Orang Ikan (2024)

ÜBERDOSIS OMEGA-3

5,5/10


© 2024 Splendid Film


LAND / JAHR: INDONESIEN, JAPAN, SINGAPUR, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: MIKE WILUAN

KAMERA: ASEP KALILA

CAST: DEAN FUJIOKA, CALLUM WOODHOUSE, ALEXANDRA GOTTARDO, LUCKY MONIAGA, ALAN MAXSON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Orang-Utan ist wohl jedem ein Begriff, den muss ich nicht erklären. Woher der Name stammt, vielleicht schon, denn der wurzelt in der malaiischen Sprache und heisst soviel wie Waldmensch. Orang für Mensch. Utan (oder Hutan) für Wald. Dann gibt es noch den Orang Pendek (oder Pendak), heisst soviel wie kleiner Mensch. Der Knilch ist nach wie vor ein kryptozoologisches Phänomen und soll sich in den Wäldern Sumatras herumtrollen. Und dann gibt es Orang Ikan. Was Orang bedeutet, wissen wir, und Ikan steht für Fisch. Ein Flossenwesen also auf zwei Beinen, sonst wäre er nicht humanoid. Für den gibt es auch keine wissenschaftlichen Belege, und im Gegensatz zur Pendek-Version reden wir nicht mal über Sichtungen. Denn Orang Ikan stammt aus der Feder von Mike Wiluan, einem in Singapur geborenen Filmemacher, der sich wohl eine ausgewiesen Vorliebe für die frühen Monsterfilme der 50erjahre bewahrt hat, insbesondere für jene von Jack Arnold, und da wieder insbesondere für jenen, der sich Der Schrecken vom Amazonas nennt. In diesem effektiv gefilmten, kauzig-monströsen Klassiker tummelt sich eine Jumpsuit-Unterwasserkreatur im tropischen Sumpf und findet Gefallen an einer – wie kann es anders sein – schönen Frau, die zu ihrem Leidwesen als Teil einer Forscher-Crew das eine oder andere mal durchaus ihr stimmliches Organ beanspruchen muss. Denn wenn man da nicht weiß, was da aus der Tiefe steigt, mag der titelgebende Schrecken schon groß sein. So groß wie ein Mann, der sich damals im Gummikostüm halb zu Tode hat schwitzen müssen. Viele Jahrzehnte später schenkt Guillermo del Toro diesem Fischwesen eine phantastisch-romantische Hommage in barocken Bildern: The Shape of Water wurde zum Oscar-Hit.

Des Fisches Blutgesang

Preislich wird Orang Ikan wohl keine Trophäen abräumen – dafür hätte Mike Wiluan den genretypischen Werkzeugkasten wohl ausleeren und neu einsortieren müssen. So aber bleibt er der Art und Weise, wie man Seemansgarn erzählt, zu hundert Prozent treu, wenngleich er in Sachen monströser Grimmigkeit gerne noch ein Schäuflein nachlegt. Denn Orang Ikan, der hat wohl vom Predator viel gelernt. Darunter auch, wie man Köpfe abreißt und menschlichen Schwächlingen eine Frontal-Gastroskopie verpasst. Wiluan will seine Kreatur so furchterregend wie möglich erscheinen lassen – als Mischung aus Tiefseefisch, Jack Arnold-Body und eben einem Jautja (wie die Spezies des Predators eigentlich bezeichnet wird). Vieles in diesem Film erfreut sich filmischer Referenzen, wenig bleibt als eigenständige Idee auf diesem einsamen, sagenumwobenen Eiland zurück, an dessen Gestaden ein Japaner und ein Amerikaner zur Zeit des Pazifikkrieges ihr Bewusstsein wiederfinden, nachdem ihr Kriegsschiff auf Grund lief. Beide sind aneinandergekettet und hätten als Straftäter wohl eher den Gezeiten überantwortet werden sollen – nun hat es sie noch schlimmer getroffen, denn jetzt ist Orang Ikan hinter ihnen her, um was zu tun? Die Insel zu verteidigen? Potenzielle Nahrung zu sammeln?

Was folgt, ist ein gelb- und grünstichig gefilmtes Guilty Pleasure ohne Überraschungen, dafür aber mit einigen Gore-Szenen und ganz viel Dschungel-Feeling. Das Wesen darf sich einem knackigen Äußeren erfreuen, ganz ohne CGI und somit herrlich analog, wie in den guten alten Zeiten. Für Monsterfans ist Orang Ikan ein genüssliches Junk Food, da lässt sich über seifiges Pathos gerne hinwegsehen.

Orang Ikan (2024)

The Boogeyman (2023)

NICHT ALLE MONSTER IM SCHRANK

6/10


THE BOOGEYMAN© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ROB SAVAGE

DREHBUCH: SCOTT BECK, BRYAN WOODS, MARK HEYMAN

CAST: SOPHIE THATCHER, VIVIEN LYRA BLAIR, CHRIS MESSINA, DAVID DASTMALCHIAN, MARIN IRELAND, LISAGAY HAMILTON, MADISON HU U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Offene Türen sind des Nächtens ein No-Go. Wer will das schon, ins dunkle Nichts zu starren und sich allerhand Gruseliges darin vorzustellen, denn die Fantasie des Menschen kennt gerade in der Schwärze keine Grenzen. Warum nicht einfach schließen? Nichts da, im Kino gehen sie alle wieder auf – sogar, wenn sie versperrt sind. Im Schrank, da hat der Horror seine Startposition, da kann er nochmal ein Stretching hinlegen, bevor er die Schutzbefohlenen heimsucht – als Geist, als Portal in eine andere Welt, oder als schlaksiges Langbein mit mieser Fresse, das nichts anderes will, als die Angst furchtsamer Nichtschläfer zu schüren, denen tags darauf sowieso niemand glaubt.

Diese Schranktüren, die hat schon in den Achtzigern Steven Spielberg für sich genutzt. In Poltergeist ist der Ort dahinter, kaum zwei Quadratmeter, die Quelle allen Übels. Wie sehr dann viele Jahrzehnte später das Ganze nochmal und bis zum Augenrollen hin strapaziert wird, kann man nun im phantastischen Heimsuchungs-Streifen The Boogeyman erfahren. Abstellräume, soweit das nachtblinde Auge reicht: Biotope einer lebhaften Fantasie, die dank Kult-Schreiber Stephen King Gestalt annimmt. Monsterhorror gemixt mit dem Narrativ eines Haunted House-Dramas? Könnte von Guillermo del Toro sein (Crimson Peak). Ist er aber nicht. Diesmal war einer wie Rob Savage am Werk. Mit den Versatzstücken, die er zur Hand hat, sollte es keine Hexerei darstellen, einen Kinderlied-Helden wie diesen zum fiesen Meuchler umzufunktionieren. Wieso aber Kinderlied-Held? Der Boogeyman ist, eingedeutscht, im Grunde nichts anderes als der Bi-Ba-Butzemann, der laut Lyrics ums Haus tanzt. Der Butzemann wiederum steht für alles, was als Schreckensgestalt oder Dämon eben hinter Schranktüren passt, da ist die Auswahl groß und so auch die Möglichkeit zur freien Gestaltung dieser englischen Folklore-Figur, die ebenso als Schwarzer Mann bekannt ist. Also was jetzt? Im Grunde nur ein Platzhalter für sowieso alles Mögliche, was Angst macht?

Dieses Wesen also, wie kann es anders sein, nistet sich immer dort ein, wo Trauer, Schwermut und Verzweiflung herrschen. Je trauernder, umso mehr gibt’s für den Boogeyman zu holen. Im Haus des Witwers Will Harper zum Beispiel lässt es sich als Dämon ganz gut leben. Der Psychiater und seine zwei Töchter haben unlängst die Frau des Hauses zur letzten Ruhe betten müssen. Viel Gras ist über den Verlust noch nicht gewachsen. Gerade retour im Alltagsleben, haben es Vater und Kinder nicht leicht, Fuß zu fassen. Will Harper empfängt eines Tages in der hauseigenen Praxis einen seltsamen Mann, Mr. Billings (David Dastmalchian), der von einem ungelenken Schreckensding faselt, das alle seine Kinder auf dem Gewissen haben soll. Harper ist skeptisch, die Kinder sind es auch, doch als die kleine Sawyer (Vivien Lyra Blair, die junge Prinzessin Leia in Obi-Wan Kenobi) nebst wie durch Geisterhand geöffneter Schranktür auch einer grotesken Kreatur gewahr wird, will auch die ältere und desillusionierte Schwester Sadie der Sache auf den Grund gehen. Mit dieser Eigeninitiative gerät der Stein ins Rollen – und der Boogeyman fährt zur Höchstform auf.

Was Savage von Anfang an – und auch bis zum Ende – mehr oder weniger richtig macht, ist das von mir mal so genannte Alien-Prinzip, was so viel heißt wie: Mach dich rar, um richtig schrecklich zu sein. Den Boogeyman bekommt man also nie wirklich und niemals lang genug zu Gesicht, um sich ein Bild von ihm zu machen. Das expressionistische Grauen, wie ein surrealer Nachtmahr aus der Zeichenmappe des Alfred Kubin, manifestiert – um nicht zu sagen: teleportiert sich auf geheimnisvolle Weise wie eine nur Sekunden dauernde Einbildung, die man hat, wenn man glaubt, etwas Unnatürliches im Halbdunkel des Zimmers gesehen zu haben. Klar, dass der Film dann nicht bei Festbeleuchtung spielen kann. Klar auch, dass die Finsternis fast schon als personifizierter Main-Act die Regeln vorgeben muss, um überhaupt dem Boogeyman eine Bühne zu bieten. Das ist dann aber auch der Knüppel zwischen den Beinen, denn wie so oft wundert man sich über das dumme Verhalten neugieriger Nasen, die durchs Dunkel der Korridore schleichen, vielleicht noch nebenbei lauthals Hallo, ist da wer? rufen – wohlwissend, dass das Böse nicht weit sein kann.

Als Trauerdrama funktioniert The Boogeyman aber ganz und gar nicht, dafür kolportiert der Subplot lediglich die Fassade einer trauernden Familie, die niemals wirklich überzeugt. Für dieses Wesen jedoch müssen diese Parameter geschaffen sein – es will schließlich auch bekämpft werden. Was dabei entsteht, ist ein geradliniges Befreiungsszenario mit begrenzten Mitteln auf der Seite der Guten, vor allem effektiven Budenzauber und, wenn man die paar Sekunden zu schätzen weiß, knackiger Creature-Motion.

The Boogeyman (2023)

Der Nachtmahr

KOMM AUF MEINE DUNKLE SEITE

7,5/10


nachtmahr© 2015 Filmladen


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2015

BUCH / REGIE: ACHIM „AKIZ“ BORNHAK

CAST: CAROLYN GENZKOW, SINA TKOTSCH, WILSON GONZALEZ OCHSENKNECHT, ARND KLAWITTER, JULIKA JENKINS, LYNN FEMME, LUCIA LUCIANO, KIM GORDON U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Dieser Film kann lichtempfindliche Zuseher nachhaltig in Mitleidenschaft ziehen. Stroboskopeffekte können zur Epilepsie führen. Und dennoch wird empfohlen – um die Qualität des Werks nicht zu mindern – ganz laut aufzudrehen. Die Musik, die hier während diverser Rave-Partys zu hören ist, muss hämmern, dass einem die Ohren klingeln. Will ich das? Nein, das ist es mir nicht wert. Ich drehe Der Nachtmahr auf handelsübliche Lautstärke. Schraube das Volume sogar noch ein bisschen runter, denn das quälende Geräusch, einem Presslufthammer gleich, ist schon lange nicht mehr als Musik zu bezeichnen, nur weil man ab und an noch so etwas wie Rhythmus raushören kann. Aber gut, soll’s geben, stört mich nicht, wenn ich mir trotz Empfehlung der Filmemacher nicht unbedingt einen Tinnitus einfangen will. Und siehe da: Der Nachtmahr funktioniert genauso gut. Auch ohne Selbstquälerei. Die Coming of Age-Allegorie des vielseitigen Künstler AKIZ (mit bürgerlichem Namen Achim Bornhak) sucht sich für die im Kino schon sehr oft bemühte und derzeit etwas inflationär gewordene Phase des Erwachsenwerdens vom Mädchen zur Frau einen allerdings reizvollen und ungewohnten Zugang aus, der mit dem Genre des phantastischen Films kokettiert und die Metaebene des Irrealen auch in die Realität holt, um eine Zwischenwelt zu besiedeln, die durch ihre Erdung allerdings so greifbar bleibt, dass man das Gefühl hat, ein Monster wie dieser graue, kleine Humunculus könnte bei einem selbst mal den Kühlschrank plündern.

Tatsächlich widerfährt diese Begegnung, die an das erste Aufeinandertreffen von Elliott mit dem extraterrestrischen Trapezkopf aus E.T. erinnert, einem fast volljährigen Mädchen namens Tina. Die junge Dame lebt ihre Pubertät, wie Mädels des Handyzeitalters eben ihre Pubertät leben. Mit Tanzen, Partys und mediensozialer Dauerpräsenz. Mit schickem Kommerz, Intrigen und Romanzen. Manchmal kippt das Ganze auch ins Bizarre, wenn Videos von Verkehrsunfällen geteilt werden oder wenn sich Tinas Konterfei durch Morphing in einen missgestalteten Fötus verwandelt. Es dauert nicht lang, da geistert dieser Fötus in Tinas Wahrnehmung herum. Anfangs noch als Schrecken aus der Küche, den die Eltern nicht sehen können, wird der Nachtmahr langsam zu einem Teil von Tinas Psyche. Was der kleine glupschäugige Knirps fühlt und empfindet, fühlt und empfindet auch Tina. Die Eltern sind zusehends besorgt, eben auch sie selbst. Eine Einweisung in die Psychiatrie steht im Raum, nachdem der Besuch beim Therapeuten nicht den gewünschten Erfolg bringt. Auch Tinas Freundinnen distanzieren sich, in der Schule wird das Mädchen gemobbt – bis es dazu kommt, dass der Nachtmahr nicht nur Tina, sondern auch allen anderen erscheint. Und wir wissen: Absonderliches kommt in unserer Gesellschaft nie gut an. Entweder wir Menschen verstehen es sofort, oder es muss weg.

Das Absonderliche ruht in der Psyche eines jeden jungen Menschen, dessen Hormonhaushalt verrückt spielt und dessen Identität, Charakter und Bedürfnisse sich erst mal herausbilden müssen, um mit beiden Beinen im Leben stehen zu können. Dieses Absonderliche sind Ängste, Albträume, emotionale Defizite, Unsicherheiten angesichts einer Welt, die man als Erwachsener immer noch nur sehr schwer begreifen kann. Dazu kommt die Abnabelung vom Elternhaus, das Flüggewerden und das Nicht-Entsprechen elterlicher Erwartungen. Zuletzt bediente sich das finnische Horrordrama Hatching eines sehr ähnlichen Symbolismus. Hier findet die junge Alli ein Ei im Wald, das immer größer wird, um dann ein Monster schlüpfen zu lassen, dass allerdings andere Ambitionen an den Tag legt wie das Wesen in Aziz‘ Film. Beide allerdings fordern durch visualisierte Ausgeburten den werdenden Erwachsenen dazu auf, zu sich selbst zu stehen. Sie sind die Manifestation einer dunklen, missgestalteten, unidealen Seite. Sie fordern auf, akzeptiert zu werden als das, was sie sind. Als Teil vom Ganzen, ohne dessen eine Persönlichkeit nicht reifen und funktionieren kann. Ziel ist es, diesen Teil anzunehmen, ohne sich von ihm beherrschen zu lassen. Deutlicher lässt sich Psychologie kaum illustrieren. Akiz tut dies behutsam, ohne den Horror zweckzuentfremden oder aus dem Kontext zu reißen. Das Unnatürliche gerät zum Ruhepol einer unruhigen Welt im Umbruch. Carolyn Genzgow geht dabei schauspielerisch durchaus an verantwortungsbewusst gesteckte Grenzen, scheint unter Akiz‘ Regie eine Odyssee zu meistern, die sich viel mehr vom Sarkasmus in Hatching entfernt, dafür aber gerne die Rolle des Elliott in E.T. übernehmen würde, der durch die Skills des Außerirdischen per Fahrrad allen entkommt, die dieser Einheit schaden wollen. Letzten Endes wird Der Nachtmahr zum komplexen Märchen eines befreienden Statements, welches jede und jeder irgendwann in seinem Leben in die Welt schreien sollte.

Der Nachtmahr

Sputnik – Es wächst in dir

ES ZÄHLEN DIE INNEREN WERTE

5,5/10


sputnik© 2020 capelight pictures


LAND: RUSSLAND 2020

REGIE: EGOR ABRAMENKO

CAST: OKSANA AKINSHINA, PYOTR FYODOROV, FEDOR BONDARCHUK, ANTON VASILEV U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Dass die Filmnation Russland in Sachen Effekt- und Eventkino bereits einiges draufhat, und zumindest aus technischer Sicht den IT-Schmieden in Übersee sehr wohl das Wasser reichen kann, das konnte man bereits aus Filmen wie Attraction ganz gut nachvollziehen. Im Science-Fiction-Thriller Sputnik – Es wächst in dir waren die Creature Designer ganz besonders ehrgeizig. Das seltsame Wesen, dass hier auf die Menschheit losgelassen wird, bettet sich dank seiner Struktur, seiner Physis und all der Licht-Schatten-Rafinesse perfekt in das reale Szenario ein, das, angesiedelt in den Achtzigern, vorwiegend in völlig unattraktiven und womöglich asbestverkleideten Räumen seine Spielfläche sucht. Wer kommt schon auf die Idee, ein Wesen wie dieses zwischen den Wandverbaueinrichtungen aus Pressspan inklusive symmetrischer Hochglanzfurnier herumschmnüffeln zu lassen? Entweder Wandverbau oder ich, könnte das Wesen meinen, und hinterlässt logischerweise, wie sich das eben für solche Kreaturen gehört, eine Spur der organischen Verwüstung. Dabei muss man bemerken: die Kreatur in Sputnik hat immerhin so etwas wie eine Verhandlungsbasis zu bieten – der Xenomoprh aus Alien natürlich nicht. Was Regisseur Egor Abramenko da entworfen hat, ist eine deutlich subtilere Version des Parasiten-Mythos für das nächtliche Lagerfeuer. Der Sputnik – was soviel heisst wie Weggefährte, Begleiter – hat für seinen Wirt deutlich mehr Verwendung. Wie er diesen manipuliert, sei an dieser Stelle natürlich nicht gespoilert.

Verraten sei aber so viel: Sputnik erreicht das Level an Suspense im Gegensatz zu Alien oder gar Life nur ansatzweise. Zwischen den spannenden Szenen der Konfrontation mit dem Fremden schielt Abramenkos Film deutlich in Richtung Geheimdienstthriller im Stile eines John Le Carre. Klingt prinzipiell mal interessant, hat aber wortlastige Längen. Die biologische Komponente hingegen hat so ihren Reiz, und in der Biologie, so wissen wir, gibt es kein Gut und Böse, sondern Zweckmäßigkeit in ständiger Adaption. Das gelingt Sputnik sogar noch besser als Alien, denn dort ist das Monster scheinbar vorrangig und vorsätzlich fies. Rückblickend wäre dieser Blickwinkel noch weiter aufzufächern gewesen, hätte der Film gerne auch eine Richtung einschlagen können, wie sie Gareth Edwartds Monsters genommen hat. Lezten Endes ist es doch wieder nur klassisches Genrekino mit der gefälligen Portion Blut. Aber mit einem Monster, das aus Ridley Scotts interstellarer Albtraumnotizen entsprungen sein könnte. Was aber nicht heisst, dass man es nicht auch ein bisschen gern haben kann. Wo es doch so anhänglich ist.

Sputnik – Es wächst in dir

The Shape of Water

FISCH VERLIEBT

8/10

 

shapeofwater© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA, KANADA 2018

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

MIT SALLY HAWKINS, DOUG JONES, MICHAEL SHANNON, RICHARD JENKINS, OCTAVIA SPENCER U. A.

 

Wohl eine der künstlerisch wertvollsten Comicverfilmungen, die jemals das Licht der Kinoleinwand erblickt haben, ist Hellboy von Guillermo del Toro. Beide Episoden sprühen vor Einfallsreichtum und zeigen, mit welcher Stilsicherheit der Mexikaner seine Visionen, Bilder und Kreaturen in bewegtes Drama umsetzen kann. In Hellboy gibt es einen Fischmenschen namens Abe Sapien, der seine Glupschaugen stets mit Fliegerbrille feucht hält und genauso immer mal wieder baden geht wie sein entfernter Verwandter aus dem für 13 Oscars nominierten Academy-Favoriten The Shape of Water. Dass beide Kreaturen einen gemeinsamen Ursprung haben, ist offensichtlich. Sie stammen beide aus del Toro´s unverwechselbarem Universum. Niemand kann dessen Handschrift mit dem Oeuvre anderer Filmemacher verwechseln. Das war bei Pans Labyrinth so, das war bei Crimson Peak so, und das wiederholt sich auf wunderbar variierte Art auch hier, in dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen poetischer Fantasy und einem Abenteuer aus dem Kalten Krieg, in dem die Kleinen ganz groß und die Mächtigen verzweifelt um Anstand bemüht sind.

The Shape of Water – fälschlicherweise übersetzt mit Das Flüstern des Wassers, richtigerweise müsste es aber Die Form des Wassers heißen – ist neben all der romantischen Momente und den Anleihen aus dem Spionagethriller-Genre eine leidenschaftliche Hommage an das Monsterhorror-Genre der 50er-Jahre. Anzunehmen, dass del Toro diese Filme womöglich alle in seinen DVD-Regalen hortet, und Jack Arnolds Phantastereien wie Der Schrecken vom Amazonas den Visionär für seine Arbeiten angeregt haben. Sucht man nach Bildern von Arnolds Wasserwesen, lässt sich der Dschungel Südamerikas als gemeinsame Herkunft nur bestätigen. Del Toro weiß gekonnt, seine Assoziationsquelle liebevoll zu zitieren. Hätte del Toro aber seine Wasseroper in Schwarzweiß gedreht, wie er ursprünglich sogar überlegt hat, hätte mir seine sonst so opulente Farbgebung, die seine Bilder so sehr auszeichnen, ziemlich gefehlt. Das Grün, Petrol und Rot, dieses satte Setting mit all diesen kolorierten Details – von der flirrenden Biolumineszenz des Fischmenschen bis zu den roten Leuchtdioden an den Überwachungskameras der Forschungsstation – setzen dem schwelgerischen Film nämlich gezielt gesetzte Akzente.

Zwischen all der nostalgischen Lobeshymnen an das gute alte Kino der Träume, dass sich warnend als barocker, leerer Kinosaal präsentiert, in welchen sich das Wesen als einziger Gast hineinverirrt, ereifert sich ein famoses Ensemble in heller Spielfreude zur Rettung des Unbekannten. Wer würde in diesem Kontext nicht über seinen Schauspielerischen Schatten springen wollen? Für ein Wesen dieser Art einzustehen, das hat wohl zuletzt der kleine Elliott aus E.T. – Der Außerirdische vollbracht. Auch der pummelige Gnom aus Spielbergs Klassiker hatte so seine Fähigkeiten, und das Zeug dazu, mit der Angst vor dem Fremdartigen und Unverstandenen, die unserem menschlichen Verhalten inhärent ist, aufzuräumen. Der namenlose Amphibienmann tut dies genauso – auf seine eigene, passive, kryptische Art. Und gewinnt die Liebe und Zuneigung von Eliza, die des Nächtens im Forschungslabor sauber macht. Sally Hawkins ist eine ganz große Performance gelungen. Selbst stumm wie ein Fisch, einsam und sich nach Nähe sehnend, findet sie in dem anmutigen, faszinierenden Geschöpf mit dem Schuppen- und Flossenkleid ihren „Lebensmenschen“. Hawkins spielt genauso wie in Maudie mit jener zerbrechliche wirkenden Zurückhaltung und einer von jedermann unterschätzten Stärke, dass man einfach auf ihrer Seite sein muss. In Momenten erinnert ihre Eliza an Jean-Pierre Jeunet´s Amelie, gespielt von Audrey Tautou. Dazu trägt womöglich auch das Setting bei, dass mit jeder Menge skurrilem Interieur aufwartet und das Abgewohnte wohnenswert macht. Nicht weniger beeindruckend zeigt sich Richard Jenkins als liebenswerter Grafiker, der noch mit Pinsel und doppelter Brille malt und im Grunde die scheinbar heile 50er-Jahre-Welt des Spezialagenten Michael Shannon aufs Papier bringt. Dass diese hinter den Kulissen ziemlich krankt, wird bald klar – den bonbonlutschenden Sadisten, der unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, seine Untergebenen belästigt und in herablassender Arroganz bibelzitierend Gott spielt, gibt Shannon mit Hingabe und hätte zumindest gleichwertig mit Jenkins für den Oscar nominiert werden sollen.

The Shape of Water ist ganz großes Kino des Fremdartigen. Ein visionäres Gleichnis von Liebe und Wasser, die sich beide, so del Toro in einem Interview – zuerst formlos und chaotisch, erst durch einen Körper, ein Gefäß, eine feste Hülle, artikulieren können. So gesehen steht das Wasser in diesem Film für das metaphysische Element der Liebe. Überall dort, wo es fließt, rinnt, verschüttet wird, übergeht – erlangt die lyrischste Kraft des Universums ihre größtmögliche Intensität oder wird im Keim erstickt. Das Element des Wassers als formbares Empfinden beginnt als alles durchdringende, amorphe Materie, um sich im Laufe des Filmes auf unterschiedlichste Art zu vermitteln, sei es im Wasserkocher, in der Badewanne oder an der Fensterscheibe. Selbst Blut fließt jede Menge, ein Quantum Ekel ist auch dabei – das mag angesichts dieses poetisch-phantastischen Kinokunststücks kontraindiziert sein, verleiht dieser eigentlich schmerzvollen Leidens- und Überlebensgeschichte aber ein zusätzlich expressives Vokabular. Und die Bezeichnung „schlimmer Finger“ bekommt auch hier eine gänzlich neue, darauf bezugnehmende Interpretation.

Aus dem Schrecken des Amazonas wird ein begnadetes Wesen, dass die Terra Incognitas dieser Welt sowie das Geheimnisvolle in sich trägt. Die Magie des Anderssein wird zum Glücksmoment für jene, die in einer hierarchisch strukturierten Machtgesellschaft nichts zu sagen haben. Für die Fische ist diese herzblutende, tropfnasse Bilderflut jedenfalls nicht. Oder zumindest nicht in seiner gewohnten Bedeutung. Sie ist ein Filmgenuss, der betört, erfrischt und auf die große Leinwand gehört – wo man ihn auch sehen sollte.

The Shape of Water