The Primevals (2023)

GUT GEBRÜLLT, YETI!

6/10


Primevals© 2023 Full Moon Entertainment


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: DAVID ALLEN

DREHBUCH: DAVID ALLEN, RANDALL WILLIAM COOK

CAST: RICHARD JOSEPH PAUL, JULIET MILLS, LEON RUSSOM, TAI THAI, WALKER BRANDT, ROBERT CORNTHWAITE U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Ich wusste es! Kraxlerkönig Reinhold Messer hat recht gehabt: Den Yeti oder Schneemenschen gibt es wirklich. Zwar nicht in eisbäriger Pracht, jedoch als Ungetüm von einem anthropomorphen Megagorilla, bisweilen aber wesentlich kleiner als der derzeit im Kino wütende CGI-King Kong. Dieser Yeti hier, der wirkt tatsächlich so, als wäre er weniger formatfüllend als er aussieht. Das liegt daran, dass im Stop-Motion-Verfahren bewegte Miniaturen in ein ebenfalls miniatürliches Diorama gesetzt werden. Die Live-Acts werden dann reinkopiert – oder umgekehrt: Der Yeti ist Projektion, die Abenteuerclique aus dem Retro-Streifen The Primevals tummeln sich im Pappmaché-Himalaya und lassen sich von Styroporschnee berieseln, während sie erhabenen Blickes zu einer kryptozoologischen Einzigartigkeit aufsehen, die hier um ihr Leben plärrt. Wer nun glaubt, ich habe hier einen Klassiker aus den frühen Jahren der Harryhausen-Animationskultur abgestaubt, der irrt: The Primevals hat erst letztes Jahr das Licht der Welt erblickt und nicht schon 60 Jahre zuvor. Das meiste davon wurde bereits 1994 umgesetzt, innerhalb der letzten dreißig Jahre starb Regisseur und Stop-Motion Virtuose David Allan und das unfertige Filmchen lag brach – bis sich dessen Protegé Chris Endicott des Projektes erbarmte und dieses fertigstellte. Siehe da: Dieses Abenteuer ist die Handarbeitsversion eines Indiana Jones-Abenteuers mit allerlei devoten Verbeugungen vor den Welten, die Jules Verne Ende des vorletzten Jahrhunderts erschuf. Wir wissen: Die französische SciFi-Ikone nahm bereits den Mondflug vorweg und tauchte 70.000 Meilen unter dem Meer dahin. Die Sache mit der Hohlwelt war auch seine Idee, doch was er vermutlich noch nicht hatte, war die Entdeckung eines Tals zwischen den höchsten Gipfeln der Erde, welches frappant an Shangri La erinnert und eine Tierwelt beherbergt, welche Charles Darwin mitsamt seiner Evolutionstheorie unter die Achsel geklemmt im Grab rotieren lassen würde.

Bevor es aber so weit kommt, wird erstmal dieser Yeti vor einem Fachpublikum präsentiert und ein junger, ehrgeiziger Wissenschaftler für eine Expedition gewonnen, die an den Fundort dieser Megafauna führen soll. Ziel ist es, einen zweiten, allerdings lebendigen Affen dieser Art gefangen zu nehmen, um ihn schließlich zu erforschen. Es wäre kein waschechtes Abenteuer, würde alles glatt gehen. Während das fünfköpfige Team – unser fescher Held, eine Uni-Dozentin, eine Yeti-Forscherin, ein Haudegen Marke John Wayne und ein nach Rache dürstender junger Tibeter, dessen Bruder beim Kampf mit der Bestie ums Leben kam – den Fels erklimmt, entdecken sie eine Höhle, die sie geradewegs in ein Paradies schickt, das nur so tut als ob und ein Geheimnis beherbergt, das nicht nur die Evolutionstheorie, sondern auch das gesamte Verständnis des Universums – ach herrje! – auf den Kopf stellen würde!

Beim Sichten dieser völlig aus der Zeit gefallenen Liebhaberei staunt man genauso wie all jene Protagonistinnen und Protagonisten, die sich einer Schauspieltechnik bedienen, die ungefähr so alt sein muss wie das Geheimnis hinter dem Berg. Denkwürdige Momente sind das allesamt keine. Von vor Pathos triefenden Textzeilen und simplen Dialogen kann man sich in diesem Film aber nicht verstecken. Worauf man sich einlässt, ist ein bieder-klassisches Abenteuer aus einem konservativen Damals, das es aber stets vermeidet, vorgestrige Werte auch noch mit in die Gegenwart zu retten. The Primevals liefert die Essenz kaminfeuertauglicher fantastischer Geschichten, die noch im Röhrenfernseher laufen, während man nebenher eine Tasse Kaffee mit Rum schlürft, weil Rondo Montana, so der verwegene Kerl der Truppe, dies womöglich auch so handhabt. Erstaunen, Geistesgegenwart und Heldentum feiern eine biedere, freiwillig unfreiwillig komische Wiederauferstehung vor Matte Painting-Kulissen, die manchmal verblüffend gut mit den real besuchten Locations verschmelzen. Das Creature Design ist herzallerliebst, wie ein Puppentrickfilm mutet das Ganze an, wobei Stop-Motion-Gott Phil Tippet (Mad God) wohl noch einige Luft nach oben sähe, was die Geschmeidigkeit der Bewegungen angeht. Dazu die paar Menschleins, die in einer besseren Welt leben, als alles noch in Ordnung war und auch seine Ordnung hatte.

Beschauliche Science-Fiction ist das geworden, vielleicht in ein paar Jahrzehnten genauso Kult wie Metaluna IV antwortet nicht. Doch während es zur Zeit der alten Filme wohl kaum einer besser wusste oder es besser konnte, mag man zum Ende des 20. Jahrhunderts bis in die 20er Jahre des neuen Jahrtausends hinein nichts dazugelernt haben. Somit bleibt The Primevals ein konserviertes, obskures Kleinod in einer Welt der Schnelllebigkeit, der KI und der aalglatten Perfektion. Eine Art reaktionäres Relikt, das ganz bewusst in der Nostalgie verharrt.

The Primevals (2023)

Snow Leopard (2023)

DIE WUT DES SCHAFZÜCHTERS

6/10


snowleopard© 2023 Mani Stone Pictures


ORIGINAL: XUE BAO

LAND / JAHR: CHINA 2023

REGIE / DREHBUCH: PEMA TSEDEN

CAST: JINPA, XIONG ZIQI, TSETEN TASHI, LOSANG CHOEPEL, GENDEN PHUNTSOK, KUNDE, DANG HAOYU, JIKBA, GATU TASHI, DECHEN YANGDZOM, CHUNGCHEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


So ein Blutdurst lässt sich schwer nachvollziehen. Erst vor ein paar Tagen dürfte ein einzelner Fuchs im Schönbrunner Tiergarten in Wien fast eine gesamte Flamingo-Population gerissen haben. Zur Nahrungsaufnahme wäre dieses Massaker wohl nicht notwendig gewesen – allein es ist der Rausch des Jägers, potenzielle Beute en masse auf den Tisch zu bekommen. In der freien Wildbahn kommt sowas schließlich nicht vor. Da ist es für einen Räuber wie dem Fuchs, dem Geparden oder auch dem Schneeleoparden Arbeit und Anstrengung genug, zumindest eines dieser Tiere vor die Fänge zu bekommen. An diesem Beispiel lässt sich klar erkennen: Die menschliche Zivilisation ist ein Widerspruch zum natürlichen Instinkt eines Tieres. Dass sich ein Karnivor angesichts eines Überangebots an Beute nicht wohlbesonnen zurückhält, um nur das zu erlegen, was er für seinen Energiehaushalt auch dringend benötigt – das wird’s wohl niemals spielen. So mächtig ist der Jagdinstinkt, wie die Gier nach Macht beim Menschen.

Was den Flamingos in Schönbrunn passiert ist, widerfährt auch einigen Schafen im steinernen Pferch eines Züchters und seiner Familie, genauer gesagt sind es neun Kadaver, die eines Morgens den leicht mit Schnee angezuckerten, gefrorenen Boden des Gevierts bedecken – die noch lebenden Tiere haben Angst, drängen sich in eine Ecke, spüren mit Sicherheit die Bedrohung des Räubers, dem seine Flucht wohl nicht mehr gelungen ist. Der Schneeleopard steckt fest, der Farmer und seine Helfer lassen den Täter nicht entkommen, am liebsten würden sie ihn töten, doch das wäre höchst strafbar in der Republik China, wozu die Provinz Tibet eben gehört. Das höchst seltene Tier genießt den höchsten Status an Schutz, niemand darf der Katze auch nur ein Haar seines Fells krümmen, geschweige denn irgendwo gefangen halten. Das allein ist schon ein Sakrileg. Doch den Teilverlust einer ohnehin kärglichen Existenz auf dem Hochplateau irgendwo am Tibetanischen Plateau einfach so hinnehmen kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Der Mann will Genugtuung, Schadensersatz, und zwar sofort, am besten bar auf die Hand. So ein Fall lockt die Medien an, und nicht nur die. Bald ist die Provinzregierung und die Exekutive involviert. Und ein tibetanischer Mönch, den seit jeher etwas Magisches mit den Leoparden verbindet, insbesondere mit diesem Exemplar, dessen Jungtier nicht fern vom Hof auf einer Anhöhe nach seiner Mutter ruft.

Pema Tseden, der Regisseur des Films, hat die Veröffentlichung von Snow Leopard nicht mehr erlebt, er starb fünf Monate, am 8. Mai dieses Jahres an Herzversagen, bevor sein letztes Werk überhaupt irgendwo in die Kinos kam. Sein Vermächtnis gestaltet sich als geradezu metaphysisches, mit phantastischen Elementen durchsetztes Gleichnis auf die Koexistenz des Menschen mit der Natur. Wir wissen, da gibt es unübersehbare Diskrepanzen. Während der Mensch alles dafür tut, den nächsten Tag ohne Existenzangst zu erleben, scheint ihn der abstrakte, scheinbar idealistische Wert des Artenschutzes nicht sonderlich zu tangieren. Denn schließlich hat er nichts davon. Und kann sich Idealismus genauso wenig leisten wie die Zeit dafür, das Wertvolle der Natur in inniger Ruhe zu betrachten und wertzuschätzen. Viel zu viel steht auf dem Spiel. Und ganz zuletzt die Unversehrtheit eines Tieres, das nur Schaden bringt statt Nutzen. Ein nachvollziehbares Dilemma. Auch hier, in Österreich, wird die Rückkehr des Wolfes weniger gutgeheißen als mit Argwohn betrachtet. Kaum am Waldrand gesichtet, bläst man hierzulande zum Halali.

Tsedens Drama führt den Zuseher in die landschaftliche Entrücktheit eines hochalpinen fernen Ostens – Exotik ist da genug dabei. Aufgrund der Seltenheit eines Schneeleoparden, und auch, um manche Szenen so darzustellen, als wären sie der tibetanischen Version des Dschungelbuchs entnommen, hat das Filmteam das Artenschutz-Schmuckstück aus dem Rechner kommen lassen. Das Ergebnis ist verblüffend. Ähnliche wie in Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger lässt sich in manchen Szenen die Künstlichkeit des Tieres kaum erkennen – vor allem die nachgestellten, virtuos gefilmten Szenen, in denen der Leopard mit den Schafen ringt, punkten mit wuchtigem, fließendem Naturalismus. Genauso denkwürdig wie das Tier selbst ist auf der anderen Seite der Auftritt des vor den Kopf gestoßenen Bauern. Tseden lässt von der Faszination des Leoparden ab und gibt sich den hasserfüllten, wütenden Tiraden des mit seinen Schafen verlustig gegangenen Jähzornigen hin, der das Kernproblem mit heftigen Schreimonologen auf den Punkt bringt. Spätestens hier wechselt ein sonst recht beschaulicher Heimatfilm über Mensch und Natur vom Meditieren über das Mythologische zur wahren, handfesten Auseinandersetzung zwischen Soll- und Istzustand.

Viel Erhellendes ist dabei nicht zu entdecken, nachhaltiger Umweltschutz ist nur dann zu gewährleisten, wenn das Volk fernab von globalem Demonstrations-Idealismus auch seinen Nutzen ziehen kann. Manchmal scheint es, als würde Tseden diesem Konflikt ausweichen, das Redenschwingen allein mag zwar aufrütteln – die Lösung für ein noch ewig währendes Dilemma liefert Snow Leopard aber auch nicht. Schon gar nicht, wenn das irreale Verhalten eines Raubtiers die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sprengt. Der eigentliche winterkalte Realismus, der den Grundton des Films vorgibt, mag die das Naive, Märchenhafte als genau jenen Idealismus ansehen, der niemanden weiterhilft.

Snow Leopard (2023)

Der Schneeleopard

AUDIENZ EINES PHANTOMS

8/10


schneeleopard© 2021 PaprikaFilms


LAND / JAHR: FRANKREICH 2021

REGIE: MARIE AMIGUET, VINCENT MUNIER

MIT: VINCENT MUNIER, SYLVAIN TESSON

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Unverhofft kommt oft. Ja klar, das ist eine ziemlich ausgeleierte Binsenweisheit, aber sie würde uns nicht zum Hals raushängen, wäre sie nicht wahr. Dabei liegt die Kunst darin, etwas Erhofftes temporär aufzugeben. Sich bescheiden zu zeigen im Streben, ein Ziel zu erreichen. Das ist ein Umstand, oder sagen wir ein abstraktes, mysteriöses Gesetz, das dem Begegnen mit der Natur oder der Natur selbst zugrunde liegt. Naturfotografen und -filmer, Vogelbeobachter und alle, die ihr Hauptaugenmerk auf alles richten, was hier wächst, lebt und atmet, wissen sehr gut, was ich meine. Da sucht man und sucht man und wartet voller Ungeduld, und nichts passiert. Ab dem Moment, wenn die Genügsamkeit Einzug hält, setzt einem die Seele der Welt oder was auch immer genau das vor, was man die ganze Zeit eigentlich gewollt hat. So gesehen bei meinen Begegnungen mit dem Oktopus im Mittelmeer, den Hirschebern auf Sulawesi oder dem Jaguar im Pantanal. Diesen beiden Herren in dem Dokumentarfilm Der Schneeleopard scheint eine ähnliche Lehre erteilt zu werden, zumindest dem einen der beiden, dem französischen Reiseschriftsteller Sylvain Tesson, der von sich selbst des Öfteren behauptet, stets viel zu überhastet von A nach B gekommen zu sein, ohne wirklich auf die Details geachtet zu haben. Vielmehr, so meint er, würde er selbst beobachtet als selbst zu beobachten. Mit dieser mehrwöchigen Expedition soll das ein Ende haben. An seiner Seite: der Tierfotograf Vincent Munier, ein Profi und ganz bewusst damit vertraut, wie die Natur tickt. Daher ist Geduld und weniger der Drang nach der großen Begegnung der Schlüssel auf die andere Seite, dorthin, wo es nicht nach Menschen riecht und die zivilisationslose, wilde Weite zum Denken anregt.

Wir befinden uns in diesem stillen, meist im Flüsterton gesprochenen Abenteuer Richtung Ursprung auf 5000 Metern über dem Meeresspiegel im Hochland von Tibet, wo arschkalter Wind weht, es immer wieder mal graupelt und der Bart gefriert. Wo der Bunsenbrenner wie urzeitliches Feuer eine Höhle erwärmt und das Robben übers Feld das neue Wandern ist. Auf die Suche nach dem stattlichen, schwer aufspürbaren Tier haben sich schon viele begeben. Der Schneeleopard ist daher ein Naturfilm, der in dem, was er zeigt, natürlich keine Exklusivität genießt. Im Fernsehen sind Dokus wie diese gang und gäbe. Doch fürs Kino gestaltet sich so ein Projekt doch etwas anders, und will mehr sein als nur den naturkundlichen Anteil des Allgemeinwissens erweitern. Denn das Tier, um das es hier geht, hat, wenns hochkommt,  gerade mal eine Minute Sendezeit. Der Rest ist Suchen, Warten, Zurückkehren zum Basislager, das Notieren von Notizen oder der Zeitvertreib mit einer Handvoll Kinder, die in der Gegend wohnt. Ungefähr gleich, wenn nicht sogar noch mehr beeindruckend als die vielen Panoramen hier auf diesem Plateau ist der Sound unterschiedlichster Tierarten, die dann auch noch allesamt vor die Kamera treten. Und alles, wirklich alles, trägt bei Temperaturen von bis zu minus 30 Grad Winterfell bis zum Kuschelalarm. Kugelrund, bauschig und schneeverweht wuseln, stehen und traben Warmblüter durch die Landschaft, aus sicherer Entfernung beobachtet, wobei Fotograf Munier mit einer Uneitelkeit besticht, die ihn zu einem devoten Besucher macht in einer Welt, in der er eigentlich nichts zu suchen hat. Beide, er und Tesson, sind Zaungäste, die auf das Unwahrscheinliche warten, nächtelang, wochenlang. Marie Amiguet fängt diese grenzgängerische Geduld und den Respekt vor allem, was hier lebt, mit einer fast unsichtbaren Regie ein. Alles steckt im Tarnanzug, versteckt hinter Felsen, gelegen auf der Lauer, um als Mensch die Harmonie, die Homo sapiens selbst wieder gerne hätte, nicht zu stören.

Es knackt und zwitschert, es röhrt und dampft – dazwischen die knorrigen Klänge von Warren Ellis und Nick Cave, der am Ende des Films dann noch stimmlich zu hören ist. Tatsächlich ist Der Schneeleopard wie ein elegisches, zufrieden stimmendes Lied des großen britischen Musikers – nachdenklich, entschleunigt und mitunter melancholisch, atemberaubend fotografiert und angenehm menschenleer.

Der Schneeleopard

Everest – Ein Yeti will hoch hinaus

TERRAFORMING IM SUMMTON

7/10

 

everest© 2019 Universal Pictures Germany

 

LAND: USA 2019

REGIE: JILL CULTON, TODD WILDERMANN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): CHLOE BENNET, SARAH PAULSON, ALBERT TASI, TENZING NORGAY TRAINOR, TSAI CHIN U. A.

 

Wen der Sinn nach etwas Weichem, Großem, Flauschigem steht, und der kleine Eisbär aus dem Zoo gerade mal unter Ausschluss der Öffentlichkeit sein junges Leben genießt, der kann dieses weiße Flauschige aber auch gern im Heimkino betrachten – und zwar im Animationsabenteuer aus der Dreamworks-Schmiede mit dem Titel Everest – Ein Yeti will hoch hinaus. Da sieht man außerdem wieder, wie unterschiedlich Filmtitel sein können. Die eingedeutschte Version ist wiedermal komplett etwas anderes als das Original genannt werden will – nämlich Abominable, was soviel heißt wie hässlich, grässlich und so weiter. Natürlich verkauft sich ein Film mit dem Titel Grässlich wohl weniger gut. Da ist Everest schon besser, und Yetis sind auch meist gern gesehene, unbeholfene Riesen, im Grunde gutmütig und vielleicht wirklich ein kryptozoologisches Geheimnis, auch wenn Reinhold Messner seine Sichtung wieder revidiert hat.

Yetis gab’s schon in der Monster-AG, vorwiegend bayrisch redend. Auch in Smallfoot oder kürzlich gar in Missing Link als eisige Version des Bigfoot, der sich in dem wunderbaren und leider bei den Oscars sträflich übergangenen Laika-Abenteuer auf die Suche nach seinen Artverwandten macht. Everest setzt ebenfalls auf bereits publikumserprobte Elemente, Charaktere und Plot. Nur nichts riskieren, alles hübsch ausgewogen zwischen kindgerechter Dramatik und jeder Menge Humor, die das magische Fellknäuel für sich verbuchen kann. Aber auch wenn wir hier in keinster Weise etwas Neues entdecken, ist Everest vor allem und in jedem Fall aufgrund seiner liebevollen Ausarbeitung und seiner visuellen Details ein berauschender Hingucker. Alles beginnt in einer nicht näher erwähnten chinesischen Großstadt, Heldin des Films ist eine nonkonforme Halbwaise, die ihrer übrigen Familie aus dem Weg geht und auf dem Dach ihres Hauses zufällig auf einen ganz anderen Außenseiter stößt, dessen Andersartigkeit aber Häscher auf den Plan gerufen hat, die dem Nichtmensch ans Fell wollen. Aus wissenschaftlichen oder was für Gründen auch immer. Klar, dass dann die beiden inklusive weiterer Freunde auf der Flucht Richtung Himalaya sind. Während dieser Tour wird erst so richtig klar, welche Skills der drollige Riese eigentlich auf Lager hat – welche von der magischen Sorte, die in einem gewissen Sinne die Natur verstärken, vergrößern und verformen können. Dazu gehören sogar auch Klänge, die das Mädchen Yi mit der Geige ihres verstorbenen Vaters erzeugen kann.

Die Komponente mit der Violine, die erinnert stark an Laikas Fantasymärchen Kubo – Der tapfere Samurai, in welchem sich gleichnamiger Sohn eines verstorbenen Kriegers mit seiner magischen Laute dem bösen Mondkönig entgegenstellen muss. Das Mädchen Yi muss zwar nicht so finsteren Mächten Paroli bieten, darf aber mit Yetis Hilfe so manche Naturgesetze aus den Angeln heben, was zauberhaft anzusehen ist und Charakterdesignerin und Jagdfieber-Regisseurin Jill Cultons Ökomärchen weg von gefälliger Reißbrettkomik hin zu elegisch-spektakulärem Bewältigungskino bringt,  ziemlich nah am Disney-Stil, nur wird in Everest kaum gesungen, das höchste der musikalischen Gefühle ist das stimmige Spiel mit der Violine. Die Ziele der Reise? Klar, eine Handvoll Coming of Age und der obligate Wert von Familie, den Hollywood nicht genug zelebrieren kann und der nicht nur den Menschen wichtiger ist als alles andere. In Zeiten wie diesen wichtiger denn je.

Everest – Ein Yeti will hoch hinaus

Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer

EIN AFFE UND GENTLEMAN

7/10

 

misterlink© 2019 eOne Germany

 

LAND: USA, KANADA 2019

REGIE: CHRIS BUTLER

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): HUGH JACKMAN, ZOE SALDANA, ZACH GALIFIANAKIS U. A.

DEUTSCHE SYNCHRO: CHRISTOPH MARIA HERBST, BASTIAN PASTEWKA, COLLIEN ULMEN-FERNANDES U. A.

 

Puppen kann man auf unterschiedlichste Art und Weise tanzen lassen. Muppets und Fraggles waren in diesem Fall Handfigur und Marionette zugleich. Rolf Rüdiger ist überhaupt nur Hand, und auch der Kasperl versteckt sich ungefähr um die Leibesmitte hinter einem Guckkasten. Anders die Puppen der Laika-Studios. Die haben weder Schnur, Hand oder Stange, die haben die Zeit auf ihrer Seite. Nämlich eine, die sich anhalten lässt, je nach Belieben. Das nennt man in Fachkreisen Stop-Motion, das ist die Methode, um leblose Puppen über oder durch Dioramen schreiten zu lassen, die mit Hingabe und bis ins Detail aufgeputzt sind. Von den welken Blättern des Waldes bis zur Miniaturzeitung, die in fürsorglich ausgestatteten Interieurs per Puppenhand durchgeblättert werden. Wenn man Filme von Laika sieht, sollte nicht vergessen werden, welche Leidenschaft, Akribie und auch nerdige Besessenheit dahintersteckt, im Zeitalter von CGI und Motion-Capture so etwas überhaupt noch auf die knorrigen Puppenbeine zu stellen. Weil Stop-Motion einfach ein Handwerk ist, ein perfektioniertes Handwerk, so wie das Malen von Bildern mit Pinsel und Pigment in Zeiten von Photoshop. Und bei Betrachten des fertigen Werks möge der Weg bis zum Ziel, der als Prozess alleine schon wieder ein eigenes Werk darstellt, nicht ganz in Vergessenheit geraten.

Unter diesen Gesichtspunkten lässt auch der ganz neue Streifen rund um einen Kryptozoologen und seinem Affenmenschen durchaus in Staunen versetzen, wenngleich nicht alles, was zu sehen ist, analogen Ursprungs ist. Wellenberge oder die Kulisse des Himalaya-Plateaus sind nur ein paar der ergänzenden Elemente, die natürlich am Rechner entstanden sind. Das macht aber nichts, CGI ist nicht zwingend etwas, dem der unangenehme Beigeschmack einer Mogelei anhaften sollte. CGI ist nicht minder eine Kunstform, und wenn sie wohldosiert dazu verhilft, die Illusion einer völlig autarken Puppenwelt zu vollenden, ist das ein Teamwork, das gelingt, solange der Computer dem Gebärden der erzählenden Figuren nicht die Show stiehlt. Keine Sorge, denn das passiert hier nicht. Die Charaktere, die sich in einem alternativen irdischen 19. Jahrhundert über die Evolutionslehre eines Charles Darwin wundern und Nessie auf der Spur sind, in der sich so was wie die National Geographic Society, die Elite der Weltenentdecker, auf arrogante Art über alle anderen stellt, haben in ihren wächsernen, spitznasigen und rotwangigen Gesichtern ein breites Repertoire an Ausdruck zu bieten. Und wenn Mr. Link dann die Lichtung betritt, findet ein herrlich feiner, distinguierter Humor Einzug auf der breiten Bühne eines Filmstudios, wo Kamerakräne ihre Runden drehen und hunderte Fingerspitzen all die herrlichen Kreationen antauchen, um sie fühlen, denken und träumen zu lassen.

Mister Link, der träumt davon, nicht mehr allein zu sein. Nachdem Mr. Lionel Frost nach seinem versemmelten Versuch, einen Beweis für Nessie zu erbringen, dem Brief eines Unbekannten nachkommt, der die Sichtung eines Sasquatch (Bigfoot, Skunk Ape, alles dasselbe) verspricht, muss er feststellen, dass das so genannte Missing Link über Sprache, abstraktem Denken und Höflichkeit verfügt. Auf dem gemeinsamen Weg nach Shangri-La, wo Mr. Link auf die winterfelligen Verwandten der Yetis zu treffen erhofft, müssen sie allerlei Abenteuer bestehen, muss der allzu menschliche Primat vieles zu wörtlich verstehen und für Krokodilstränen treibenden Humor verantwortlich sein, der den Film wohl zu einem der lustigsten Trickeskapaden der letzten Zeit werden lässt. Die Qualitäten von Mister Link liegen eindeutig beim missverständlichen Verständnis einer viel zu großen Welt, welcher der letzte seiner Art ausgesetzt sein wird. Mit ihm besteht ein erst egomanischer, dann geläuterter Möchtegern-Entdecker Abenteuer, die aus der Feder von Jules Verne kommen könnten. Altmodisch ist das, natürlich, und auch durch die Bank bekannt, was das Szenario natürlich sehr berechenbar und kaum zur Wiege dramaturgischer Wendungen macht. Mister Link ist, was es am besten kann, nämlich auf humorig vorgestrige Art ein Stück animiertes Reisekino zu sein, für Trickfilmfans und Familien, und jenen, die Phileas Fog, Charles Darwin und Russel Wallace gerne schon mal allgemeinbildene Achtung geschenkt haben. Vor Mister Link himself lässt sich nämlich auch bequem der Zylinder lüpfen, so einnehmend charmant ist der schräge evolutionäre Sonderling – mit mehr Manieren als manch ein Homo sapiens.

Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer

Smallfoot

ZEIGT HER EURE FÜSSE

7/10

 

smallfoot© 2000-2018 Warner Bros.

 

LAND: USA 2018

REGIE: KAREY KIRKPATRICK, JASON REISIG

MIT DEN STIMMEN VON: CHANNING TATUM (KOSTJA ULLMANN), GINA RODRIGUEZ, ZENDAYA, JAMES CORDEN U. A.

 

Reinhold Messner hat als Vortragender und High Society-Abenteurer wohl genug um die Ohren, um ins Kino zu gehen, aber diesen Film sollte er sich wirklich nicht entgehen lassen. Wie wir wissen, hat der Südtiroler Extrembergsteiger vor langer Zeit ja tatsächlich Stein und Bein geschworen, einem gigantischen weißen Fellknäuel, der im Volksmund Yeti genannt wird, begegnet zu sein – bis er irgendwann diese marktschreierische Lüge leider dementieren musste. Nach der Sichtung von Smallfoot könnte man ja dazu geneigt sein, Messner´s Dementi auch in einem anderen Licht zu betrachten. Und all diejenigen, die ein Faible für komödiantische Animationsfilme haben, können den vollbärtigen Brixener ruhig begleiten. Denn Smallfoot ist eine enorm liebevolle Bergtour bis jenseits der Wolken geworden. Und was Smallfoot vor allem anderen auszeichnet: die phantastische, aufwändig entworfene Schneeballschlacht von Drehbuchspezialist Karey Kirkpatrick und Jason Reisig ist zum Brüllen komisch.

Man kann den Spieß auch umdrehen und daran zweifeln, dass es den Smallfoot – in diesem Fall die Spezies Homo sapiens – in Wirklichkeit überhaupt gibt. Das lässt sich leicht machen, sofern man selbst ein Yeti ist, und als Yeti irgendwo am Berg in völliger Isolation seiner eigenen eiskalten, aber alles andere als unterkühlten Kultur frönt. Wer weiß, was Reinhold Messer alles gesehen hat – vielleicht so viel wie dieser unglückliche Bruchpilot, der vor den Toren der klirrend kalten Festung der Yetis niedergeht. Migo, der so blaulippige wie nasenlose wandelnde Bettvorleger, ist zur rechten Zeit am rechten Ort, um eines dieser mythischen Menschenwesen mit eigenen Augen zu sehen. Warum ihm danach keiner glaubt, und warum Migo verbannt wird und wieso das Oberhaupt des kleinen Reiches ein zentnerschweres Steingewand mit sich herumträgt, darüber verliere ich jetzt nicht allzu viele Worte, denn der Reiz des vorwiegend in geschmackvollen Blau-, Türkis und Lilatönen kolorierten, geistreichen Komödie liegt in den originellen inhaltlichen Details, die den Alltag der Schneemonster umreißen. Spätestens dann, wenn sich die fleischgewordenen kryptozoologischen Unikume talwärts bewegen, gibt es humoristisch gesehen kein Halten mehr.

Normalerweise sind die Drehbücher für Animationskomödien eine Aneinanderreihung schriller Slapstickszenen, die den eigentlichen Plot untergeordnet wissen. Bei Pixar ist es meist umgekehrt. Dass die Warner Animation Group Ähnliches zuwege bringen kann, erstaunt mich dann doch. Die großartigsten Momente sind nicht unbedingt die immer wiederkehrenden Gesangseinlagen, die an Frozen erinnern, die aber junges, weibliches Publikum nachhaltig an sich binden, sondern der Sichtwechsel zwischen Mensch und Yeti. Für letztere sprechen Menschen piepsendes Kauderwelsch, und für unsereins können Yetis nichts anderes als grölen und brüllen. Diese leidenschaftlich zelebrierte Differenz birgt eine Situationskomik, die ungefähr so unterhaltsam ist wie die Sicht der kalaharischen N´Xau auf die Zivilisation in Die Götter müssen verrückt sein. Das ist so charmanter wie augenzwinkernder Humor, und umrahmt sogar pädagogisch wertvolle Botschaften wie Respekt, Völkerverständigung, Toleranz und die Neugier, doch einfach mal hinter den Horizont zu blicken – wo vielleicht ein paar Antworten warten. Auf Fragen, die lange schon gestellt sind.

Ob es den Yeti gibt, ist rückblickend ganz einerlei. Es ist schon erfüllend genug, dass das augenscheinlich gutmütige Wesen in unserer Vorstellung Gestalt annimmt – und in so atemberaubend animierten Filmen wie Smallfoot seinen barfüßigen Auftritt erhält.

Smallfoot