A Great Place to Call Home (2023)

DAS UNIVERSUM HAT NOCH WAS VOR

6,5/10


agreatplacetocallhome© 2023 Neue Visionen


ORIGINALTITEL: JULES

LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: MARC TURTLETAUB

DREHBUCH: GAVIN STECKLER

CAST: BEN KINGSLEY, JADE QUON, HARRIET SANSOM HARRIS, JANE CURTIN, ZOË WINTERS, TEDDY CAÑEZ, JOSHUA MOORE, ANDY DALY U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Beim guten alten ALF war es ähnlich. Da krachte das UFO des pelzigen Sprücheklopfers in die Scheune von Willy Tanner, der samt Familie mehrere Staffeln hindurch täglich aufs Neue versuchen wird, erstens den Fremdweltler vor neugierigen Blicken zu verbergen und zweitens den Alltag trotz und mit Gordon Shumway, wie er sich nennt, zu meistern. Ein Heidenspaß auf ganzer Länge. Nimmt man aber Steven Spielbergs E.T. zur Hand, sieht die Sache schon melancholischer aus. Der knorrige Trapezkopf war der beste Freund des kleinen Elliot, und hätte da nicht die Nationale Sicherheit von diesem außergewöhnlichen Besuch Wind bekommen, wäre der Film für jüngere Semester erstens nicht so verstörend und dann auch nicht so tieftraurig gewesen, nämlich so, als würde jemand nicht nur fortgeflogen, sondern eher noch gestorben sein. Ein Kassenschlager war das sensible Düstermärchen dennoch. Und wenn das Ganze schon mit Kindern und Aliens funktioniert – warum dann nicht auch mit jenen, die im Herbst des Lebens stehen und sich so fühlen, als wären sie irgendwo in einer Zwischenwelt, deren nächstes Türchen ins Jenseits führt. So kann man, muss man aber nicht leben, mit über Achtzig und immer noch Lust am Dasein.

Dass Marc Turtletaubs herzige Science-Fiction-Komödie das Rad damit neu erfunden hat, ist allerdings nicht ganz wahr. Kinder der Achtziger erinnern sich sicher noch an Ron Howards Jungbrunnen-Märchen Cocoon: Senioren erhalten ihre innere Jugendlichkeit zurück, nachdem sie in einem Schwimmbecken baden, indem ein extraterrestrisches Artefakt schlummert. Ein wunderschöner, ein kluger und nicht minder herzzerreißender Film, wohl ein Genre-Highlight aus einer Zeit, in der Die unheimliche Begegnung der Dritten Art noch nicht lange zurückliegt und gleißende Lichteffekte dazu beigetragen haben, die richtige Stimmung fürs Außergewöhnliche herbeizuzaubern. Nicht zu vergessen auch Das Wunder in der 8. Straße – kleine Alien-Roboter mischen ein Wohnhaus auf, darunter eben auch betagte Mieter, die tiefe Freundschaft mit dem für Menschen äußerst fremden Lebensformen schließen. A Great Place to Call Home (im Original Jules – warum man hier den Titel hat verändern müssen, bleibt mir schleierhaft) schließt als weiteres, wohltuendes und nur selten weinerliches Werk an die Mysterienspiele rund ums Altwerden und Altsein an, und diesmal ist das Alien kein Trapezkopf, kein leuchtendes Ei im Wasser und kein freches Fellknäuel, sondern ein kleines humanoides Wesen aus den Tiefen des Alls, das leider das Pech und gleichzeitig das Glück hatte, in den von allen neugierigen Blicken abgeschirmten Garten von Milton Robinson bruchzulanden. Die Azaleen, wie der Alte später mehrmals erwähnen wird, sind aufgrund dieses Crashs alle nur noch Kompost, und auch wenn der Witwer beim Gemeinderat sein ungewöhnliches Erlebnis zur Sprache bringt: Es glaubt ihm keiner. Nicht mal die eigene Tochter, die ihren Vater dringend zum Neurologen schickt und mehr genervt zu sein scheint als liebevoll. Nach dem Prinzip, dass nicht sein kann was nicht sein darf, nämlich ein Besuch vom anderen Stern (und daran wird sich meines Erachtens so lange nichts ändern bis Steven Spielbergs Lichtorgel-Szenario wirklich mal eintritt), werden die seltsamen Verhaltensweisen und Ansichten Miltons als Folgen des hohen Alters verbucht. Zwei Damen aus der Nachbarschaft sehen das anders, sehen auch das Alien, wie es auf der Couch im Wohnzimmer Miltons sitzt, durch die Gegend guckt und Apfelspalten schnabuliert, und erfreuen sich zu dritt an diesem Wunder des plötzlichen Abenteuers und der knisternden Spannung, die sich daraus ergibt.

Offen für Neues zu sein, dazu ist es nie zu spät. Da kann man gut und gerne die Gebrechen des Zellverfalls vergessen, da ist nichts mehr wichtig außer der Spaß an der Freude und das Interesse an etwas, das als exklusives Erlebnis den Kreislauf ankurbelt. Ein gemächlicher, manchmal betulicher, aber jedenfalls wohltuender Film ist A Great Place to Call Home geworden. Ben Kingsley als grauhaariger, vielleicht etwas verschrobener Normalo spielt so pointiert wie schon lange nicht, mit kleinen Gesten, der Länge des gelebten Lebens geschuldeten, einstudierten Verhaltensmustern und knautschiger Mimik. Das kleine Wesen aus dem All – und das ist die Stärke in diesem Film – bewahrt sich stets das Geheimnisvolle, Fremde. Da es kein Wort spricht und womöglich über telepathische Kommunikationsformen verfügt, bleibt seine Existenz ein Rätsel, es bewahrt sich das Mirakel des Unerklärbaren, das sich selbst genügt. Marc Turtletaub gelingt es, trotz sichtlicher Verlockungen den Fuß vom Gas zu nehmen. Mag sein, dass sich dadurch sein Film etwas unter Wert verkauft, dass manches beschaulich dahinplätschert und dort, wo Handlungsspitzen sitzen, das Mehr an dramaturgischer Unterfütterung fehlt. Den in sich ruhenden Jules selbst – und vielleicht ist genau das der Punkt worauf es ankommt: Zuhören, ruhen, schweigen, entschleunigen – hat man am Ende trotz aller inszenierter Beiläufigkeit liebgewonnen, man fragt sich am Ende selbst, ob es in Miltons Alter vielleicht tatsächlich überlegenswert wäre, das gelebte Leben hinter sich zu lassen und ins UFO zu steigen. Würde ich das tun? Doch, womöglich schon. Auf zu neuen Ufern, dafür wäre es nie zu spät.

A Great Place to Call Home (2023)

Max und die Wilde 7

GENERATION CROSSOVER

6/10

 

MaxUndDieWilde7© 2020 Constantin Film

 

LAND: DEUTSCHLAND 2020

REGIE: WINFRIED OELSNER

CAST: JONA EISENBLÄTTER, USCHI GLAS, THOMAS THIEME, GÜNTHER MARIA HALMER, NINA PETRI, LEO KNIZKA U. A. 

 

Jeden Sommer das leidige Thema: Wohin mit den Kindern zur Ferienzeit, während man selbst als Elternteil keine solchen hat? Da gehen sich zwei, maximal drei Wochen gemeinsamer Urlaub aus, wenn überhaupt leistbar. Und sonst muss der Nachwuchs sich eben selbst beschäftigen, wird beschäftigt oder lernt, was es bedeutet, dem Müßiggang zu frönen. Langeweile bringt allerdings auch die eine oder andere Idee mit sich. Vielleicht gar Ideen, die so absurd sind, dass sie danach schreien, unbedingt ausprobiert zu werden. Eine davon ist, sich mit Leuten weitaus älteren Semesters als man selbst auf gut wienerisch „auf ein Packerl zu hauen“, um einen Kriminalfall zu lösen, der gerade eben ein Pensionistenheim für betreutes Wohnen in Atem hält. Aber was hat der junge Max dort zu suchen, gerade mal 9 Jahre alt? Ganz einfach: Max´ Mutter ist Pflegerin in eben jener Einrichtung, die sich in einer stattlichen deutschen Burg befindet. In Ermangelung anderweitiger Betreuung treibt sich Max eben in diesen für Jungs durchaus interessanten Gemäuern herum und wird, ehe er sich versieht, in die Ermittlungen der Wilden 7 einbezogen, die eine Diebstahlserie auf den Grund gehen will. Die Wilde 7 – das sind drei schräge Typen: eine Schauspielerin, ein Fußballer und ein Professor in Entomologie. Aus anfänglichem Vorbehalt des einen oder anderen Pensionisten wird mal ein Trend, der ansteckend sein könnte: die Generation Crossover. Wenn Alt und Jung also zusammentreffen, kann jeder vom anderen etwas lernen. Zum ersten Mal, oder einfach wieder erneut, weil man´s bereits vergessen hat.

Volksschulkinder sind womöglich bereits im Bilde: Max und die Wilde 7 ist eine äußerst beliebte Kinderkrimi-Buchreihe, die es bereits nach drei Episoden geschafft hat, verfilmt zu werden. Für diesen vergnüglichen Familienfilm hat einer der Autoren himself am Regiestuhl Platz genommen: Wilfried Oelsner. Was kann da noch schiefgehen? Eigentlich überhaupt nichts, vorausgesetzt, die Besetzung entspricht den Charakteren de Vorlage. Und ich denke, das tun sie. TV-Liebling und Ex-Apanatschi Uschi Glas ist nach ihren Eskapaden in der Fack Ju Göthe-Trilogie abermals im Kino zu sehen. Für Kinder der 80er Jahre entbehrt das nicht einer gewissen Guilty-Pleasure-Wiedersehensfreude, wenn die Schauspielerin sich selbst zwar recht holprig, dafür aber genüsslich aufs Korn nimmt und ihre eigenen frühen Filme präsentiert. Und ja: sie sieht immer noch gut aus, vor allem die Farbe Rot steht ihr. Die Kniestrümpfe sowieso. An ihrer Seite: stolzer Jogginganzugträger Thomas Thieme und Günther Maria Halmer als kauzige Parodie auf Museumskuratoren a. D., die trotz überheblichem Spleen für ihr Thema für juvenile Sidekicks relativ schnell empfänglich sind. Mit diesem launig aufspielenden Trio hat es Jungstar Jona Eisenblätter relativ leicht, auf aufgelegte Bonmots der Altstars richtig zu reagieren. Max und die Wilde 7 ist interessanterweise ein Jugendfilm, der Großeltern-Charaktere zu Idolen erhebt, und weniger andere Kids, die mit dem Idealbild von Altersgenossen junge Kinogeher faszinieren. Oma und Opa, auch wenn’s nicht die eigenen sind, laden ein zur sympathischen Alltags-Symbiose, die das Alter außen vorlässt.

Und sonst? Max und die Wilde 7 bietet kindgerechte Spannung mit lockerem Witz und ein bisschen Drama. Schon klar, dass Stereotype wie fiese Klassenkameraden wiedermal die Harmonie stören. Und klar, dass Wilfried Oelsner bei der Tätersuche allzu offensichtlich falsche Fährten setzt, die selbst den Kids als zu konstruiert erscheinen, um Verwirrung zu stiften. Aber was soll´s: als pädagogisch durchaus verwendbares Abenteuer, das ein bisschen die betulichen Enid Blyton-Achtziger atmet und sich schrillem Overkill völlig entzieht, wird der Sommer-Chill im (fast) leeren Kino zur angenehm menschelnden Auszeit.

Max und die Wilde 7

The Good Liar – Das alte Böse

WER EINMAL LÜGT, DEM GLAUBT MAN NICHT

4/10

 

thegoodliar© 2019 Warner Bros. GmbH

 

LAND: USA 2019

REGIE: BILL CONDON

CAST: HELEN MIRREN, IAN MCKELLEN, RUSSEL TOVEY, JIM CARTER, JOHANNES HAUKUR JOHANESSON U. A.

 

Ich hätte nie gedacht, dass der integre, weise, knollennasige Gandalf zu so etwas fähig wäre: nämlich zu lügen wie gedruckt. Er sieht ja auch viel zu treuherzig aus, aber Vorsicht: man soll nie einen Menschen nach seinem Äußeren beurteilen. Ian McKellen, der sieht tatsächlich schon sehr knuddelig aus, fast schon wie seinerzeit Walter Matthau. Dessen Hängebacken waren legendär, aber auch Matthau war zuletzt ein richtiger Grumpy Old Man. Ian McKellen ist – ohne wallendem weißen Haar, Rauschebart und Zauberhut – ein gewinnender älterer Herr, der scheinbar überhaupt nichts Böses will. Seine kleinen wässrigen Augen blicken gütig, er ist ganz Gentleman, vor allem Damen gegenüber, und insbesondere Helen Mirren, die beim ersten Date der beiden ganz die diskrete feine Dame gibt und fast ein bisschen wie die Queen mit verschmitztem Understatement punktet. Wir wissen natürlich: der Schein trügt hier gewaltig, auf beiden Seiten, so schmeichelnd, süßlich und zuvorkommend die beiden auch sind. Der Film würde nicht The Good Liar – Das alte Böse heißen (der deutsche Zusatztitel ist ein bisschen bärbeißig, aber gut), würden Mirren und McKellen sich nicht gegenseitig gehörig auf die Seife steigen lassen.

Und ja, anfänglich macht es Spaß, den beiden zuzusehen. Und der beste Moment ist wohl der, wenn Ian McKellen mit sich alleine ist, ganz inkognito, und aus dem gütigen Opa-Blick plötzlich ein finsteres „Gschau“ wird, inklusive abschätziger, arroganter Mundhaltung. Gut gemimt, keine Frage. McKellen weiß, Theater zu spielen. Und selbiges vorzuspielen. Ob aber Helen Mirren etwas im Schilde führt, bleibt lange unklar. In diesem Punkt erreicht The Good Liar doch einige Momente dezenten Suspense, in gepflegter pensionsbedingter Gemütlichkeit, obwohl Altsein allein nicht zwingend heißt, nichts mehr auf dem Kerbholz zu haben.

Dann aber ganz plötzlich weiß The Good Liar einfach nicht mehr weiter. Bill Condon, der mit Mr. Holmes jetzt nicht gerade für den cineastischen Bringer in Sachen Sherlock Holmes gesorgt hat, der hat sich meiner Meinung nach mit der literarischen Vorlage zu seinem aktuellen Film gehörig vergriffen. Der Roman von Nicholas Searle ist nur bedingt empfehlenswert. Der Plot nimmt eine Wendung, die ungefähr so aufgesetzt wirkt wie die pflichtbewusste Sonntagseinladung der lamentierenden Schwiegermama am Muttertag. The Good Liar fühlt sich an, als wären zwei Geschichten fragmentarisch vorhanden, die aber unbedingt entweder einen Anfang oder ein Ende brauchen. Natürlich auch mit Story-Twist, denn ein Thriller ohne solchen ist kein Thriller mehr, der Rest wäre dann allzu vorhersehbar. Schön und gut, wenn beide Geschichten zusammenpassen würden. Das überkonstruierte Schicksal der beiden Altvorderen jedoch ist weder glaubwürdig noch authentisch oder ernsthaft nachvollziehbar. Das, so vermute ich, liegt sicher an der literarischen Vorlage, und ein Film dazu macht es nicht besser.  Interessant dabei ist, dass beide Darsteller – Mirren und McKellen – nur schwer die unwillkürlich aufgebrummten Aufgaben ihrer Filmfiguren stemmen können. Als hätten sie selbst nicht gewusst, was auf sie zukommt. Und darauf verzichtet, ihre Charaktere dem Plot entsprechend neu zu orientieren. Nun, das hätten sie schon zu Beginn machen sollen, aber der Beginn des Films, der versprach etwas ganz anderes. Und der hätte diesen bedeutungsschweren Überbau über Schuld, Verjährung und Rache überhaupt nicht nötig gehabt. Lieber einfach ganz charmant hinters Licht führen, ohne die Welt zu bewegen. Das hätten die augenzwinkernden Psychoduelle der beiden zwischen Kaffeekränzchen, Schlummertrunk und galantem Türaufhalten schon vollauf erfüllt.

The Good Liar – Das alte Böse