Das Verschwinden des Josef Mengele (2025)

WIE DAS BÖSE DIE WELT SIEHT

8/10


© 2025 Panda Lichtspiele


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2025

REGIE: KIRILL SREBRENNIKOW

DREHBUCH: KIRILL SEREBRENNIKOW, NACH DEM ROMAN VON OLIVIER GUEZ

KAMERA: VLADISLAV OPELYANTS

CAST: AUGUST DIEHL, MAX BRETSCHNEIDER, DANA HERFURTH, FRIEDERIKE BECHT, MIRCO KREIBICH, DAVID RULAND, ANNAMÁRIA LÁNG, TILO WERNER, BURGHART KLAUSSNER U. A.

LÄNGE: 2 STD 15 MIN



Muss man, will man, kann man denn überhaupt einen Film über einen bösen Menschen ansehen? An dieser Stelle wäre es angebracht, über die Begrifflichkeit des Schlechten nachzudenken. Das Böse, so möchte man meinen, existiert, ohne dass es in dem Moment, indem es sich offenbart, weiß, dass es das tut. Reue nennt sich der Effekt, wenn sich das Böse selbst erkennt. Umso erschreckender, wenn es das nicht tut – wenn diese Finsternis auf ewig glaubt, sie wäre strahlend hell wie die Sonne. Das ist dann das inhärente Destruktive einer globalen Gesellschaft, das unter unsagbarer Anstrengung Tag für Tag klein gehalten werden muss, wenn es schon nicht zur Gänze getilgt werden kann. Ist das nicht dieser ewige Kampf des Guten gegen das Böse, dieses oft zitierte Yin und Yang? Ist diese Balance nicht essenziell für die Existenz an sich? Dieser Überlegung widmet sich auch der Japaner Hamaguchi Ryusuke in seinem Gleichnis Evil Does Not Exist.

Der Trotz des Falschen

Die Banalität des Bösen hatte schon Jonathan Glazer in seinem ernüchternd schrecklichen „Familienfilm“ The Zone of Interest dokumentiert – und dabei versucht, die Welt so darzustellen, wie sie aus Sicht des Bösen wohl aussehen möge. Der Holocaust wird dabei zur Nebensache, die so weltbewegend erscheint wie die tägliche Müllabfuhr. Niemand aus dieser Familie Höß hat jemals begriffen, dass sie Falsches tat – bis auf die Schwiegermutter, deren Erkenntnis ob der Gräuel in einer nokturnen Schlüsselszene diese zur panischen Abreise bewegt. In Schindlers Liste ist die Welt des Amon Göth eine, in welcher Macht und Mord einander bedingen müssen, während Psychopathen wie dieser darin ihren Nährboden finden. Und jetzt auch er: Josef Mengele, eine Schreckensgestalt und Verbrecher gegen die Menschlichkeit und die Menschheit an sich, der Todesengel von Auschwitz, dessen Taten schwer zu dokumentieren sind, so vielfältig verheerend lassen sie sich darlegen. Während The Zone of Interest das unmöglich Auszudenkende hinter den Backsteinmauern als dunklen Rauch aufsteigen lässt und den Nazi-Alltag semidokumentarisch betrachtet, geht Kyrill Serebrennikow einen Schritt weiter und gibt diesem Mengele die Möglichkeit, seine Taten und Motive zu reflektieren.

Was gast du nur getan?

Eines vorweg: Es wird ihm nicht gelingen. Es wird auch nicht seinem Sohn Rolf gelingen, der seinen Vater Ende der Siebzigerjahre, zwei Jahre vor seinem Tod beim Schwimmen an der südamerikanischen Atlantikküste, dazu bewegen möchte, seine Taten als falsch einzugestehen. Nichts davon passiert, denn das Böse sieht sich im Recht, es sieht sich als das einzig Logische. Gerechtigkeit wird aus Sicht Mengeles zur scheinbar grundlosen Jagd auf einen im Selbstmitleid ertrinkenden Choleriker, den Klaus Kinski hätte darstellen können. August Diehl ist aber nicht weniger gut dafür geeignet. Der Herausforderung für einen Schauspieler besteht darin, völlig vorbehaltlos in die Rolle eines monströsen Menschen zu schlüpfen, der bis zum Ende glauben wird, dass das Unrecht auf der anderen Seite liegt. Sie anzunehmen, wird seine Spuren hinterlassen, denn egal kann einem wie Diehl so ein Mindset sicher nicht sein. Und dennoch hängt sich der Deutsche hinein in dieses Psychogramm, und meistert dabei mehrere Jahrzehnte der Paranoia, der Verzweiflung, der trotzigen Beharrlichkeit einer kranken Weltsicht, der puren Essenz radikalen, nationalsozialistischen Gedankenguts.

Wenn der Mörder lächelt

Das Verschwinden des Josef Mengele, in expressionistischem Schwarzweiß gedreht und in den verstörenden und an die Nieren gehenden Szenen sogar in Farbe, um die niemals verjährende Aktualität von Verbrechen viel eher in die Gegenwart zu bringen, ist schauspielerischer Brutalismus, das Lamento eines in die Enge getriebenen Unbelehrbaren; eines rechthaberischen, arroganten, zutiefst abstoßenden Patriarchen, dem nicht mal beim Töten Unschuldiger das Grinsen vergeht. Jetzt aber, in den Jahrzehnten nach dem Krieg, ist dieses quälende Versteckspiel eines Flüchtigen nur gut und recht, wenn dieser in seinem Leid genauso feststeckt wie in seiner Weltsicht. Bei jedem Zeter und Mordio ob der Ungerechtigkeit, die Mengele seiner Meinung nach widerfährt, stellt sich jedoch längst nicht diese Genugtuung ein, die man erfährt, wenn ein Antagonist seine Strafe erhält. Ganz klar liegt es an dieser Uneinsicht eines Widerlings.

Warum also so einen Film ansehen? Ist so ein Mensch die Mühe wert, Millionen an Gelder dafür zu verwenden, ihn ins Rampen- und Leinwandlicht zu rücken? Ja, das ist sie. Weil man benennen sollte, wovor man sich wappnen muss. Wie bei The Zone of Interest ist es der Versuch, sich auf die andere Seite zu stellen, nicht direkt in die Dunkelheit, sondern daneben, um zu sehen, was das Böse sieht. Um ein bisschen mehr zu verstehen, wie die Welt tickt. Und es ist die Faszination für Monster wie dieses, die klarmachen, wo ich, wo wir, niemals hinwollen. Dass es das gibt, ist erschreckend und belehrend, zugleich aber auch ernüchternd hoffnungslos, weil es so scheint, als hätten Geister wie Mengele in dieser Welt immer ihren Platz.

Das Verschwinden des Josef Mengele (2025)

Der Passfälscher (2022)

FELIX KRULL FÜR DIE VERTRIEBENEN

4/10


derpassfaelscher© 2022 Dreifililm


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, LUXEMBURG 2022

DREHBUCH / REGIE: MAGGIE PEREN

CAST: LOUIS HOFMANN, LUNA WEDLER, JONATHAN BERLIN, NINA GUMMICH, ANDRÉ JUNG, MARC LIMPACH, YOTAM ISHAY, ADRIEN PAPRITZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Es ist die Geschichte eines wahren Helden. Und hat sich vermutlich so zugetragen. Die deutsche Filmemacherin Maggie Peren hat sich dem Leben des Verwandlungskünstlers und begabten Grafikers Cioma Schönhaus angenommen und wollte damit ein Tatsachendrama schaffen, das diesen Namen auch all jenen, die bis dato nichts damit anfangen konnten, zu einer ähnlichen Bekanntheit verhelfen sollte wie es seinerzeit Steven Spielberg für Oskar Schindler getan hat.

Die breite Wucht eines Weltkinos bedarf es dafür nicht zwingend. Es würde auch ein kleinerer, weniger epischer Film genügen, der als Biopic in seiner Intensität jener von Sophie Scholl – Die letzten Tage entspräche. Die Chronik einer Selbstaufopferung für eine bessere Welt liegt allerdings schwer im Magen, die Härte dieser True Story liegt in dem für alle Beteiligten letalen Ausgang begründet, der sich einfach nicht schönreden lässt. Cioma Schönhaus hingegen hat es geschafft – das kann man schließlich vorwegnehmen und ist auch kein Geheimnis mehr. Dieser Mann mag betrogen und gelogen haben, und das ist gut so. Er war ein Felix Krull der Vertriebenen, Entrechteten und Enteigneten – und auch ein Retter seiner selbst, hat doch seine Tarnung mit der eines Marineoffiziers bestens funktioniert. Neben dessen Tätigkeit in einer Waffenfabrik, zu welcher er verdonnert wurde, um nicht deportiert zu werden, oblag ihm unter Auftrag des Anwalts Kaufmann die Verantwortung dafür, verfolgten Staatsfeinden und Juden die Flucht aus Deutschland zu garantieren – mit akkurat gefälschten Ausweisen, die mit Tinte, Feder und Pinsel zum Fälschungswunder wurden. Der Passfälscher beschreibt das spätere Leben und Wirken eines Mannes, dem die eloquente Dreistigkeit im Blut lag; der sein Talent zur Täuschung wie kein anderer nutzen konnte – und der das Glück angeblich zu pachten schien. Denn nicht nur einmal wäre es fast passiert, und alles wäre aufgeflogen.

Stoff wie dieser ist prädestiniert dafür, verfilmt zu werden. Stellt sich die Frage, warum das so lange gedauert hat. Doch hier ist er: Louis Hofmann, aller Welt bekannt durch seine Performance als Leitfigur und (Anti)Held in der aus drei Staffeln bestehenden und abgeschlossenen Zeitreise-Dystopie Dark. Als Schönhaus hat er all den Gram, diese Traurigkeit und Verbissenheit mal außen vorgelassen. Hier ist er meist lächelnd, charmant und eloquent. Ein Manipulator mit Einfluss, ein grandioser Künstler. Und doch gelingt Maggie Peren genau das nicht, was dazu beigetragen hätte, an der ganzen Sache auch emotional teilzuhaben. Was wiederum daran liegt, dem Charakter dieses Mannes nie wirklich auf den Grund zu kommen. Ihr Film offenbart sich als eine Aneinanderreihung boulevardesker Schlagzeilen. Weder berührt noch bewegt Hofmanns Darstellung in einem nennenswerten Ausmaß. Vielleicht ist sein Spiel zu verspielt. Seine Last der Verantwortung zu leicht getragen. Auch wenn es solche Leute ja geben soll, dann wäre es zumindest ratsam gewesen, nicht so unstet zwischen den Szenen herumzuspringen. All das erlittene Drama durch das dritte Reich, all die Gefahr, die davon ausging und das Ausmaß dieser Verbrechen haben kaum Relevanz. Ein nachvollziehbares Zeitbild gelingt damit nicht. Und wenn es schon so schwerfällt, die Welt von damals zu erfassen, geschweige denn das Gefühl einer konstanten Bedrohung zu vermitteln, geht das darin verankerte Wirken des Schreibtischhelden an seiner Dringlichkeit vorbei.

Beiläufig und viel zu volatil setzt Peren dem Passfälscher ein Denkmal, das in seiner Umsetzung keinerlei Wagemut eingeht. Was im Widerspruch zu seinem Helden steht.

Der Passfälscher (2022)

Resistance – Widerstand

CLOWN COURAGE UND SEINE KINDER

5/10


resistance© 2021 Warner Bros. Pictures


LAND / JAHR: USA, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, GROSSBRITANNIEN

BUCH / REGIE: JONATHAN JAKUBOWICZ

CAST: JESSE EISENBERG, CLÉMENCE POESY, FÉLIX MOATI, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, BELLA RAMSEY, KARL MARKOVICS, ED HARRIS, ÉDGAR RAMÍREZ U. A. 

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Keine noch so offensichtliche, politisch motivierte Schandtat bleibt ohne Widerstand. Den gibt es gottseidank immer. Jenes Aufbegehren in Frankreich zur Zeit der deutschen Invasion war noch dazu kein verpuffendes Händeringen, sondern konnte einiges bewirken. Wie zum Beispiel die Rettung unzähliger jüdischer Kinder vor der Vernichtung. Dabei fällt der Name eines Künstlers, der wohl angesichts seiner Tätigkeit als weltberühmtester Pantomime wohl nicht so schnell mit politischem Aktivismus in Verbindung gebracht worden wäre: Marcel Marceau, ebenfalls jüdischer Abstammung und zum Leidwesen seines Vaters, einem Metzger, einer, der auf den Kleinbühnen Frankreichs gerne den aphonen Hanswurst gibt. Ob brotlose Kunst oder nicht: dem Publikum gefällt‘s. Mitten in diese Zeit des Tuns und Lassens, was einem gerade so gefällt, bricht der Zweite Weltkrieg. Flüchtlinge sammeln sich an den Grenzen zu Frankreich, Marcel (damals noch nicht Marceau) ist vor Ort, sieht das Leid und den Kummer der verwaisten Kinder. Ab diesem Zeitpunkt wird alles anders, der Pantomime hilft, wo er nur kann. Versucht, mit etwas Humor Trost zu spenden in einer Zeit voller Trübsal. Und schließt sich, nachdem Frankreich über Nacht annektiert wird, dem Untergrund an. Dort, wird er Geschichte schreiben, in dem er Flüchtlingskinder über die Berge in die Schweiz bringt. Später wird er Verbindungsoffizier der US Army unter George S. Patton sein.

Was dieser Mann proaktiv geleistet hat, das nenn ich Engagement und Courage. Ganz klar, dass Marceaus Erinnerungen, auf welchen der Film basiert, bestens dafür geeignet sind, verfilmt zu werden. Die Frage ist nur: ist Jesse Eisenberg für die Darstellung des außergewöhnlichen Franzosen eine gute Wahl? Wiederholt bleibt Eisenberg in so manchen Filmen relativ blass, auch nicht sehr charismatisch. Ausnahmen gibt es, so zum Beispiel die Sozialsatire The Art of Self Defense, in welcher er als Nobody versucht, durch das Erlernen von Karate seinem Mann zu stehen. Als Marcel Marceau überzeugt Eisenberg nur bedingt – vielleicht, weil sein Spiel zu gefällig ist. Zu austauschbar. Clémence Poésy und der von mir sehr geschätzte österreichische Schauspieler Karl Markowicz als Marceaus Vater können sich mit der europäischen Geschichte besser identifizieren als Eisenberg selbst, obwohl dessen Eltern osteuropäisch-jüdischen Ursprungs sind. Der Eindruck einer schauspielerischen Distanz bleibt dennoch.

Bösewicht Matthias Schweighöfer geht’s da ähnlich. Er macht, was auch August Diehl in seinen Nazi-Rollen immer macht: Stereotypen bedienen. Resistance – Widerstand unter der Regie von Jonathan Jakubowicz setzt sich mit der humanitären Katastrophe nur oberflächlich auseinander. Das lässt sich anhand der recht einfach gezeichneten Figuren erkennen, die allesamt in ihrer idealisierten oder gar simplifizierten Geisteshaltung, die sie haben müssen, die Erwartungen bedienen. Das große Drama ist zwar da, unterliegt aber einem sentimentalen Weichzeichner. Marceaus Erinnerungen geraten zur scheinbar mündlich überlieferten Legende – in diesem Licht könnte auch Resistance trotz des Umschiffens traumatischer Abgründe manche vielleicht etwas mehr überzeugen als mich.

Resistance – Widerstand

Im Labyrinth des Schweigens

DAS BÖSE ZUR RECHENSCHAFT ZIEHEN

6/10


labyrinthdesschweigens© 2014 Universal Pictures


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2014

REGIE: GIULIO RICCIARELLI

CAST: ALEXANDER FEHLING, GERT VOSS, JOHANNES KRISCH, ANDRÉ SZYMANSKI, JOHANN VON BÜLOW, ROBERT HUNGER-BÜHLER, LUKAS MIKO, FRIEDERIKE BECHT U. A. 

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Was habe ich nicht die schauspielerischen Spitzen dieses großartigen Künstlers auf den Brettern des Wiener Burgtheaters genossen! Egal, ob Thomas Bernhard oder Samuel Beckett – mit seiner sonoren Stimme und seinem Charisma war Gert Voss immer ein Erlebnis. 1995 gar von der Times als bester Schauspieler Europas genannt, verstarb dieser mit nur 72 Jahren – sein letzter Auftritt lässt sich im Holocaust-Aufarbeitungsdrama Im Labyrinth des Schweigens bewundern, in welchem er den legendären Eichmann-Jäger Fritz Bauer verkörpert. Voss hat seine Version des Staatsmannes ganz anders angelegt als dies ein Jahr später Burghart Klaußner in Der Staat gegen Fritz Bauer getan hat. Die zerzauste weiße Haarpracht, kettenrauchend und im Verhalten recht sperrig – zumindest optisch weiß Klaußner die historische Persönlichkeit schillernder und naturgetreuer zu verkörpern. Voss ist da womöglich bereits von seiner Krankheit gezeichnet, bleibt lieber er selbst als jemand anderer, erreicht aber immer noch Größe. Allein dafür wäre dieser Film schon sehenswert. Und natürlich kann ein Film nicht nicht ansehenswert sein mit einer Thematik wie dieser, geht’s doch um so etwas menschenrechtlich relevantes wie die in Frankfurt stattgefunden Auschwitz-Prozesse. Der Film beleuchtet, wie es dazu eigentlich gekommen war.

Im Mittelpunkt dieses in seinen Fakten tatsächlichen Geschehens steht allerdings eine fiktive Figur, die im Grunde die drei wirklichen Anwälte zusammenfassend darstellt: Alexander Fehling gibt den jungen Anwalt Johann Radmann, der sich erstmal nur mit juristischem Pipifax auseinandersetzen muss – Bezirksgericht auf langweilig. Bis ihm allerdings die Aussage eines Holocaust-Überlebenden namens Kirsch in die Hände fällt (gewohnt intensiv: Johannes Krisch), der dann folglich vieles ins Rollen bringt, in erster Linie aber ganz viel Papierkram und Organisatorisches. Ziel ist es schließlich, so viele Zeitzeugen wie möglich zur Aussage zu bewegen, um damit so gut wie alle Nazis, die in Auschwitz stationiert waren, des Mordes oder zumindest der Beihilfe dessen zu verurteilen. Fritz Bauer ist da als Generalstaatsanwalt ganz vorne mit dabei (in eingangs erwähntem Film von Lars Kraume sieht man ganz genau, auf welchen Widerstand aus den eigenen Reihen er damals gestoßen war). Im Laufe seiner Arbeit allerdings verbeißt sich Radmann auf eine ganz bestimmte Person – nämlich jene des nach Brasilien geflüchteten KZ-Arztes Josef Mengele, dem Inbegriff unmenschlicher Scheußlichkeiten.

Im Labyrinth des Schweigens ist konventionelles, polithistorisches Erzählkino, notwendigerweise chronologisch aufgebaut und vermengt mit den Versatzstücken eines pseudobiographischen Begleitdramas rund um Fehlings Filmfigur. Geschichtsdramen wie diese brauchen einen gefälligen, dramaturgischen Unterbau, schon allein deshalb, um eine Identifikationsfigur auf Augenhöhe zu schaffen. Hier, im Frankfurt der späten 50er Jahre, kauert der Faschismus hinter den Masken jener, die es sich gerichtet haben. In einer Szene verfällt Anwalt Radmann geradezu in verzweifelte Panik, weil er plötzlich in allen und jeden einen heimlichen Nazi zu erkennen glaubt. Dieser braune Dunst wabert über dem Retro-Interieur privater Wohnungen und Büros – ein schwelender Zustand, den Regisseur Giulio Ricciarelli relativ gut einzufangen weiß.

Ganz besonders begrüßenswert ist aber vielmehr die Art und Weise, wie der Film mit den schrecklichen Details umgeht, die weder breitgetreten noch als sentimentales Betroffenheitskino demonstrativ eingesetzt werden. Über die erzählenden Gesichter unterschiedlichster Art legt er den Mantel des Schweigens, nur ab und zu werden so manch erschütternde Erinnerungen artikuliert, und der ganze schreckliche Rest lässt sich in den eigenen Gedanken sowieso nacherleben – wenn man es zulassen kann und will. Durch diese pietätvolle Balance findet Im Labyrinth des Schweigens nie sein Ziel aus den Augen. Was bleibt, ist wichtiges Kino, allerdings nach bewährtem Muster, das durch seine prosaische Norm zwar interessant ist, aber nie wirklich emotional vereinnahmt. Dass dann tatsächlich so jemand wie Mengele bis in die 70er Jahre hinein unbehelligt weiterleben konnte, macht einem zumindest klar, wie sehr man in Sachen Gerechtigkeit damals wie heute gegen Windmühlen kämpft.

Im Labyrinth des Schweigens

Dolmetscher

OPFER, TÄTER UND IRGENDWAS DAZWISCHEN

5/10

 

dolmetscher© Barbora Jancárová/Titanic, InFilm, coop99

 

LAND: ÖSTERREICH, TSCHECHIEN, SLOWAKEI 2018

REGIE: MARTIN ŠULÍK

MIT JIRÍ MENZEL, PETER SIMONISCHEK, ZUZANA MAURÉRY, ATTILA MOKOS U. A.

 

Irgendwann passiert es einfach. Und es lässt sich nicht verhindern. Die Opfer von früher treffen auf jene, die ihnen Böses wollten. Sind Opfer oder Täter von früher irgendwann nicht mehr, bleiben die Nachkommen. Doch auch als Filius eines Mörders ist ein solcher immer irgendwie noch jemand, der Schuld auf sich geladen haben muss. Und weiß man seine Eltern gemeuchelt im Massengrab unter der Erde liegend, prangt Opfer auf der Stirn des alten Waisen, der als Dolmetscher außer Dienst den Wohnsitz eben jenes Kriegsverbrechers heimzusuchen gedenkt, der das Leben von Mutter und Vater auf dem Gewissen hat. Der tschechische Filmemacher und Schauspieler JirÍ Menzel spielt diesen alten Herrn im Columbo-Gedächtnismantel und mit einem Profil, das frappant an Gunther Philipp zu seinen späten Kalauerzeiten erinnert, einzig die Ohrläppchen sind etwas kleiner. Da steht er also im Stiegenhaus eines Wiener Altbaus und läutet den völlig zerknitterten Georg Grabner aus dem vormittaglichen Müßiggang. Das hat erstmal nicht wirklich den gewünschten Effekt, den sich der alte Ali Ungar ausgemalt hätte, mit Schießeisen in der Manteltasche und den Memoiren von Papa Grabner im Koffer. Doch kommt Zeit, kommt Erkenntnis – und irgendwie finden sich die beiden plötzlich als Vertreter ihrer Past Generation im Auto wieder – quer durch die Slowakei, auf den Spuren politisch angeordneter Schwerverbrechen, auf aufklärerischen Pfaden, und auf der Suche nach dem Grab der Eltern – oder so ähnlich.

Denn irgendwie verzetteln sich die beiden. Gut, sie sind nicht mehr die Jüngsten, sie sollten sich ruhig Zeit nehmen. Kauzige Roadmovies mit ernstem Hintergrund haben schon Potenzial. Aber das heißt leider nicht, dass sich Regisseur Martin Šulík ebenfalls verzetteln muss. Dolmetscher ist sowohl die Geschichte einer Freundschaft, aber auch ein Gräuel-Dokument mit dem Holzhammer. Dieses Aussöhnen der Nachkommen, dieses Abklären der nachhaltigen Verantwortung und der Sippenhaft – diese Thematik findet sich auch in Chris Kraus´ schräger, ganz anders aufbereiteten Dramödie Die Blumen von gestern wieder. Da wurden sogar Enkelin und Enkel nicht mit ihrer Familiengeschichte fertig. Den Kraftakt muss Dolmetscher auch nicht auf knapp zwei Stunden hinbiegen, das ist etwas, das wohl niemals wieder richtig gut wird.

Die Annäherung von Täterkind Peter Simonischek an den völlig spaßbefreiten Ungar sind die besten Szenen des Filmes. Dieses Miteinander hätte schon Substanz genug gehabt, aus der ganzen nachhallenden Spurensuche ein streitbares Roadmovie durch ein so nahes und doch so unbekanntes Land zu skizzieren. Die von mir sehr geschätzte Burgtheaterlegende in Silbergrau hat noch immer ein bisschen den Toni Erdmann in den Knochen, kann aber auch sein, dass der Mann in diesem Film sehr oft einfach er selbst ist. Das macht ihn sympathisch, brummig und zugänglich – aber erinnert auch an einen Moderator aus einer Gedenktag-Doku. Menzel gibt mit seiner wandelnden, unfreiwillig schrulligen Tristesse in Beige da ordentlich kontra. Doch das und die nebelverhangenen Herbstlandschaften der Ostslowakei ziehen an einem Film vorbei, der eigentlich nur das Grauen der Nazizeit in der Slowakei aufarbeiten will. Das geht schwer zusammen, dafür ist auch zu wenig Platz in dieser Geschichte. Wenn in wenigen Momenten tatsächliche Zeugen auf alten Filmaufnahmen zu Wort kommen, dann ist das Aufarbeitung im Schnellverfahren – so viele schreckliche Details wie möglich in wenigen Minuten. Das kommt ein paar Mal vor. Und ist dann doch erzwungen reißerisch. Wenngleich der Versuch, der NS-Geschichte in den Tälern der Tatra Gehör zu verschaffen, von Regisseur Šulík durchaus ehrenhaft ist.

Dolmetscher weiß nicht, wie es mit all den Ansprüchen umgehen soll. Tragikomisch oder nur tragisch? Augenzwinkernd oder in trauernder Apathie? Neuanfang oder Nicht vergessen können? Natürlich darf Film Widersprüche vereinen, doch hier findet sich nicht mal Peter Simonischek ganz zurecht, den eigentlich mehr die Bilder von damals bewegen als alles andere. Im Grunde aber ist das Ganze ein unausgewogenes Drama, teils semidokumentarisch, teils das Reisevideo zweier Pensionisten, die unterschiedlicher nicht sein können. Zu wenig geht hier voran, zu viel will erledigt werden. Am Ende hat Martin Šulík sogar noch einen Story-Twist parat, der dann aber tatsächlich funktioniert, und die Figuren von Heute näher ans Ziel ihrer Bestimmung führt.

Dolmetscher