Der Fuchs (2022)

DIE SCHWACHEN BESCHÜTZEN

7/10


derfuchs© 2023 Alamode Film


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2022

BUCH / REGIE: ADRIAN GOIGINGER

CAST: SIMON MORZÉ, KARL MARKOVICS, PIT BUKOWSKI, ALEXANDER BEYER, ADRIANE GRADZIEL, STAN STEINBICHLER, CORNELIUS OBONYA, KAROLA MARIA NIEDERHUBER U. A.

LÄNGE: 2 STD


Wenn die eigene Familie genug Stoff für gleich mehrere Filme hergibt, dann kann es sich hierbei nur um den Österreicher Adrian Goiginger handeln, der mit seinem Regiedebüt Die beste aller Welten völlig zu Recht sämtliches Kritikerlob für sich beanspruchen durfte. Und nicht nur Journalisten vom Fach fanden da Gefallen: Auch das Publikum hat sich vom dicht erzählten Mutter-Sohn-Drama, in welchem es um Drogen, Abhängigkeit und Verantwortung ging, so ziemlich vereinnahmen lassen. Diesem grandios aufgespielten Sog in einen sozialen Mikrokosmos hinein konnte sich keiner so recht entziehen.

Die Urheimat seines familiären Ursprungs, nämlich das westliche Salzburgerland, wurde letztes Jahr erstmals zum Schauplatz einer Literaturverfilmung, die niemand geringerer als Felix Mitterer schrieb: Märzengrund, die Geschichte eines Aussteigers, der sich in die Isolation der Alpen zurückzieht, auch aufgrund einer unglücklichen Liebe und der Lust am Ausbruch aus einem starren Konformismus. Dabei blieb Terrence Malick als inszenatorisches Vorbild schon mal nicht ganz unbemerkt. Satte Bilder vom Landleben, meist in Weitwinkel und ganz nah am Geschehen – Naturalismus pur, inmitten dieser schmerzlich-schönen Idylle Johannes Krisch. Das Jahr darauf hält gleich den nächsten Film Goigingers parat: Der Fuchs. Und diesmal ist es kein Literat, der die Vorlage liefert, sondern der eigene Urgroßvater Franz Streitberger. Welch ein Glück, dass Goiginger Zeit seines Lebens die Möglichkeit gehabt hat, Erzählungen aus dem Zweiten Weltkrieg aus erster Hand zu erfahren. Die meisten, die das Ende der Welt am Kriegsschauplatz Europa erlebt hatten – und da schließe ich meine eigenen Großeltern mit ein – konnten und wollten nicht viel darüber berichten, was Ihnen widerfahren war. Womöglich würde es einem selbst nicht anders gehen. Doch in manchen Fällen saß die Zunge lockerer als das versteinerte Trauma in den Köpfen – und so hat dieser Franz Streitberger vieles preisgegeben. Vielleicht war dieser Umstand einem ganz besonderen Wesen geschuldet, eben dem titelgebenden Waldtier, das, als hilfloser Welpe mit gebrochener Pfote, in Motorradkurier Franz seine Bestimmung fand.

Wie es dazu kam? In der Antwort auf diese Frage setzt Goiginger bereits in den Zwanzigerjahren an, an einem Hof irgendwo im Pinzgau, bewohnt von einer bitterarmen Großfamilie, die längst nicht mehr alle Mäuler stopfen kann, die da im Herrgottswinkel um den Tisch sitzen. So wird Franz im Volksschulalter an einen Großbauern verkauft – ein prägendes Erlebnis für ein Kind, dass seine Zukunft als Erwachsener immer danach richten wird müssen. Zehn Jahre später ist aus diesem Buben, für den eine ganze Welt zusammenbrach, ein wortkarger und introvertierter junger Mann geworden, der in der Wehrmacht sein Glück zu finden hofft. Und dann, als der Krieg losbricht, sitzt im Beiwagen des Motorradkuriers ein Tier, das ungefähr so viel Schutz benötigt wie Franz in jungen Jahren wohl auch verdient hätte. Diesmal aber will dieser  jene Verantwortung zeigen, die seine eigenen Eltern nicht wahrnehmen konnten.

Die Bewältigung einer enormen Kränkung ist Thema eines modernen, aber doch retrospektiven Heimatfilms, der die Elemente aus dem Genre eines schonenden Kriegsfilms mit nostalgischem Pathos verknüpft. Simon Morzé (u. a. Der Trafikant) gibt den in sich gekehrten jungen Mann in keinem Moment so, als hätte er diese Schmach aus seiner Kindheit nie erlebt. Sein psychosozialer Steckbrief, sein ungelenkes Verhalten lässt sich in aller Klarheit auf das Erlebte zurückführen – das Psychogramm des Urgroßvaters ist Goiginger wunderbar gelungen. Die Sache mit dem verwaisten Jungtier ist natürlich ein besonderes Erlebnis, doch nur ein Symptom für eben diese ganz andere Geschichte am Hof der Eltern. Der Fuchs gerät zur inneren Wiedergutmachung oder zur Probe aufs Exempel, ob es überhaupt möglich sein kann, angesichts quälender und entbehrungsreicher Umstände die Obhut schutzbedürftigen Lebens gewährleisten zu können. An dieser Prüfung wird sich Franz abmühen und immer wieder knapp scheitern. Wie schwer es ist, Sorge zu tragen, bringt das sehr persönliche Historiendrama auf den Punkt, natürlich wieder in filmtechnischer Perfektion wie schon in Märzengrund. Die Kamera unter Yoshi Heimrath und Paul Sprinz findet formschönen Zugang zur pittoresken Landschaft Österreichs und der niemals prätentiösen Darstellung historischen ländlichen Lebens. Die Szene, in der die Familie des Abends ums Herdfeuer sitzt, und Karl Markovics (wieder mal genial als vom harten Bauernleben Gezeichneter) ein altes Volkslied anstimmt, gehört zu den besten des Films. Selten war Heimatfilm so intensiv.

Unter dem Aspekt des Kriegsfilms verliert Goiginger dann etwas seine Stärken. Obwohl mit reichlich Aufwand ausgestattet und professionell inszeniert, genießt Goigingers Stil hier eine Art nüchterne Auszeit vom Naturalismus. Die Szenen wirken routiniert, die Romanze in Frankreich etwas bemüht, wenn nicht gar arg oberflächlich. Doch sie ist nun mal Teil der Erlebnisse – und da hier vieles, was Urgroßvater Streitberger erzählt hat, zusammenkommt, ist auch Der Fuchs nicht mehr so aus einem Guss. Das Kernstück aber – das unausgesprochene Leid zwischen Vater und Sohn, symbolisiert durch eine Fabel vom Fuchs und dem Soldaten – findet trotz manchmal etwas überhöhtem Tränendrüsen-Score, der aber seine Wirkung nicht verfehlt, zu einer rührenden, kleinen Vollkommenheit.

Der Fuchs (2022)

Tove

TANZEN MIT DEN MUMINS

7/10


tove© 2021 Salzgeber


LAND / JAHR: FINNLAND, SCHWEDEN 2020

REGIE: ZAIDA BERGROTH

CAST: ALMA PÖYSTI, KRISTA KOSONEN, SHANTI RONEY, JOANNA HAARTTI, EEVA PUTRO, JAKOB ÖHRMAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Kennt ihr diese knapp einen halben Meter großen, nilpferdähnlichen Strichwesen? Ihr habt diese gutherzigen Zeitgenossen sicher schon mal gesehen. Zumindest mir geht es so. Von irgendwoher kenn ich sie. Man nennt sie die Mumins. Klingelts da vielleicht? Aus der eigenen Kindheit? Beim Stöbern in Buchläden für den Nachwuchs? Kann durchaus sein. Die Mumins wurden zum Kassenschlager, waren die beliebten Stars noch beliebterer Kinderbücher. Dahinter stand Tove Jansson. Von dieser Dame hatte ich vor Sichtung dieses Films allerdings noch nie etwas gehört. Und es beweist, dass Finnland nicht nur den Komponisten Sibelius oder den Filmemacher Aki Kaurismäki hervorgebracht hat. Da gibt’s noch viele andere, die sollte man entdecken, und gerade für Leute, die ihr Glück im Ausleben ihrer künstlerischen Ader finden und sich gerne von Zielstrebigkeit und kreativem Output anderer motivieren lassen, sind Biopics wie Tove eine willkommene Ergänzung diverser Lücken auf der eigenen Wissensstraße der Kunst und Kultur. Dabei war Tove Jansson, zwar ermutigt, aber auch in eine Nische gedrängt durch ihren dominanten Vater, viel weniger eine Verfechterin der neoexpressionistischen Malerei als vielmehr eine Frau, die das etwas verstoßene Genre des Comiczeichnens bravourös mit jenen Skills verbunden hat, die zum Beispiel Astrid Lindgren wunderbar beherrscht hat – dem Geschichtenerzählen für Kinder.

Und noch was kommt hinzu, was in den Vierziger- und Fünfzigerjahren maximal in den Enklaven militanter Künstlerkreise demonstrativ ausgelebt wurde: die sexuelle Freiheit. Verfilmte Zeitbilder wie diese dürften in Ländern wie Russland oder Saudi-Arabien nicht mal unter der Hand weitergereicht werden – verboten und verpönt ist dort jedwede homosexuelle Tendenz oder gar künstlerische Darstellung. In Finnland ist das aber anders, zum Glück. Und auch im übrigen Europa. Und so lassen sich ganz entspannt hierzulande im Kino die Stationen eines Lebens verfolgen, dessen Protagonistin im übertragenen Sinne permanent am Tanzen war. Zu erkennen ist eine von Neugier und Selbstbestimmung durchwirkte Orientierungslosigkeit, die viel Unruhe erzeugt, so viel als geht gleichzeitig ausprobieren will und Individualisten wie Tove Janssen eben nicht nur an einer Sache kontinuierlich arbeiten lässt.

Diesen ewigen Tanz, mit oder ohne Mumins oder mit der leidenschaftlich geliebten Theaterregisseurin Vivica Bandler, die Toves phantastische Wesen tatsächlich auch auf die Bühne gebracht und so ihren Erfolg dafür in richtige Bahnen gelenkt hat, beherrscht die finnische Schauspielerin Alma Pöysti mit Bravour. Tove ist deswegen gelungen, weil, und so soll es auch sein, die kindlich-aparte Blondine mit dem blassen Teint alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Pöysti, die bereits mehrmals animierten Mumins-Filmen ihre Stimme lieh, hat mindestens so viel unverwechselbare Ausstrahlung wie zum Beispiel Tilda Swinton. Pöysti ist unverwechselbar in ihrer Erscheinung und man merkt, dass ihr die Materie alles andere als fremd scheint. In die Figur von Tove lässt sie sich fallen, vor allem intuitiv und impulsiv. Ihr zur Seite lässt sich Krista Kosonen entdecken, die frappant an die junge Barbara Sukowa erinnert, dabei aber eigentlich durch ihre Rolle in der schwedischen Fantasyserie Beforeigners Liebhabern europäischer Serienphantastik längst bekannt sein sollte. Ist sie aber nicht, vielleicht, weil beide Rollen so dermaßen grundverschieden sind, dass der Konnex dazwischen nicht gegeben ist. Beide zusammen, aber auch der Cast in den Nebenrollen, besticht durch Empathie für seine Rollen. In Tove regieren keine Gewalt, keine Niederträchtigkeit oder andere, nachhaltige Dramen. Das Biopic von Zaida Bergroth ist die sanfte, oft verträumte und diskret leidenschaftliche Geschichte einer Künstlergenese, die zwar bis zum finanziellen Erfolg reicht, in Wahreit aber stets den selben, im Kreise drehenden Parcour bestreitet. Das Leben, ein ständiger Neuanfang.

Tove

Resistance – Widerstand

CLOWN COURAGE UND SEINE KINDER

5/10


resistance© 2021 Warner Bros. Pictures


LAND / JAHR: USA, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, GROSSBRITANNIEN

BUCH / REGIE: JONATHAN JAKUBOWICZ

CAST: JESSE EISENBERG, CLÉMENCE POESY, FÉLIX MOATI, MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, BELLA RAMSEY, KARL MARKOVICS, ED HARRIS, ÉDGAR RAMÍREZ U. A. 

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Keine noch so offensichtliche, politisch motivierte Schandtat bleibt ohne Widerstand. Den gibt es gottseidank immer. Jenes Aufbegehren in Frankreich zur Zeit der deutschen Invasion war noch dazu kein verpuffendes Händeringen, sondern konnte einiges bewirken. Wie zum Beispiel die Rettung unzähliger jüdischer Kinder vor der Vernichtung. Dabei fällt der Name eines Künstlers, der wohl angesichts seiner Tätigkeit als weltberühmtester Pantomime wohl nicht so schnell mit politischem Aktivismus in Verbindung gebracht worden wäre: Marcel Marceau, ebenfalls jüdischer Abstammung und zum Leidwesen seines Vaters, einem Metzger, einer, der auf den Kleinbühnen Frankreichs gerne den aphonen Hanswurst gibt. Ob brotlose Kunst oder nicht: dem Publikum gefällt‘s. Mitten in diese Zeit des Tuns und Lassens, was einem gerade so gefällt, bricht der Zweite Weltkrieg. Flüchtlinge sammeln sich an den Grenzen zu Frankreich, Marcel (damals noch nicht Marceau) ist vor Ort, sieht das Leid und den Kummer der verwaisten Kinder. Ab diesem Zeitpunkt wird alles anders, der Pantomime hilft, wo er nur kann. Versucht, mit etwas Humor Trost zu spenden in einer Zeit voller Trübsal. Und schließt sich, nachdem Frankreich über Nacht annektiert wird, dem Untergrund an. Dort, wird er Geschichte schreiben, in dem er Flüchtlingskinder über die Berge in die Schweiz bringt. Später wird er Verbindungsoffizier der US Army unter George S. Patton sein.

Was dieser Mann proaktiv geleistet hat, das nenn ich Engagement und Courage. Ganz klar, dass Marceaus Erinnerungen, auf welchen der Film basiert, bestens dafür geeignet sind, verfilmt zu werden. Die Frage ist nur: ist Jesse Eisenberg für die Darstellung des außergewöhnlichen Franzosen eine gute Wahl? Wiederholt bleibt Eisenberg in so manchen Filmen relativ blass, auch nicht sehr charismatisch. Ausnahmen gibt es, so zum Beispiel die Sozialsatire The Art of Self Defense, in welcher er als Nobody versucht, durch das Erlernen von Karate seinem Mann zu stehen. Als Marcel Marceau überzeugt Eisenberg nur bedingt – vielleicht, weil sein Spiel zu gefällig ist. Zu austauschbar. Clémence Poésy und der von mir sehr geschätzte österreichische Schauspieler Karl Markowicz als Marceaus Vater können sich mit der europäischen Geschichte besser identifizieren als Eisenberg selbst, obwohl dessen Eltern osteuropäisch-jüdischen Ursprungs sind. Der Eindruck einer schauspielerischen Distanz bleibt dennoch.

Bösewicht Matthias Schweighöfer geht’s da ähnlich. Er macht, was auch August Diehl in seinen Nazi-Rollen immer macht: Stereotypen bedienen. Resistance – Widerstand unter der Regie von Jonathan Jakubowicz setzt sich mit der humanitären Katastrophe nur oberflächlich auseinander. Das lässt sich anhand der recht einfach gezeichneten Figuren erkennen, die allesamt in ihrer idealisierten oder gar simplifizierten Geisteshaltung, die sie haben müssen, die Erwartungen bedienen. Das große Drama ist zwar da, unterliegt aber einem sentimentalen Weichzeichner. Marceaus Erinnerungen geraten zur scheinbar mündlich überlieferten Legende – in diesem Licht könnte auch Resistance trotz des Umschiffens traumatischer Abgründe manche vielleicht etwas mehr überzeugen als mich.

Resistance – Widerstand

Marshall

ROUTINE VOR GERICHT

5/10


marshall© 2017 Droits réservés

LAND / JAHR: USA 2017

REGIE: REGINALD HUDLIN

CAST: CHADWICK BOSEMAN, JOSH GAD, DAN STEVENS, KATE HUDSON, STERLING K. BROWN, SOPHIA BUSH, JAMES CROMWELL, JOHN MAGARO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Chadwick Boseman lässt sich zurzeit nachhören – und zwar in der auf Disney+ erschienenen, animierten Marvel-Serie What If… . Anscheinend dürften diese Synchronarbeiten schon etwas länger zurückliegen. Gerade als alternativer Star Lord T’Challa hätte Boseman wohl vielleicht sogar einen Multiversum-Auftritt in der neuen MCU-Phase haben und ganz viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Doch leider wird das nichts. Falls man aber den charismatischen Schauspieler nochmal gerne auf den Schirm holen möchte, bietet sich natürlich das Heimkino an. Einer seiner Filme, die wohl nicht ganz so an die große Marketing-Glocke gehängt wurden, weil sie vielleicht zu hausbacken geworden sind, wäre jedenfalls Marshall – ein Biopic über den ersten schwarzen US-Richter der Geschichte. Zuvor war dieser allerdings als Anwalt für Minderheiten tätig, unter anderem für einen Kriminalfall wie jenen, den Regisseur Reginald Hudlin (u. a. Boomerang mit Eddie Murphy) hier als sehr herkömmliches Justizdrama aufbereitet hat.

Marshall spielt in den frühen Vierzigerjahren, zu einer Zeit also, in der es Schwarze deutlich schwerer hatten, vor Gericht Gehör zu finden als natürlich die Weißen. Die waren überdies auch einfach wohlhabender und konnten, wenn schon nicht mehr Sklaven, so doch ihre Bediensteten mit Minderheiten besetzen. Einer davon: Chauffeur Joseph Spell (Sterling K. Brown), der kurzerhand verhaftet wird, nachdem ihm eine wie Kate Hudson, die hier die High Society gibt, der Vergewaltigung beschuldigt. Das Wort einer Weißen steht gegen das eines Schwarzen – der wiederum beteuert, das Verbrechen nicht begangen zu haben. In dieser Not tritt Thurgood Marshall auf den Plan, für den Fälle wie diese zum Job gehören, der aber ganz besonders in dieser Sache mit dem jüdischen Anwalt Sam Friedman (Josh Gad) zusammenarbeiten muss, der zwar nur Versicherungsfälle betreut, in dieser Oberliga aber mitmischen muss, da Marshalls Konzession in diesem Eck der USA nicht gilt.

Es lässt sich in Marshall wieder ganz gut erkennen, wie sehr Chadwick Boseman mit nur wenigen charakterlichen Adaptionen gänzlich unterschiedliche Persönlichkeiten spiegelt. Sein Thurgood Marshall ist weit von einem Black Panther entfernt, und auch weit von seiner letzten, meiner Meinung nach besten Rolle, nämlich die des Trompetenspielers aus Ma Rainey´s Black Bottom. In diesem Film hier gibt sich Boseman distinguiert und aufgeräumt, konzentriert und selbstbewusst – keinesfalls leidenschaftlich. Ein praktisch veranlagter Anwalt, der keiner Obsession erliegt. Entsprechend konventionell ist auch Hudlins Krimidrama geworden. Für ein Fernsehspiel wäre Marshall vielleicht bemerkenswert gewesen. Oder eben gerade richtig. Großes Kino ist diese Routine vor Gericht somit nicht. Es ist ein Spiel nach bewährten Formeln, die allesamt fraglos verstanden wurden. So wirklich packend sind aber weder die mögliche Aussicht auf ein falsches Urteil noch die obligaten Schlussplädoyers. Hier fühlt man sich als stoischer Ordnungshüter auf dem Flur vor dem Gerichtssaal, der Fälle wie diese immer wieder zu hören bekommt. Deren Erörterung mag ja manchmal für die ganze verstockte Gesellschaft von damals zu einem nachhaltigen Ergebnis gelangt sein. Das Wie und Weshalb, das dazu führt, ist aber doch nur pflichtbewusste Tagesagenda.

Marshall

Mank

MASTERMINDS, MÄCHTIGE UND MONETEN

5/10


mank© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: DAVID FINCHER

CAST: GARY OLDMAN, LILY COLLINS, AMANDA SEYFRIED, CHARLES DANCE, TOM PELPHREY, ARLISS HOWARD, TOM BURKE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 12 MIN


Es ist schon eine ganze Weile her, als ich mir Orson Welles Citizen Kane aus cinophilem Pflichtbewusstsein heraus angesehen habe. Und ja, das Werk ist zweifelsohne bemerkenswert, wunderbar gefilmt und erzählerisch, vor allem für die damalige Zeit, recht innovativ. Als besten aller Filme, wie viele Kritiker und Experten behaupten, sehe ich ihn dennoch nicht. Da hat für mich Orson Welles Film Noir Im Zeichen des Bösen deutlich mehr Grip. Aber das nur nebenbei. Was Citizen Kane mit David Finchers neuester Arbeit Mank zu tun hat? Das Drehbuchgenie dahinter. Einem Mastermind, dem des Öfteren der Hochprozentige näher war als der Schreibstift: Herman Mankiewicz. Ein Alkoholiker unter dem Herrn, in klaren Momenten scharfer Denker und mutiger Dramaturg, der für Citizen Kane gar den Oscar erhielt. Dabei war gar nicht mal sicher, ob Citizen Kane überhaupt in den Kinos gezeigt werden dürfe, da sich das Script ganz deutlich das Leben von William Randolph Hearst zur Brust nahm, eines Medien-Tycoons und Zeitungsmogul, der sich in dem Werk diffamiert sah. Zeitgleich gab’s in den dreißiger Jahren politisch gesehen jede Menge ruheloses Blut, da gab’s die Sozialisten und die Kapitalisten, da gab’s einen Schriftsteller namens Upton Sinclair, der in Finchers Film regelmäßig genannt wird. Wer aber all diese politischen Bezüge, Hintergründe und vor allem: wer Citizen Kane nicht mal ansatzweise kennt oder weiß, was das für ein Film ist, der wird, salopp gesagt, mit Finchers sehr speziellem Werk nicht viel anfangen können.

Mank sollte im Doppel- oder gar im Dreierpack präsentiert werden. Als Prolog könnte man vielleicht gleich den ganzen Citizen Kane mit einbeziehen. Zwischendurch vielleicht eine aufschlussreiche Dokumentation über die Zeit von damals, über William Randolph Hearst vielleicht und dessen politischer wie gesellschaftlicher Bedeutung? Diese ach so nostalgischen frühen Jahre Hollywoods, was waren die eigentlich? Ein Völkerballspiel der freien Kräfte, die da waren MGM oder Universal oder Paramount oder Warner. Hinter all diesen Studios saßen die steinreichen Mächtigen mit viel Einfluss, die Stars erschufen oder wieder vernichteten, die eng mit der Politik kokettierten und um Einfluss gierten. Eine schöne Zeit war das keine, eine Zeit der Abhängigkeit viel mehr. Fincher dreht in Schwarzweiß, um zumindest optisch mit Kolorit, Stimmung und Atmosphäre das Damals zu verklären. Zugegeben, seine Bilder sind erlesen, die Kameraarbeit erste Sahne, auch schauspielerisch geben alle ihr Bestes. Ja, auch Gary Oldman, obwohl er die meiste Zeit nur devastiert herumliegt und wenn er nicht herumliegt, besoffen und verschwitzt durch Peinlichkeiten torkelt.

Was das von David Finchers mittlerweile verstorbenem Vater Jake Fincher verfasste Script zu Mank bereithält, ist, um es wohlwollend zu formulieren, nur bedingt interessant und hat obendrein ein massives Prioritätenproblem. Mank ist ein Film, der, hätte Netflix ihn nicht veröffentlicht, wohl nie ins Kino gekommen wäre. Der Film wäre, so wage ich zu prognostizieren, ein Flop geworden. Warum? Weil die Story, die erzählt wird, hauteng zugeschnitten ist auf ein Publikum der Experten, versierten Politkenner und eingelesenen Medienhistoriker. Ein Film für spezielle Nerds, die all diese Namen kennen und zuordnen können, die diesen mehr als zweistündigen Redeschwall auseinanderdividieren und zeitgleich zum Gesehenen all die Fußnoten vor dem geistigen Auge einfügen können. Zugegeben: ich konnte das nicht. Womöglich sind mir viele Bezüge durch die Lappen gegangen, ich kenne Hearst und Mankiewicz maximal dem Namen nach, Orson Welles ist natürlich ein Begriff, Upton Sinclair? Puh…sagt mir was, aber da müsste ich, um ins Detail zu gehen, irgendwo nachschlagen (was ich auch getan habe). Mank macht es Zusehern wie mir nicht leicht, an Bord zu kommen. Politischer Smalltalk, Männer im Anzug noch und nöcher, die sich treffen und die wieder auseinandergehen: ein Fall von geschmackvoller Eintönigkeit. In Sachen Erzählstil versucht Fincher – ähnlich wie Citizen Kane selbst – mit Rückblenden frischen Wind reinzubringen, er lässt Mankiewicz zurückdenken ans Damals der Dreißigerjahre, wo dieser maximal als Zaungast neben den Dingen stand, die da passiert sind. Übrigens: Louis B. Mayer, ja den kenn‘ ich auch noch.

Mank setzt ein Vorwissen voraus, welches das Gezeigte überhaupt erst lebendig macht. Herrscht hier ein Defizit, bleibt vieles unbeweglich, bruchstückhaft, nicht relevant genug, um wirklich zu begeistern. Von seinen historischen Figuren gibt Mank wenig Preis. Er macht sie zu Personen auf Fotografien, die auf ihren Einsatz warten. Von der eigentlich sehr wichtigen Rolle des Zeitungsmagnaten Hearst (Charles Dance) zum Beispiel bleibt wider seiner Notwendigkeit nicht viel mehr als eine zugerufene Schlagzeile. Hat man allerdings dieses Vorwissen zu all den Begebenheiten und Biographien, kann Mank durchaus mitreißend sein – das würde auch das Kritikerlob erklären. Für mich jedenfalls ist David Finchers Liebhaber – und Herzensfilm eine ausgebügelte, aus dem Kontext gerissene Making Of-Anekdote mit angehängtem Stückwerk aus Politik und Gesellschaft, das diese hauchdünne edle Patina an Bildern bemüht ist zu tragen.

Mank

Florence Foster Jenkins

MUSIK IST, WENN MAN TROTZDEM SINGT

6,5/10

 

fosterjenkins© 2016 Constantin Film / Quelle: hollywoodreporter.com

 

LAND: USA 2016

REGIE: STEPHEN FREARS

MIT MERYL STREEP, HUGH GRANT, SIMON HELBERG U. A.

 

Meryl Streep hat es nach Mamma Mia wieder getan. Sie hat sich abermals dem Gesang hingegeben. Doch diesmal nicht in blauer Latzhose und Lockenmähne, sondern in aufgerüschten Blusen und jeder Menge Schmuckbehang. Denn Meryl Streep – nach wie vor womöglich einer der besten amerikanischen Schauspielerinnen und in keinster Weise überbewertet – ist Madame Florence Foster Jenkins. Ihres Zeichens die wohl beliebteste schlechteste Sängerin, die jemals von sich Reden gemacht hat. Und tatsächlich gibt es eine einzige Schallplatte, die ihr „alternatives“ Gesangstalent für die Ewigkeit konserviert hat. Denn hat man es nicht gehört, kann man es kaum glauben.

Die leidenschaftliche, gutherzige und an Syphilis erkrankte Dame lebte und starb für die Musik. Nicht unbedingt zwingend für ihre, aber generell für den gespielten und gesungenen Ton, bevorzugt aus der Klassik. Was in Anbetracht ihres gesellschaftlichen Stands nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist, dass Florence steinreich war. Ihr Musikverein zog Tonkünstler aller Klassen an. Alle wollten sie Geld. Unterstützung für ihr Projekt. Für das Ideal, die Idee, der großen Kunst. Da kann jemand wie die sozial engagierte, ältere Dame kaum widerstehen. Als Dankeschön, und um den musischen Goldesel bei Laune zu halten, winkt die Anerkennung für ihren Gesang, obwohl eben dieser grottenschlecht ist. Eine traurige, bittere Konstellation. Die heile Welt von Florence Foster Jenkins – zum Großteil eine Lüge. Diese Lüge und den Vertrauensmissbrauch eines zwar naiven, aber unendlich großherzigen Menschen hat schon Catherine Frot alias Madame Marguerite um ihre schiefen Töne gebracht. Die 2015 entstandene französische Produktion hat die Lebens- und Leidensgeschichte der Florence Foster Jenkins als lose Vorlage für ein ähnlich gestaltetes Drama hergenommen. Dieses ist mit Abstand zynischer, schwermütiger und beklemmender geworden. Ein sehenswerter Film, keine Frage.

Die ziemlich nah an Foster Jenkins´ Biografie angelehnte Verfilmung von Stephen Frears ist betulicher, liebevoller und versöhnlicher. Allerdings auch langatmiger. Frears hat das Jahrzehnt des großen Schaffens irgendwie hinter sich gelassen. Von der Intensität seiner Gefährlichen Liebschaften oder Hero ist kaum mehr etwas über. Seit The Queen mit Helen Mirren, der meines Erachtens völlig überbewertet wurde (nicht aber Helen Mirren´s schauspielerische Leistung), ist der irische Regisseur ein Garant für in sich stimmige, aber zähe Unterhaltung, die sich in stets flüchtigem Plauderton in die Länge zieht. Das ist teilweise auch bei Florence Foster Jenkins der Fall, obwohl es auch hier darstellerisch überhaupt nichts zu meckern gibt. Die Streep ist wie immer souverän und auf fast schon routinierte Weise grandios. Selbst Hugh Grant blüht in diesem kostüm- und requisitenorientierten Requiem auf eine Muse ohne Talent zur Höchstform auf und präsentiert den zweigleisig fahrenden Ehemann an Florences Seite als aufrichtige Altersrolle. Nicht zuletzt begeistert Big Bang-Ingenieur Simon Helberg als verschrobener, aber herzenstreuer Pianist an der Seite der Grand Dame mit skurril-sympathischen Momenten.

Florence Foster Jenkins ist Schauspielerkino mit leicht enervierenden Klangerlebnissen und einem Faible für Schmuck, Mode und Bühnenpräsenz. Ähnlich einer mittelmäßigen Oper, deren Arien in Erinnerung bleiben, die ausgesessenen Intermezzi aber, bis auf die Kulissen, klanglos verhallen.

Florence Foster Jenkins