DogMan (2023)

MIT HUNDEN EWIG LEBEN

7/10


Dogman_Besson© 2023 capelight pictures


LAND / JAHR: FRANKREICH 2023

REGIE / DREHBUCH: LUC BESSON

CAST: CALEB LANDRY JONES, JOJO T. GIBBS, GRACE PALMA, CLEMENS SCHICK, CHRISTOPHER DENHAM, LINCOLN POWELL, ALEXANDER SETTINERI, MICHAEL GARZA, JOHN CHARLES AGUILAR, MARISA BERENSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Aus den streitbaren jungen Models, rekrutiert aus prekären Verhältnissen, die allesamt entweder eine Ausbildung zur reuelosen Superkillerin oder ein Bad im Drogencocktail genossen haben, ist nun jemand ganz anderer geworden. Eine Art Joker, ein Arthur Fleck jenseits des DC-Universums, in welchem es kein Gotham und keinen Batman gibt, aber Gestalten, die in den Filmen von Luc Besson liebend gerne vorkommen. Betrachtet man sie genauer, so sind diese Subjekte bis fast zur Parodie überzeichnete Schurken und Missetäter, die an den Fuchs und den Kater aus Collodis Pinocchio erinnern. Auch sie hätten ihren Platz in einem Comic-Universum, in einem von Besson eigens errichteten, in dem auch Nikita, Lucy, Anna und Angel-a ihren Frauen stehen. Dieser Arthur Fleck, misshandelt, verstoßen, gequält und alleingelassen, könnte zum Ober-Antagonisten einer ganzen Welt werden. Die Schminke im Gesicht hat er schon, doch so einsam wie Joaquin Phoenix in seiner nachhaltig wirkenden Oscar-Rolle ist Douglas Munrow allerdings nicht. Vielleicht hält ihn gerade dieser Umstand davon ab, sich der Wandlung zum Bösewicht hinzugeben und das Volk zur Revolution anzustacheln. Munrow umgeben treuherzige, hechelnde Vierbeiner aller Rassen – ob groß, ob klein, ob zottelig oder mit Kurzhaar: Als DogMan trägt dieser Lebenskünstler seinen Namen zu Recht. Als Kind von seinem gewalttätigen Vater (Clemens Schick mit Brutalo-Schnauzer) in einen Käfig voller ausgehungerter Kampfhunde gesperrt, wird dieser noch zu allem Überfluss von seinem Erzeuger in den Rollstuhl geschossen, als sich die Lage dramatisch zuspitzt.

Mit Stützhilfen an den Beinen und einer unbändigen Liebe zu den Tieren, die ihm in seiner Zeit der Entbehrung zur Seite standen, schleppt sich Munrow durch ein enttäuschendes Leben, bevölkert mit Menschen, die ihm die kalte Schulter zeigen. Dennoch gibt’s wenige Ausnahmen, so zum Beispiel die Schauspielerin Salma, für die der noch junge Douglas romantische Gefühle hegt. Sie schenkt ihm auch den nötigen Willen, nicht unterzugehen in einer Welt, die nichts für Krüppel übrighat. Einzig der beste Freund des Menschen, dessen einziger Schwachpunkt das blinde Vertrauen zu eben jenen darstellt, wird in großer Vielzahl zur Privatarmee einer Dragqueen, die das Glück hat, einmal die Woche in einem Varieté Klassiker von Edith Piaf oder Marlene Dietrich zu schmettern – alles sehr professionell und unter Gänsehautgarantie. Bis es so weit kommt, und der DogMan Kontakt mit einer Unterwelt macht, die, wie schon erwähnt, in grotesker Überzeichnung donnernden Schrittes den Respekt der Schwachen erzwingt. Ob Munrow letztlich wirklich zu dieser Art Mensch zählt, die sich unterwerfen lässt?

Besson macht die Probe aufs Exempel – oder besser gesagt: die Probe auf eine ins Irreale abdriftende Fabel, die längst schon als Großstadtmärchen zwischen Oliver Twist und Matteo Garrones leicht zu verwechselnder Macht- und Gewaltstudie Dogman durchgehen kann. Der italienische Thriller aus dem Jahr 2018 handelt von einem, der den Mächtigen dienen muss, um zu überleben. Doch dann kommt die Wende, wenn David gegen Goliath zu siegen versteht. Bessons Hunde-Oper (bei der man heilfroh ist, dass die Tiere alle weder sprechen noch wir deren Gedanken hören) frönt dabei weniger einem harten Realismus wie Garrone, sondern einer fast traditionellen Erzählweise aus Rückblenden, eingängigen musikalischen Ohrwürmern und tröstend naiven Verhaltensstudien jaulender Vierbeiner, die die Sprache der Menschen verstehen und wie auf magische Weise mental mit ihrem Meister verbunden sind. Dass sich Hunde so nicht verhalten – schon gar nicht, bevor sie zuschnappen – erscheint selbst mir als Nicht-Hundebesitzer relativ klar. Dass Besson gerne manche, fahrlässig anmutende Unwahrscheinlichkeiten toleriert, um das Psychogramm seiner leidensfähigen Märtyrerfigur auch zu Ende zu bringen, muss man geradezu akzeptieren.

Denn im Mittelpunkt steht einer, dessen Paraderolle längst überfällig war: Caleb Landry Jones. Die sanfte Stimme. Augen, die schon viel Schlimmes sehen mussten. Ein gezeichneter Körper, die Leidenschaft für Shakespeare und die Möglichkeit, wie Arthur Fleck jemand anderer zu sein. Ein gewisser ihm innewohnender Frieden, vor allem mit sich selbst, fasziniert auch das Publikum. Seine gottergebene Akzeptanz eines traurigen Lebens macht ihn zu Bessons bisher größtem Bajazzo, nämlich ohne Wut im Bauch – einer, der zwar niemals im Selbstmitleid versinkt, der am Ende aber das deftige Pathos sucht, um seine Bestimmung zu besiegeln.

DogMan (2023)

Sergio

NUR NOCH KURZ DIE WELT RETTEN

7/10

 

sergio© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: GREG BARKER

CAST: WAGNER MOURA, ANA DE ARMAS, BRIAN F. O´BYRNE, GARRET DILLAHUNT, CLEMENS SCHICK U. A.

 

Sie kamen in Frieden und ernteten Terror: als im August des Jahres 2003 eine Autobombe vor dem UNO-Hauptquartier in Bagdad explodierte, war danach nichts mehr wie zuvor. Die Vereinten Nationen zogen sich zurück, der Irak versank noch mehr im Chaos als ohnehin schon, und den Amerikanern konnte keiner mehr auf die Finger schauen. Die Bombe, die ging auf das Konto des Terrorführers Al Sarkawi, aus dessen Gruppierung später der IS hervorgehen sollte. Auf das Konto der Bombe gingen Diplomaten wie der Brasilianer Sérgio Vieira de Mello, ein guter Freund Kofi Annans und ein Weltverbesserer unter den Menschen, wie es kaum einen zweiten zu dieser Zeit wohl gegeben hat. Dass zum Beispiel Ost-Timor, der östlichste Zipfel der Sunda-Inselkette, nach einem verheerenden Bürgerkrieg tatsächlich noch zu einem eigenen Staat wurde, das war unter anderem auch das Verdienst dieses äußerst intelligenten, überlegt agierenden und in seiner Arbeit wohl leidenschaftlichen Mannes, der aber, so betonte er, stark mit seiner Heimatstadt Rio verbunden blieb.

Sergio ist kein gewöhnliches Politdrama und schon gar kein Terrorthriller. Eher noch ein biographisches Portrait, sehr aufmerksam gezeichnet und mit Leidenschaft inszeniert, keinesfalls eben halbherzig, sondern die Hausaufgaben bis zum Schlußstrich erledigt. So wie die Arbeit Sérgio de Mellos, der all den einflussreichen Idealisten an ihrer Tafel Gesellschaft leistet, für eine bessere Welt steht und die unabhängig von ersten, zweiten oder dritten Mächten zu agieren hat. Dem wuchtigen Militärapparat der USA zeigt de  Mello die kalte Schulter, denn instrumentalisieren lässt sich die UNO nicht. Aus Fehlern wie seinerzeit in Ruanda habe man gelernt. Doch seltsamerweise ist für Länder wie den Irak alles, was aus dem Westen kommt, gleichbedeutend mit dem Feindbild Nr. 1, den USA, und so muss sich auch Sergio unter den Trümmern des Bagdader Canal Hotels wiederfinden, rettungslos eingeklemmt, geschwächt und fast schon in Agonie. In diesem Zustand, so heißt es doch, zieht das Leben an einem vorbei, in kurzen Episoden, in den schönsten Momenten. So hat Regisseur Greg Barker, der 2009 bereits eine Doku über den Mann inszeniert hat, den Stoff als Kaleidoskop letzter reflektierender Erinnerungen neu dramatisiert. Zum Glück aber ist daraus kein assoziativer Experimentalfilm geworden, zum Glück haben sich Mellos Erinnerungen relativ chronologisch in den Erzählstrang eingeordnet und machen auch einer Liebesgeschichte Platz, die nicht weniger leidenschaftlich ist als die Durchführung mancher diplomatischer Aufträge, die per Anruf erteilt werden, mit dem Ansuchen, nur noch kurz die Welt zu retten, bevor das eigentliche Leben beginnen kann. Wonach sehnt sich also Sergio, der sich einer vernunftorientierten Weltordnung verschrieben zu haben scheint, ohne ein eigenes Leben führen zu wollen? Die sinnliche, äußerst kokette Ana de Armas (Blade Runner 2049, Knives Out) eröffnet ihm mühelos eine neue Perspektive, doch ehe sich die Dinge ändern können, explodiert die Bombe.

Der brasilianische Film- und Fernsehstar Wagner Maura (u. a. Narcos) verkörpert den Vernunftmenschen durchaus auch als Lebemann, als Meister der Beredsamkeit und der charmanten Manipulation. Ein guter Mann, der die Werkzeuge der Sprache und des Respekts nutzt, da hat Barker keine Zweifel. Und de Armas? Hat verschwenderisch viel Screentime, Barker scheint fasziniert von ihr zu sein, und der Netflix-Seher ist es dankenswerterweise auch. All die Liebe, all der Krieg, all diese exotischen Kulissen, dieses Fremde und Ferne und Völkerverständigende, das sind Zutaten für großes Kino, durchaus. Für eine Liebeserklärung an einen Weltenbürger und realen Helden, denn so sehen die echten Captain Americas und Iron Mans und wie sie alle heißen eigentlich aus. Natürlich lebt Sergio durchaus auch von Pathos, lässt Glanz und Glorie auf einen Selbstlosen regnen. Schwülstig wirkt das nur selten, stattdessen viel mehr ehrerbietend, wie für einen Heiligen, nur bleibt die Kirche im Dorf und das dramatisch gute Beispiel entwaffnender Diplomatie einladend nachahmbar.

Sergio

Stille Reserven

SCHLAFEN, WENN MAN TOT IST

5/10

 

stillereserven© 2016 Filmladen

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, SCHWEIZ 2016

REGIE: VALENTIN HITZ

MIT CLEMENS SCHICK, LENA LAUZEMIS, MARION MITTERHAMMER, SIMON SCHWARZ U. A.

 

Welche Phrase verwenden Workaholics gerne, um ihren Duracell-Zustand zu rechtfertigen? „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Nun, in einer unbestimmten, nicht weit entfernten Zukunft, im Herzen der Europäischen Union, genauer gesagt in einem geradezu postapokalyptisch entseelten Wien, ist genau das zur optimierten Nutzung vorhandener Ressourcen gang und gäbe geworden. Nicht nur Altpapier, nicht nur Plastikflaschen und Biomüll – nein, in dieser nicht wirklich lebenswerten Zukunft werden auch tote Menschen nicht für tot gehalten, sondern vegetativ am Leben. Ähnlich wie in Matrix dämmert ein künstlich am Leben erhaltener Homo sapiens vor sich hin, um nach und nach ausgeschlachtet zu werden. Denn Ressourcen – die werden in den kommenden Tagen nicht verschwendet. Gut, man kann Nachhaltigkeit auch übertreiben. In Valentin Hitz abgasegrauer Dystopie ist genau das passiert. Jener Teil der Bevölkerung, der verschuldet das Zeitliche segnet, darf auch postmortem seine Schuldigkeit abbezahlen. Das ist fast so wie mit dem Teufel und seiner Seele. Wiener Sagen haben also zukünftig wieder Hochkonjunktur und sind sogar Teil des Regierungsprogramms – wenn der Teufel im Parlament sitzt. Das tut er. Und das nutzen auch Konzerne, die keilen was geht, um Todesversicherungen abzuschließen. Somit ist nicht mal mehr der Tod umsonst, denn selbst der kostet eigentlich das Leben. Versichern beruhigt also ungemein – sofern man das Geld dafür hat.

Valentin Hitz bedient sich mit Spaten und Schaufeln den Ideen George Orwells, den Zivilisationsalbträumen eines Terry Gilliam und den Film Noir-Elementen aus Blade Runner. Stille Reserven macht das versuchte Zitieren und Imitieren riesigen Spaß – nur ist fast mitleidig zu bemerken, dass der Film vergeblich so gerne so sein will wie die, die er zitiert, es aber zumeist nicht hinbekommt. Stille Reserven wirkt wie das Abschlussprojekt eines Filmschülers. Wäre dem tatsächlich so, gebürt Valentin Hitz großes Lob. Grün hinter den Ohren und so ein Film zum Einstand – da würde ich nicht meckern wollen. Nur dürfte es sich so leider nicht verhalten. Die Koproduktion aus Österreich, Deutschland und der Schweiz hat zwar von überall her seine Finanzierungen erhalten – viel Zuschuss dürfte es nicht gewesen sein. Wobei Kameramann Martin Gschlacht hier versucht, Bilder einzufangen, die von hypnotisch-ohnmächtiger Kälte unbeheizter Bauwerke dominiert werden. Mittendrin Schauspieler, die sich wie Androiden verhalten. Womöglich sind sie das auch, zur Sprache kommt aber die Roboterthematik so gut wie gar nicht. Was aber ein verführerisch fuchsiger Gedanke wäre. Denn die Idee hinter Stille Reserven hätte das Zeug dazu gehabt, was weltbewegend Großes entstehen zu lassen. Natürlich längst nicht so etwas wie Blade Runner, aber zumindest etwas Visionäres. Etwas, das bewegt, und vielleicht sogar ein bisschen verstört.

Beides tut Stille Reserven nicht. Zugegeben, das Szenario des ungewohnten Todes, das Vorenthalten der Erlösung – das lädt schon zum Nachdenken ein, und hinterlässt auch das eine oder andere beklemmende Gefühl. Glücklich wird man bei Hitz Versuch eines futuristischen Versicherungskrimis jedenfalls nicht. Erstens weil die Welt, die er zeigt, nicht mal mehr sterbenswert zu sein scheint. Und zweitens, weil der Film seinen Höhepunkt verwirkt. Oder sagen wir, völlig fehlinszeniert im Keim erstickt. Gefühlte Dramatik hat in Stille Reserven nichts verloren. Die Protagonisten stolpern in sperrig-steifer Manier, in regennassen Mänteln und sinnierend rauchend durch eine Sin City der Todessehnsucht, auf die Größenordnung einer Wienerstadt schmalgespurt und die Skyline des Laaerberges in ein Wolkenkratzer-Stakkato verwandelt. Was bleibt, ist eine Beschattungs- und Informantenhatz zwischen Graffiti-Slum, Brazil und Soderbergh´s The Good German. Gehöriges Potenzial, das Hitz Film gehabt hätte. Doch leider zu eintönig, langatmig und unfreiwillig statisch. Wobei der Cameo von Dagmar Koller zwar irritiert, aber in all der Trostlosigkeit für Schmunzeln sorgt.

Stille Reserven