zu schrill. Bong Joon-Ho beweist ein empathisches Gespür für seine Themen und seine Geschichte, er bleibt respektvoll selbst der respektlosesten Figur gegenüber. Dass man also mit Witz, Ironie und spektakulären Bildern das Genre innovativ erweitern kann, erfrischt das Gemüt nerdiger Phantasten genauso wie nachdenklicher Realisten. Und vielleicht, ja, vielleicht würde sich Bong Joon-ho mit seinem Herz für die Vielfalt des Individuums dazu überreden lassen, irgendwann das Star Wars-Universum zu bereichern. Ein Gedanke, der mit während des Films immer wieder kam.

Mickey 17 (2025)

Julie – eine Frau gibt nicht auf (2021)

DIE GEHETZTE VON PARIS

6,5/10


julie© 2021 Novoprod Fugu Films


ORIGINALTITEL: À PLEIN TEMPS

LAND / JAHR: FRANKREICH 2021

REGIE / DREHBUCH: ERIC GRAVEL

CAST: LAURE CALAMY, ANNE SUAREZ, GENEVIÉVE MNICH, NOLAN ARIZMENDI, CYRIL GUEÏ, LUCIE GALLO, SASHA LEMAÎTRE CREMASCHI, AGATHE DRONNE U. A.

LÄNGE: 1 STD 25 MIN


An jedem Tag muss die Schlacht des Alltags geschlagen werden. Jeden Tag, ist es nicht das ewig herbeigesehnte Wochenende, reißen uns in aller Herrgotts Früh technische Gerätschaften wie auch immer aus dem Schlaf. Jeden Tag müssen wir gefallen, funktionieren, das Beste geben. Wo ist die Work-Life-Balance denn eigentlich hin? Sie wird zur netten Theorie, die man anstreben, aber nie umsetzen kann. Denn das Beste ist oft nicht gut genug. Und will man mal das Beste auch energisch durchsetzen, sind die, von denen man schließlich abhängig sein muss, am Besten nicht interessiert. Denn Julie, zweifache Mutter und geschieden, muss tagtäglich aus einem Vorort vor Paris in die Stadt pendeln, um ihrer Arbeit als Reinigungskraft in einem Nobelhotel nachgehen.

Blöd nur, dass die Gewerkschaften der Fahrbediensteten allesamt streiken und Julie ordentlich hudeln muss, um zeitgerecht ihre Arbeit zu beginnen. Wie immer im Leben kommt alles zusammen, was man gut und gerne übers Jahr verteilen könnte. Erschwerend zu diesem logistischen Engpass kommt die Chance auf einen Jobwechsel inklusive Bewerbungsgespräche, die kaum während der regulären Arbeitszeit unterzubringen sind. Als ob das nicht reichen würde, quält die Bank mit der Aufforderung, endlich die Raten fürs Haus zu bezahlen. Und überhaupt sieht sich die betagte Nachbarin nicht mehr imstande, die beiden Kinder zu betreuen. Eine andere oder ein anderer hätte angesichts dieser übermannenden Schwierigkeiten entweder längst resigniert oder wäre Amok gelaufen wie Michel Douglas in Falling Down. Julie, überzeugend dargeboten von Laure Calamy, mit all den Nuancen zwischen Ehrgeiz, Überlebenswillen und Erschöpfung, lässt diese schwierige Zeit aber nicht zu ihrem eigenen Waterloo werden. Sie geht Risiken ein, um all das gleichzeitig zu stemmen. Der sozialpolitische Hintergrund mit den urbanen Streiks und den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in den Banlieues lässt Eric Gravels Film erscheinen wie ein semidokumentarisches Drama der Gebrüder Dardenne (Zwei Tage, eine Nacht mit Marion Cotillard), allerdings nur gelegentlich, denn so ausgesprochen kontrastreich und nüchtern wie deren Werke ist Julie – eine Frau gibt nicht auf (im Original schlicht und einfach A Plein temps – Vollzeit) nicht geworden. Hinter Calamys überaus charmanter und reizender Art, die Dinge zu meistern, scheint man fast eine französische Komödie zu vermuten, und die Tonalität ist weicher, geschmeidiger und auf weniger Reibung aus. Die Reibung entsteht aus den schwierigen Umständen, die sich immer höher auftürmen, bis gar nichts mehr geht. Ist Julie die Chronologie eines Burnouts? Wohl eher die rastlose, umtriebige und durchgetaktete Beobachtung des Alltags einer Durchschnittsbürgerin, die Hürden überwinden muss, welche tausendfach anderswo genauso existieren. Der Fokus aufs Individuum aber lässt dieses Bravourstück eines Spagats zwischen Ausbeutung, sozialer Ignoranz und doch auch aufkeimender Solidarität zwischen den Leidtragenden zu einem abenteuerlichen Thriller werden, der in einer Filmrealität spielt, die der Protagonistin nicht so kaltschnäuzig gegenübersteht wie in den Filmen der Dardennes. Das Schicksal fordert Julie zwar heraus, behält sie aber in seiner Gunst.

Dass Calamys Figur die Dinge wohl letztlich nicht doch hinbiegen wird, steht niemals wirklich zur Debatte. Und dennoch hetzt und hechelt man mit, wenn die Getriebene von Paris alles gleichzeitig und am besten gestern meistern muss. Dass manche Faktoren wohl im Vorfeld besser durchdacht hätten werden können, will man Julie am liebsten gar nicht nachsehen – doch selbst hätte man wohl auch das eine oder andere nicht beachtet und es sich schwieriger gestaltet als nötig.

Julie – eine Frau gibt nicht auf (2021)

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt (2023)

SKLAVENTREIBEN IN BUKAREST

5,5/10


erwartenichtzuviel© 2023 Mubi


LAND / JAHR: RUMÄNIEN, KROATIEN, FRANKREICH, LUXEMBURG 2023

REGIE / DREHBUCH: RADU JUDE

CAST: ILINCA MANOLACHE, NINA HOSS, KATIA PASCARIU, SOFIA NICOLAESCU, UWE BOLL, LÁSZLÓ MISKE, OVIDIU PÎRSAN, DORINA LAZAR, ALEX M. DASCALU U. A.

LÄNGE: 2 STD 43 MIN


Immer wieder ruft die Europäische Union bei ihr an, Beethovens Ode an die Freude tönt als elektronische Quietschtonleiter aus dem Smartphone von Angela, die als völlig übermüdete Produktionsassistentin und eierlegende Wollmilchsau eines österreichischen „Schlampenvereins“ von Pontius zu Pilatus fährt, um ihre Tagesagenda zu erledigen. Um kurz vor sieben aus dem Bett zu steigen, klingt zwar nicht nach gottlos früh, doch Angela kommt wie Landvermesser K. aus Kafkas Das Schloss nicht zur Ruhe. Obszöne Akkordarbeit bringt sie dazu, in ähnlich obszöner Weise auf Social-Media alles und jeden in den Dreck zu ziehen, vorwiegend in vulgärem Gossenton und von Fellatio bis zum Cunnilingus sexuelle Verdorbenheit nicht nur den neuen britischen König angedeihen lässt, sondern auch diverse Mütter, Väter und sowieso der ganze Rest. Als rumänischer Borat mit Gesichtsfilter macht sie ihrer wütenden Ohnmacht freien Lauf. Hätte sie dieses Ventil nicht, wäre sie womöglich längst Amok gelaufen.

Stattdessen beweist sie zumindest so viel Zähigkeit und Durchhaltevermögen, um die Opfer diverser Arbeitsunfälle abzuklappern und diese für einen Werbefilm als Testimonials für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewinnen. Dass dabei unbezahlte Überstunden, Übermüdung, mangelnde Infrastruktur und Missstände in der Arbeitssicherheit im eigentlichen dafür schuld sind, dass manche von denen nicht mehr aufrecht stehen können, ist ein Umstand, den der westeuropäische Konzern unter den Teppich kehren will. Schnell wird klar: Radu Jude kritisiert in seinem neuen, massiv überlangen Streifen Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt jene Mitgliedstaaten der EU, die genug Einfluss, Macht und Geld besitzen, um den ehemaligen Ostblock nach Strich und Faden auf den Kopf zu scheißen.

Das Outsourcing in Billigländer ist leistbar und ungefährlich, für jene, die anschaffen, denn Kontrolle gibt es keine, Beschwerdestellen ebenso wenig und die Lust an der Ausbeutung einfach zu groß, um sich ihr nicht hinzugeben. Das ist harter Stoff, wenn Radu Jude auch gewillt gewesen wäre, nicht nur Ilinca Manolache als Mädchen für Alles beim Autofahren zuzusehen, während sie Kaugummi kaut und die Welt beschimpft. Der Tag im Leben dieser Angela, die eine Seelenverwandte aus den Achtzigern zu haben scheint, die ebenfalls Angela heisst und auf naiver Retro-Schiene in ihrem Taxi herumkurvt, um konservative Sexisten zu kutschieren, ist fast schon als Roadmovie zu verfolgen, während die Kamera unbeirrt und in grobkörnigem Schwarzweiß dem rechten Profil der Ausgepowerten folgt. Viel passiert nicht dabei, selbst die Schimpftiraden sind lediglich ein trivialer Ausdruck für allerlei Missstände, die es überall auf der Welt genauso gibt, die nicht unbedingt typisch rumänisch sind, sondern alle Länder betreffen, die vom Kapitalkolonialismus unterwandert und kaputtgemacht worden sind. Sudabeh Mortezai lässt in ihrem Film Europa Ähnliches an die Oberfläche sickern. Konventioneller zwar, doch weniger ausufernd.

Früher war alles besser, so scheint uns Radu Jude sagen zu wollen, früher war Bukarest noch das Märchen einer Taxi Driver-Romanze, frei von Feminismus und sonstigem woken Zeugs, überladen mit billigem Schlagerscore und irritierend nostalgisch. Dass Radu seine Sequenzen dann plötzlich ausbremst, als wäre der Vorführapparat defekt, gäbe es noch analoge Filmspulen, mag verwundern und sich auch im Kontext zum restlichen Film zumindest für mich nicht erklären. Die abrupte Schnitttechnik ist Radus Stil, das disharmonische Timing seiner Szenen ganz bewusst angewandt. Wenn dieser dann der gefährlichsten Straße Rumäniens seinen Respekt zollt und sein Publikum aus dem Flow reißt, ist auch das eine bewusste Disharmonie, die allerdings nirgendwo offensichtlich hinführen soll. Am Ende lässt Jude die Kamera in einer gefühlt ewigen Plansequenz laufen, Dialoge der Schauspieler aus dem Off sind das bisschen Salz in der Suppe, während alles andere handzahm bleibt, wenig Biss hat, einfach nicht ans Eingemachte gehen will, wie bei seinem Vorgänger Bad Luck Banging or Loony Porn. Als garstige Satire auf die Scheinheiligkeit rumänischer Biedermänner- und frauen kann die wild fabulierende und nicht weniger avantgardistische Groteske überzeugen – der Sarkasmus zur Arbeitslage der Nation hingegen kokettiert kaum mit Kuriositäten und bringt lediglich Widersprüche aufs Tapet, die im Kapitalismus nicht nur in Rumänien gang und gäbe sind.

Warum so kleinlaut, Radu Jude? Dass sich Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt mehr zum Experiment als zum treffsicheren Statement mausert, tut der Faszination für völlig unorthodoxes Anarcho-Kino, das keinem Regelwerk mehr folgt, keinen Abbruch. Trotz der satten Laufzeit von über 160 Minuten sind Radus Tagesbetrachtungen zwar schwachbrüstig, aber niemals langweilig. Vielleicht, weil das Überrumpeln von Sehgewohnheiten in diesem Werk letztlich alles ist. Der Rest nur Allerwelts-Ambition.

Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt (2023)

Fallende Blätter (2023)

DAS SCHÖNE ZWISCHEN DEN WIDRIGKEITEN

8/10


FallendeBlaetter© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FINNLAND 2023

REGIE / DREHBUCH: AKI KAURISMÄKI

CAST: ALMA PÖYSTI, JUSSI VATANEN, JANNE HYYTIÄINEN, NUPPU KOIVU, ALINA TOMNIKOV, MARTTI SUOSALO, SAKARI KUOSMANEN, MATTI ONNISMAA U. A.

LÄNGE: 1 STD 21 MIN


Sowieso ist alles hoffnungslos? Gut, zumindest erweckt es den Anschein. Doch was Aki Kaurismäki niemals zulassen würde, ist, seine Figuren in den bodenlosen Abgrund zu werfen. Sie straucheln zwar, sie verlieren ihre Jobs, sie sind einsam und versoffen; sie haben kein Geld und keine Lobby. Doch resignieren, das tun sie nicht. Oder zumindest nicht mehr. Kaurismäki ist seit seinem Cabriolet-Klassiker Ariel hoffnungsvoller geworden. Seine Liebe zur Arbeiterklasse und all jenen, die im Grunde das System erhalten, jedoch nichts dafür bekommen, ist ungefähr so stark wie bei seinem britischen Fachkollegen Ken Loach. Doch wo dieser mit blankem Realismus soziale Defizite aufzeigt, erstellt Kaurismäki lakonische Alltagstableaus voller sprödem Charme. Bevölkert mit Gestalten, die sich das bisschen Glück aus einem sonst ereignislosen Leben picken, das aufgrund höherer Umstände nicht viel anders sein kann. Dieses Glück kann darin liegen, auf die Karaoke-Bühne zu gehen und blumige finnische Balladen zu schmettern, während dem Hochprozentigen zugetane Freitagabend-Melancholiker mit stoischer, aber dennoch verzückter Miene dem Möchtegern-Bariton lauschen.

Um jenen, der gerne jünger wäre, als er ist und darauf wartet, von einer Plattenfirma entdeckt zu werden – um den geht’s hier gar nicht primär. Sondern vielmehr um dessen Arbeitskollegen und Freund, dem Alkoholiker Holappa (Jussi Vatanen). Der bekommt so gut wie nichts auf die Reihe, weil er so viel säuft und dadurch andauernd seine Jobs verliert. Obendrein raucht er noch wie ein Schlot und ist deprimiert. Weil er eben so viel trinkt. Und weil er deprimiert ist, trinkt er. Ein Teufelskreis, dem man sich in Kaurismäkis urbanen Miniaturen mit stoischem Trotz gerne hingibt. Die ganze ernüchternde Monotonie könnte sich ändern, als dieser Holappa auf die hübsche Ansa (Alma Pöysti, zuletzt als Künstlerin Tove auf der Leinwand) trifft. Zuerst ist es nur Blickkontakt. Dann, später, ein erstes gemeinsames Kaffetrinken mit anschließendem Kinobesuch – dort läuft Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die, eine kleine Verbeugung des Finnen vor einem Bruder im Geiste, dessen Filme wohl manchmal in einen ähnlich lakonischen Erzählstil abgleiten wie die eigenen. Diese beiden einsamen, aber niemals verlorenen Seelen sollten sich bald wiedertreffen, würde Holappa nicht Ansas Telefonnummer verlieren. So sucht die eine den anderen und umgekehrt, so harren sie vor dem Kino, in welchem gestandene Klassiker am Programm stehen, von Die Maske des Dr. Fu Manchu bis hin zu Godards Die Verachtung. Vielleicht klappt es ja, und aus dem bisschen Zuneigung könnte mehr werden. Nur nicht mehr Alkohol, denn das mag Ansa gar nicht. Im Zuge dieses Wartens und Vorbeigehens an Gelegenheiten müssen beide ihre Lage überdenken, ihr Leben ändern, soweit es in ihrer Macht steht. Eigeninitiative ergreifen dort, wo sonst der Abgrund folgt. Und dafür sind sich Kaurismäkis Liebende dann doch zu stolz, weil sie dennoch, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, einen Sinn im Leben sehen. Der dann noch stärker wird und wichtiger in Anbetracht eines in Europa tobenden Krieges, der sich in nüchterner Berichterstattung rund um Tod und Zerstörung in einen dem Weltgeschehen scheinbar fernen Alltag mischt.

Kaurismäkis Bilder erreichen zwar nicht dieses akkurate Farbenspiel wie in seinem Meisterwerk Le Havre, aber dennoch ist das Komplementäre ein enorm wichtiges Element, das bereits vorab visualisiert, was zusammengehört und was nicht. Bescheidenes Interieur, enge Bars, längst nicht mehr neues, aber immer noch funktionstüchtiges Drumherum, in welchem pragmatische Lebensführung ihre Verwirklichung findet – so und nicht anders möbliert Kaurismäki sein Universum jenseits des Reichtums und der Gier. Sein Besinnen auf Werte, deren Streben danach im Angesicht noch viel schlimmerer Umstände – nämlich die des Krieges – von Szene zu Szene wichtiger werden, ist das, was der stilsichere Finne ausdrücken will. Die Arbeiterklasse der Gewerkschaften ist dabei immer noch ein Must-Have, Ansas Schuften in der Fabrik ein klassisches Zitat und eine Reminiszenz an seine früheren Werke. Den passenden Sound liefert dabei neben herrlich schwermütigen Chansons das reduktionistische und daher saucoole Musikduo Maustetytöt, das die ironische Melancholie dieser Tragikomödie auf den Punkt bringt.

Vielleicht hat Kaurismäki hier doch sein letztes Werk geschaffen, bevor er gedenkt, sich wieder zurückzuziehen. Und wenn es so wäre? Dann hätte er vielleicht alles gesagt. Alles zur Leidenschaft Kino und seiner Liebe dazu. Alles zum Weltschmerz und der Relativierung des eigenen Status Quo. Immer mehr wird Fallende Blätter zu seiner eigenen Flucht aus der Realität, zu einer Romanze, die Ansa und Holappa wohl im Kino gesehen hätten, könnte der Traum auf der Leinwand nicht doch noch Wirklichkeit werden.

Fallende Blätter (2023)