Guillermo del Toros Pinocchio

DIE BÜRDEN EINER PINIE

6,5/10


Guillermo del Toro's Pinocchio© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA, MEXIKO, FRANKREICH 2022

REGIE: GUILLERMO DEL TORO, MARK GUSTAFSON

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): EWAN MCGREGOR, DAVID BRADLEY, CHRISTOPH WALTZ, TILDA SWINTON, FINN WOLFHARD, RON PERLMAN, TIM BLAKE NELSON, CATE BLANCHETT, JOHN TURTURRO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Der Puppenspieler von Mexiko war einmal traurig und einmal froh… das gab bereits Roberto Blanco anno 1972 zum Besten. Fast könnte man meinen, er hätte da eine Vision gehabt, von einem, der auszog, seinen Namen zu einer Marke zu machen, die über allem steht, was dessen Interesse weckt und wofür dieser jemand auch gerne sein Geld investiert: Die Rede ist von Guillermo del Toro, Monster-Meister und Phantast, kreativer Kopf sowohl im Kino als auch als Autor, mit all den Kreaturen, die seinen Stil tragen, und einer Affinität zum Gothic-Horror der Romantik. Kaum ein Regisseur weit und breit, der sich selbst und seinen Namen dem künstlerischen Werk voranstellt. Und kaum ein Regisseur, bei welchem dies auch funktionieren würde. Oder anders gefragt: Wie viele aus dem Publikum würden wohl wissen, wer all die Blockbuster diverser Franchises inszeniert hat. Gut, bei James Cameron kann man eine Ausnahme machen, sonst aber wird es dünn. Del Toro ist also hinsichtlich der Wichtigkeit seiner Namensmarke sowas wie ein Albrecht Dürer, ein Star mit einer fixen Fangemeinde, gerne gesehen und unverwechselbar. Das soll so sein, da habe ich nichts dagegen, ich selbst zähle mich spätestens seit Hellboy – Die goldene Armee zu seinen Fans.

Längst hat del Toro mit den Trolljägern auch die digitale Animationsschiene erobert. Nun aber muss auch mal ein Stop-Motion-Film im Stile von Aardman oder Henry Selick das Können des Mexikaners auf die Probe stellen. Das kann dieser nicht allein, da muss jemand her wie Mark Gustafson, seines Zeichens Animationskünstler unter anderem für Der fantastische Mr. Fox von Wes Anderson, bei denen man Kader für Kader die Puppen bewegt, was immens viel Zeit in Anspruch nimmt – am Ende aber geschmeidige Bewegungen ergeben, die eine analoge Miniaturwelt lebendig werden lassen. Lebendig wird in del Toros und Gustafsons Trickfilm wieder mal die gute alte und fast schon auf inflationäre Weise interpretierte Leidensfigur des Pinocchio. Collodis Vorlage erfuhr mittlerweile unzählige Verfilmungen, abgesehen von der tragikomischen Anime-Serie aus den Siebzigern. Martin Landau hat mal in einer Neunzigerversion von Steve Barron den Geppetto gegeben, der Italiener Roberto Benigni in seiner eigenen Version die Holzpuppe – innerhalb von wenigen Jahren dann die barocke Version von Matteo Garrone und heuer auch die Realverfilmung des Disney-Klassikers mit Tom Hanks (die ich vorzeitig jedoch aufgrund von Geschmacksdifferenzen abbrechen musste). Der nun mit einer Produktionszeit von 15 Jahren verzeichnete, finanziell längst nicht mehr rentable Puppentrickfilm hat mit Disneys Version nicht mehr viel gemeinsam. Und das ist gut so. Überdies unterscheidet sich ohnehin jede Pinocchio-Version bis auf ein paar Eckpunkte grundlegend von der anderen.

Der naive, unfolgsame und auf seine Art anfangs auch nervige Holzbube muss in del Toros Version nicht nur den Erwartungen von Geppetto gerecht werden und dessen leiblichen Sohn ersetzen, sondern auch dem italienischen Faschismus unter Mussolini als grotesken Giftzwerg die Stirn bieten. Klar gibt es auch den Fuchs in Menschengestalt – der Kater aber ist lieber ein Pavian, dessen tierische Laute Cate Blanchett imitiert, und der Leviathan verschlingt nicht Pinocchio, sondern erstmals den alten Schnitzer. Anders als bei Disney sind auch Pinocchios Ausflüge ins Jenseits, in welchem er halbskelettierten Hasen und einer sphinxähnlichen Kreatur mit Augen an den Schwingen begegnet, die garantiert mal Teil einer Werkschau des Künstlers sein wird. Diese poetische Dunkelheit, fast wie bei Michael Ende – dieses Auseinandersetzen mit politischen Ideologien: das sind Aspekte, die diese Version des Pinocchio noch interessanter machen als andere, wobei del Toros Pinocchio eine Leidensfigur bleibt, die mehr als einmal mit dem Wort Bürde jonglieren muss – sei dieses nun ihn selbst betreffend oder etwas, das die wandelnde Pinie bewältigen muss. Es geht viel mehr um Tod und ewiges Leben als um das Finden einer eigenen Identität. Selbst für Pinocchio muss eine Pinie sterben, unter den wütenden Axthieben Geppettos. Die eine Existenzform geht in die andere über, und am Ende erscheint dieser Übergang nur noch als vorübergehendes, bewältigbares Abenteuer.

Tricktechnisch, in all seinen melancholisch-morbiden Bildern, ist Guillermo del Toro‘s Pinocchio ein Augenschmaus, wenngleich manche Gesichter wenig Charakter widerspiegeln, insbesondere die Figur von Geppettos Sohn Carlo. Sonst aber sind die Animationen virtuos und die tendenzielle Uminterpretation des Stoffes eine willkommene Abwechslung. Letzten Endes aber dürfte es von mir aus mal Schluss sein mit Collodi-Verfilmungen. Der Stoff scheint bis zum Holzkern auserzählt.

Guillermo del Toros Pinocchio

Ghostbusters: Legacy

FERIALPRAKTIKUM IM GEISTERFANGEN

6,5/10


ghostbusters_legacy© 2021 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH


LAND / JAHR: USA 2020

REGIE: JASON REITMAN

CAST: MCKENNA GRACE, FINN WOLFHARD, LOGAN KIM, PAUL RUDD, CARRIE COON, BOKEEM WOODBINE, CELESTE O’CONNOR, DAN AYKROYD, BILL MURRAY, ERNIE HUDSON, TRACY LETTS, ANNIE POTTS U. A. 

LÄNGE: 2 STD 5 MINUTEN


Einfach nur Fan-Service oder wirtschaftliches Kalkül? Was treibt die Studios wohl schon eine ganze Dekade lang dazu an, bewährte Kult-Franchises aus den Achtzigern immer wieder aufzuwärmen und wiederzubeleben, manchmal schlechter, manchmal besser? Nur Spaß an der Freude kann es nicht sein – es ist das Arbeiten mit Formeln und erfolgsversprechenden Parametern, die auf alle Fälle jene Generation an Kinogehern abholen sollen, die mit Stars Wars, Terminator, Ghostbusters und Co aufgewachsen sind. Es ist, als würde man auf einer niemals enden wollenden Comic-Convention all jenen Figuren aus den geliebten fiktiven Realitäten begegnen, an die wir uns gerne erinnern. Manchmal ist die Aufmachung lächerlich, manchmal aber atemberaubend gut ausgearbeitet.

Die vier Kerle, die im Manhattan des Jahres 1984 eine sumerische Gottheit mit dem überdimensionalen Marshmallowman in ihre Schranken verwiesen, haben mit nur zwei Filmen und einer Animationsserie ein unverwechselbares, für sich allein stehendes Universum erzeugt, dass Geister nicht als das hässliche Böse wie in Conjuring oder Insidious darstellt, sondern als familientaugliches, buntes Geisterbahn-Bestiarium zwischen pummeligen Allesfressern und finster dreinblickenden Machthungrigen, die ihren eigenen Tempel oder ihr eigenes Gemälde mitbringen. Das ist mehr Fantasy als Grusel, und genau diese recht unbekümmerte, in ihren Dosen nicht zu verändernde Verbindung macht es aus, das Ghostbusters quer durch alle Altersschichten und Geschmacksrichtungen funktioniert. Stranger Things hat das Ganze dann noch mit der Spielberg´schen Mystery kombiniert, die natürlich viel ernster daherkommt – hier weicht der Spaß am Bannen knautschiger Monster einer beklemmenden Paranoia.

Zum Glück macht Jason Reitman kein Zugeständnis in irgendeine andere Richtung, und auch nicht in Richtung Klamauk, wie die Damenrunde aus dem Jahr 2016. Anscheinend geht das nur, wenn man wirklich und ohne Umschweife Bezug nimmt auf das Original. Um sich dann vielleicht loszulösen. In Ghostbusters: Legacy (hätte eigentlich letztes Jahr ins Kino kommen sollen) erbt die Tochter des Geisterjägers Egon Spengler (Harold Ramis, 2014 leider tatsächlich verstorben) dessen Grund und Boden irgendwo im Nirgendwo nahe einer Kleinstadt. Das Gemäuer erinnert an das Haus der Addams, und mehrere Holzverschläge bergen wohl erinnerungswürdige Artefakte und Gegenstände, die wir alle kennen sollten. Die Enkelin Phoebe ist so klug wie ihr Opa und kommt in den Sommerferien dem wahren Geheimnis ihres Verwandten auf die Spur, das mit der Einsicht endet: Geister gibt es wirklich. Und was für welche. Längst verbannt geglaubte Gottheiten quälen sich an die Oberfläche, und Phoebe, ihr Bruder Trevor (Stranger Things-Star Finn Wolfhard) und der schräge Nerd Podcast treten in die Fußstapfen jener, die zuletzt vor mehr als dreißig Jahren den Schleim von ihren Schultern wischten.

So baut man ein Erbe auf. Jason Reitman macht anfangs alles richtig, setzt auf Stimmung, gute Bilder und einem phänomenalen Cast, der mit Mckenna Grace (auch bekannt aus der Serie Young Sheldon) wirklich ins Schwarze getroffen hat. Die drei Freunde sind längst keine austauschbaren, gestelzt vor sich hin agierenden Jugendlichen mehr, wie zum Beispiel in Filmen wie Das schaurige Haus. Das sind Charakterköpfe, die noch mehrere Fortsetzungen tragen könnten, sollte es welche geben. Da ist Teamgeist, Individualismus und Herzlichkeit drinnen, wie bei den Vieren von damals. Bis es so weit kommt, und die Truppe ihren Einstand feiert, nimmt sich Reitman viel Zeit, um all das Drumherum und auch die Bedürfnisse der Fans und Popkultur-Nostalgiker mit Liebe und Geduld zu stillen. Dabei entgleitet ihm die Zeit, das Timing kippt. Viel bleibt nicht mehr, um die Geschichte auszuerzählen. Viel zu spät lenkt der Höhepunkt den Film in die Zielgerade. Was folgt, ist ein gehetzter Showdown, der im Vergleich zu allen anderen Filmen enttäuschend wenig spukende Artenvielfalt in petto hat. Das ist dann doch ein bisschen mager. Etwas einfallslos auch das Rezitieren des Originals in zwar anderem Umfeld (von der Stadt aufs Land), aber in genau derselben Abfolge wie damals. Überraschungen gibt es keine, man hält sich an das Spiel der Jungdarsteller, während das Meet & Greet mit bekannten Gästen wie ein halbherziger, pflichtbewusster Bühnen-Gig wirkt.

Einerseits schade, hier nicht gleich mit dem Ecto 1 die erste Kurve genommen zu haben. Andererseits aber macht Kennern die alte neue Hommage an ein Genre-Phänomen großen Spaß, und ja, es ist wie auf einer Comic Con – das Fanherz schlägt höher, ganz von allein. Allerspätestens bei Ray Parkers One-Hit-Wonder.

Ghostbusters: Legacy

Die Addams Family (2019)

FINGERSCHNIPPEND GEGEN DIE NORM

6/10

 

THE ADDAMS FAMILY© 2019 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2019

REGIE: CONRAD VERNON, GREG TIERNAN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): OSCAR ISAAC, CHARLIZE THERON, CHLOË GRACE MORETZ, FINN WOLFHARD, ALLISON JANNEY, BETTE MIDLER U. A.

 

Dass seine Cartoon-Serie im New Yorker dermaßen populär werden würde, dass diese bizarren Nonkonformisten genug Ausdauer für eine Fernsehserie und drei Kinofilme haben würden, das hätte Charles Addams wohl nicht ganz so vermutet. Mittlerweile kennt sie eine jede und ein jeder: die Antithese zur Normalo-Familie, zum angepassten Bürgertum und zur verträglichen Gleichheit. Die Addams lieben, was andere verabscheuen. Und lehnen ab, was andere in ihrer gefälligen Bequemlichkeit so sehr lieben. Sie sind Außenseiter, aber dazu stehen sie. Vielleicht sind die Addams deswegen so populär, weil sie einen Mut nach außen tragen, den andere wohl gerne hätten. „Bekenne dich zu deiner Merkwürdigkeit“, heißt es in Andre Hellers Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein. Das tun die Addams, und nicht, um bewusst aufzufallen, sondern weil sie einfach sind wie sie sein wollen. Müssen auch niemandem bekehren, wollen nur Teil des Ganzen sein. Dass die Addams irgend etwas Sinistres im Schilde führen? Woher denn, ganz im Gegenteil.

Schön, dass es für Morticia, Gomez und Onkel Fester endlich auch ein Best Of als Animationsfilm gibt. Shrek 2 und Sausage Party-Regisseur Conrad Vernon hat gemeinsam mit dem Animator Greg Tiernan die schrägen Figuren auf extreme Weise stilisiert. Grand Dame Morticia ist so schlank wie ein Zahnstocher, Gomez leicht korpulent geraten und Tochter Wednesday erstrahlt in birnenförmiger Leichenblässe – mit Zöpfen wie Galgenstricke. Womit wir schon bei den Stärken des Films wären. Die Addams Family geizt nicht mit unglaublich vielen Details, vom Interieur des viktorianischen Irrenhauses bis hin zur familiären Gefolgschaft, die im Rahmen des Mazurka-Festes für Filius Pugsley allesamt antanzen. Eine Freakshow sondergleich ist das, lauter seltsame Geschöpfe, allen voran der knuffige Vetter It oder Morticias Tante, die im wahrsten Sinne des Wortes falsche Größe zeigt. In diesem Punkt haben Vernon und Tiernan kein Auge trocken gelassen. Inhaltlich aber schon. Die Details rund um die Anfänge der Addams mitsamt ihres Einzuges in gruftige Gemäuer und dem Anwerben des schlurfenden Frankenstein-Butlers Lurch sind ja für Fans, egal ob der ersten oder späteren Stunde, noch erhellend – das Dilemma rund um Assimilierung oder Akzeptanz des Fremdartigen ist das, womit sich die spooky family immer mal wieder herumschlagen muss. Letzten Endes stehen sie zu ihrem Auftreten, was als einziges Fazit nun nicht wirklich überraschend kommt und vielleicht dadurch etwas langweilt. Und auch sonst lässt sich der Film sehr stark von seiner digitalen Ausstattung ablenken. Ein Prioritätenfehler? Nur bedingt, denn der Film ist alleine dadurch durchaus sehenswert geworden, und selbst so verdrehte Floskeln wie „Kommt herein, macht es auch unbequem“ bzw. „Die Familie hat gedroht zu kommen“ lassen schmunzeln, denn womöglich wäre man selbst gerne in der Lage, Gewohntes gegen den Strich zu bürsten. Denn nichts ist so schrecklich wie das Normale.

Die Addams Family (2019)