Broker – Familie gesucht (2022)

MENSCHENLEBEN ZU VERGEBEN

6/10


broker© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2022

BUCH / REGIE: HIROKAZU KORE-EDA

CAST: SONG KANG-HO, GANG DONG-WON, BAE DOONA, JI-EUN LEE, LEE JOO-YOUNG, SEUNG-SOO IM, JI-YONG PARK U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


Das macht schon was mit jemandem, der draufkommt, nicht gewollt auf die Welt gesetzt worden zu sein. Der rein zufällig lebt und atmet, obwohl er nicht geplant war. Eine Existenz, entstanden aus einem Unfall. Gut, es gibt Eltern, die nehmen dieses Ereignis dankend an, denn es wird ihr Leben verändern und um unersetzbare Aspekte bereichern. Es gibt aber auch welche, die niemals Mutter oder Vater sein wollen. Oder können. Wie fühlt man sich, als ein Kind, das keiner haben will? Eine neue Familie, ja klar. Aber dass die leiblichen Eltern einen nicht wollen, lässt sich, wie es scheint, nicht verwinden. Da kann es passieren, dass man im Erwachsenenalter aus der Not der anderen, die noch nicht wissen, wie ihnen geschieht, weil zu klein, Profit herausschlägt. Zwecks Rache. Als Genugtuung. Als Eigentherapie, wie auch immer.

Dong-soo zum Beispiel, selbst einmal Waisenkind gewesen und in entsprechender Einrichtung aufgewachsen, hat sich darauf spezialisiert, gemeinsam mit seinem älteren Freund Sang-Hyun „weggeworfene“ Babys, wie sie es nennen, an kinderlose Eltern zu verhökern, die das offizielle und oft recht mühsame Prozedere zur Adoption umgehen wollen. Klar ist das ein Verbrechen, nämlich astreiner Menschenhandel. Auf Nachhaltigkeit und Gewissenhaftigkeit, wie das die Behörden tun, kann dabei nur schwer gesetzt werden. Da passiert es eines Nachts, dass das Schicksal des Babys von So-young, abgegeben an der Babyklappe einer Kirche, für die Dong-soo arbeitet, von Polizei und Sozialbehörde genauestens beobachtet wird. Und auch So-young hat es sich tags darauf anders überlegt und will ihr Kind wieder zurück – allerdings ist dieses bereits in den Händen der beiden Gauner, die aber im Grunde ihres Wesens herzensgut sind und von da an die Mutter des Kindes mit auf ihre Tour durchs Land nehmen, um die richtigen Eltern zu finden, die auch bereit sind, einen stolzen Preis zu zahlen. Warum da So-young mitmacht, erscheint anfangs nicht klar. Doch irgendwie fühlt sie sich zu den beiden Außenseitern, die selbst keine Familien haben und verstoßen wurden, hingezogen. Wen wundert es, wenn die Biographie der jungen Mutter ein ähnliches Trauma beinhaltet wie das der beiden Gefährten, die fortan so etwas wie eine notgedrungen zusammengewürfelte Familie bilden.

Song Kang-ho, wohl der berühmteste südkoreanische Schauspieler, und das schon seit Jahrzehnten, war Haus- und Hofakteur Park Chan-wooks und wurde durch Bong Joon-hos Parasite weltbekannt. Jetzt hat er letztes Jahr glatt noch die Goldene Palme für sein Schauspiel im vorliegenden Film namens Broker – Familie gesucht erhalten. Er spielt nicht schlecht, was anderes würde mich auch wundern, doch eine herausragende Leistung ist das keine. Dafür spielen ihn seine Kolleginnen und Kollegen fast schon an die Wand, allen voran Im Seung-soo als der kleine Hua-Jin, der sich in den Wagen der Broker schleicht, weil diese für ihn eine Familie sein könnten.

Die Idee des Films, inszeniert und geschrieben von Palme-Gewinner Hirokazu Kore-Eda, der mit dem thematisch recht ähnlichen Shoplifters auf sich aufmerksam machte, hat alles, was ein Seelenwärmer fürs Kino so braucht: Wehmut, Hoffnung, die inspirierende Eigendynamik einer kleinen Gemeinschaft und das erstrebenswerte Gefühl, gebraucht zu werden. Alle, die hier durch Südkorea tuckern, sind Verstoßene, denen das Glück in ihrem Unglück widerfährt, einander plötzlich wichtig zu sein. Dafür findet der Filmemacher vielsagende Momente voller Wahrhaftigkeit, die aber dennoch recht spärlich gesät sind. Denn so richtig mitnehmen will Broker sein Publikum manchmal doch nicht. Es ist, als wären sich die fünf Individuen selbst genug, und wir als Zuseher müssen gar nicht so genau nachvollziehen können, was nun als nächstes passiert.

Zu sprunghaft erscheint mir der Film, nachdem er sich anfangs recht viel Zeit gelassen hat, um überhaupt in Fahrt zu kommen. Kaum sind die Reisenden in Busan, sind sie plötzlich in Uljin oder Seoul. Dann sind da plötzlich Eltern, dort plötzlich Eltern. Es reißt Kore-Eda herum in seinem Skript, und zumindest mich selbst irritiert der plötzliche Orts- und Szenenwechsel manchmal doch so sehr, dass es mich fast bis zum Ende auf Distanz hält. Broker – Familie gesucht ist ein Film, der manche Details verschluckt, während er manchen wiederum zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Dazwischen finden sich einige szenische Highlights, die aber dennoch keinen perfekten Film daraus machen.

Broker – Familie gesucht (2022)

Decision to Leave

DAS HERZ, EINE MÖRDERGRUBE

7,5/10


decisiontoleave© 2022 Bac Films


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2022

REGIE: PARK CHAN-WOOK

BUCH: PARK CHAN-WOOK, JEONG SEO-KYEONG

CAST: PARK HAE-IL, TANG WEI, LEE JUNG-HYUN, GO KYUNG-PYO, PARK YONG-WOO, JUNG YI-SEO U. A. 

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Die Rache-Trilogie des südkoreanischen Regie-Visionärs Park Chan-Wook möchte ich allen Filmfreundinnen und Freunden ans Herz legen – wenn diese sowieso nicht schon als selbstverständliches Must-See auf der Watchlist stehen oder gestanden haben. Lady Vengeance, Sympathy for Mr. Vengeance und natürlich Oldboy: Großes Kino ohne Mainstream-Kompromisse, selbstbewusst bis in den letzten Spot und nicht darauf angewiesen, um jeden Preis gefallen zu müssen. Park Chan-Wooks Filme halten eben dadurch, dass sie ihrem Konzept so sehr treu bleiben, Ablehnung jedweder Art sehr gut aus. Man muss manch verstörenden Stilbruch, manch Gewalteruption oder groteskes Intermezzo nicht unbedingt verstehen, man wird aber nicht umhinkommen, die virtuose Regieführung des Meisters zu bemerken. Seine Filme sind gehaltvoll und komplex, das ist nichts für zwischendurch. Und manchmal auch ein Schlag in die Magengrube. Wer aber dennoch mit Park Chan-Wook vertraut werden und das koreanische Kino abseits kommerzieller Berechenbarkeit erfahren will, sollte mit Decision to Leave beginnen, seinem neuesten Werk, das eben bei den Filmfestspielen der Viennale läuft. Hier lässt sich ein moderater Einstieg in die vertrackte Gedankenwelt eines Künstlers finden, der mit mächtigen menschlichen Gefühlswelten hart ins Gericht geht, ist es nun Rache oder Liebe.

Die Liebe hält bei Decision to Leave auf Umwegen Einzug, dabei fällt das heikle Wort so gut wie kaum, und auch das leidenschaftliche Empfinden einer Zuneigung findet nur im Ermitteln eines Mordfalls seine Legitimität. Denn Detektiv Hae-joon muss Song Seo, die Witwe eines beim Klettern verunglückten älteren Koreaners einvernehmen, die ob des Verlustes ihres Ehemannes nicht so wirklich Tränen vergießt, gerne mal im Verhörraum die edelsten Sushis des Viertels verdrückt und Hae-joon sowieso schöne Augen macht. Unter Mordverdacht steht die Dame nicht wirklich, doch ihre Rolle in diesem mysteriösen Fall bleibt lange im Dunkeln. Während dieser Zeit des Investigierens kommen sich die beiden näher, auf romantische Weise, doch kommt es nie zu Intimitäten. Als der Fall geklärt scheint, endet diese Art der Zweisamkeit abrupt. Doch nicht für lange.

Der Plot klingt jetzt nicht nach einem umwerfend komplexen Filmdrama. Eine Kriminalromanze eben. Oder doch mehr? Natürlich. Es wäre nicht Park Chan-Wook, würde er das Konzept des Film Noir nicht auf eine Weise wiederbeleben und in erweiterter Form neu interpretieren. Ich denke da an die frühen Dashiell Hammett– oder Raymond Chandler-Krimis mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall. Ausgetüftelte Werke, die mit voller Konzentration gesichtet werden sollten, denn wenn auch nur einer der vielen ins Spiel gebrachten Namen nicht im Gedächtnis bleiben, stürzt das ganze filigrane Krimi-Konstrukt in sich zusammen. Aufpassen und mitdenken muss man auch bei Decision to Leave. Und hier gestaltet sich die Erarbeitung des Films noch schwieriger, denn asiatische Gesichter scheinen uns ohnehin ähnlicher als die unsrigen, und bei koreanischen Namen klingt der eine wie der andere. Hat man diese Hürde überwunden und all die Namen und Personen erscheinen vertraut, eröffnet sich ein neues Fenster mit Ausblick auf ein sehnsuchtsvolles Kriminaldrama, auf Landschaften und Meeresküsten Südkoreas, wo die Brandung tost oder der Schnee leise zwischen den Föhren fällt. Park Chan-Wooks Film widmet sich stark wie selten zuvor seinem Land und seinen Leuten, blickt in die Ferne und in eine stets offene Mördergrube namens Herz. Dort folgt eine radikale Entscheidung der anderen, und wir wissen, dass Chan-Wooks Filme keine Kompromisse eingehen. Auch hier nicht – auch in Decision to Leave ist die letzte Konsequenz eine radikale und entsteht aus dem verrückten Entschluss, sich lebenslang an die große Liebe zu binden. Die letzte Entscheidung wird zu einem künstlerischen Akt, einer Art Manifest. Bis dahin weiß das manchmal gar urkomische, locker dahinerzählte und dann wieder getragene Filmpuzzle all seine vielen Details so zu ordnen, dass sich am Ende ein schillerndes, großes Ganzes ergibt. Einen eingefleischten, satten Film Noir, der die volle Aufmerksamkeit verdient.

Decision to Leave

Train to Busan

WEGEN ERKRANKUNG EINES FAHRGASTES …

7,5/10

 

train_to_busan© 2016 Splendid

 

LAND: SÜDKOREA 2016

REGIE: YEON SANG-HO 

MIT GONG YOO, KIM SOO-AN, YUMI JUNG U. A.

 

Wenn Chris Lohner, die Stimme der Österreichischen Bundesbahnen, nur mehr schwer zu verstehen ist, die Schnellbahn an geplanten Stationen nicht mehr hält und Fahrgäste wie vom wilden Affen gebissen gezielt in eine Richtung strömen, dann hat das weniger etwas mit defekten Türen zu tun, sondern vielmehr mit einer Zombie-Epidemie. Meist erklingt dann noch die Meldung, dass den unregelmäßigen Zugsfolgen die Erkrankung eines Fahrgastes zugrunde liegt. Das ist natürlich ein ausschweifender Euphemismus. Was heißt ein Fahrgast – viele! Außerdem: Seuchen wie diese hier im koreanischen Katastrophenhorror breiten sich rasend schnell aus. Da braucht ein Besessener nur mit dem langen Fingernagel zu kratzen – schon verfällt der nächste Mensch dem Wahnsinn. Wobei so ein Szenario im Kino ausgetretenen Pfaden folgt. Zombie-Filme wiederholen sich. Längst sind es keine Friedhofsflüchtlinge mehr, sondern anlässlich biochemischer Experimentierfreudigkeit in den hochfinanzierten Laboren dieser Welt darf der tumbe Untote nun als Opfer nachhaltiger Fehlzündungen fungieren. Die Symptome sind meist dieselben – milchige Augen, dunkle Adern, unstillbare Gier nicht mal nach Blut, sondern viel mehr danach, den Nächstbesten zu beißen. Das zeugt von einem intelligenten, aggressiven Biostoff, der den Menschen als Wirt benutzt, um sich auszubreiten.

Auch nichts Neues, das habe ich unlängst ebenso in dem Netflix-Zombiedrama Cargo gesehen. Da streunt Martin Freeman mit Tochter im Schlepptau durch den Busch. Der Südkoreaner Yeon Sang-ho setzt seine Protagonisten ebenfalls in Bewegung, allerdings setzt er sie in einen Zug von Seoul nach Busan. Kurz vor der Abfahrt aus der Hauptstadt torkelt ein infiziertes Mädchen in eine der Waggons – und das Unglück nimmt seinen Lauf.

Ein Zombie-Szenario in die Enge eines Zuges zu verfrachten – das hat was. Und Sang-ho nimmt sich der Neuordnung des Szenarios in blutdrucksteigerndem Timing dankbar an. Dabei erinnert Train to Busan an Marc Forster´s Film-Pandemie World War Z und könnte sogar zur selben Zeit im selben Universum spielen. Da ich die Vorlage zum Film mit Brad Pitt nicht kenne, kann ich getrost sagen, dass mir die verfilmte Chronik der Apokalypse ziemlich gut gefallen hat. Vor allem deswegen, weil World War Z genauso wie Train to Busan sich nur mehr bedingt auf den plakativen Effekt blutverschmierten Zähnefletschens verlässt. Vielmehr ist der koreanische Film großes, emotionales Kino, gleichzeitig natürlich auch ein Nägelbeißer von einem Thriller, weil sich Papa Seok-woo und Tochter Su-an immer wieder in scheinbar ausweglosen Situationen wiederfinden, gemeinsam mit anderen überlebenswilligen Individuen, die sich notgedrungen zusammenraufen müssen und von einer Sekunde auf die andere neu improvisieren müssen.

Das liebe ich am Kino Südkoreas – das es andere Sichtweisen auf altbekannte Genres zulässt, dass es Stile mixt und sich keinen vorgefertigten Dogmen unterwirft. Train to Busan ist sowohl fesselnd als auch unglaublich traurig. Die Melancholie des Abschieds, die Erkenntnis, gebissen und verdammt worden zu sein, die instinktgesteuerte Leere der verlorenen Kreaturen – all diese Wehmut vor dem Untergang entfesselt ein berührendes, spannendes Drama weit jenseits des nackten Horrors. Als würde der Zug, dem man verzweifelt hinterherläuft, auf ewig der letzte sein.

Train to Busan