Family Dinner (2022)

SCHAUDERHAFTES MAGENKNURREN

5,5/10


familydinner© 2022 Panda Lichtspiele


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

BUCH / REGIE: PETER HENGL

CAST: PIA HIERZEGGER, NINA KATLEIN, MICHAEL PINK, ALEXANDER SLADEK U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Das Genre des Weihnachtsfilms ist bekanntlich breit gefächert. Von Zombie-Apokalypse bis zur honigsüßen Weihnachtszeit mit Winnie The Pooh ist hier wirklich alles vertreten. Von politisch unkorrekt bis haus- und keksebacken. Mit dem stiefmütterlich behandelten Genre des Osterfilms sieht es aber ganz anders aus. Warum ist das so? Vielleicht, weil die frohe Botschaft der Wiederauferstehung nicht einfach so durch das Feiern geballter Frühlingspower ersetzt werden kann? Weihnachten geht da schon längst als heidnisches Liebesfest durch. Zu Ostern fächert sich die Vielzahl der Filmgattungen von der Passion Christi, dem Blut- und Wundenwerk von Mel Gibson, auf bis zum großen Eierklau für die ganz Kleinen. Doch mehr oder weniger: Ohne Jesus und Hasen nichts gewesen. Jetzt gibt es frisches Osterfeuer aus dem morbiden Alpenland, sprich meiner Heimat Österreich. Hier hat weder Jesus groß das Sagen, noch kommen Hasen dazu, ihre Eier zu verstecken, weil sie vielleicht vorzeitig ihre Löffel abgeben. Hier hat das Genrekino des Osterfilms eine neue Nische entdeckt. Und zwar die des Horrors.

Wie so was geht, lässt sich eigentlich leicht bewerkstelligen. Man muss nur in der lokalen Volkskunde wühlen und auf folklore Riten stoßen, wie dies zum Beispiel Ari Aster zu Midsommars Zeiten getan hat. Blickt man also in die Abgründe mythologischer Wahnvorstellungen, kann einem schon anders werden und das Osterlamm würgt sich hoch. Mit so viel Hokuspokus will niemand was zu tun haben – das Teenagermädchen Simi allerdings schon. Die schlägt nämlich zeitgerecht zu Beginn der Karwoche bei ihrer Tante Claudia auf, die schließlich nicht irgendwer ist, sondern eine recht prominente Starköchin, die schon das eine oder andere Buch veröffentlicht hat, wie damals zu früheren ATV-Zeiten Sasha Walleczek, die uns überdeutlich erklärt hat, wieviel Zucker in ein Gläschen Coca-Cola passt. Simi, muss man dazusagen, ist übergewichtig, und da packt sie die kombinierte Gelegenheit von Schulferien und Verwandtschaft am Schopf und bittet die überaus freundliche Tante um fachgerechte Unterstützung beim Verlieren ihrer Kilos. Als krasser Gegenpol zu ihrer Zero Carb-Diät darf Cousin Filipp selbst in der strengsten Fastenwoche des Jahres ordentlich reinhauen. Und zugegeben: Claudias Gerichte, die ordentlich prominent in Szene gesetzt sind, lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Von Tagliatelle mit Schafkäse bis zum Hasenbraten mit Rosmarin ist hier alles dabei. Pfannkuchen mit Apfelscheiben zum Frühstück, frisch gebackenes Brot am Morgen, medium gegartes Rind – Gourmet, was willst du mehr. Doch so verlockend diese herzhafte Schlemmerei auch sein mag: niemand sonst wird sich daran vergreifen, zumindest bis Ostersonntag nicht. Denn da soll ein Ritual stattfinden, dass Claudia sehr, sehr wichtig ist. Überdies ist es für Simi als Privileg zu verstehen, Teil dieser kernfamiliären Festivitäten zu werden.

Österreichische Filme sind tatsächlich meist trist. Auch Family Dinner. Zumindest vom Wetter her. Wolkenverhangen und deutlich zu frisch für diese Jahreszeit. Inmitten des niederösterreichischen Waldviertels steht ein Bauernhof, fern jeglicher Zivilisation. Man ahnt schon: Hier könnte Schlimmes am Werk sein. Fast scheint es, als bediene sich Hengl am guten alten Hänsel & Gretel-Mythos, wobei er diesen aber von innen entsprechend aushöhlt, um das Magenknurren als akustisches Gestaltungselement wie das unheilvolle Jaulen eines Geistes erklingen zu lassen. Pia Hierzegger weiß diese unguten Ahnungen aber stets zu zerstreuen. Wie sie das macht? Als alternative Esoterik-Intellektuelle mit hochgeschnürter Haushose, betulicher Liebenswürdigkeit und ordnungsliebender Hausfrauenstrenge wickelt sie Simi (Nina Katlein in ihrer ersten Filmrolle) um den Finger. Oder ist doch alles nur ehrlich gemeint? Hierzegger entdeckt hier eine neue Spielwiese für Suspense, Psychothrill und gediegenem Horror. Die sonst meist recht stoisch agierende Schauspielerin weiß mit links, wie sie gute Miene zum bösen Spiel macht. Und peppt den sonst eher träge dahinplätschernden Thriller ordentlich auf. Peter Hengl (u. a. Curling für Eisenstadt) lässt mit seinem ersten, selbst verfassten Kinofilm die Karwoche als entbehrungsreichen Katharsis-Parcour vonstatten gehen, in der Andeutungen und manch überzogene Gemütslage die einzigen prickelnden Highlights sind – bis endlich die wortwörtliche Erlösung von der Qual der Enthaltsamkeit auch gleich eine ganze Portion familiären Albtraum mit sich bringt. Bis es aber so weit kommt, gerät Family Dinner oft ins Stocken und entwickelt selten einen Dialogfluss, der nicht selten so danach klingt, als hätten die Beteiligten ihr Drehbuch schön brav auswendig gelernt.

Auch vergibt Hengl leider so einige Chancen, die leider sehr frühen Erahnungen zukünftiger Geschehnisse im Zickzackkurs zu zerstreuen. Es gibt da eine Stelle im Film, da ist nicht ganz klar, wer nun die Verrückten sind und wer nicht. Anhand dieser kurz aufblitzenden, erfrischenden Kehrtwende hätte Hengl noch mehr Zweifel bei seinem Publikum säen können, was Family Dinner auch noch perfider gemacht hätte. Der etwas holprige Erzählfluss wäre dadurch auch etwas weicher gegart geraten.

Die Zähne ausbeißen muss man sich bei Family Dinner aber nicht. Die Story mag zwar nicht das Gelbe vom Osterei sein und zu zaghaft aus sich herauskommen – Hierzeggers gefälliges Betüddeln allerdings schafft schon so einige feine Momente, in denen man das Spiel um Fasten und Mästen durchaus genießen kann.

Family Dinner (2022)

Rotzbub

MIT PINSEL UND BUSEN GEGEN RECHTS

5,5/10


rotzbub© 2022 Filmladen


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2021

REGIE: MARCUS H. ROSENMÜLLER, SANTIAGO LÓPEZ JOVER

SCRIPT: MARTIN AMBROSCH

MIT DEN STIMMEN VON: MARKUS FREISTÄTTER, MARIO CANEDO, GERTI DRASSL, MAURICE ERNST, ROLAND DÜRINGER, ERWIN STEINHAUER, SUSI STACH, GREGOR SEBERG, KATHARINA STRASSER, ADELE NEUHAUSER, WOLFGANG BÖCK, THOMAS STIPSITS, BRANKO SAMAROVSKI U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


„Was war er doch für ein wilder Hund“, konnte man damals in den Neunzigern so manche Lehrkraft auf der Graphischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt erzählen hören, die Manfred Deix als Schüler hatte. Ein Nonkonformist und durchaus gerne vulgär – Dinge, die sich einer wie Deix eben leisten hat können. Denn nicht nur wer Geld hat, schafft an. Auch, wer das Talent besitzt, mir nichts dir nichts den Bleistift zückt und das Wesen der Karikatur auf den Punkt bringt, indem bekannte und weniger bekannte Gesichter bekannter und weniger bekannter Zeitgenossen in ihrem Wesen authentisch bleiben, darüber hinaus aber eine groteske Verzerrung erfahren, die ins Tabulose kippt. Die Karikaturen von Manfred Deix sind wunderbar hässlich, böse und gemein. Gerne auch schweinisch und ungustiös. Unterm Strich aber sind die mit Aquarell angefertigten Arbeiten schlichtweg als genial zu bezeichnen, weil sie die dunklen Ecken der österreichischen Seele, des Volkes Bigotterie und seine Selbstgerechtigkeit in einer laut hinausposaunten Verhöhnung punktgenau vorführen. Dazwischen gabs’s auch weniger Zynisches. Zum Beispiel, wenn der Künstler Katzen oder Hunderassen portraitierte, den mit den Nasenlöchern rauchenden Zigaretten-Mummin für Casablanca entwarf oder vollbusige Damen im Dirndl und mit Doppelkinn zähnefletschend feixen ließ. Schön sind diese Visagen alle nicht, aber stilsicher und unverkennbar Deix.

Nach zehnjähriger Produktionszeit gibt`s nun endlich den Film zu all den bildhaften Eskapaden. Rotzbub heißt er, und könnte unter Umständen neben der Farbe Braun auch autobiographisch gefärbt sein. Denn einen Bleistift, den hält der verträumte Hauptschüler bereits am Kinoplakat herausfordernd in Händen. Noch dazu erwacht im Sommer der Sechzigerjahre irgendwo in Niederösterreich das Interesse an der Weiblichkeit. In Siegheilkirchen – Nomen est Omen – ist für derlei Entwicklungen aber kein Platz. Dominiert wird das Dorfleben von vorgestrigen Restnazis, die inklusive Hitlergruß offen ihre Gesinnung zur Schau tragen, frauenfeindlichen Möchtegern-Patriarchen und Opportunisten, die sich dem Machtgefälle speichelleckend anpassen. Über allem kreist natürlich die katholische Kirche – eine Institution, die Manfred Deix stets am Kieker hatte. Denn es gibt kaum etwas, worüber man mit mehr Genugtuung herziehen kann. Die Dorfjugend sieht die Dinge zunehmend anders, der Traum von gigantischen Oberweiten wird ausgelebt und in der einzigen Bar des Ortes werden ganz neue Rhythmen angeschlagen – allerdings keine einzige Nummer der von Deix so hochverehrten Beach Boys. Zu guter letzt bringt Roma-Mädchen Mariolina den jugendlichen Ungehorsam gegen die Herr Karls dieser kleinen Welt erst so richtig auf Spur.

Wer Bösterreich sehen will, in all seinen verstörenden Abgründen, sollte sich lieber Ulrich Seidl oder Michael Haneke zu Gemüte führen. Rotzbub ist weit davon entfernt, sich auch nur ernsthaft aus dem Fenster einer launigen Provinzkomödie zu lehnen, was aber angesichts der Werkschau des gebürtigen St. Pöltners vielleicht zu vermuten gewesen wäre. Übrig bleiben vor allem kleine, garstige Ferkeleien wie die braunen Bremsspuren des Bürgermeisters, Flatulenzen oder aufplatzende Eiterwimmerl. Trudes dralle Brüste sieht man auch nur auf dem Blatt Papier, dafür aber gibt’s ein „Zumpferl“ statt des Mannes Nase. Elemente, die sich im Kosmos von Deix immer wieder finden lassen. Als besonders liebevoll gestaltet sich das mit des Künstlers Werken gepflasterte Innen- sowie Außensetting der Szenen – wer genau aufpasst, erkennt so einige Klassiker wieder. Ob das reicht, nebst der stets latenten NS-Nostalgie und einer Anspielung auf das Attentat von Oberwart, die österreichische Volksseele seziert zu sehen? Mitnichten. Das liegt auch daran, dass der Rotzbub als Zentrum des Geschehens eine zwar neugierige und unerfahrene, aber moralisch integre Figur darstellt, die einen konstanten, alles durchdringenden Optimismus erkennen lässt, der wiederum nichts Österreichisches an sich hat. Durch diese Sichtweise gerät der Animationsfilm in eine harm- und zahnlose, recht generisch erzählte Seitenlage. Für Deix selig,  der das Projekt am Anfang noch begleitet hat, mag das viel zu geschmackvoll sein. 

Der professionell animierte, manchmal aber vielleicht in den Beinpartien recht ungelenk in Bewegung gesetzte Film ist als liebevolle Verbeugung vor einem großen österreichischen Künstler zu sehen, der weit mehr war als nur bizarres Gewissen auf Papier. Als gallige Satire, wie sie ein Helmut Qualtinger oder Carl Merz angesichts des spießbürgerlichen Perchtenlaufs wohl geschrieben hätte, hat Rotzbub jedoch keine Chance.

Rotzbub

Am Ende des Tages

DER FREUND VON FRÜHER

7,5/10

 

amendedestages© 2011 Thimfilm

 

LAND: ÖSTERREICH 2011

REGIE: PETER PAYER

MIT NICHOLAS OFCZAREK, SIMON SCHWARZ, ANNA UNTERBERGER U. A.

 

Bei meinen Reviews versuche ich stets, so gut es geht allen Spoiler-Versuchungen großräumig auszuweichen, sodass meine Beiträge auch gelesen werden können, auch wenn der betreffende Film noch nicht zur Sichtung kam. Bei dem österreichischen Thriller Am Ende des Tages ist es wirklich sehr schwierig, nicht zuviel zu verraten. Worüber ich aber rezensieren kann, das sind die Schauspieler – und das Genre des Streifens, der eigentlich weitaus mehr ist, als die Synopsis vermuten lässt. Was Peter Payer´s Roadmovie eben auch ist: ein Werbefilm für Österreich. Wir sehen einen österreichischen Politiker, gespielt von Simon Schwarz, der im schulterklopfenden Erfolgstaumel eines Sebastian Kurz kurz davor steht, in den Nationalrat einzuziehen, steht die Riege einflussreicher Politbonzen doch hinter ihm und hofiert, dass die Parlamentsbänke krachen. In kessem Schwarz und mit überheblichem Gutmenschen-Grinser will Robert in Tirol ein angenehmes Wochenende verbringen, gemeinsam mit seiner Frau und zukünftigen Mutter, die Tochter superreicher Eltern. Vielleicht zwischendurch ein Interview mit dem Magazin Profil, aber sonst will das exklusive Paar zwischen den Gipfeln Westösterreichs so ziemlich für sich sein. Sie fahren mit dem Auto – also quer durch das schöne Land von Mozartkugel und Arnold Schwarzenegger. Und da geizt der Film natürlich nicht mit panoramaformatierten Reizen, von den agrardominierten Niederungen des Ostens bis zu den schneebedeckten Gipfeln des Westens. Auch Salzburg darf seine Schokoladenseite präsentieren, und irgendein See im Salzkammergut, in dem sich gut baden lässt. Tourismuswerbung all inclusive, das Budget des Filmes dürfte damit schon auf der Haben-Seite sein. Doch warum eigentlich nicht, was das Filmland Österreich hat, das hat es. Und es hat nicht nur wohlgeteerte Autobahnen und Freilandstrassen, sondern auch Schauspieler, die, während sie fahren und an Tankstellen und Raststationen halten (Danke Landzeit und BP), ein recht subversives, garstiges Drama vom Zaun brechen, das als Stalkerthriller alleine zwar auch sehr gut funktioniert, mit den Seitenhieben einer Politsatire aber noch besser punktet. Und das überrascht mich dann doch.

Was mich weniger überrascht, ist Nicholas Ofczarek´s famoses Spiel. Stets in seiner Rolle, wunderbar nuanciert, ekelhaft gut: der Sohn österreichischer Opernsänger ist ohnehin als Qualitätsgarant auf Bühnen, im Kabarett und im Fernsehen eine stets Erwartungshaltungen erfüllende Kunstfigur. Immer mit dem Hang zum Vulgären, Absonderlichen, Brutalen. Aber niemals plump, stets überlegt und mit cleverem Pfiff. Genauso legt der schwerfällig scheinende Hüne auch seine Rolle des vermeintlichen Psychopathen Wolfgang an, der seinem ehemaligen Jugendfreund scheinbar zufällig über den Weg läuft, um ihn dann nicht mehr aus den Augen zu lassen. Was für ein Stalker unter der sommerlichen Sonne, der sich noch dazu in Frauenkleider zwängt und dem werdenden Polit-Star fortan mit unangenehmen Fragen konfrontiert, von dessen Inhalt selbst die neureiche Kathi keinen blassen Schimmer hat. Simon Schwarz allerdings stößt bei seinem Spiel des souveränen Weltmenschen manchmal an seine Grenzen, da wirkt sein Spiel aufgesetzt und schulisch. Darstellerische Fehler, die er in anderen Szenen aber wieder wettmacht.

Die kompakt konzipierte, schneidige Story nimmt von Anfang an und im wahrsten Sinne Fahrt auf, hat keinerlei Verschnaufpausen notwendig und führt den etwas anderen Politthriller zu einem konsequenten, schlüssigen Finale, das sogar ein bisschen an Roman Polanski´s Der Tod und das Mädchen erinnert. Um Wahrheit geht es hier, um Ehrlichkeit und Verdrängung. Um weiße Westen und die Gier nach Macht, die jeden selbstherrlichen Orator in die Politik drängt.

Ich hätte nicht vermutet, hinter Am Ende des Tages einen so differenzierten Mix aus mehreren Genres vorzufinden. Einen schnittigen Thriller, der vieles will, dieses Viele klug komprimiert und eigentlich alles erreicht, was er sich vorgenommen hat. Inklusive Wetterpanorama von unserem schönen Österreich.

Am Ende des Tages