Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

DA STEHT EINER UND SCHAUT

8/10


halloween© 1978 Columbia Pictures


LAND / JAHR: USA 1978

REGIE: JOHN CARPENTER

DREHBUCH: JOHN CARPENTER, DEBRA HILL

CAST: JAMIE LEE CURTIS, NICK CASTLE, DONALD PLEASENCE, NANCY LOOMIS, SANDY JOHNSON, P. J. SOLES, KYLE RICHARDS, BRIAN ANDREWS, CHARLES CYPHERS U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Alleine schon die Art und Weise, wie John Carpenter Tür und Tor zu finsteren, psychopathischen Abgründen aufstößt, in die man zuvor vielleicht nur in Alfred Hitchcocks wohl perfidesten Film Psycho geschielt hat, ist das Beispiel innovativer filmischer Gestaltungskunst. Denn am Anfang, da sehen wir die Welt noch mit den Augen Michael Myers, eines womöglich schwer gestörten, von Grund auf bösen Jungen. In der First Person-Perspektive nähert sich der Dreikäsehoch dem familiären Heim, um heimlich und mit einem Küchenmesser bewaffnet in die oberen Stockwerke vorzudringen, um Schwesterherz beim Liebesgeplänkel mit einem Lover zu erwischen. Was dann folgt, ist der blutige Einstand eines ewigen Killers, dessen Gesicht keiner kennt, der niemals ein Wort sprechen wird und als Inkarnation des unberechenbar Monströsen allein durch das Abhandenkommen jedweder sozialer Kommunikationsmethoden das Schreckgespenst des Stalkers lustvoll überzeichnet. Diese subjektive, direkte Sicht des Killers auf seine Opfer erzeugt eine Atmosphäre, die für kurze Zeit die Distanz zwischen dem Zuseher und dem Bedrohlichen nimmt. Mit den Augen des Bösen zu sehen ist wahrlich unbequem, das Mysteriöse und Unerklärliche, ganz ohne paranormalen Firlefanz, verortet sich im alltäglichen urbanen Miteinander einer Gesellschaft, in der die Wenigen, die nicht so ticken wie die Norm es verlangt, furchteinflößender erscheinen als alles Metaphysische zusammengenommen, das obendrein nur in der Fiktion existiert.

Michael Myers aber, der mit der kreidebleichen Maske von William Shatner, ist Teil einer möglichen Realität und all die Worst Case Szenarien vereinend, die sich aus Home Invasion, Stalking, Terror und kausalitätslosem Gewaltrausch zusammensetzen. Was Carpenter dabei aber tunlichst unterlässt, ist, den Finsterling im wahrsten Sinne des Wortes mit der Tür ins Haus fallen zu lassen. Mit Halloween – Die Nacht des Grauens gelingt dem Altmeister das Paradebeispiel eines Suspense-Horrors, der genau in jenen Momenten, in denen nichts oder noch nichts geschieht, eine enorme Eigendynamik erzeugt. Eine unheilvolle Spannung, die den Umstand einer undefinierbaren Bedrohung zur Zerreißprobe werden lässt, nicht nur für Jamie Lee Curtis, die in diesem Film den Grundstein ihrer Karriere legt und als toughe junge Dame zumindest neugierig genug ist, um die lauernde Gestalt, die scheinbar zufällig herumsteht und schaut, zur Rede stellen zu wollen.

Was Laurie Strode, so Lee Curtis Charakter, eben nicht weiß ist, dass dieser unheilbare Killer, jahrelang in einer Heilanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verbringend, ganz plötzlich die Gelegenheit am Schopf packt, um auszubrechen, gerade zur rechten Zeit am Vortag zu Halloween. Am Tag des Spuks und des Schabernacks dann fällt einer wie er im Blaumann und weißer Maske, wohl kaum wirklich auf. Der jungen Strode allerdings schon. Und es wird immer unangenehmer, unheilvoller. Immer steht sie da, diese Gestalt, wortlos und starrend. In dieser Nacht vor Allerheiligen, in der Strode als Babysitterin aushilft, wird das Bedrohliche in einen ungesunden Horror übergehen, der den Blutdurst Michael Myers wohl stillen wird. Strode wird sich zur Wehr setzen, das ist auch kein Geheimnis, denn Fortsetzungen später und ein Reboot der ganzen Horror-Reihe, das am Original anknüpft und dabei alle anderen Sequels außen vorlässt, wird Jamie Lee Curtis immer noch dem wortlosen Wahnsinnigen, dessen größter verbreiteter Schrecken es ist, alles ohne ersichtlichen Grund zu tun, Paroli bieten.

Der ganze Modus vivendi mag sich in all den Folgefilmen nur noch variantenreich wiederholen. Wie in welcher Art und Weise Myers Unschuldige über den Jordan schickt, mag sich totlaufen – das Original hingegen ist Killerkino vom Allerfeinsten.

Halloween – Die Nacht des Grauens (1978)

White Zombie (1932)

ZOMBIEMÜHLEN MAHLEN LANGSAM

5,5/10


white-zombie© 1932 Edward Halperin Productions


LAND / JAHR: USA 1932

REGIE: VICTOR HALPERIN

DREHBUCH: GARNETT WESTON

CAST: BELA LUGOSI, MADGE BELLAMY, ROBERT FRAZER, JOSEPH CAWTHORN, BRANDON HURST, CLARENCE MUSE U. A.

LÄNGE: 1 STD 9 MIN


Zombies gibt es wirklich. Ein wissenschaftlich genauer untersuchter Fall aus Haiti soll ausreichend belegen, dass Clairvius Narcisse Anfang der Sechzigerjahre von den Toten wiederauferstand, um als willenloser Sklave über Jahre hinweg Zuckerrohr zu schneiden. Die Möglichkeit, dass hier das Gift des Kugelfisches in entsprechenden Dosen wohl verantwortlich dafür war, dass Narcisse der Tod attestiert wurde, obwohl dieser nur paralysiert war, hat dem Mythos bis heute keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil: The Walking Dead ist aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken, George A. Romeros Schwarzweiß-Klassiker Night of the Living Dead zählt seit 1999 zum erhaltenswerten Kulturgut. Dabei hat White Zombie von Victor Halperin den obskuren karibischen Falls vom auferstandenen Toten bereits in den Dreißigern vorweggenommen. Anscheinend sind der regionalen Legende nach Umtriebe wie diese immer schon gang und gäbe gewesen. Wer also Zombies liebt, sollte dorthin reisen, vielleicht trifft man den einen oder die andere, die schleppenden Schrittes und kaum ansprechbar ihrer Wege ziehen. Doch die klassischen Parameter von den aus den Gräbern kriechenden Toten zur Geisterstunde hat sich längst verwässert. Oft ist es mittlerweile ein Virus, sind es Pilzsporen oder eben reine Chemie, die in diesem nicht unbedingt gut gealterten Klassiker, nach welchem gar eine Hardrock-Band benannt wurde, zum Einsatz kommt. Liest man in der Besetzungsliste Bela Lugosi, lässt sich bereits denken, wer hier Sinistres im Schilde führt. Lugosi hatte schließlich ein Jahr zuvor das Privileg, die Gestalt des perfiden transsilvanischen Blutfürsten Dracula für einige Jahrzehnte zu prägen – bis Christopher Lee kam.

Es ist nicht so, als würden einem die Augen des Schauspielers noch bis nach Ende des Films verfolgen – obwohl sie das eine oder andere Mal formatfüllend ins Bild gerückt werden, nämlich so, als wollten diese ihr Publikum bannen. Das mag zur damaligen Zeit im dunklen Lichtspielhaus vermutlich recht beklemmend gewesen sein, mittlerweile hat der Zahn der Zeit am Furchtfaktor genagt. Unbequem bleibt dieser suggestive Blick, als Überblendung der eigentlichen Szene, aber dennoch. Vielleicht liegt das auch an den unheimlichen, knarzenden, jammernden und klickenden Klängen, die für Unwohlsein sorgen. Mit diesem Score macht White Zombie akustisch gesehen alles richtig. Diese Klangkulisse hat bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren. Wenn dann noch im Restlicht des endenden Tages torkelnde Silhouetten den Studiohügel erklimmen, füttert White Zombie das unbestimmte Gefühl eines nahenden Unheils, dessen letztendliches Wirken unberechenbar bleibt.

Haiti ist auch hier Schauplatz, und Lugosi ein mit sämtlichen Talenten ausgestatteter Landwirt, der mit Zuckerrohr sein Geld macht. Warum er bare aussteigt, liegt vermutlich an all seinen willenlosen Sklaven, die unter Einwirkung eines Gifts zur posthumen Arbeit gerufen werden. Selbst die Protagonistin des Films, Madge Bellamy als Madeleine Short, die auf dem karibischen Anwesen eines Bekannten ihre Hochzeit feiern möchte, wird Opfer dieser Schandtaten, die der Nebenbuhler ihres Zukünftigen in Auftrag gibt. Der Verlobte versucht nun, im Laufe von knappen 70 Minuten, mithilfe eines alternden Professors dem Treiben Lugosis ein Ende zu bereiten und seine Geliebte wieder zurückzugewinnen (was bei herkömmlichen Wiedergängern eigentlich nicht möglich wäre). Vorbei müssen sie an schlecht geschminkten Zombies, die allesamt keine innere Kraft mehr haben, um wirklich in die Offensive, geschweige denn in die Defensive zu gehen. Dass das ganze Brimborium ernstzunehmen wäre, kann ich nicht wirklich behaupten. White Zombie mag zwar kulturgeschichtlich seinen Platz gefunden haben – handwerklich perfekt ist das Werk mitnichten. Dabei sind weniger die technischen Komponenten als vielmehr das enorm zurechtgestutzte Skript und das überzogene Schauspiel eigentlich aller Beteiligten ausschlaggebend. Gut, Bela Lugosi kann man aus seinem heillos überzeichneten, diabolischen Finsterblick keinen Strick drehen – der war schließlich sein Markenzeichen.

White Zombie (1932)

Poltergeist (1982)

SPIELBERGS GEISTERBAHN

7/10


poltergeist© 1982 Metro Goldwyn Meyer


LAND / JAHR: USA 1982

REGIE: TOBE HOOPER

BUCH: STEVEN SPIELBERG, MICHAEL GRAIS, MARK VICTOR

CAST: JOBETH WILLIAMS, CRAIG T. NELSON, HEATHER O’ROURKE, DOMINIQUE DUNNE, OLIVER ROBINS, BEATRICE STRAIGHT, RICHARD LAWSON, MARTIN CASELLA, ZELDA RUBINSTEIN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Heuer zu Halloween sind all die Süßigkeiten schneller weggegangen als die Jahre zuvor. Halloween ist auch immer der Abend, an welchem Klassiker aus der Filmgeschichte den Vorzug vor neuem Content bekommen. In diesem Fall entschied ich mich, den kunterbunten Geisterklassiker Poltergeist aus der Mottenkiste zu holen – digital remastered wohlgemerkt. Kaum ein Horrorfilm kann von sich behaupten, mit einem eigenen Fluch belegt zu sein, der zwar etwas an den Haaren herbeigezogen wirkt und ein klarer Fall unglücklicher Koinzidenzen darstellt, aber dennoch schauriges Marketing bereitstellt, angesichts dessen ein besonders abergläubisches Publikum wohl zweimal um den Film herumschleichen wird, bevor es sich dazu entschließt, auch Teil davon zu werden: vom Terror des Poltergeists, der es angeblich nicht ganz so gerne gesehen hat, wenn echte menschliche Skelette dazu herangezogen werden, um einen ausgehobenen Swimmingpool zu füllen. Spielberg, Mastermind hinter diesem Klassiker, und Tobe Hooper sind aber, wie man weiß, dem Fluch entkommen. So manche Randfigur allerdings nicht. Und auch die kleine Heather O‘Rourke weilt nicht mehr unter den Lebenden.

Das blonde Mädchen ist die Kernfigur in diesem frühen Spukhaus-Grusler, der, anders als in Shirley Jacksons Bis das Blut gefriert, in der Gegenwart hipper Achtziger spielt und ein Haus zum Schauplatz nimmt, das wirklich nicht nach schlaflosen Nächten aussieht. Weder angestaubt noch antik, sondern direkt modern gestaltet sich das ebenfalls moderne Familienleben inmitten einer Reihenhaussiedlung irgendwo in Kalifornien. Nebst Heather O’Rourke ist der gute alte Röhrenbildschirm der elektronische Sidekick und das Fenster zur Welt. Wie sich bald herausstellen wird, nicht nur zu dieser. Flimmernde Fernseher, aus denen das Übel lockt, gibt’s ja später auch noch im Japan-Horror The Ring. Doch hier ist der Geist in der Maschine wohl nicht nur einfach so bedenklicher Home-Invasor. Zum Seitenhieb auf das Technologiezeitalter mag da bereits ausgeholt werden. Immerhin aber gabs den Sendeschluß, und tatsächlich startet Poltergeist mit der amerikanischen Hymne, bevor sich das Fernsehprogramm schlafen legt. Das darauffolgende Schneegestöber am Screen lockt die fünfjährige Carol Anne aus ihrem Bettchen. Der Anfang vom Ende eines trauten Eigenheims möge beginnen, denn eine unirdische Entität scheint stinksauer zu sein auf die Lebenden, die hier ihren Alltag leben als wäre es eine Sitcom.

Bald wissen wir: Das ist es gar nicht. Und die von George Lucas gegründete Firma Industrial Light & Magic hat sich dabei voll ins Zeug gelegt, um Lucas‘ BFF Spielberg jeden noch so wirren Wunsch von den Augen abzulesen, was praktische Effekte betrifft. Umgekehrt lässt dieser das Kinderzimmer der Filmkinder mit Star Wars-Merch füllen. Dank einer gelungenen Doku-Reihe auf Disney+, die sich eingehend mit den kreativen Köpfen dieser Firma beschäftigt, gewährt uns diese einen ausführlichen Blick hinter die Illusion des Ganzen. Und es scheint erstaunlich, mit welch einfachen, analogen Mitteln Effekte wie diese erzielt werden konnten. Ganz besonders die finale Nummer, auf die ich hier mit Rücksicht auf jene, die Poltergeist noch auf der Watchlist haben, nicht näher eingehen möchte. Klar ist Spielbergs Geisterbahnfahrt ein Horrorfilm – aber einer, der mit verspielter, geradezu kindlicher Neugier bunt gefärbtes Grauen aus dem Sack lässt. Woran erinnert mich das? Natürlich an Ghostbusters. Wenn man so will, dann ist Poltergeist wie Ghostbusters, nur ohne Ghostbusters, denn die standen, auch chronologisch betrachtet, noch nicht auf der Matte. Statt Vankman, Spengler und Co reichen diesmal Geisterjäger im Stile des Ehepaares Warren aus Conjuring die helfende Hand, und ja, ich komme nicht umhin, zu behaupten, dass der spätere Ghostbusters nicht unwesentlich von Spielbergs Szenario beeinflusst wurde. So richtigen Schrecken versprüht das Haunted-House-Erlebnis daher kaum. Wohl auch, weil manche Effekte dann doch schon in die Jahre gekommen sind. Und wenn schon: Die Wucht der paranormalen Kraft verbreitet das seltsame Gefühl eines Ausnahmezustands, das Gesetzen aus dem Jenseits folgt, von welchem wir Sterblichen aber keine Ahnung haben. Wenn die kleine Carol Anne mit seltsam verzerrter Stimme aus dem Äther um ihre Mama fleht, ist das gepflegter Grusel, der noch Wirkung zeigt. Und gerade in den Momenten, in denen das Grauen noch als harmloser Schabernack das Weltverständnis seiner Protagonisten hinterfragt, lässt sich ganz deutlich ein Konzept erkennen, das mit Leichtigkeit und Spielfreude ersonnen wurde. Diese Lust am Geschichtenerzählen besitzt Spielberg noch heute.

Tobe Hooper übrigens wird vier Jahre später mit Invasion vom Mars noch einen kleinen, fiesen Science-Fiction-Grusler nachlegen, der sein Gespür für Mystery und pittoreske Monster abermals bestätigt.

Poltergeist (1982)

Der Stadtneurotiker

DIE KATASTROPHE DER ZWEISAMKEIT

7/10

 

stadtneurotiker© 1977 United Artists

 

ORIGINAL: ANNIE HALL

LAND: USA 1977

REGIE: WOODY ALLEN

CAST: WOODY ALLEN, DIANE KEATON, TONY ROBERTS, CAROL KANE, SHELLEY DUVALL, CHRISTOPHER WALKEN U. A.

 

Anlässlich des neuesten Films von Woody Allen – A Rainy Day in New York – war es mal an der Zeit, einen seiner größten Erfolge unter die Lupe zu nehmen. Seinen Stadtneurotiker, oder im Original Annie Hall, denn den kannte ich bis dato noch nicht. Lücken aus der Filmgeschichte wollen obendrein geschlossen werden, also her mit den Neurosen, die sich der schmächtige Brillenträger so gerne an den Leib schreibt, und die natürlich autobiografisch sind, so wie (fast) alle seine Filme, die er jemals inszeniert hat. Aus seiner Haut kann der mittlerweile 84 Jahre alte Filmer auch nicht, konnte er nie und wird er nie können, also sind seine Alter Egos, seine männlichen Filmfiguren, alle irgendwie er selbst. Sie denken wie er und sie handeln wie er – sie sprechen sogar wie er. Und trotzdem oder gerade deshalb: diese Selbstbetrachtungen, dieses ironisch-selbstironische Herumgezappel, diese Kapitulation vor dem gesellschaftlichen Sumpf aufgedonnerter Egomanen – die sind scheinbar bis in alle Ewigkeit sehens- und hörenswert. Und es wird ordentlich etwas fehlen, wenn Allens Senf, den er der Welt des Films hinzugibt, sich nicht mehr aus der Tube drücken lässt. So richtig angefangen hat nämlich alles mit eben diesem Stadtneurotiker, diesem Alvy Singer, einem Komödianten und Schreiberling (wenig überraschend), der beim Tennis mit einem Freund besagte Annie Hall kennen lernt, gespielt von einer blutjungen Diane Keaton in adrettem Siebziger-Look. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen, auf verkopfte Art, das ist natürlich kein Geheimnis. Und es wäre eine herkömmliche Romanzet, würde der Film genau davon handeln, um dieses Kennen- und Liebenlernen. Dabei ist das hier nur der Anfang. Interessant wird es erst, wenn Alvy Singers Neurosen den Beziehungsalltag dominieren, Annie dabei zwischen den Stühlen sitzt und alsbald ihre eigene Ego-Dominanz ins Feld führt.

Dieses Beziehungs-Auf-und-Ab ist legendär. Mehr ist es nicht, es ist ein Kommen und Gehen, ein Annähern und Entfernen, ein Stolpern über den eigenen Narzissmus, über die eigenen haushohen Bedürfnisse und den eigenen Geltungsdrang. Ein Klassiker, wie er im Drehbuch eines Komikers steht, der über alles und nichts herzieht, alles anzweifelt und im Grunde in feinster intellektueller Manier als zwar berühmter, aber innerlich brotloser Künstler das Lebensglück herbeijammert, um dann wieder in Panik zu geraten. Es ist die Panik vor einem möglichen, ausweglosen Dilemma, das als selbsterfüllende Prophezeiung den kleinen Schreibmaschinenvirtuosen erst dann wieder erden kann, wenn er sich in seinen gefürchteten Katastrophen wieder findet. Beantwortet werden die aber meist mit humorvollen Anekdoten und Witzen, und dieser Humor rettet Woody Allen im übertragenen Sinn fast schon das Leben – nicht aber zwingend die Beziehung. Der Stadtneurotiker ist natürlich auch im Kontext seiner Zeit zu sehen, in den Umbrüchen der Siebziger, dem Veröffentlichen der eigenen dysfunktionalen Zweisamkeit, mit der sich Leute wie Alvy Singer und Annie Hall aber seltsamerweise oder völlig absichtlich wichtig vorkommen wollen. Als etwas Besonderes, weil die Differenzen untereinander das Resultat eines grundehrlichen Umgangs mit den Erwartungen sein kann. Und womöglich auch ist.

Das Hinausposaunen fehlerhafter intimer Harmonie liegt beim Stadtneurotiker im Trend, oder setzt ihn erst, als neue, charmant überhebliche Mode der belesenen Elite. Das macht natürlich Spaß, dem zuzusehen. Doch die Zeit, die hat der Film nicht ganz überdauert. Mittlerweile können Beziehungen im Film schon mal ganz anders sein, sind radikaler und destruktiver. Was Allen noch mit den Handschuhen eines Conferenciers befummelt, landet mittlerweile auf dem Seziertisch. So hat es der New Yorker Klarinettenspieler nicht gewollt, so will er es heute nicht, denn er ist immer noch ein melodiebewusster Erzähler moralischer Boulevardkompositionen, wie ein George Gershwin in Bildern. Und so betrachtet darf Der Stadtneurotiker wie ein Musikstück wahrgenommen werden, als Teil seiner Zeit und als wortgewandte Diagnose eines Beziehungsmusters mit dem vor Alltagspanik wild klopfendem Herzen am rechten Fleck.

Der Stadtneurotiker

Elstree 1976

IM GESPRÄCH MIT DARTH VADER

7/10

 

elstree1976_01© 1976 Twentieth Century Fox

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2015

REGIE: JON SPIRA

MIT DAVID PROWSE, JEREMY BULLOCH, ANTHONY FORREST, GARRICK HAGON, ANGUS MACGINNES, PAM ROSE U. A.

 

Heute ist Freitag, der 4. Mai 2018. Und wiedermal jährt sich der internationale Star Wars Day. Fans des Skywalker-Universums sind heute bestimmt schon ganz aufgeregt, und ich selbst habe Tage zuvor mit mir gerungen, nicht vielleicht doch das Ben Kenobi-Kostüm überzuwerfen, um mich in den Öffis zu blamieren. Wobei das Phänomen Star Wars eigentlich so weit verbreitet ist, dass mein Outfit womöglich auf wohlgesinntes Verständnis gestoßen wäre. Dennoch – ein T-Shirt tut´s auch. Dabei ist am 4. Mai eigentlich überhaupt gar nichts passiert. Das ist nur das Ergebnis eines Wortspiels auf Kosten des allseits bekannten Jedi-Zitats „Möge die Macht mit dir sein“. Im Original: May the Force be with you. Das sind es keine Parsecs hin zu May the Fourth be with you. Und schon haben wir ein Fan-Konstrukt, dass ewig währt – solange die George Lucas-Maschinerie geschmiert und am Laufen bleibt, militante Verfechter der Originaltrilogie von der Sorge mal ausgenommen.

Irgendwo und irgendwann aber hat dieser sagenhafte Dauerhype aber auch seinen Anfang genommen. Vor langer langer Zeit… Da war so ein Schmierblatt an einer Hausmauer, im Londoner Soho, mit einem Aufruf zum Casting für einen Film, der sich The Star Wars nennen möchte. Pfeil nach rechts, ein paar Meter weiter und man fand sich in einem provisorisch eingerichteten Büro wieder, wo sich jeder für die Produktion bewerben konnte. Denn Komparsen waren bei diesem Science Fiction Film, an den eigentlich niemand so wirklich geglaubt hat, reichlich vonnöten. Wurde man durchgelassen, traf man auf einen eher introvertierten Mann mit Bart und Locken, der dann zu plaudern anfing – und den Bewerber entweder engagiert oder wieder heimschickt hat. Manch einer wurde engagiert – und ist mit diesem Engagement in die Filmgeschichte eingegangen. Denn wie wir alle wissen wurde nicht sehr viel später Star Wars über Nacht zu einem weltbewegenden Popkulturgut, frei nach dem Olympischen Gedanken: Dabei sein ist alles.

Von diesem denkwürdigen Moment der Filmgeschichte inspiriert, hat Autor und Filmemacher Jon Spira einen sehr persönlichen, liebevollen Dokumentarfilm gedreht, der sich an den längst überfeierten, altbekannten Stars aus Krieg der Sterne vorbeidrängt, um die Helden aus der zweiten Reihe näher kennenzulernen. Elstree 1976 ist ein ungewöhnliches Filmprojekt, das sein Glück auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter gefunden hat. Kein Wunder, Projekte mit Star Wars sind womöglich sehr leicht zu finanzieren, Nerds und Fans gibt’s hierfür jede Menge. Sobald diese wissen, was da abgeht, gibt’s kein Halten mehr. So konnte Elstree 1976 – der Titel bezieht sich auf die legendären Londoner Filmstudios, in denen Episode IV vorwiegend gedreht wurde – im Handumdrehen realisiert werden. Doch wie geschmiert lässt sich die Spurensuche in die hintersten Winkel der Filmgalaxie dann doch nicht an, obwohl die Close Ups freigestellter Actionfiguren das Herz des Sammlers gleich mal höherschlagen lassen. 10 Personen erzählen aus ihrem Leben, von ihrem Werdegang, erstmal ohne Bezug zu Star Wars. Das ist vorweg etwas verwirrend, nicht unbedingt irrelevant, aber zumindest sehr viel Information, die leicht durcheinandergerät – bis alle 10 Lebensläufe nach dem Sanduhrprinzip aufeinandertreffen. Die Dreharbeiten zu Episode IV werden in Erinnerungen, Anekdoten und liebevoll ausgeschmückten Skizzen des Produktionsalltags greifbar. Die Darsteller des Kopfgeldjägers Greedo (einer meiner Lieblinge) und Boba Fett, der dem Schnitt vorwiegend zum Opfer gefallene Garrick Hagon als Biggs Starlighter oder Darth Vader höchstpersönlich, nämlich der Hüne David Prowse, plaudern aus dem Nähkästchen und sind letzten Endes allesamt der Meinung, dass dieser völlig unerwartete Erfolg ihr aller Leben verändert hat. Das möchte ich meinen, hat das Ganze mein Leben auch irgendwie verändert, oder besser gesagt geprägt – obwohl ich nicht mal ansatzweise dabei gewesen bin. Zumindest fällt mein Geburtsjahr auf das Jahr der Premiere. Am 25. Mai 77 ist es dann nämlich so weit gewesen.

 

elstree1976_02© 1976 Twentieth Century Fox

 

Elstree 1976 ist eine Collage an Interviews, akkurat strukturiert und statt einige Blicke hinter die Kulissen zu gewähren, auf die ich eigentlich gehofft hätte, sorgt Jon Spira für relativ viel Gesprächsstoff. Das sozusagen in drei Kapitel gegliederte Projekt – vor, während und nach Star Wars – ist sicherlich eine Tour of Duty für jeden Fan, der mal abseits von den gängigen Features in ruhigere Gefilde abtauchen will, um sich später besser vorstellen zu können, wie es sich denn anfühlen möge, dabei gewesen zu sein. Noch dazu ist der im Laufe der Erzählungen angerissene Diskurs über Ruhm, Kult und die Frage des Verdiensts auch nur als Statist, Fans an Comic Cons Schlange stehen zu sehen, das wohl interessanteste Herzstück der eleganten Annäherung an vergangene Zeiten mit dieser unendlich nachhallenden Wirkungskraft.

Es bleibt also eine neue Hoffnung, auf dem diesjährigen Popkultur-Event vielleicht dem einen oder anderen Sidekick der ersten Stunde am Autogramm-Panel die Hände zu schütteln, so verschwindend sein oder ihr Auftritt damals auch gewesen sein mag. Es genügt jedenfalls, Fanboys wie mich wiederum dazu zu verleiten, bereits schon jetzt die Tickets für kommenden Herbst zu sichern.

Elstree 1976