Märzengrund

IN DIE BERG‘ BIN I GERN

7/10


maerzengrund© 2022 Metafilm 


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2022

REGIE: ADRIAN GOIGINGER

BUCH: ADRIAN GOIGINGER & FELIX MITTERER, NACH SEINEM THEATERSTÜCK

CAST: JAKOB MADER, JOHANNES KRISCH, GERTI DRASSL, HARALD WINDISCH, VERENA ALTENBERGER, IRIS UNTERBERGER, CARMEN GRATL, PETER MITTERRUTZNER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Felix Mitterer ist als Bühnen- und Drehbuchautor längst nicht mehr wegzudenken. Dabei war ihm nie genug, nur in der österreichische Seele zu wühlen oder die Blut- und Boden-Heimat eines Karl Schönherr zu zelebrieren. Mitterer geht es in seinen Stücken um elementarere Themen. Um Freiheit, Alter, Tod und Identität. Als Drehbuchautor wird er komödiantisch – Die Piefke-Saga war Anfang der Neunziger eine durchaus aufreibende TV-Sensation, die unsere deutschen Nachbarn wohl etwas vergrämt hat, wobei Mitterer eigentlich auf beiden Seiten seine Ohrfeigen hat fliegen lassen. Mit dem vierten Teil des Fernseherfolges war es dann nicht mehr weit bis zum surrealen Albtraum eines längst ausverkauften und zugrunde gerichteten Urlaubslandes Tirol. Sein düsterstes Werk: Sibirien – der Monolog eines dahinsiechenden, alten Mannes in einem entmenschlichten Altersheim, als Fernsehspiel verfilmt mit Fritz Muliar.

Die Zeit, die an Geist und Körper nagt, ist in Mitterers Aussteigerdrama Märzengrund ebenfalls kein unwesentlicher Motor. Auf der Bühne gut vorstellbar – aber als Film? Die Zahl an Leinwandadaptionen halten sich bei des Künstlers Werken auf einstelligem Niveau – lieber ist das Fernsehen für die mediale Umsetzung seiner Dramen verantwortlich, weniger das Kino. Adrian Goiginger, der mit seinem Erstling Die beste aller Welten eine außergewöhnliche Empathie für sein Ensemble an den Drehtag legte und Skript sowie dessen Umsetzung perfekt in Einklang brachte, scheint mit Märzengrund das als ausgetreten und altmodisch betrachtete Genre des klassischen Heimatfilms wieder aufleben zu lassen. Schicksalskitsch 2.0? Der Förster vom Silberwald oder Geierwally waren gestern, Adrian Hoven oder Rudolf Lenz Lederhosenhelden mit Hirschknöpfen am Revers, die Wilderern das Handwerk legten oder todesmutig das Edelweiß pflückten. Doch was wären Filme wie diese, würden sie in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts plötzlich wieder glückselig auf ihre erfolgreiche Subvention blicken? Prinzipiell nicht viel anders. Vielleicht aber desperater. Peter Brunners Luzifer oder Ronny Trockers Die Einsiedler mit Ingrid Burckhardt. Heimatfilme werden hierzulande zu einer Art Spätwestern. Zum Abgesang von  verstaubten Idealen oder einer nostalgischen Verklärtheit. Das bittere Ende scheint vor allem bei Mitterer stets garantiert, der Kompromiss eine Sache für Luschen.

Genauso wenig zu Zugeständnissen bereit scheint Elias, ein Jungbauer und zukünftiger Erbe eines stattlichen Hofes im Zillertal mit sehr viel Hektar und noch größerem Viehbestand. Wir schreiben Ende der Sechzigerjahre, der Sohn hat gefälligst das, was der Vater bereits aufgebaut hat, weiterzuführen. Und muss auch bis dahin ordentlich Hand anlegen, nebst vorbildlicher Schulleistung. Als Elias kurz davorsteht, den Hof zu übernehmen, lernt er die deutlich ältere, geschiedene Moid (Verena Altengerger) kennen, die sich genauso wie er fremd in der Welt fühlt und für den jungen Mann durchaus auch Zuneigung empfindet – was der herrischen Bäuerin Mutter (großartig: Gerti Drassl) überhaupt nicht in den Kram passt. Das Verbot dieser unorthodoxen Beziehung stürzt Elias in Depressionen, die er erst wieder überwinden kann, als er einen Sommer lang auf der farmeigenen Alm die Kühe hütet. Von diesem Moment an sieht sich Elias für ein Leben fernab jeglichen gesellschaftlichen Treibens bestimmt, fernab aller Menschen und nur im Einklang mit der Natur. Man kann sich denken, wie die Eltern das finden werden. Doch all die Enttäuschung, Verbitterung und der Gram des verratenen Vaters reichen maximal bis zur Baumgrenze – darüber hinaus macht Elias einen auf Robinson Crusoe, ohne Freitag und ganze vierzig Jahre lang. Bis der Körper nicht mehr so kann, wie er will.

Märzengrund ist längst nicht so dicht und packend erzählt wie Die beste aller Welten. Kein Wunder: Mitterer hat in seinen Stücken längst nicht so eine Wortgewalt wie zum Beispiel ein Thomas Bernhard. Aber gerade die Lakonie seiner Arbeiten entwickelt auf der Bühne eine Sogwirkung. Im Kino kompensiert Goiginger die Tragödie eines Aussteigers mit der wuchtigen Berglandschaft Tirols, die vor lauter greifbarem Naturalismus fast schon die Leinwand sprengt. Dabei orientiert sich Kameramann Clemens Hufnagl an die Bilderstürme eines Terrence Malick. Weitwinkel, unmittelbare Closeups, weg von der Statik eines Stativs. In Ein verborgenes Leben, Malicks Rekonstruktion des Falles Jägerstätter, rückt dieser nah an das Dorfleben des vergangenen Jahrhunderts heran, wirkt gemäldegleich und mit Licht, Bewegung und wanderndem Blickwinkel enorm vital.

Märzengrund bietet ein ähnliches Erlebnis, noch dazu mit Schauspielern, die wohl dank eines von Goiginger geschaffenen vertrauten Umfelds tief in ihre Rollen tauchen. Natürlich ist Johannes Krisch – ein Chamäleon des österreichischen Films ­­– ganz vorne mit dabei. Bruno Ganz hätte diese Rolle wohl nicht besser gelebt, mit all der Verbissenheit, der Verzweiflung und dem gefundenen Frieden in der Einsamkeit. Das alles im Tiroler Dialekt, der das Szenario noch stimmiger werden lässt. 

Das Heimatdrama ist also zurück. In einer Form, wie unsere Eltern es bereits gewohnt waren und das für nostalgischem Realismus, wuchtigem Gipfeldrama und nun auch dank Mitterer’scher Gesellschaftskritik für das fatale Dilemma existenzieller Neu- und Unordnung steht.

Märzengrund

Viking Vengeance

OH HAUPT VOLL BLUT UND WUNDEN

6,5/10


vikingvengeance© 2018 Indeed Film


LAND / JAHR: USA 2018

BUCH / REGIE: JORDAN DOWNEY

CAST: CHRISTOPHER RYGH, CORA KAUFMAN

LÄNGE: 1 STD 12 MIN


Lass den Kopf nicht hängen! – ein Imperativ, den man gestandenen Monsterjägern mit auf den Weg geben sollte. Doch jeder macht es, wie er möchte. Manche nehmen sich nur den stattliche Eckzahn aus der Kauleiste ihrer erlegten Kreatur, manche legen gleich den ganzen Kadaver vor die Füße ihres gerade regierenden Königs. Dieser Berserker hier hängt sich die Schädel all seiner Auftragsopfer fein säuberlich an die Wand seiner Hütte mitten im Wald, jeweils aufgespießt auf einen Pflock. Dann legt er seine formschöne Rüstung ab und heilt seine Wunden mit einer magischen Mixtur aus Erde, Wurzeln und sonstigem Gemansche. Und wartet. Auf das nächste tönende Halali, wenn es wieder heißt, in den Wald zu gehen und wütenden Besten zu zeigen, wo der Kriegshammer hängt. Nur eine Kreatur ist da nicht darunter: jene, die seine Tochter auf dem Gewissen hat. Also schwört der namenlose Eremit auf ewig Rache. Die er auch bekommt. Dumm nur, dass der Kopf dieses Wesens mit des Wikingers heilender Tinktur in Berührung kommt – und wieder zum Leben erwacht.

Was für eine krude Story. Aber zugegeben: nach dem letzten Met am Ende eines Ritterfests in irgendeiner pittoresken Burg, begleitet von den Klängen der Laute, entstehen angedudelte Ideen, die man nüchtern vielleicht gar nicht in den Kopf bekommt. Aber bitte, ich will hier niemanden der Schnapsidee verdächtigen, wenngleich sich Viking Vengeance so anfühlt. Und das wiederum ist gut so. Es gibt viel zu wenig verrückte Ideen im Kosmos des phantastischen Films, und da freut man sich tatsächlich, einem Kopf-an-Kopf-Rennen wie diesem in einer Mischung aus Neugier und selbst auferlegter Kriegsstimmung, wie sie LARPer allzu gerne aus dem Filzhut zaubern, beizuwohnen. Und wenn sich der namenlose Rächer seinen bis ins kleinste Detail liebevoll in Form gebrachten Lederhelm überstülpt, dann ist ganz offensichtlich, dass die Macher dieses Dark Fantasy-Slashers zumindest beim Kostüm keine Kosten gescheut haben. Was bleibt vom Budget dann noch übrig? Womöglich nicht viel. Den Wald, die Burg aus der Ferne, die gibt’s womöglich kostenlos. Wie aber den übrigen Plot visualisieren, ohne sich selbst in die Trash-Ecke zu drängen? Denn genau das ist Viking Vengeance auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nämlich nicht: Trash. Das war auch Robert Rodriguez‘ El Mariachi nicht, der mit wenigen tausend Dollar inszeniert wurde und der den Mexikaner zur Berühmtheit machte. Das war auch Blair Witch Project nicht – ebenfalls wohlfeil umgesetzt, ohne Darlehen abbezahlen zu müssen. Der Künstler muss nur wissen, wie. Und improvisieren. Eine Challenge, die Jordan Downey auf professionelle Weise besteht.

Viking Vengeance (im Original: The Head Hunter) setzt auf Stimmung und Details – und natürlich auf das Outfit des Kopfjägers. Er setzt auf die bizarre Geschichte aus Horror und mittelalterlicher Phantastik. Er lässt sich von Andrzej Sapkowskis The Witcher genauso inspirieren wie von Prinzessin Fanthagiro – einem trickreichen Mehrteiler aus Italien. Nur hier ist Christopher Rygh allein auf weiter Flur unterwegs, ohne sonstigem höfischem Zinnober. Gut, man giert unweigerlich danach, dem Meister bei der Arbeit zuzusehen, doch außer Gebrüll und dem angestrengten Geächze von irgendwo außerhalb des Bildes bleibt die Action verborgen, und das mit Sicherheit aus Gründen mangelnder Ressourcen. Andererseits aber schafft der Film dadurch eine lakonische Mystery, die im Kopf passiert, und buttert seine Ideen geschickt in den großen Showdown, auf welchen das grimmige Solostück hinarbeitet. Downey macht das Beste draus – und befördert die erdige Groteske spätestens beim verblüffenden Schlusstwist weg von den ausgetretenen Pfaden herkömmlicher Heldenquests rein in den finsteren Forst garstiger Ironie.

Viking Vengeance

Nobody Knows I’m Here

MEINE STIMME FÜR MICH

8/10


nobodyknowsimhere© 2020 Netflix


LAND: CHILE 2020

REGIE: GASPAR ANTILLO

CAST: JORGE GARCIA, MILLARAY LOBOS, LUIS GNECCO, NELSON BRODT, ALEJANDRO GOIC U. A. 

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


War jemand von euch schon mal auf dem Filmfestival von Tribeca? Gegründet wurde dieses ja 2002 von Robert de Niro und ist mittlerweile genauso populär und talentfördernd wie das von Robert Redford auf den Weg gebrachte Pendant namens Sundance, wenn nicht sogar schon größer und umfangreicher. Ein Paradies für Neuentdeckungen, könnte man sagen. Und eine wichtige Adresse zum Beispiel für Studios und vor allem Streamingriesen, die ihre Kundschafter ausschicken, um, mit Verträgen winkend, die eine oder andere Perle, die sonst kaum die Chance hätte, in den Lichtspielsälen groß rauszukommen, ins eigene Sortiment aufzunehmen. Gern genommen sind da natürlich Filme, die bereits prämiert worden sind. Wie zum Beispiel der Film Nobody Knows I’m here. Und Netflix hat gut daran getan, Perlen wie diese für Filmfreunde wie uns zugänglich zu machen.

Selten hat man es mit Filmen aus Chile zu tun. Dieser hier von Debütant Caspar Antillo ist einer. Allerdings einer, der sich nicht einbildet exotisch sein zu müssen. Das Exotische allein ist die Person des Aussteigers Memo, der gemeinsam mit seinem Onkel auf einer Insel in einem See im Süden des schmalen Landes Schafe züchtet und deren Felle gerbt. Memo, übergewichtig, mürrisch und so scheu wie ein Reh, hat seine guten Gründe, nichts mehr von der Welt wissen zu wollen. Als Kind war er die musikalische Entdeckung des Jahrzehnts – eine Stimme wie ein Engel, doch mit pummeligem Äußeren. Was genau später passiert ist, erfährt man erst bruchstückhaft, aus den Träumen und Erinnerungen des einsamen Mannes. Und dann taucht da plötzlich noch diese Frau auf, die den Brummbären irgendwie faszinierend findet – und die auch, ohne jede Absicht, das Mysterium der Vergangenheit zum Thema in den chilenischen Medien macht.

Was die Isländer können, können die Chilenen anscheinend auch schon lange. Nobody Knows I’m here ist nordisch bis unters Schaffell, durchaus sperrig und nicht unbedingt leicht zugänglich, schon gar nicht anfangs. Als wäre der Film selbst der personifizierte Eremit, der sich gegen die Welt da draußen sträubt und tiefen Gram mit sich herumträgt, der danach schreit, abgelegt zu werden. Ähnlich wie im ebenfalls beim Tribeca festival ausgezeichneten Film Virgin Mountain ist die lakonische Annäherung an einen Außenseiter vor allem eine, bei der es sich lohnt, Zeit zu investieren. Ganz plötzlich nimmt die stille Tristesse eine Wendung, das mit surrealen Momenten versetzte Mysterium wird klarer – und dann ist man mittendrin, in einem völlig ungeplanten Abenteuer zwischen Little Voice, einer Prise Milli Vanilli und einer rauen One-Man-Show, die auf ihre ganz eigene, unprätentiöse und wohlklingende Art unter die Haut geht. Unwirtliche Filmpoesie mit Ecken und Kanten – doch mit genau dem, was Filmfreunde immer wieder neugierig macht.

Nobody Knows I’m Here

Die Einsiedler

MACH MIR DEN HOF

7/10

 

einsiedler© 2016 filmdelights Film

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, ITALIEN 2016

BUCH & EGIE: RONNY TROCKER

CAST: ANDREAS LUST, INGRID BURKHARD, ORSI TÓTH, HANNES PERKMANN, PETER MITTERRUTZNER U. A.

 

Ein Urlaub in den Bergen ist etwas ganz anderes als in den Bergen zu leben. Oder anders gesagt: Urlaub am Bauernhof ist nicht das, was Bauernhof aus einem macht. Einen Blick in die nähere Frühzeit der Lebensweise bäuerlicher Selbstversorger, den hat uns schon Franz Innerhofer in seinen Schönen Tagen gewährt. Oder aber auch die Bayerin Anna Wimschneider in ihren Memoiren Herbstmilch, die später dann Ende der 80er von Joseph Vilsmaier verfilmt wurden. Dort, wo noch ein bisschen rustikaler Charme oder die Nostalgie des Vergangenen Einzug gehalten hat – das könnte man jetzt in Ronnie Trockers Scheunen-Abgesang Die Einsiedler schmerzlich vermissen. Seine Bestandsaufnahme aus den Südtiroler Bergen lädt erstens einmal überhaupt nicht zum entspannten Verweilen zwischen Kuhmist und Apfelbäumen ein, und zweitens drückt die Ödnis dieser Einschicht durchaus aufs Gemüt. Doch wenn einer Einsamkeit sucht, dann ist er dort allerdings richtig aufgehoben. Zu tun gibt’s halt einiges, auf die faule Haut legen ist nicht. Vom Melken, Ausmisten bis zum andauernden Warten der feuchtwandigen Gemäuer hier oben in dieser Nebelsuppe fällt man, wenn’s finster wird, ins Bett, um sich beim ersten Hahnenschrei wieder aufzurappeln.

In Zeiten wie diesen, wo Dörfer regelrecht aussterben und die Jungen abwandern in urbane Gefilde, da mutiert auch ein Südtiroler Bauernhof wie jener von Burgschauspielerin Ingrid Burkhard zur feuchtkalten Gruft. Sohnemann Albert versucht sein Glück im Tale als Arbeiter in einem Marmorsteinbruch. Die Eltern altern vor sich hin und tun was sie tun müssen. Wer erbt den Hof? Es wäre kein Abgesang auf das Bauernleben, käme nicht ein Schicksalsschlag aus fast heiterem Himmel – und Bäuerin Marianne steht alleine da, in der unverputzten Finsternis der alten, verfluchten vier Wände. Was tun in dieser Einsiedelei? Und hat Sohnemann Albert Ambitionen, das Erbe der Eltern weiterzuführen?

Ronny Trockers „Die Einsiedler“ wurde laut Standard-Edition mit einem „Michael Haneke in den Bergen“ verglichen. Nun, die karge, schweigsame Rationalität menschlichen Verhaltes in einem archaischen Mikrokosmos, die sich mit steinzeitlichem Affekt aus dem zivilisierten Korsett des 21. Jahrhunderts katapultiert, hat tatsächlich etwas von Haneke. Ist aber längst nicht so beseelt von klirrender Grausamkeit, sondern viel eher durchdrungen von einer bitteren Erkenntnis. Ingrid Burkhard lebt diese ernüchternde Resignation mit jeder Falte ihres zerfurchten, traurigen Antlitzes. Von Mundls volkstümlich-guter Seele Toni Sackbauer ist nichts mehr übrig, Burkhards fulminante Altersrolle ist gleichzusetzen mit Fritz Muliars grotesker Monologfigur aus Felix Mitterers Sibirien. Beide Gestalten stehen am Ende ihres Lebens, und sie können den Verfall nicht aufhalten. Und das Schlimmste ist: Sie können ihr Vermächtnis niemandem weitergeben. Denn die Zeit, die sie verkörpern, erfährt mit ihrem Tod einen Bruch, der einen ganz anderen Neuanfang einplant. Mitterer hätte auch für diesen Film ein Drehbuch verfassen können, nur die Satire einer Piefke-Saga bleibt hier so fern wie das Meer. Und irgendwann schweigt auch das Blöken der Ziegen und das Muhen der Wiederkäuer. Irgendwann werden die Alten mitsamt den Grundmauern ihrer Existenz begraben, weil die Zeit einfach irgendwann vorbei ist. Heast as net, wia die Zeit vergeht, singt Hubert von Goisern. In Die Einsiedler hört man es, sieht man es. Und muss ihr nicht zwingend nachweinen.

Die Einsiedler

Das etruskische Lächeln

MIT OPA AUF AUGENHÖHE

5,5/10

 

etruskischeslaecheln© 2018 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: MIHAL BREZIS, ODED BINNUN

CAST: BRIAN COX, ROSANNA ARQUETTE, JJ FEILD, THORA BIRCH U. A.

 

Das österreichische Gesangstrio STS hat ihn bereits besungen, und Heidi wüsste nicht, wo sie ohne ihren knorrigen Almöhi abgeblieben wäre: Es ist die Rede vom Großvater, gemeinsam mit Oma eine familiäre Institution, und die Bindung zwischen Enkel und selbigem kann manchmal sogar noch jene mit dem eigenen Erzeuger in den Schatten stellen. Zu Großvätern geht man, wenn die Paradigmen der Erziehung andere sein sollen, wenn sich die Betrachtung der Welt mal auch aus anderem Blickwinkel aufdrängen will. Gelobt sei da der frische Wind, der festgefahrenen Alltagsmanierismen die Scheuklappen abnimmt. Ungefähr so wie in dem Generationendrama Das etruskische Lächeln, einem Roman des Spaniers Jose Luis Sampedro. Verfilmt wurde die Geschichte von den beiden israelischen Filmemachern Oded Binnun und Mihal Brezis, deren Kurzfilm Aya 2012 für den Oscar nominiert war. In der Hauptrolle: Charakterdarsteller Brian Cox mit blanker Sohle und Dreitagebart, und wenn das Bad im kühlen Atlantik genommen werden soll dann sogar komplett textilfrei. Dieser knurrige alte Eremit, der da an der Küste auf einer Insel der Äußeren Hebriden seinen Lebensabend verbringt, kommt bald unfreiwillig in den Genuss der eigenen Familie, von der er sich doch eigentlich losgesagt zu haben scheint. Gesundheitliche Probleme allerdings zwingen ihn dazu, wieder Kontakt zum Sohnemann aufzunehmen, der noch dazu als frischgebackener Papa des kratzbürstigen Neo-Opas sensible Seiten wachkitzelt. Und nicht nur das – das urbane New York birgt sogar noch einen späten Frühling fürs Herz.

Erstaunlich an diesem Film ist, dass er sich geografisch sehr schwer einordnen lässt. Durch den wuchtigen und erzschottischen Brian Cox mit gälischem Wortschatz bin ich zweifelsfrei der Meinung, hier einen ebensolchen Film vor mir zu haben. In Wahrheit aber ist Das etruskische Lächeln ein amerikanischer Film, inszeniert von israelischen Künstlern, basierend auf einer spanischen Vorlage. Das Lächeln selbst, von welchem hier die Rede ist, finden wir auf den Sarkophagen der alten Etrusker – wer die menschlichen Darstellungen der frühen Italiener vom vielleicht letzten Museumsbesuch noch in Erinnerung hat, weiß, dass diese schlicht modellierten Gesichter zufrieden lächeln, als wären sie von einer inneren Ausgeglichenheit, die jeder Herausforderung spielerisch trotzt. Selbst im Tod ist dieses Lächeln präsent – als wäre das Ableben der Anfang von etwas ganz Großem. Vor so einem dieser Skulpturen steht also dieser Rory MacNail, in einem New Yorker Kunstmuseum, und lernt noch dazu die attraktive Claudia kennen (lange nicht auf der Leinwand: Rosanna Arquette). Vieles scheint sich im fortgeschrittenen Leben des Schotten doch noch zum Guten zu wenden, bevor die Diagnose Krebs ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen bald schon unmöglich macht. Oder doch nicht?

Das etruskische Lächeln kommt über den Reiz eines konventionellen Melodrams, das stellenweise so glatt wirkt wie ein Fernsehfilm, nicht hinaus. Da ändert auch der Schauplatzwechsel und die durchwegs solide Besetzung nichts. Obwohl Vater und Sohn genug Reibungsfläche aufbieten, fehlt hier die Reibung. Es fehlt der richtige Konflikt, oder das ganz große Drama, stattdessen mangelt es, wie bei TV-Produktionen meist das Problem, an dramaturgischer Griffigkeit. Die Momente zwischen Großvater und dem kleinen Enkel sind zwar liebevoll in Szene gesetzt, berühren aber nur bedingt – vielleicht, weil Urgestein Cox nicht nur die Familienbande neu knüpfen muss, sondern auch die der Liebe, für die es natürlich nie zu spät sein kann. Und Heimweh an die wilde Küste kommt auch dazu – zuviel für den alten Mann, und zu viel Unruhe, um einen ruhenden Erzählfokus zu erzeugen. Das lässt das Ganze oberflächlich wirken, was es aber eigentlich nicht ist. Jedenfalls ist das Miteinander der Generationen von Enkel, Sohn und Vater das Herzstück dieser Verfilmung, und der Sprung ins kalte Wasser direkt spürbar – wie sinnbildlich man das auch verstehen mag.

Das etruskische Lächeln