Havoc (2025)

AUF KNALLERBSEN KNIEN

4/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: GARETH EVANS

CAST: TOM HARDY, TIMOTHY OLYPHANT, FOREST WHITAKER, LUIS GUZMÁN, XELIA MENDES-JONES, NARGES RASHIDI, JESSIE MEI LI, TOM WU U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN 


Tom Hardy ist längst zu Eddie Brock geworden. Marvel-Vertraute kennen ihn: Der abgehalfterte Reporter war die Symbiose mit einem Alien eingegangen, einem amorphen lakritzeartigen Wesen mit einer Kauleiste – dafür bräuchte man nie wieder zum Zahnarzt, sonorer Stimme und folgend auf den Namen Venom. Das Buddy-Team der besonderen Art hat nun ausgekapsert, zurück bleibt Tom Hardy ganz allein, und irgendwie vermisst man das klebrige Anhängsel dann doch. Manchmal scheint es so, als würde sich Gareth Evans vielleicht den Scherz erlauben, den Symbionten zumindest in einer schnell geschnittenen Cameo-Szene Revue passieren zu lassen, doch statt Witzen wie diesen hagelt es Patronen, als wären der meteorologischen Absonderlichkeiten von Frosch über Fischregen nicht schon genug.

Wer Edwards schließlich kennt, weiß, dass bei ihm allerhand Menschen ins Gras beißen, und das nicht eines natürlichen Todes, sondern niedergemäht und durchsiebt, wie man jemanden nur niedermähen und durchsieben kann. Havoc heisst das neueste Unding des Schöpfers von The Raid – einer indonesischen Einer-gegen-Alle oder – übers Knie gebrochen – Stirb langsam-Version mit Iko Uwais als Martial Arts-Polizisten, der im Alleingang einen ganzen Haufen blutrünstiger Männer zerschnetzelt. Man muss zugeben: seine beiden expliziten Action-Schlachtplatten entbehren nicht einer gewissen Faszination. Wie der Waliser die Gewalt choreographiert, ist gelernte Handarbeit. Havoc hingegen, was soviel bedeutet wie „Zerstörung“, ist eben auf Netflix erschienen und schickt den alienlosen Rabauken Hardy in den kataklystischen Projektilregen, ganz ohne Schirm, dafür munter bewaffnet und alles mögliche an Gewalt einsteckend, was den Waffenstillstand mit der Realität gefährlich auf die Probe stellt.

Selbst eine Woche nach der Sichtung lässt sich der Plot des Films nur noch rudimentär wiedergeben – viel Substanz hat das alles nicht. Evans hat das Skript zwar selbst verfasst, aber eine KI könnte das vielleicht sogar besser. Ob Tom Hardy alias Walker nun im Auftrag vom schmierigen Forest Whitaker, der Vergleiche mit Wilson Fisk aus dem Daredevil-Universum anstrebt, dessen Sohn wiederfinden muss, da dieser bis über beide Ohren im Schlamassel steckt, weil die Triaden hinter ihm her sind, ist völlig egal. Spannend wird Havoc wirklich nie, dafür aber zeichnet Evans den üppigen Moloch einer namenlosen Stadt, die fast schon an Gotham City erinnert. Die Bildsprache ist betrachtenswert, allerdings nur dann, wenn gerade nicht geschossen wird. Diese Momente sind rar, man sollte sie genießen, denn sobald das große Ballern anfängt, stellt sich Schwindel ein.

Die Action ist in Havoc ein wüstes Durcheinander: fahrig, viel zu schnell geschnitten, mit rumpelnder Kamera und einer dünnen Akustik, wenn vollautomatische Handfeuerwaffen aller Art (zusammen füllen sie diverse Kataloge aus der Rüstungsindustrie für den privaten Konsumenten) ihre nicht endenwollende Munition verschleudern und einer wie Hardy fast schon auf diesen Knallerbsen die Balance verliert, so dicht fällt der Niederschlag an Hülsen. Ballistiker kratzen sich womöglich angesichts dieser Physik die Augen aus, und man selbst als Laie, der gerade mal weiß, worum es sich bei einer AK-47 handelt, flattern bei der Schießbuden-Hölle gelegentlich die Augenlider, wenn es wieder mal nicht schnell genug gehen kann, bis einer stirbt.

Hardy ist als Action-Zampano sicherlich eine Nummer für sich, auch wenn nicht viel aus seinem Charakter zu lesen ist. Der übrige Streifen brennt sich mit seinem gleißenden Mündungsfeuer in die Netzhaut, der Rest fällt dem Vergessen anheim. Ein Mehrwert, sollte man sich später noch erinnern, bleibt aber sowieso keiner.

Havoc (2025)

How It Ends

MIT SCHWIEGERPAPA UNTERWEGS

6/10


howitends© 2019 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: DAVID ROSENTHAL

CAST: THEO JAMES, FOREST WHITAKER, KAT GRAHAM, KERRY BISHE, MARK O’BRIEN, NANCY SORRELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang. Das wusste schon Johann Nestroy, als er für seine moralische Komödie Der böse Geist Lumpazivagabundus das sogenannte Kometenlied erdichtet hat. Wenn man wenigstens wüsste, aus welchem Grund die Erde untergeht, wäre ja das ganze Schicksal vielleicht besser zu ertragen, als wenn man im Dunkeln tappt. So wie Theo James in dem 2019 auf Netflix veröffentlichten endzeitlichen Roadmovie How it Ends. Das Problem an Titel und dazugehörigem Film: Man weiß eben nicht, wie es endet. Und schon gar nicht wodurch. Nur so viel: Irgendetwas ist passiert. Etwas ganz Schlimmes. Vielleicht der endgültige Kollaps aufgrund zu hoher Energiepreise? Margin Calls überall? Alles reine Spekulation. Was das amerikanische Volk im Osten des Kontinents, genauer gesagt in New York, als erstes zu spüren bekommt, sind Flugausfälle und eine gekappte Verbindung in den Westen. Für Theo James als werdender Vater Will eine schreckliche Sache, weilt doch die werdende Mutter in der eigentlichen Heimat Seattle, während Will geschäftlich nach New York hat fliegen müssen und dort auch gleich seine Schwiegereltern besucht. Mit Schwiegervater Tom, dargestellt von einem rollenbedingt etwas angriffslustigen Forest Whitaker, hat der Mittdreißiger so gut wie gar nichts gemeinsam, doch die angeheiratete Familie kann man sich eben nicht aussuchen. Als Vater Tom sich anschickt, mit dem Auto gen Westen aufzubrechen, um nach dem Rechten zu sehen, muss Will sich anschließen. Wie in einem Roadmovie dieser Art zu erwarten: Je weiter und je länger beide unterwegs sind, desto apokalyptischer wird die ganze Situation. Und je apokalyptischer diese wird, desto näher rücken die beiden Sturköpfe zusammen, um ihr Ziel zu erreichen.

Während man im Kometenkatastrophendrama Greenland längst wusste, was auf einen zukommt, konnte sich Ric Roman Waugh vollkommen auf das Bewältigen sämtlicher Probleme zum Überleben der Spezies konzentrieren. How it Ends fährt die kontinentale Angelegenheit auf eine Tour of Duty hinunter, die mit den üblichen Komplikationen aufwartet, denen Durchreisende eben mal so begegnen, greift die Anarchie langsam um sich. Whitaker verleiht dem Abenteuer so etwas wie Würde, seine gönnerhaft-resolute Erscheinung als Ex-Marine (was man ihm allerdings nicht so ganz glauben mag) weckt Interesse, und ja, man würde den Mann, würde er am Straßenrand stehen, einfach aufgrund seines Charismas mitnehmen, damit die Fahrt nicht so langweilig wird.

Für Langeweile sorgt die Dystopie dankenswerterweise nicht. Denn David Rosenthal, dessen 2019 gedrehtes Remake von Adrian Lynes Jacob‘s Ladder sang und klanglos in der Versenkung verschwand, lässt die Karotte für den hinterherhoppelnden Hasen – in diesem Fall wir Zuseher – lange genug vom Heck seines staubaufwirbelnden Fahrzeuges baumeln. Diese Karotte: sie ist der wahre Grund für das Desaster. Und Rosenthal, er schweigt. Lässt Rauchsäulen in den Himmel steigen, lässt gar nicht mal wissen, ob sich das ganze nur als nationale oder gar globale Tragödie ausgestaltet. Lässt Straßen sperren und vertröstende Worte von einem selbst recht ratlosen Militär spenden und manch vertrauten Bekannten aufgrund der Extremsituation zu einem psychisch labilen Verbrecher mutieren. Das wiederum scheint wenig glaubhaft, gönnt uns am Ende aber endlich den Thriller, den How it Ends die ganze Zeit auf der Straße vor sich hertrieb, während hinten eben das Gemüse lockt. Was zu spät kommt, bezahlt man im Film mit Kreativität. Leider auch in diesem Fall, denn die Fahrt von Schwiegervater und -sohn hätte auch ein ganz normales, aber gelungenes Generationendrama sein können.

How It Ends

City of Lies

RAP AND REVENGE

4,5/10


cityoflies© 2021 Koch Films


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: BRAD FURMAN

CAST: JOHNNY DEPP, FOREST WHITAKER, TOBY HUSS, DAYTON CALLIE, SHEA WIGHAM, LOUIS HERTHUM U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Dass man Schauspieler tatsächlich aufgrund ihrer relativ privaten Beziehungsquerelen so dermaßen fallen lässt – ich dachte, über diese Methoden ist das Showbiz längst hinweg. Welch ein Irrtum: Nach dem Schmutzkübel- und Rosenkrieg mit Amber Heard ist einer wie Johnny Depp nicht mehr derselbe. Von der Planke seiner Black Pearl stößt man ihn ebenfalls – der nächste Blockbuster wird wohl noch etwas dauern. Leute wie Bruce Willis und Nicholas Cage haben damit keine Probleme, die beiden genießen ihren Wanderpfad durchs Low Budget-Dickicht. Depp hingegen bemüht sich redlich, seinem Plan B zu entgehen und wird zumindest noch für Filme engagiert, die gewisse inhaltliche Qualitäten aufweisen. The Professor zum Beispiel, oder Warten auf die Barbaren – ein Historienfilm, in welchem der Star so richtig fies sein darf. In City of Lies ist er an der Seite eines auffallend erschlankten Forest Whitaker zu sehen und gibt einen Detektive, der mit den Morden an den Rappern Notorious B.I.G. und Tupac Shakur zu tun hat.

Man muss kein Afficionado in Sachen Rapmusik sein – da reicht das musikalische Allgemeinwissen. Denn Notorious B.I.G. und Tupac Shakur, die waren zwar in ihrem Genre halbgottgleiche Kapazunder, traurigen Weltruhm erlangten sie allerdings erst durch ihren gewaltsamen Tod. Beide starben im selben Jahr fast zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten durch mehrere Schüsse. Der oder die Täter wurden nie gefasst. Ein kriminalistisches Mysterium. Und zwar eines, das aufgrund seiner mittlerweile im Schlepptau befindlichen Legenden- und Verschwörungen ähnlich wie beim Kennedy-Attentat allerhand Theorien für möglich hält. Auf Basis eines Tatsachenromans von Randall Sullivan mit dem (von mir verkürzten) Titel LAbyrinth verfilmt Brad Furman (u. a. The Infiltrator, Der Mandant) die Nachforschungen des Ermittlers Russel Poole (Johnny Depp), der gemeinsam mit einem Journalisten den Spuren der Mörder so nahe wie bislang möglich kommt, ohne Beweise allerdings niemanden jemals belangen wird können. Ob das so eine gute Idee war, sich dieser Ansammlung an Fakten zu bedienen, um daraus statt einer Dokumentation einen Spielfilm zu machen, ist eine gute Frage. Denn in die Gänge kommt diese nüchtern dargebotene Kriminalchronik leider wirklich nicht.

In ungesund graugelbem Farbton gehalten, offenbart sich die investigative Arbeit als ein Kommen und Gehen wenig greifbarer Gestalten, und überhaupt scheint Johnny Depp im Gegensatz zu Whitaker, der als einziger ein bisschen aufs Gas steigt, von seiner Rolle und auch vom Filmstoff selbst durchaus gelangweilt. Esprit entwickelt er keinen. Vielleicht erfordert das auch die Rolle des schon ewig auf diesem Fall herumkauenden Ermittlers, der noch dazu in Rückblenden zu sehen ist, die den ganzen Verschwörungskrimi die Attraktivität eines aus Zeitungsschnipseln zusammengetragenen Sammelalbums verleihen. Was überbleibt, ist das ergänzte Allgemeinwissen um die Schicksale zweier Musiker. Mehr aber auch nicht.

City of Lies

Black Panther

WIE GOTT IN AFRIKA

7/10

 

nullPhoto: Film Frame © Marvel Studios 2018

 

LAND: USA 2018

REGIE: RYAN COOGLER

MIT CHADWICK BOSEMAN, LUPITA NYONG’O, FOREST WHITAKER, MICHAEL B. JORDAN, MARTIN FREEMAN, ANDY SERKIS U. A.

 

Womöglich wissen wir jetzt, warum das Kongobecken im Herzen des afrikanischen Kontinents so eine unzugängliche grüne Hölle ist, wieso sich hier Mythen und Legenden ein Stelldichein geben und kaum jemand jemals bis ins Herz des Dschungels vorstoßen konnte. Und womöglich ist das gefällige Gedankenspiel des grindigen Bösewichts Ulysses Klaue (wie bezeichnend!) gar nicht mal so weit hergeholt, wenn er sagt, dass El Dorado nie in Südamerika zu finden war. (Näheres lässt sich zum Thema Ur-Amazonas nachlesen). Wenn es nach Marvel ginge, steckt hinter all den unerklärlichen Mysterien nichts anderes als das ähnlich wie Hogwarts verborgene Königreich Wakanda. Der Name klingt wie das neue Zirkusprogramm des Cirque du Soleil, ist aber ein schirmgetarntes High-Tech-Afrika, eine irre Mischung aus palmenbedeckten Lehmhütten, Hochhäusern aus Glas und unterirdischen High-Tech-Zentren, bei denen Bruce Wayne feuchte Augen bekommen würde. Doch zum Glück befinden wir uns im MCU, und nicht bei DC. Also keine Angst vor Batman.

Dieses Königreich regiert ein gewisser Black Panther, seines Zeichens Monopolist auf das Super-Erz Vibranium und krallenbewehrter Avenger im superschnittigen, schwarzen Raubkatzen-Outfit. Chadwick Boseman steht dieses nanotechnologische Superteil ausgesprochen gut, seine Auftritte in Lack, Leder und eben diesem magischen Metall sind angesichts der Formschönheit für meine Begriffe immer noch zu wenig gestreut. Doch darüber kann ich gut hinwegsehen, vor allem, weil Black Panther fast ausschließlich an einem Ort spielt, der noch nie so wirklich Schauplatz für das Superhelden-Gekeile war – eben Afrika. Und weil Afrika in Punkto Exotik nur schwer der Rang abzulaufen ist, muss Disney und Marvel zumindest annähernd mit folkloristischen Versatzstücken aus der Wiege der Menschheit ordentlich Bombast erzeugen, um diesem Status gerecht zu werden. Womit wir bei André Heller wären. Was hat dieser österreichische Universalkünstler jetzt mit Marvel zu tun? Das ist leicht erklärt: Heller´s Bühnenkreation Afrika Afrika!, welche hierzulande wieder die Stadthallen füllen wird, zeigt, so habe ich mir sagen lassen, ein Potpourri aus allen möglichen traditionellen Gesängen, Tänzen und Kostümen. Marvel und Regisseur Ryan Coogler tun es André Heller nach – ihre fiktive Stadt des Unmöglichen ist einerseits eine knallbunte Kostümschau mit Motiven aus West, Ost- und Südafrika, andererseits tänzerische Martial-Arts-Performance, begleitet von Klängen und Stimmen, die an König der Löwen erinnern. Womöglich bewusst, denn König der Löwen ist ja auch von Disney, und im Grunde geht es auch im König der Löwen um Krone und Reich, allerdings auf Widlife-Niveau.

Black Panther ist vom roten Faden der Infinity– und Avengers-Storyline so ziemlich komplett ausgekoppelt. Ein waschechtes Spin-Off sozusagen. Aber eines, das aufgrund seines vorwiegend geglückten Händchens fürs Casting so ziemlich ins schwarze Fell des Panthers trifft. Newcomer Chadwick Boseman – mit Shaft-Attitüde und tatsächlich royalem, aber niemals affektiertem Gehabe – verspricht, zukünftig vermehrt auf der Leinwand präsent zu sein. Lupita Nyong’o, diesmal nicht nur in Motion Capture (Maz Kanata aus Star Wars VII), sprüht vor anmutiger Toughness, und Danai Jekesai Gurira als speerschwingende Pseudo-Massai-Kriegerin sorgt für jede Menge sympathische Female Power – hervorzuheben als Woman in Red in flatternder Rüsche, die den bösen Buben in Südkorea gehörig auf die Pelle rückt. Nur Martin Freeman passt hier nirgendwo hinein. Warum er in dieser Marvel-Produktion als Sidekick zum Handkuss kommt, bleibt im Dunkeln. Freeman mag als Hobbit und Watson seine Fangemeinde zurecht um sich scharen – als CIA-Agent kommt ihm jede Glaubwürdigkeit abhanden, und auch sein Schauspiel zeugt von Ratlosigkeit. Zum Glück hält sich der sympathische Brite im Hintergrund – was kein schwieriges Unterfangen ist, bleibt Black Panther als wohldosierte, in sich abgeschlossene Marvel-Extravaganz in Erinnerung, die mit ganz viel frischem Esprit und neuen, unverbrauchten Gesichtern eine vergnügliche Folklore-Show aus dem schwarzen Afrika auf die CGI-Bühne zaubert – inklusive geharnischten Nashörnern und einem schmissigen Soundtrack zwischen Trommelrythmen und Synthie-Klängen. Marvel hat eine Terra incognita für sich entdeckt und sein Universum um ein sinnvoll bereicherndes Who is Who erweitert. Da freut man sich auf Infinity-War. Und wie immer heißt es – nach dem Abspann sitzenbleiben!

Black Panther

Rogue One – A Star Wars Story

TWINKLE, TWINKLE LITTLE STAR

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rogueone

Es ist nun endgültig bewiesen. Alle, die bislang daran gezweifelt haben, Disney und Lucasfilm würden ihre Fangemeinde ignorieren oder ihnen ihre Sicht der Dinge überstülpen – sie alle können jetzt getrost aufatmen. Disney liebt seine Fans. Und alle, die an der weiteren Ausführung des Star Wars-Universums mitarbeiten, sind entweder selber Fans oder schon immer Teil dieser Welt gewesen. Denn das Spin-Off Rogue One – A Star Wars Story ist seit der Originaltrilogie, die von 1977 bis 1983 über die Leinwand ging, das Beste, was über die weit, weit entfernte Galaxis jemals zu sehen war. Nicht nur ist das dramatische Abenteuer, dass die Beschaffung der Pläne des Todessterns erzählt, ein ganz großes Weihnachtsgeschenk für Freizeitjedis, Alltgaspadawans und Hobbyrebellen – es katapultiert das Star Wars-Universum in einen Bereich jenseits von Leia, Han und Luke und zeigt, was in diesem riesengroßen Potpourri an Welten, Sternen und Planeten überhaupt möglich sein kann. Und das Beste daran ist: es ist immer noch Star Wars in seiner Reinkultur. Ich möchte fast sagen, dass Rogue One seine Treue zum Original geschickter unter Beweis stellt als Star Wars VII – Das Erwachen der Macht.

Leseaffine Fans haben schon längst ihre Raumgleiter Richtung Expanded Universe vom Hauptstrang ausgeklinkt. Das Star Wars Universum bietet so viel mehr als die Kerngeschichte und hat scheinbar unendliches Potenzial. Vor allem Comics und Romane aller Art erzählen spannende Randgeschichten, Biografien einzelner Helden und Anti-Helden und tauchen tief ein in die Geschichte der Macht. So ist auch das neue Filmjuwel eine eigenständige, in sich abgeschlossene Erzählung, die den Weltraumkitsch von Episode I – III komplett über Bord wirft und Schauplätze heimsucht, die fast schon aus dem Herr der Ringe-Universum sein könnten. Ohnehin ist Star Wars längst kein reines Science Fiction mehr. Im Grunde ist es High Fantasy, das zufällig im Weltraum spielt. Gareth Edwards, Regisseur von beeindruckenden Filmen wie Monsters und dem Neuaufguss von Godzilla, weiß seine visuellen Stilmitteln fulminant einzusetzen und erschuf einen packenden, grandios gefilmten Mix aus Spionagethriller und Bürgerkriegsdrama. Das Kolorit des Filmes ist viel erdiger, wüster, verregneter. Wenn man so will, dann imitiert Gareth Edwards Teil V der Saga – Das Imperium schlägt zurück. Mit Abstand der beste Teil aller Filme zusammengenommen, allein aufgrund seiner kompromisslos packenden Story, seiner Tiefe und seiner Figurenzeichnung. Eben auch das gelingt Rogue One. Der Suicide Squad der Rebellen, dieser Haufen dreckiger Hunde, sind zusammengewürfelte Individualisten, die, nach anfänglichen Schwierigkeiten, letzten Endes gemeinsam für eine Sache stehen.

Felicity Jones als mittlerweile schon als Kultfigur zu bezeichnende Jyn Erso, die von Papa und Todesstern-Architekt Galen Erso alias Mads Mikkelsen liebevoll „Kleiner Stern“ genannt wird, changiert ihre Rolle von desillusionierter Teilnahmslosigkeit über schmerzenden Verlust bis zur Selbstlosigkeit. Sie macht ihre Sache gut, jedoch nicht ganz so enthusiastisch wie Daisy Ridley als Rey in Das Erwachen der Macht. Noch beeindruckender sind all die anderen Individuen, allen voran das Duo des blinden Halbjedi Chirrut Imwe und sein treuer, bis an die Zähne bewaffneter Begleiter Baze Malbus mit ultimativer Wumme. Der eine erinnert an einen zweifelnden Ben Kenobi, der den Zugang zur Macht nur mühsam findet, der andere ist wie ein Wookie, der für den besten Freund im ganzen Universum steht. „Idi Amin“ Forest Whitaker als fanatischer Extremist gegen das Imperium legt einen ebenso überzeugenden, geradezu faszinierenden Auftritt ab. Zwar eine Nebenrolle, aber dafür umso intensiver. Und was natürlich nicht in einem Star Wars-Film fehlen darf, sind Roboter. Künstliche Persönlichkeiten, die meistens exaltierter sind als ihre menschlichen Partner. Dieser K2SO ist so ein Blechjunge – unschlagbar zynisch, ehrlich und einfach sympathisch. Bei diesem Selbstmordkommando überlegt man es sich nicht zweimal, dabei sein zu wollen. Neben neuen Planeten und irren Raumschiffdesigns spart das gehaltvolle, raue Abenteuer nicht an Hinweisen und Anspielungen auf die unmittelbar an Rogue One anschließende Episode IV. Was es da zu entdecken gibt, erkennt nicht nur der Star Wars-Nerd. Edwards schafft es, zielsicher an Eine neue Hoffnung anzudocken. Und er schafft es, auf völlig neue Art den Krieg im Weltraum zu filmen. Bei ihm ist das Gefecht längst keine chaotische Materialschlacht. Bei ihm sitzt man scheinbar selbst im Flieger. Die Kamera heftet sich fast ruhend an die Außenhülle der Schiffe, um mitzufliegen. So wird aus dem Kampf um Scarif eine Sternensymphonie erster Sahne. Zwischen Zeitlupe, Stillstand und Beschleunigung orchestriert die Schlacht wie eine klassische Komposition, um in einem Finale zu gipfeln, das man so noch nicht gesehen hat. Die Szenen sind nie zu lang. Perfekt getimt wechselt der Film zwischen mehreren Schauplätzen, ohne die Übersicht zu verlieren. Das hatten wir schon bei Die Rückkehr der Jedi-Ritter. Und auch da war der dramaturgische Aufbau an Dichte und Straffheit kaum zu überbieten. Genau an diesen Aufbau hat sich Visionär Edwards orientiert. Und er hat ihn ganz anders eingesetzt, nämlich ohne repetitiv zu werden.

Damit nicht genug. Ein unerwarteter Kniff des Filmes ist die Erweckung alter Charaktere, deren Auftauchen in der Geschichte über den Todesstern nicht ausgespart werden konnte. So erhält Grusel-Altstar Peter Cushing als Grand Moff Tarkin einen posthumen Auftritt. Ob das leicht künstliche Gesicht Cushings der Intensität der Szenen gerecht wird, darüber lässt sich streiten. Sowohl Jeff Bridges in Tron: Legacy als auch Brad Pitt in Benjamin Button hatten bereits das Vergnügen, vor- oder rückwärts zu altern. Im Kontext der Geschichte ein netter Effekt. Nur Vorsicht – allzu viel ist bei solch einer virtuellen Exhumierung ungesund. Allerdings kriegt Edwards die Kurve. Die Szenen mit Tarkin sind gezielt und kurz und  können sich ganz gut in den Film integrieren. Viel besser noch gelingt dies bei der letzten Szene des Filmes, die ich hier nicht verraten möchte und Star Wars Fans jubeln lassen wird. Denn das Ende ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ein neuer Anfang. Filme, die Wünsche erfüllen, gibt es selten, sehr selten. Rogue One schafft es, vor allem in diesen letzten Minuten eine Sehnsucht wahr werden zu lassen. Und obwohl ich mich vorab über den Verzicht von John Williams´ Score ziemlich echauffiert habe – ich bin mehr als nur versöhnt, wenn man die Musik von Michael Ciacchino, die eindeutig nach Star Wars klingt, in seiner Gesamtheit im Kopf noch mal Revue passieren lässt. Dies gilt auch für den Anfang. Denn ein Spin Off so beginnen zu lassen, ist eine Lösung, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Am Besten nämlich ohne Musik. Wenn, dann nur in gezielten Tönen und reduziertem Score, um im Abspann aber noch mal aufzufahren und das Sahnehäubchen auf der Piemontkirsche genussvoll zu platzieren.

Die 80er-Generation, die mit Episode IV bis VI groß geworden ist – die ist erwachsen geworden. Und so ist es auch Star Wars. In einer Geschichte, die die Generationen vereint. Mit Rogue One ist ein Kino- und Weltraumerlebnis gelungen, das mich als Fan mehr als zufrieden stellt. Kritiker und Boykottierer, die den Inglourious Basterds aus dem Outer Rim feministische Propaganda oder Anti-Trump-Botschaften vorwerfen, sind nur kopfschüttelnd zu belächeln. Die Macht ist mit dem Film, und der Griff in die hauseigene Filmothek zu Episode IV nur eine Frage der Zeit.

Star Wars in seiner Quintessenz. Eigenständig, aber dennoch Teil des Kanons. Fetzig, martialisch und gleichzeitig voller Seele. Und wenn der dunkle Lord der Sith aus der unheilvollen Finsternis heraus sein Lichtschwert entzündet und seinen Zorn entfesselt, dann verzeichnet die Saga eine der stärksten, wuchtigsten und genialsten Szenen seit Anbeginn an. Der Weltraum, ein Fest.

Star Wars at it´s best.

 

Rogue One – A Star Wars Story