The Forgiven (2021)

IN DIE WÜSTE GESCHICKT

7/10


the-forgiven© 2022 Roadside Attractions / Vertical Entertainment


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2021

REGIE: JOHN MICHAEL MCDONAGH

BUCH: JOHN MICHAEL MCDONAGH, NACH DEM ROMAN VON LAWRENCE OSBORNE

CAST: RALPH FIENNES, JESSICA CHASTAIN, MATT SMITH, CALEB LANDRY JONES, SAÏD TAGHMOUI, CHRISTOPHER ABBOTT, ISMAEL KANATER, MOURAD ZAOUI, ABBEY LEE, ALEX JENNINGS U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Wenn die Reichen in der Sonne des Wohlstands braten, dann ist das meistens dort, wo das um jeden Cent ringende Fußvolk zwecks wohliger Klimatisierung der Elite den Palmwedel schwingt. Lange kann das nicht gutgehen. Passiert ein Unglück, verlagern sich die Fronten. So gesehen im letztjährigen Cannes-Gewinner Triangle of Sadness von Ruben Östlund. Doch während dieser nicht so viel fressen kann wie er kotzen möchte angesichts der Weltfremdheit so mancher wohlbetuchter Weltbürger, will John Michael McDonough, der Bruder des Three Billboards-Regisseurs Martin, seine überheblichen Herrenmenschen einfach in die Wüste schicken. Von diesen Leuten, die sich da im schlossähnlichen Anwesen eines steinreichen schwulen Pärchens inmitten der marokkanischen Tausendundeiner-Nacht-Ödnis wiederfinden, wird einer ganz bewusst als Opferlamm zur Schlachtbank geführt. Auf diesem Gebiet des Büßens, stellvertretend für eine ganze Gesellschaft, kennt sich McDonagh mittlerweile aus. 2014 ließ er Brendan Gleeson in Calvary – Am Sonntag bist du tot für die Sünden aller anderen über die Klinge springen. Sich selbst auszuliefern wie seinerzeit Jesus von Nazareth funktioniert als messianischer Gedanke, den Christen in aller Welt wohl nützlich genug finden würden. Zuletzt hatte M. Night Shyamalan in Knock at the Cabin das Prinzip der Aufopferung anhand eines Home Invasion-Diskurses so ziemlich auf den Punkt gebracht, war er doch letzten Endes selbst davon überzeugt, dass sowas funktionieren muss.

In The Forgiven, der Verfilmung des Romans Denen man vergibt von Lawrence Osborne, geht es vorrangig mal darum, wer für eine aus dem heiteren Himmel hereingebrochene Tragödie letztlich die Verantwortung trägt. Jessica Chastain und Ralph Fiennes geben das neureiche und affektierte Ehepaar Henninger, welches an den Landsitz des ebenfalls neureichen, exzentrischen Matt Smith geladen wird – für eine Party in der Wüste, üppig, bunt und dekadent. Dort wird getrunken, gegessen, gebadet. Die Henningers verspäten sich aufgrund eines Unfalls im Dunkeln mitten auf der Landstraße im Nirgendwo. Das Opfer: Ein marokkanischer Junge, der Fossilien verkaufen wollte. Entsetzt über dieses Ereignis, laden sie den toten Jungen ins Auto und bitten den Gastgeber, die Sache zu klären oder bestenfalls in Wohlgefallen für alle aufzulösen, hat dieser doch gute Kontakte zur lokalen Polizei. Doch so einfach, wie Mr. Henninger glaubt, dass die Sache vom Tisch gewischt wird, ist es nicht. Der Vater des Kindes taucht auf und ersucht den arroganten Zyniker, mit ihm zurückzufahren in sein Dorf, um Wiedergutmachung zu leisten.

Chastain und Fiennes sind beides großartige Schauspieler, Fiennes ist seit Schindler Liste sowieso einer meiner Favoriten. Und da er mit einer Rolle berühmt wurde, die wirklich alles verkörpert, was man bei einem Menschen nur ablehnen kann, so ist klar, dass die Auswahl seiner Figuren nicht immer nach den Parametern der Sympathie getroffen werden. Dasselbe gilt für Chastain. Ihre Figuren sind meist kühl, unnahbar und distanziert. In McDonaghs Film können beide wieder das tun, was sie so gut können: Personen spielen, denen man eigentlich nicht zu sagen hätte – oder ihnen fluchend ihr empathisches Defizit vor den Latz knallen würde. Dazwischen gäbe es nichts. Somit eignet sich Fiennes perfekt dafür, völlig losgelöst von den Annehmlichkeiten, die ihn zu dem gemacht haben, der er ist, einer aristotelischen Kartharsis zu folgen – und über das Unglück nachzudenken, dass er verursacht hat. In diesem fremden Niemandsland, in der Fiennes auf die Gnade der Einheimischen angewiesen ist, bröckelt so manche Fassade. Der Fokus des Films liegt auf der Figur des Henninger, der mit so wuchtigen Begriffen wie Schuld und Buße ringen muss. Die Furcht vor den unbekannten Riten, die hier draußen herrschen, ist steter Begleiter.

The Forgiven ist einerseits Culture Clash-Drama und andererseits eine Art ergänzendes Nachwort zum noch viel intensiverem Calvary – Am Sonntag bist du tot. Die Begrifflichkeit der Sühne treibt McDonagh anders als Östlund nicht ins Genre der Satire, sondern lässt die Betroffenen die spröde Ernsthaftigkeit einer verzwickten Lage spüren. Sein Film bleibt unaufgeregt und voller Einkehr, setzt den dekadenten Wohlstand mit dem Canossagang in die Wüste in einen szenenwechselnden Dialog, um den sowieso schon unangenehm überhöhten Kontrast nochmal zu verstärken. Was als Conclusio bleibt, ist reines, archaisches Urverhalten, zeitlos seit tausenden von Jahren.

The Forgiven (2021)

Home

DIE SCHANDE VON FRÜHER

5,5/10


Home© 2021 Weltkino


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2020

BUCH / REGIE: FRANKA POTENTE

CAST: JAKE MCLAUGHLIN, KATHY BATES, AISLING FRANCIOSI, DEREK RICHARDSON, JAMES JORDAN, LIL REL HOWERY, STEPHEN ROOT U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Mit ihrer Rolle als rothaarige Lola im Duracell-Betrieb hat sie wohl den Sprung nach Übersee geschafft – Franka Potente war seitdem überall und nirgends, eine schwer zu verortende Schauspielerin, die sowohl an der Seite Matt Damons in Doug Limans Bourne Identität auf großer Leinwand als auch in fragwürdigen Produktionen wie Creep zu sehen war. Tom Tykwer hat sie ebenso besetzt wie Stefan Ruzowitzky oder Ridley Scott in der viktorianischen Düster-Thrillerserie Taboo mit Tom Hardy. Dann war wieder lange nichts, und jetzt plötzlich das! Franka Potente führt nun auch Regie, und zwar wieder in Übersee. Ob sie‘s dort nochmal probiert? Kann ja gut sein.

Jedenfalls nicht temporär, sondern dauerhaft kehrt im Familiendrama Home ein Ex-Knacki an den Ort seiner Jugend zurück, was ja weiter nicht so schlimm wäre, denn das alte zuhause gibt es noch, und die liebe Mama guckt auch noch aus dem Fenster. Nur die ist schon beträchtlich älter als zu dem Zeitpunkt, als Marvin hinter schwedischen Gardinen verschwand. Das Delikt: Mord. In einer Kleinstadt, wie sie in  Home als Location auszumachen ist, bleibt für so ein Vergehen Ächtung auf Lebenszeit, da ist es schließlich egal, ob dieser Jemand für seine Sünden gebüßt hat oder eben nicht. Einmal Mörder, immer Mörder. Dabei fällt mir ein – erst kürzlich gab’s auf Netflix etwas ähnliches, mit Sandra Bullock in der Hauptrolle und unter der Regie von Nora Fingscheidt (Systemsprenger). Bullock war in The Unforgivable ebenfalls eine, die nach rund zwanzig Jahren wieder das Licht der Alltagswelt hat erblicken dürfen. Bei so einem Mord bleiben dem Opfer immer noch genug Angehörige, die Rache schwören. So auch in Franka Potentes kleinstädtischem Reue- und Neuanfangsdrama. Der liebe Gott spielt da auch eine Rolle, und nichtsdestotrotz kann das Gebot der Vergebung plötzlich keiner mehr lesen.

Schön, die großartige Kathy Bates weitab von ihrer Paraderolle in Misery als pflegebedürftige Unterschicht-Raucherin zu sehen. Mit ihren langen grauen Haaren schlurft sie gottergeben und recht desillusioniert über die morsche Veranda des kleinen Eigenheims und weiß das Auftauchen ihres verlorenen Sohnes gar nicht mal richtig zu schätzen. Wohl auch, weil sie ahnt, dass seine Rückkehr unter keinem guten Stern steht. Franka Potente hat für ihr Regiedebüt gleich auch das Script mitgeliefert und sich dabei aber kaum bis gar nicht aus dem Erwartbaren rausgehalten. Über Trauma, Vergebung und Aufarbeitung weiß Potente so einiges zu berichten, und manche Szenen, die nicht nur beschämt die Missstände des White Trash aus den Augenwinkeln betrachten und sich dann weiterbegeben, suchen die Auseinandersetzung, wohlwissend, dass da durchaus Unschönes zum Abbild wird. Da ruht ihr Blick fast so gebannt auf das soziale Dilemma wie bei Nora Fingscheidt – nur tröstet sich Potente mit hollywood’scher Zuversicht über all die Probleme hinweg und überrascht auch keineswegs mit dem, was in diesem Melodrama letzten Endes seinen Weg geht. Ich will nicht sagen, dass es ausgetretene Pfade sind, die hier beschritten werden, und vielleicht bin ich auch in Sachen Menschliches Verhaltens zu zynisch geworden, aber dennoch: Home entwickelt seine Geschichte viel zu sortiert und artig nach moralischem Lehrbuch.

Home

Unter dem Sand

DIE DISSONANZ VON SCHULD UND SÜHNE

6/10

 

unterdemsand© 2016 Koch Films GmbH

 

LAND: DÄNEMARK, DEUTSCHLAND 2016

REGIE: MARTIN ZANDVLIET

CAST: ROLAND MØLLER, MIKKEl BOE FØLSGAARD, LOUIS HOFMANN, JOEL BASMAN, LAURA BRO U. A. 

 

Dieser Film wirft kein gutes Licht auf Hamlets ehemaligen Grund und Boden. Es war ja damals, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, nicht so, dass Dänemark keine Kriegsgefangenen gemacht hätte. Gerade die Jungen mussten dafür büßen, was Adolf Hitler mit ihrem Land angerichtet hat. Eine kurzsichtige Denkweise, denn gerade den Jungen war überhaupt keine andere Wahl geblieben, als sich indoktrinieren zu lassen und für den Führer zu kämpfen – andernfalls wären sie als Wehrdienstverweigerer hingerichtet worden. Das wohl bekannteste Beispiel: der Fall Jägerstätter. Aber in Dänemark, da heißt es: Vom Regen in die Traufe. Die Schuld der Erwachsenen müssen die Kids von damals, als Bonus zu den traumatischen Erlebnissen aus dem Krieg, noch zusätzlich ausbaden. Wie groß muss der Hass auf die Invasoren wohl gewesen sein, um nicht zu erkennen, dass viele dieser Burschen vermehrt nur aus Angst um das eigene Leben in den Krieg gezogen waren. Dänemarks Racheakt war der, diese Jungen eben nicht einfach heimziehen zu lassen, sondern zur Säuberung der Strände einzusetzen. Die waren natürlich nicht herkömmlich vermüllt, sondern gespickt mit Teller- und sonstigen Minen. Entschärfen muss das die damalige Next Generation – ein russisches Roulette an der Nordsee, unter gebrüllten Befehlen eines herdentreibenden Oberfeldwebels irgendwo im Nirgendwo. Essen gibt´s auch keins, Erniedrigungen dafür umso mehr. Was die Jungs hier mitmachen müssen, ist schwer zu ertragen. Und für den Zuseher ebenfalls kaum auszuhalten.

Es gibt Filme, die sieht man garantiert kein zweites Mal. Unter dem Sand ist so ein Werk. Ein bitteres Drama, das alles ist, nur kein Filmvergnügen. Regisseur Martin Zandvliet setzt hier wahrlich nicht auf Schonung und bringt sein themeninteressiertes Publikum an die Grenze der Belastbarkeit. Polanskis Pianist musste ich, als er im Kino lief, leider vorzeitig abbrechen. Hätte ich Unter dem Sand ebenfalls dort gesehen, hätte ich womöglich ähnliches getan. Ja, tatsächlich, auch wenn völlig unverständlicherweise dieser Film eine Freigabe ab 12 Jahren bekommen hat, ist er doch etwas, wofür es starke Nerven braucht. Zerfetzte Gliedmaßen im Detail sind nur die Spitze des Eisberges, darunter bohrt sich radikale Not in das Bewusstsein des Zusehers: Quälender Hunger, ausweglose Trauer, Selbstmord und Misshandlung. Jeder Tag – ein Wettkriechen mit dem Tod. Zandvliets Film ist bildgewordenes Elend, ein Kreuzweg wider der Vernunft, sich suhlend in üppigem Naturalismus und in den Schreien der Kinder. Verschnaufpausen gibt es schon, dann wogt das goldgelbe Gras des küstennahen Sumpflandes, donnern die Wellen an den Strand, wenn gerade nicht mal eine Mine explodiert. Kurze Momente eines Durchatmens vor der nächsten Quälerei. Was dabei immer stärker wird: die Verbrüderung der verlorenen Jungs, die übermenschliche Macht des Durchhaltens und die Hoffnung aufs Heimkommen. Däne Roland Møller lässt seinen nationalstolzen und verbitterten Feldwebel eine erwartbare Wandlung vollziehen, er lässt ihn trotz aller Vorbehalte vor dem Feind dennoch Mensch sein – und das ist das Menschlichste an diesem Film, der gerade durch das Ausklammern von Humanismus das karge Bisschen umso stärker erstrahlen lässt. Den Kindern – allesamt phantastische Darsteller, die wirklich ihr letztes Hemd verspielen – wird dieser Kern des Guten zum Vorteil gereichen – bei manchen aber wird die Zuversicht aufgrund seelischer Zerrüttung verpuffen.

Was nicht verpufft, ist das ungute, zermürbende Gefühl in der Magengrube. Schockierende Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen. Ein Film, so verstörend wie der Anblick eines offenen Bruchs und so schmerzhaft wie ein Schrapnell unter der Haut.

Unter dem Sand

The Good Liar – Das alte Böse

WER EINMAL LÜGT, DEM GLAUBT MAN NICHT

4/10

 

thegoodliar© 2019 Warner Bros. GmbH

 

LAND: USA 2019

REGIE: BILL CONDON

CAST: HELEN MIRREN, IAN MCKELLEN, RUSSEL TOVEY, JIM CARTER, JOHANNES HAUKUR JOHANESSON U. A.

 

Ich hätte nie gedacht, dass der integre, weise, knollennasige Gandalf zu so etwas fähig wäre: nämlich zu lügen wie gedruckt. Er sieht ja auch viel zu treuherzig aus, aber Vorsicht: man soll nie einen Menschen nach seinem Äußeren beurteilen. Ian McKellen, der sieht tatsächlich schon sehr knuddelig aus, fast schon wie seinerzeit Walter Matthau. Dessen Hängebacken waren legendär, aber auch Matthau war zuletzt ein richtiger Grumpy Old Man. Ian McKellen ist – ohne wallendem weißen Haar, Rauschebart und Zauberhut – ein gewinnender älterer Herr, der scheinbar überhaupt nichts Böses will. Seine kleinen wässrigen Augen blicken gütig, er ist ganz Gentleman, vor allem Damen gegenüber, und insbesondere Helen Mirren, die beim ersten Date der beiden ganz die diskrete feine Dame gibt und fast ein bisschen wie die Queen mit verschmitztem Understatement punktet. Wir wissen natürlich: der Schein trügt hier gewaltig, auf beiden Seiten, so schmeichelnd, süßlich und zuvorkommend die beiden auch sind. Der Film würde nicht The Good Liar – Das alte Böse heißen (der deutsche Zusatztitel ist ein bisschen bärbeißig, aber gut), würden Mirren und McKellen sich nicht gegenseitig gehörig auf die Seife steigen lassen.

Und ja, anfänglich macht es Spaß, den beiden zuzusehen. Und der beste Moment ist wohl der, wenn Ian McKellen mit sich alleine ist, ganz inkognito, und aus dem gütigen Opa-Blick plötzlich ein finsteres „Gschau“ wird, inklusive abschätziger, arroganter Mundhaltung. Gut gemimt, keine Frage. McKellen weiß, Theater zu spielen. Und selbiges vorzuspielen. Ob aber Helen Mirren etwas im Schilde führt, bleibt lange unklar. In diesem Punkt erreicht The Good Liar doch einige Momente dezenten Suspense, in gepflegter pensionsbedingter Gemütlichkeit, obwohl Altsein allein nicht zwingend heißt, nichts mehr auf dem Kerbholz zu haben.

Dann aber ganz plötzlich weiß The Good Liar einfach nicht mehr weiter. Bill Condon, der mit Mr. Holmes jetzt nicht gerade für den cineastischen Bringer in Sachen Sherlock Holmes gesorgt hat, der hat sich meiner Meinung nach mit der literarischen Vorlage zu seinem aktuellen Film gehörig vergriffen. Der Roman von Nicholas Searle ist nur bedingt empfehlenswert. Der Plot nimmt eine Wendung, die ungefähr so aufgesetzt wirkt wie die pflichtbewusste Sonntagseinladung der lamentierenden Schwiegermama am Muttertag. The Good Liar fühlt sich an, als wären zwei Geschichten fragmentarisch vorhanden, die aber unbedingt entweder einen Anfang oder ein Ende brauchen. Natürlich auch mit Story-Twist, denn ein Thriller ohne solchen ist kein Thriller mehr, der Rest wäre dann allzu vorhersehbar. Schön und gut, wenn beide Geschichten zusammenpassen würden. Das überkonstruierte Schicksal der beiden Altvorderen jedoch ist weder glaubwürdig noch authentisch oder ernsthaft nachvollziehbar. Das, so vermute ich, liegt sicher an der literarischen Vorlage, und ein Film dazu macht es nicht besser.  Interessant dabei ist, dass beide Darsteller – Mirren und McKellen – nur schwer die unwillkürlich aufgebrummten Aufgaben ihrer Filmfiguren stemmen können. Als hätten sie selbst nicht gewusst, was auf sie zukommt. Und darauf verzichtet, ihre Charaktere dem Plot entsprechend neu zu orientieren. Nun, das hätten sie schon zu Beginn machen sollen, aber der Beginn des Films, der versprach etwas ganz anderes. Und der hätte diesen bedeutungsschweren Überbau über Schuld, Verjährung und Rache überhaupt nicht nötig gehabt. Lieber einfach ganz charmant hinters Licht führen, ohne die Welt zu bewegen. Das hätten die augenzwinkernden Psychoduelle der beiden zwischen Kaffeekränzchen, Schlummertrunk und galantem Türaufhalten schon vollauf erfüllt.

The Good Liar – Das alte Böse

Aftermath

DER TERMINATOR ALS MENSCH

6/10

 

aftermath© 2017 KSM Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: ELLIOT LESTER

CAST: ARNOLD SCHWARZENEGGER, SCOOT MCNAIRY, MAGGIE GRACE, JUDAH NELSON U. A.

 

Der Selfmade-Multitasker Arnold Schwarzenegger wurde heuer knackige 71 Jahre alt. Wenn schon weniger eine Legende des Schauspiels, dann war die steirische Eiche immerhin eine solche der Popkultur, keine Frage. Arnold war Terminator, Conan und ein schwangerer Mann, und kaum eine Rolle hat er so dermaßen cool gemeistert wie die des Last Action Hero – immer noch mein absolutes Highlight. Allerdings war John McTiernan´s Film im Grunde ein Flop. Aber so ist das mit Filmen, die wirtschaftlich in der hintersten Reihe des Kinosaals sitzen – sie sind meist besser als irgendein ertragreicher Blockbuster. Schwarzenegger weiß allerdings, ihm Gegensatz zu einigen seiner Altersgenossen, dass die Zeit der Actionhelden tatsächlich vorbei ist. Was aber nicht zwingend heißen muss, dass die Kawumm-Rente auch gleich ein Abschied vom Kino sein muss. Das hat sich der Ex-Gouvernator auch gedacht. Filme machen ist ja für jemanden wie Arnie etwas, was das Herz erfreut, und längst nicht mehr die Brieftasche. Entsprechend nischenorientiert sind auch seine letzten Filme gewesen. Ganz besonders seine drittletzte Produktion, die er gemeinsam mit Darren Aronofsky mitfinanziert hat und alles andere als ein gelenkiger Effektreißer ist. Aftermath (im deutschsprachigen Raum übersetzt mit Vendetta – Alles, was ihm blieb war Rache, meiner Meinung nach aber viel zu marktschreierisch, daher bleibe ich beim Originaltitel) ist wohl ein Film, der gar nicht erst darauf abzielt, Geld zu machen. Die bittere Tragödie um einen Mann, der bei einem Flugzeugabsturz Frau und Tochter verliert, ist nichts, was das Publikum sehen will. Auch Arnold Schwarzenegger schauspielerisch herausgefordert zu wissen, in einem Film, in dem keinerlei Action passiert – dem wollen seine Fans garantiert nicht beiwohnen. Doch interessanterweise müsste ich dann sagen: Selber schuld, denn Aftermath gesehen zu haben zahlt sich tatsächlich aus.

Nicht genug, dass der bärbeißige Bauarbeiter Roman seine Familie begraben darf – er kennt auch den Verursacher des Unglücks und will diesen zur Rechenschaft ziehen. Dieses Vorhaben könnte man auch als Rache auslegen, doch so will es Bauarbeiter Roman nicht verstanden wissen. Was er einfordern will, ist die Bitte um Vergebung. Und zwar von jenem Mann, der ebenfalls als Opfer eines fatalen Zusammenspiels aus Personalmangel und Überforderung einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat. Immerhin war es kein leichtsinniger Fehler wie în Öden von Horvath´s Schicksalsdrama Der jüngste Tag, wo die Unachtsamkeit eines Kusses das Entgleisen zweier Züge zur Folge hat, sondern ein tragisches Missverständnis. Doch diese Last der Verantwortung nimmt dem Familienvater auf der anderen Seite der Waagschale allerdings auch keiner ab. Aftermath erzählt beide Geschichten – jene des Hinterbliebenen und jene des Schuldbeladenen. Für beide ändert sich das Leben radikal – in eine Richtung geradeaus in die Dunkelheit.

Der britische Regisseur Elliot Lester hat mit Aftermath einen Film weit jenseits angenehmer Kinounterhaltung inszeniert. Das bedrückende Trauerdrama liegt ungemein schwer im Magen. Wer selbst nicht gerade gedämpfte Laune hat, sollte die sinnierende Schicksalssymphonie tunlichst meiden. Nach Schwarzenegger´s Arbeit in Aftermath wäre es tatsächlich vorstellbar, der Exil-Österreicher könnte mit Michael Haneke einen Film drehen. Spart man am Score, wäre sogar vorliegendes Werk unter der Regie Haneke´s durchaus vorstellbar. Denn nicht weniger intensiv als vom österreichischen Oscarpreisträger gewohnt zieht auch Lester´s Film das Publikum langsam, aber stetig vom Sitz, spätestens dann, wenn eintritt, was längst nicht erwartet wird, und der Druck in der Magengegend noch zunimmt. Aftermath windet den Weg seiner tragischen Geschichte auf wenig betretenen Pfaden und bleibt nachhaltig in Erinnerung, wenn auch auf unbequeme Weise. Schwarzenegger ist zwar immer noch kein mimischer Virtuose, nimmt aber die Challenge in der Verkörperung des Trauernden aufrichtig ernst. Den irreparablen psychischen Schaden und die Verbissenheit seiner Suche nach Erlösung weiß Arnie weitaus besser zu interpretieren als Busenfreund Bruce Willis seinen Killer-Papa in Death Wish – wobei letzterer ein Thriller, und Aftermath ein Drama ist. Und zwar eines, in welchem der Terminator zum Menschen wird, mit all seinen fatalen Irrungen.

Aftermath

Dolmetscher

OPFER, TÄTER UND IRGENDWAS DAZWISCHEN

5/10

 

dolmetscher© Barbora Jancárová/Titanic, InFilm, coop99

 

LAND: ÖSTERREICH, TSCHECHIEN, SLOWAKEI 2018

REGIE: MARTIN ŠULÍK

MIT JIRÍ MENZEL, PETER SIMONISCHEK, ZUZANA MAURÉRY, ATTILA MOKOS U. A.

 

Irgendwann passiert es einfach. Und es lässt sich nicht verhindern. Die Opfer von früher treffen auf jene, die ihnen Böses wollten. Sind Opfer oder Täter von früher irgendwann nicht mehr, bleiben die Nachkommen. Doch auch als Filius eines Mörders ist ein solcher immer irgendwie noch jemand, der Schuld auf sich geladen haben muss. Und weiß man seine Eltern gemeuchelt im Massengrab unter der Erde liegend, prangt Opfer auf der Stirn des alten Waisen, der als Dolmetscher außer Dienst den Wohnsitz eben jenes Kriegsverbrechers heimzusuchen gedenkt, der das Leben von Mutter und Vater auf dem Gewissen hat. Der tschechische Filmemacher und Schauspieler JirÍ Menzel spielt diesen alten Herrn im Columbo-Gedächtnismantel und mit einem Profil, das frappant an Gunther Philipp zu seinen späten Kalauerzeiten erinnert, einzig die Ohrläppchen sind etwas kleiner. Da steht er also im Stiegenhaus eines Wiener Altbaus und läutet den völlig zerknitterten Georg Grabner aus dem vormittaglichen Müßiggang. Das hat erstmal nicht wirklich den gewünschten Effekt, den sich der alte Ali Ungar ausgemalt hätte, mit Schießeisen in der Manteltasche und den Memoiren von Papa Grabner im Koffer. Doch kommt Zeit, kommt Erkenntnis – und irgendwie finden sich die beiden plötzlich als Vertreter ihrer Past Generation im Auto wieder – quer durch die Slowakei, auf den Spuren politisch angeordneter Schwerverbrechen, auf aufklärerischen Pfaden, und auf der Suche nach dem Grab der Eltern – oder so ähnlich.

Denn irgendwie verzetteln sich die beiden. Gut, sie sind nicht mehr die Jüngsten, sie sollten sich ruhig Zeit nehmen. Kauzige Roadmovies mit ernstem Hintergrund haben schon Potenzial. Aber das heißt leider nicht, dass sich Regisseur Martin Šulík ebenfalls verzetteln muss. Dolmetscher ist sowohl die Geschichte einer Freundschaft, aber auch ein Gräuel-Dokument mit dem Holzhammer. Dieses Aussöhnen der Nachkommen, dieses Abklären der nachhaltigen Verantwortung und der Sippenhaft – diese Thematik findet sich auch in Chris Kraus´ schräger, ganz anders aufbereiteten Dramödie Die Blumen von gestern wieder. Da wurden sogar Enkelin und Enkel nicht mit ihrer Familiengeschichte fertig. Den Kraftakt muss Dolmetscher auch nicht auf knapp zwei Stunden hinbiegen, das ist etwas, das wohl niemals wieder richtig gut wird.

Die Annäherung von Täterkind Peter Simonischek an den völlig spaßbefreiten Ungar sind die besten Szenen des Filmes. Dieses Miteinander hätte schon Substanz genug gehabt, aus der ganzen nachhallenden Spurensuche ein streitbares Roadmovie durch ein so nahes und doch so unbekanntes Land zu skizzieren. Die von mir sehr geschätzte Burgtheaterlegende in Silbergrau hat noch immer ein bisschen den Toni Erdmann in den Knochen, kann aber auch sein, dass der Mann in diesem Film sehr oft einfach er selbst ist. Das macht ihn sympathisch, brummig und zugänglich – aber erinnert auch an einen Moderator aus einer Gedenktag-Doku. Menzel gibt mit seiner wandelnden, unfreiwillig schrulligen Tristesse in Beige da ordentlich kontra. Doch das und die nebelverhangenen Herbstlandschaften der Ostslowakei ziehen an einem Film vorbei, der eigentlich nur das Grauen der Nazizeit in der Slowakei aufarbeiten will. Das geht schwer zusammen, dafür ist auch zu wenig Platz in dieser Geschichte. Wenn in wenigen Momenten tatsächliche Zeugen auf alten Filmaufnahmen zu Wort kommen, dann ist das Aufarbeitung im Schnellverfahren – so viele schreckliche Details wie möglich in wenigen Minuten. Das kommt ein paar Mal vor. Und ist dann doch erzwungen reißerisch. Wenngleich der Versuch, der NS-Geschichte in den Tälern der Tatra Gehör zu verschaffen, von Regisseur Šulík durchaus ehrenhaft ist.

Dolmetscher weiß nicht, wie es mit all den Ansprüchen umgehen soll. Tragikomisch oder nur tragisch? Augenzwinkernd oder in trauernder Apathie? Neuanfang oder Nicht vergessen können? Natürlich darf Film Widersprüche vereinen, doch hier findet sich nicht mal Peter Simonischek ganz zurecht, den eigentlich mehr die Bilder von damals bewegen als alles andere. Im Grunde aber ist das Ganze ein unausgewogenes Drama, teils semidokumentarisch, teils das Reisevideo zweier Pensionisten, die unterschiedlicher nicht sein können. Zu wenig geht hier voran, zu viel will erledigt werden. Am Ende hat Martin Šulík sogar noch einen Story-Twist parat, der dann aber tatsächlich funktioniert, und die Figuren von Heute näher ans Ziel ihrer Bestimmung führt.

Dolmetscher

Forsaken

DIE WOHLTAT DER VERGELTUNG

5,5/10

 

forsaken@ 2017 Universal Pictures / „Forsaken“ auf Blu-ray & DVD erschienen

 

LAND: USA 2016

REGIE: JON CASSAR

MIT DONALD SUTHERLAND, KIEFER SUTHERLAND, DEMI MOORE U. A. 

 

Wir alle kennen unsere geliebten Vierbeiner. Ob Zimmerwolf oder Stubentiger, wenn wir unsere Lieblinge an den Pfoten nehmen, an ihrem Fell zupfen oder am Schwanz ziehen – dann beißen sie. Das kann auch die kleine Rennmaus sein, der Biss eines Nagers ist ziemlich schmerzhaft. Bis aufs Blut ärgern ist aber nicht nur bei Tieren ein Zeitvertreib mit unbequemen Folgen – auch bei Menschen, und vor allem im Wilden Westen, kann das mitunter tödliche Folgen haben. Vor allem, wenn man einen Revolverhelden ausgiebig triezt. Diesen Revolverhelden, den gibt im klassischen Western Forsaken Kiefer Sutherland. Als traumatisierter Scharfschütze – anfangs weiß keiner, warum – kehrt dieser an den Ort seiner Kindheit zurück. Nur der alte Vater ist noch da. Und mit dieser ersten Begegnung von Vater und Sohn kommen wir auch schon zu der einzigen Besonderheit dieses Filmes – nämlich dass Papa Donald und Sohn Kiefer gemeinsam vor der Kamera stehen. Und die Blutsverwandtschaft gar nicht erst spielen müssen. Um hier den familiären Subtext hervorzuholen, bedarf es keines Method Acting. Der ist einfach da. Fällt aber auch nicht deutlicher ins Gewicht als bei Schauspielern, die das innige Verhältnis einer Kernfamilie erst aus dem Hut zaubern müssen.

Dass Donald Sutherland irgendwann vor einigen Jahren damit aufgehört hat, zu altern, ist alleine schon verblüffend. Und wahrscheinlich seinem Rauschebart geschuldet. Hingegen hat Kiefer Sutherland einiges an Charisma verloren. Die vielen Ausflüge ins Fernsehfach haben den ehemaligen Lost Boys– und Flatliners-Star deutlich routinierter werden lassen. Ein Clint Eastwood ist der 51jährige demnach keiner, und auch relativ weit davon entfernt. Das lässt sich über Demi Moore als Kiefers weiblicher Sidekick ähnlich formulieren. Beide spielen in einem Film, von dem sie wissen, dass es dieser wohl niemals auf die große Leinwand schaffen wird. Dabei hat Forsaken auch nicht weniger zu bieten als rund 90 Prozent aller anderen Produktionen aus dem Cowboy-Genre. Überhaupt dürfen die Plots in Western sich meistens ungestraft einspuriger Handlungen bedienen, die so simpel gestrickt sind, dass man sich anderswo wahrscheinlich provoziert unterfordert fühlen würde. Beim Western ist das nicht so. Das liegt wohl daran, dass wir es mit dem Heimatfilm der Amis zu tun haben. In unseren Breiten, beim österreichischen Bergfilm, sind die Parameter für einen Heimatfilm auch nicht anders gesetzt. Liebe, Eifersucht und Vergeltung. Von mir aus noch Schuld und Sühne. Jedenfalls meist tragisch. Mit keinem oder nur knappem Happy End.

Forsaken nimmt sich hier nicht aus und ist schon so einfallslos traditionell, dass es fast schon wieder nostalgisch wird. Dabei skizziert das konventionelle Rache- und Befreiungsdrama zwischen all den gängigen Shootout- und Vergeltungsklischees das Psychogramm eines von Schuldgefühlen Beladenen, der nach Absolution sucht. So gesehen sollte der Film statt Forsaken – auf dt. Verlassen – viel eher Absolution – Tilgung der Schuld – betitelt werden. Der Fokus wäre von vornherein stärker auf die psychologischen Details gerichtet, was den Schema-F-Western nicht ganz so bieder hätte aussehen lassen.

Forsaken