Midsommar (2019)

DIE BLUMEN DES BÖSEN

9/10


© 2019 A24


LAND / JAHR: USA, SCHWEDEN 2019

REGIE / DREHBUCH: ARI ASTER

CAST: FLORENCE PUGH, JACK REYNOR, WILL POULTER, WILLIAM JACKSON HARPER, VILHELM BLOMGREN, LIV MJÖNES, BJÖRN ANDRÉSEN, ANNA ÅSTRÖM, LOUISE PETERHOFF, HENRIK NORLÉN, HAMPUS HALLBERG, ISABELLE GRILL U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Sommer, Sonne, Sonnenschein. Welch ein Graus. Viel zu heiß, viel zu trocken, viel zu viele Leute unterwegs, die alle den Drang verspüren, hinaus zu müssen. Diese strahlend helle Jahreszeit, in der es nie wirklich dunkel wird und der fetzblaue Himmel langweiliger nicht sein kann, sind mir die unliebsten Monate im ganzen Jahr, das muss hier an dieser Stelle und bei keinem anderen Film endlich mal gesagt werden. Dieser Sommer wird sich bis in den September oder gar Oktober hineinhängen, es ist schlichtweg gruselig. Ganz so, wie Ari Aster es gerne hat.

Ich muss zugeben, mit dem Umstand des Gruselns ist man bei Midsommar schon ziemlich früh durch. Was danach folgt, ist ein unbequemer, beklemmender Gesamtzustand, der wie in den Werken von David Lynch nur schwer zu beschreiben ist. Aster dürfte wie nur wenige Horrorfilmer höchst sensitive Antennen dafür haben, um genau zu erkennen, was genau einen Alptraum ausmacht. Es sind nicht Monster, es ist nicht Blut, keine Gedärme oder ratternde Motorsägen. Es sind keine Gespenster und Dämonen, die aus dunklen Fluren daher gekrochen kommen. Das ist es alles nicht. Lynch hat es begriffen, Aster ebenso: Irgendetwas, nur keiner weiß was genau, ist faul an dieser erschaffenen Realität. Irgendwo gibt es eine Bedrohung, etwas unaussprechlich Grausames, es ist in diesem Film irgendwo inhärent, unsichtbar, unterschwellig. Dieser wunderbare und von fast allen geliebte schweißtreibende und dehydrierende Sommer, dieses Paradies aus Blumen, Bäumen, saftigen Wiesen und weißen Gewändern, ist lediglich die Kehrseite einer Dunkelheit, die über den Zuseher herfällt wie ein schleichender Sonnenbrand trotz Schutzfaktor 50. Diese destruktive Einstrahlung in Midsommar ist aber nicht Teil des Wetters, sondern einer isoliert lebenden Kommune, einer radikalen, sektiererischen Gemeinschaft, die archaische Bräuche hochhält und mit der fundamentalen Folklore eines Landes verstörende Methoden zur Preisung einer mythisch aufgeladenen Sonnwende rechtfertigt.

Dieser fremden, mit dem Irrsinn frohlockende Welt darf Florence Pugh beitreten, gemeinsam mit ihrem Freund Jack Reynor, der wiederum wen kennt, der wen kennt, der als Mitglied in diesem sommerhellen Reigen Leute von außerhalb, am besten Ferntouristen, ins schwedische Nirgendwo mitnimmt. Auch, um Dani, so Pughs Figur, von ihrer Trauer abzulenken, die ihre psychisch kranke Schwester in einem erweiterten Suizid verursacht hat. Wir sehen diese erschreckende Tragödie als tief verschneiten Epilog, wir sehen hier diese Dunkelheit, die wir später zu vermissen glauben, doch sie ist da, sie tarnt sich nur, und zwar so geschickt, dass sich niemand ihr entziehen kann. Und so gerät die nichtsahnenden Truppe, genauso wie wir Zuseher, völlig unbedarft und unvorbereitet in einen ausweglosen Zustand, der so seltsam, schockierend und so sehr kaum zu glauben ist, dass alle, die nicht wissen, was als nächstes kommt – und das weiß man nie – mehrmals das Gesehene durchdenken müssen, um es als wahr zu begreifen. Dabei setzt Aster seine verstörenden Schocks so perfide ein, dass sie stets in Wechselwirkung mit dem zauberhaft Schönen stehen, mit einer Welt aus bunten Blüten, fröhlichen Gesängen und gleißendem Licht. Die Sogwirkung ist exzellent, an Midsommar bleibt man hängen wie an einer Naturkatastrophe oder einem durch Menschen verursachten Unfall, an schlechten Nachrichten und plötzlichen Toden. Man kann nicht wegsehen, man fühlt sich bezirzt und man kann sich nicht wehren. Was schließlich noch schlimmer ist als jede Höllenfahrt ist das falsche Gute, das verdorbene Schöne, das wie so manch dralle, saftige Beere oder der rot glänzende Apfel in Schneewittchen andere verlockt, davon zu kosten.

Asters Midsommar geht mit dem Alptraumhaften auf eine Weise um, das kann sonst niemand. Zumindest entzieht sich mir Vergleichbares. Sein Werk hebt das Genre auf ein kunstfertiges Arthouse-Level – ähnlichen Filmen wie The Other Lamb gelingt das nicht, obwohl sie gerne hätten, es wäre so. Die Pracht in Midsommar ist betörend, das Böse irritierend, eine heile Welt niemals existent. Asters Meisterwerk hallt lange nach und ist nicht minder so komplex und andersartig wie Shining oder Mulholland Drive. Während die letzten beiden Filme aber die Dimensionen umkrempeln, holt sich Midsommar seinen Schrecken aus nur dieser einen, unseren Dimension, in der selbst nur wenige Worte, Gesten und pervertiere Konnotationen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Für einen heißen Sommer ist das Abkühlung genug.

Midsommar (2019)

Warfare (2025)

WORKFLOW EINES GEFECHTS

6,5/10


© 2025 Leonine Pictures


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: ALEX GARLAND, RAY MENDOZA

CAST: D’PHARAOH WOON-A-TAI, COSMO JARVIS, WILL POULTER, JOSEPH QUINN, AARON MACKENZIE, NOAH CENTINEO, KIT CONNOR, FINN BENNETT,  CHARLES MELTON, HENRY ZAGA, TAYLOR JOHN SMITH, MICHAEL GANDOLFINI U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Über die Sinnlosigkeit des Krieges denkt Warfare nicht gerade nach. Über dessen Existenz als notwendiges Übel wohl schon eher. Krieg ist seit Menschengedenken, und das, noch bevor Homo sapiens sesshaft wurde, ein Symptom unserer Entwicklung, die Art der Austragung von Konflikten, für die es kein Einvernehmen gibt. So muss die Zivilisation damit leben, immer und gefühlt überall gut gerüstet zu sein, immer und überall genug Personal zu haben, dass sich um die martialische Drecksarbeit kümmert, als wäre der Krieg und seine Austragung so systemrelevant wie medizinische Versorgung, die Verfügbarkeit von Lebensmittel oder die Müllabfuhr. In Warfare wird der Krieg von allem nur denkbaren Pathos entrümpelt, durchgespült, reingewaschen und als Beispiel intensiver Arbeitsleistung zum Workflow für ausgebildete Hardliner, die als Navy Seals die besonders delikaten Missionen einheimsen, um dem militärischen Fußvolk mit Expertise, Know-how und Nerven wie Drahtseilen zur Verfügung zu stehen.

Und so sammeln sich in einer Nacht des Jahres 2006 sechs Spezialisten in den nachtschlafenden Straßen einer irakischen Stadt, um, unbemerkt von Jihadisten, in einem zweigeschossigen Einfamilienhaus Stellung zu beziehen und die umliegende Gegend im Auge zu behalten. Sollte sich aus dem Verhalten der Bevölkerung eine verdächtige Dynamik entwickeln, wird Alarm geschlagen. Womit wir zu Beginn des Films, ganz so wie schon seinerzeit im etwas anderen Kriegsfilm Jarhead – Willkommen im Dreck darüber aufgeklärt werden, dass Kriegsführung nicht immer nur aus Shootouts, wirbelnden Granaten oder Explosionen besteht, sondern vorrangig aus Warten, Beobachten und nochmal Warten. Die Anspannung ist spürbar, und das in jeder Szene. Am Scharfschützengewehr kauert, wie die Prinzessin auf der Erbse, Shogun-Star Cosmo Jarvis und linst durchs Okular. Woanders kauert der Funker und hält den Kontakt zu nächstgelegenen Einheiten aufrecht. Im unteren Stockwerk müssen zwei einheimische Rekruten Stellung halten, doch anscheinend verstehen sie ihren Auftrag nicht so ganz. Im Schlafzimmer üben sich die Hausbewohner, eine fünfköpfige Familie, in angststarrer Geduld. Im Laufe des Tages dämmert bald, dass die Jihadisten längst von diesem halben Dutzend Amerikanern wissen. Die Anzeichen eines bevorstehenden Angriffs häufen sich – bis die erste Granate durchs Fenster fliegt. Die Ruhe vor dem Sturm weicht einer losbrechenden, staubgeschwängerten, chaotischen Hölle, in welcher Will Poulter mit all seinem Verstand versucht, das Prozedere für den Fall eines Angriffs ordnungsgemäß durchzuziehen. Was die nächsten Stunden abläuft, ist das Worst Case Szenario eines entsetzlich anstrengenden Jobs mit Todesgefahr. Und alle geben ihr Bestes, nicht aus der Rolle zu fallen.

Im Grunde heißt das: Warfare ist weder ein Antikriegsfilm noch ein Propagandafilm, er ist weder kriegsverherrlichend noch den Krieg verurteilend. Für das notwendige Übel muss es Männer geben, und die sind im Einsatz. Dass Ray Mendoza oder Alex Garland, die sowohl das Skript verfasst als auch Regie geführt haben, jemals darüber nachgedacht haben, ob die Anstrengungen, die hier ablaufen, wirklich Sinn haben, kann man getrost verneinen. Diese sechs Seals tun ihre Pflicht, es ist der Call of Duty, und genauso funktioniert Warfare: Gnadenlos akkurat, schmucklos, unpathetisch und ohne auch nur ansatzweise einer Metaebene, auf welcher gesellschaftsphilosophische Betrachtungen zu finden wären. Weit entfernt von Apocalypse Now, 1917 oder Der Schmale Grat ist Warfare reinster Purismus, fast semidokumentarisch und daher auch nicht ernsthaft daran interessiert, die Handvoll Soldaten charakterlich zu erfassen. Psychologische Betrachtungen begnügen sich mit Symptomen oder weichen gar ganz einem physischen Body-Horror, den ein Gefecht wie dieses wohl mit sich bringt. Zerrissene Leiber, abgetrennte Gliedmaßen, zertrümmerte Beine. Jene, die noch atmen können, schreien sich die Seele aus dem Leib vor Schmerz. All das in geradezu nüchterner Betrachtung, als eine Art Studie.

Warfare, so wird beworben, soll eine der realistischsten Kriegsfilme aller Zeiten sein. Ich selbst war weder beim Militär noch im Krieg also kann ich es nicht beurteilen. Was auffällt, ist der Ehrgeiz, ein tatsächliches Kriegserlebnis (die Personen sind nicht frei erfunden) penibel zu rekonstruieren, ohne dabei den kleinsten Logikfehler zu begehen oder gar menschliches Verhalten unplausibel darzustellen. Warfare ist daher astrein, objektiv und konzentriert, eineinhalb Stunden immersives Instant-Kriegserlebnis, dass aber lediglich nur das ist, was es sein soll. Ohne Mehrwert, ohne Mitgefühl, und stets aus dramaturgischer Distanz – obwohl das dreck- und erdverkrustete Konterfei von Cosmo Jarvis die Leinwand füllt.

Warfare (2025)

Guardians of the Galaxy Vol. 3

DER WASCHBÄR HAT FAMILIE

7/10


GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 3© 2023 Marvel


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE: JAMES GUNN

CAST: CHRIS PRATT, ZOE SALDANA, DAVE BAUTISTA, BRADLEY COOPER, VIN DIESEL, KAREN GILLAN, POM KLEMENTIEFF, SEAN GUNN, WILL POULTER, CHUKWUDI IWUJI, ELIZABETH DEBICKI, SYLVESTER STALLONE, NATHAN FILLION U. A. 

LÄNGE: 2 STD 30 MIN


Ooga-Chaka Ooga ooga Ooga-Chaka. Mit Blue Swedes unverkennbarem One-Hit-Wonder Hooked on a Feeling wurden wir Marvel-affine Kinogeher erstmals mit den Guardians of the Galaxy bekanntgemacht. Im Teaser-Trailer zum Kick-Off der illustren Bande kombinierte James Gunn zeitlose Musikgeschichte mit dem multikulturellen Charme von Star Wars und allen anderen Trittbrettfahrer-Produktionen der Achtziger: Eine neue Gang war geboren, die Underdogs des Weltenraums, ein bisschen Lone Star mit seinem Waldi, aber nicht so infantil. Dafür mit zeitgemäßem Leck mich-Humor ausgestattet, den eben nur einer wie James Gunn seinen Antihelden genussvoll in den Mund legen konnte.

Der Form- und Farbenreichtum eines Marvel Cinematic Universe weit jenseits der seriösen Agentenfilm-Analogien rund um Captain America geht nun in die dritte und letzte Runde. Schön wars, könnte man sagen – ein Vergnügen oder gar ein Volksfest. Wenn Groot alle lieb hat, Waschbär Rocket (der kein Waschbär sein will) auf dessen Schultern in die Runde ballert oder die schwarzäugige Mantis ihrem Busenfreund Drax wieder mal die Welt erklären muss, da dieser alles wörtlich nimmt – wenn dieser Haufen von Zufallsbekanntschaften, die nicht mehr auseinandergehen, alles retten wollen, was es zu retten gibt, dann fühlt man sich sauwohl. Diese schrägen Vögel, die manches gut können und anderes wiederum nicht – die dazu stehen, wie sie sind: die haben unser Verständnis. Diese Sympathie mit improvisationstüchtigen Außenseitern gestand James Gunn schon bei Super – Shut up Crime! – einer blutig-witzigen Underground-Komödie über Superhelden aus der dritten Reihe. Anders als in seinem Suicide Squad-Hammer rund um Idris Elba als Bloodsport sind die Guardians aber wirklich einander wichtig. Und sie halten zusammen.

So angenehm synergetisch fühlt sich eben auch Guardians of the Galaxy Vol. 3 an. Obwohl wieder mal der ganze Haken an der Sache ein Narrativ darstellt, dass seine erstarkten Antagonisten nur grob skizziert. In diesem Fall ist es ein gewisser High Evolutionary, ein wirklich nervtötender Besserwisser, der die ideale Gesellschaft kreieren will. Dazu gehört, im Rahmen seiner Agenda, die rasche Evolution von Tieren zu humanoiden Individuen. Das war vor einiger Zeit, als ein kleiner Waschbär im Labor des eifrigen Fieslings für allerhand Experimente missbraucht worden war. Was aus diesem kleinen Räuber geworden ist, wissen wir: Rocket. Jetzt aber will dieser High Evolutionary sein „Eigentum“ zurück – keine Ahnung, was ihn da nach so langer Zeit auf die Idee gebracht hat, jetzt plötzlich aktiv zu werden. Aber es ist nun mal so. Und Adam Warlock, ein güldener Sovereign (siehe Guardians of the Galaxy Vol. 2), gelingt es fast, des kleinen Sonderlings habhaft zu werden. Mit bitteren Folgen. Rocket liegt im Sterben, und die Guardians müssen nun tun, was getan werden muss, um den felligen Freund zu retten.

Wie in allen anderen Episoden auch geht’s diesmal ganz viel um Familie, Vergangenheit und dem Aufräumen nachhängender Traumata. Das ist die inhaltliche Stärke dieser Filmreihe – die Zeichnung der Charaktere, ihr Hadern und Reflektieren von dem, was sie tun. Ihr musketierisches Aufopfern für den anderen. Ja, sogar Nebula (herrlich schnoddrig: Karen Gillan) wird plötzlich nächstenliebend. Hinzu kommt ein Set-Design, dass wirklich den Atem raubt. Wenn unsere Helden in pastellbunten Raumanzügen über eine biotechnische Raumstation hopsen, ist das herrliches Retro-Kino im Stile von Mondbasis Alpha Eins. Dann wieder rührt Rockets Schicksal wie eine düstere Erwachsenenepisode aus Winnie Poohs Welt fast schon zu Tränen. Vermischt mit einem Artenreichtum, den nur Star Wars kennt, und ausgefeilter Situationskomik entsteht so ein kaum gehetztes Abenteuer, dass die bisherige Guardians-Storyline stilistisch souverän fortsetzt, mittlerweile aber eine gewisse Routine erkennen lässt. Dazu gehört auch, Peter Quills Awesome Mix nochmal neu aufzulegen. Und ja – es fetzt.

Der große Wurf ist diese finale Episode aber nicht, das große, packende Aha-Erlebnis noch weniger. Es ist, als wäre Gunn mit diesen Helden so ziemlich fertig. Als hätte er noch auserzählt, was er an Notizen dazu noch hatte. Geschmeidig ist das allemal, und ja, diese paar grundverschiedenen Typen sind zumindest mir ein bisschen ans Herz gewachsen. Guardians of the Galaxy Vol. 3 ist also wieder so ein Fall, bei dem man gerne gehabt hätte, dass sich die Dinge nicht ändern. Das alles so bleibt wie es ist. Und Yondu, mein absoluter Favourite, aus irgendeinem Grund doch noch zurückkehrt.

Guardians of the Galaxy Vol. 3

The Little Stranger

MEIN HAUS IST DEIN HAUS

3/10


the-little-stranger© 2018 Nicolas Dove


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH 2018

REGIE: LENNY ABRAHAMSON

CAST: DOMNHALL GLEESON, RUTH WILSON, CHARLOTTE RAMPLING, WILL POULTER U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Spukhäuser gibt es genug auf dieser Welt. Sei es in Freizeitparks, in der Literatur oder eben im Medium der bewegten Bilder. Von Bis das Blut gefriert (neuerdings als Hill Hose auf Netflix) über Das Haus auf dem Geisterhügel bis zu Poltergeist. In manchen spukt es einmal mehr, dann wieder einmal weniger. Zum Glück entsprechen diese Häuser mit ihrer teils baufälligen Substanz nicht zwingend dem Energieaufgebot ihrer Filme, in denen sie zum Schauplatz werden. Mit wenigen Ausnahmen. Eine davon ist The Little Stranger, nach einem Roman der britischen Schriftstellerin Sarah Waters. Keine Ahnung, wie sich das Buch so anlässt, womöglich liest es sich so wie einer der Schauerromane von Daphne du Maurier. Die Verfilmung jedenfalls ist so angestaubt, morsch und sperrig wie die knarrenden Treppen und rostigen Türangeln in jenem Herrenhaus, mit dem wir es folglich zu tun haben werden.

Dieser Wohnsitz – Hundreds Hall – scheint von einem Fluch befallen. Die Familie Ayres, bestehend aus der von Charlotte Rampling verkörperten Mutter und ihren beiden erwachsenen Kindern, dämmert in seltsamer Phlegmatik vor sich hin. Da erkrankt das Hausmädchen – und der nicht weniger phlegmatische Hausarzt Dr. Faraday wird an ihr Bett gerufen. Dieser wiederum wuchs einst in diesem Anwesen auf, da dessen Mutter selbst Bedienstete bei den Ayres gewesen war. Irgendwie, so scheint es, hegt Faraday eine gewisse Sehnsucht, was dieses Haus betrifft. Ein nie wirklich gewordener Wunschtraum, einmal darin zu wohnen.

Klingt nach einer Story? Mitnichten. Ach ja, bevor ich‘s vergesse – seltsame Vorkommnisse erregen spät, aber dann doch noch, die Aufmerksamkeit des Ensembles. Bis dahin blühen dem Zuseher knochentrockene und schläfrige Minuten des Wartens, bis endlich auch nur irgend etwas geschieht. Vermarktet wurde The Little Stranger tatsächlich als Horrorfilm, doch selbst als Vintage-Grusler eignet sich das schale Werk nur begrenzt. Dumm nur, dass der Fokus auf der Figur des Dr. Faraday liegt, der von Domnhall Gleeson in einer ferngesteuerten Mischung aus stocksteifen Aristokraten und hölzernen Langeweiler angelegt wird. Mag schon sein, dass ihm solche Charakterbilder gut zu Gesicht stehen, doch verliert man an diesem Gehabe sehr schnell das Interesse.

Für eine gewisse Verblüffung sorgt dennoch die Tatsache, dass hinter dieser kraftlosen Verfilmung eines Mysterydramas voller Andeutungen und vagen Vermutungen ein Regisseur namens Lenny Abrahamson steckt. Der konnte sich zwei Jahre zuvor für das packende Missbrauchsdrama Raum rühmen lassen – Brie Larson gewann dafür den Oscar. Was danach geschah, oder wohin ihn sein Können letztlich geführt hat, bleibt genauso rätselhaft wie das seltsame Ende des Films, das auf redeschwere und handlungsarme Hausbesuche zurückblickt.

The Little Stranger

Detroit

DIE BLAULICHT-INQUISITION

8/10

 

detroit© 2017 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: KATHRYN BIGELOW

MIT WILL POULTER, JOHN BOYEGA, ANTHONY MACKIE, JOHN MITCHELL, JACK REYNOR U. A.

 

Rauchende Trümmer, brennende Autos, geplünderte Läden. In den Straßen Schusswechsel, marodierende Zivilisten. Klirrendes Glas, Schreie. Und Panzer, die alles niederwalzen. Obenauf das Militär mit schussbereiten MPs im Anschlag, Das klingt jetzt sehr nach Syrien. Oder Kabul. Alltagsszenen aus irgendeiner ausgebombten Stadt im nahen Osten oder am Fuße des Hindukusch. In Wahrheit aber sind es Szenen, die im zivilisierten Westen stattgefunden haben. Und zwar in Detroit, im Sommer des Jahres 1967. Schwarze Minderheiten gegen die Exekutive, ausgelöst durch eine Razzia. Die Unruhen sind als 12th Street riot in die Stadtgeschichte eingegangen. Mit pöbelnden Augenzeugen, die die Verhaftungen verfolgt und Machtwillkür ausgemacht haben wollen, nimmt der Wahnsinn seinen Anfang. Wie ein Virus greifen die empörten Stimmen einzelner auf ein ganzes Stadtviertel über. Anarchie hat nun das Sagen. Zustände der Gesetzlosigkeit, Krieg im Kleinen. Gewaltbereite Demonstrationen, ausgefochten mit schwerem Kaliber. Zwischen all dem Chaos eine Soul-Band, die ihrem ersten großen Auftritt entgegenfiebert. Ein Wachtmeister in einem Supermarkt. Ein Polizist, der schneller schießt als sein Schatten. Zwei weiße Mädchen, die gerne mit Farbigen herumhängen. Und alles bis auf den Polizisten trifft sich im Algiers Motel. Aus dem provokanten Spiel mit einer Schreckschusspistole wird sehr schnell ernst. Was folgt, ist eine erschütternde True Story, eine Chronik zermürbender Ereignisse, die als Algiers Motel Incident bekannt ist – eine als Amtshandlung getarnte Geiselnahme, die wie ein Fegefeuer um sich greifen wird.

Kathryn Bigelow, Expertin für knallharte Filmstoffe und ausgewachsenes Politkino an den Fronten, hat einen derart intensiven Thriller gedreht, als wäre der Teufel hinter ihr her, in Gestalt vandalisierender Gangs oder sadistischer Machtapparate. Bigelow ist mittendrin, im Schmelzpunkt dieser Katastrophe und zieht all jene Zuschauer mit hinein in diesen Malstrom aus Hass, Angst und Ohnmacht, denen schon nach den ersten zwanzig Minuten urbanen Kriegskinos irgendwie anders wird. Aufgefächert in mehreren zeitgleichen Epilogen, geraten all die Einzelschicksale im Algiers Motel in den Würgegriff einer rassistischen, bis zur Weißglut gereizten Polizei. Das Kernstück der brillant nachgestellten und dokumentierten Unruhen ist ein atemlos spannendes Kammerspiel mit Schauspielern, die alles geben. Einer Kamera, die den Schmerz in den Gesichtern der Gepeinigten und den Schweiß auf den Stirnen manischer Polizisten einfängt. Und einer Regie, die ihrer Filmcrew keine Verschnaufpause schenkt. Kann sein, dass Bigelow alles in einem durch gedreht hat – wie im deutschen Film Noir-Drama Victoria, dessen Regie sogar auf Filmschnitte verzichtet hat. Detroit hat die natürlich schon, das wäre dramaturgisch wohl schwierig gewesen, switcht der Schauplatz im Motel stets von einem Zimmer ins andere. Doch nur so, im Verzicht auf Pausen zwischen den Drehs, kann die stetige Eskalation der Ereignisse in seiner Intensität auch empfunden werden. Fast nicht zu glauben, dass das ganze Drama mit einem Knalleffekt begonnen hat. Einer tönenden Pistolensalve, die keine war. Die aber eine Aggression und einen Hass entfacht, der einer zerstörerischen Eigendynamik vorangeht und ein wundes, blutendes Mit- und Gegeneinander freilegt, dass die Vernunft des Menschen um Jahrhunderte zurückwirft.

Will Poulter, bislang eher aus Nebenrollen bekannt, spielt nicht nur das eher kleinlaute Sicherheitsorgan John Boyega an die Wand – alle anderen auch. Der egomanische Großstadtcowboy wird zum gnadenlosen Home Invasion-Inquisitor und presst in zynischer Großkotzigkeit das letzte bisschen Selbstachtung aus seinen Verdächtigen heraus. Der junge Mann hat dafür nicht mal eine Oscarnominierung kassiert (genauso wenig wie der Film selbst, dessen Regie und die virtuose Kamera), zählt aber für mich zu den besten ungeliebten Charaktere der letzten Zeit. Vor allem, weil er in seiner ganzen erschreckenden Figur dessen Handeln nachvollziehbar werden lässt. Ihn nicht verteufelt, sondern mitunter Opfer einer völlig aus dem Ruder laufenden Hetze werden lässt. Und hat man das packende Drama des perfiden Verhörs mal verdaut, oder ist gerade dabei, dessen grimmige Faszination zu verarbeiten, findet sich der Film vor Gericht wieder. Wie der Richterspruch lautet, und wer hier wen freigesprochen oder verurteilt hat, lässt sich zwar leicht nachlesen –wird aber hier natürlich nicht verraten.

Das Bild, das sich der Zuschauer von diesen schicksalhaften Ereignissen machen kann, ist verpackt in einem meisterlichen Gefecht zwischen Masse und Macht, Befreiung und Unterdrückung, Willkür und Panik. Kathryn Bigelow hat ihr bestes Werk abgeliefert – danken darf sie ihrem Ensemble, den genauen Recherchen, die dem Drama zugrunde liegen – und natürlich ihrem Talent, Newsbreak-Schlagzeilen in aussagekräftiges Reality-Kino aus Worten, Taten und hitzigen Bildern zu verwandeln.

Detroit