EIN HELDENMÖRDER ERHEBT DIE STIMME
7/10
© 2024 Constantin Film
LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2024
REGIE: CYRILL BOSS & PHILIPP STENNERT
DREHBUCH: CYRILL BOSS, PHILIPP STENNERT, DORON WISOTZKY
CAST: GIJS NABER, JANNIS NIEWÖHNER, DOMINIC MARCUS SINGER, LILJA VAN DER ZWAAG, ROSALINDE MYNSTER, ALESSANDRO SCHUSTER, JOHANNA KOLBERG, JÖRDIS TRIEBEL, JÖRG HARTMANN, BÉLA GABOR LENZ, EMMA LOUISE PREISENDANZ U. A.
LÄNGE: 2 STD 15 MIN
Was für Großbritannien die Artus-Sage, ist für Kontinentaleuropa wohl die Urmutter aller Königsdramen: Die Nibelungensage. Doch anders als in der griechischen Antike sind die nordischen Götter nicht ganz so präsent und lenken die Schicksale der Sterblichen, sondern schicken uralte Wesen in eine nicht näher verankerte historische Realität, die zwischen Attila dem Hunnenkönig und dem Niedergang der Burgunder angesiedelt ist. Es sind dies Drachen, Zwerge, Walküren. In diesem metaphysischen Dunst aus Legende und geschichtlichen Fun Facts streiten Siegfried, der Universalheld, später missbraucht durch den Nationalsozialismus als germanische Symbolfigur, und Hagen, der fiese Recke, angestachelt durch die betrogene Walküre Brunhild, um Gunst und Ansehen. Das Regieduo Cyrill Boss und Philipp Stennert, die sehr erfolgreich Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek als ungleiches Ermittlerduo in Der Pass mit dem Grauen in den Alpen konfrontierten, wollen dem Parade-Antagonisten mit der Augenklappe nicht die Origin-Story eines Finsterlings angedeihen lassen. Hagen von Tronje soll rehabilitiert werden, soll sagen und zeigen können, was ihn letztlich bewegt haben soll zu dieser schrecklichen Tat, nämlich Siegfried den Speer in den Rücken zu rammen, genau dorthin, wo das Lindenblatt die sonst durch Drachenblut unverletzbar gewordene Haut undurchdringbar machte. Vielleicht aber war zwar nicht alles, aber vieles ganz anders?
Fantasy-Autor und Vielschreiber Wolfgang Hohlbein, der „Konsalik“ der fantastischen Literatur, hat mit Hagen von Tronje die Vorlage für einen Film geliefert, den kaum mehr etwas mit Richard Wagners getragenem Opern-Bombast oder Fritz Langs Stummfilmversion verbindet. So sehr die nihilistische Sage der Nibelungen die ganze dunkle, große Tragödie heraufbeschwört und im Grunde den gesamten Cast über die Klinge springen lässt, so leicht kann das Drama aus Intrige, Verrat und Rache im Zuckerwasser der Schwülstigkeit versinken, kann der wildromantisch-mittelalterliche Ritterfest-Kitsch sintflutartig über sein Publikum hereinbrechen. Vieles könnte schiefgehen bei einem relativ frei interpretierbaren Stoff wie diesem, der politisch längst instrumentalisiert wurde. Zum Glück haben Boss und Stennert genug Inspiration genau dort gesammelt, wo das magische Mittelalter, und sei es auch noch so sehr nicht von dieser Welt, erwachsen wurde: Game of Thrones. Der mehrstaffelige Straßenfeger wird zum Musterbeispiel, wie geerdet, straff und schnörkellos Königsdramen inszeniert werden können. Auch Vikings oder The Last Kingdom – Formate, die historisch nicht akkurat, aber dramaturgisch und visuell enorm innovativ vom frühen Mittelalter im Norden Europas berichten – beeinflussen nun auch das Kino Deutschlands. Hagen – Im Tal der Nibelungen gefällt sich in moderater Düsternis, erdigen Bildern und vor steingrauen Kulissen. Entschmückt, entkitscht und dem Fantastischen zugeneigt, findet das Regieduo im wahrsten Sinne des Wortes sagenhafte Bilder für diesen uralten Stoff, ihr Höhepunkt gipfelt in der Darstellung der isländischen Walküren und deren Festungen – internationalen Vorbildern steht die Bildwelt dieses Streifens um nichts nach.
Sind Setting und Ausstattung mal auf der Habenseite, gibt Hagen – Im Tal der Nibelungen den ikonischen Figuren stets die passenden Gesichter. Gijs Naber verkörpert das titelgebende Schwergewicht so selbstsicher, da kann kommen was will. Als Konterpart und Sparringpartner: Jannis Niewöhner als eine erfrischend unpathetische Interpretation eines ambivalenten Haudraufs, der durch Intuition seinen Status sichert. Das strahlende Licht, dass Siegfried im Laufe der Kulturgeschichte immer mit sich brachte, ist hier nun erloschen. Umgekehrt weicht die Finsternis allerdings auch von Hagen, beide Charaktere werden in ein graues, altes Licht getaucht, dass Zwerg Alberich als geheimnisvolle Spukgestalt zu erklären versucht. Kriemhild, Brunhild, selbst König Gunter: Auch da gelingt das Casting einwandfrei.
Kritik muss sich Hagen – Im Tal der Nibelungen vielleicht dahingehend gefallen lassen, dass der Film einige Zeit benötigt, um erst so richtig in die Gänge zu kommen. Verhalten und zaghaft öffnet sich die Büchse der Pandora der Burgunder, Längen schleichen sich ein. Man merkt auch eines: Hagen – Im Tal der Nibelungen will beides – als Serie und als Film funktionieren. Ein kniffliger Spagat, denn beide Medien verlangen unterschiedliche Konzepte. 2025 soll aus diesem Film hier eine sechsteilige Serie werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese noch besser funktionieren wird als auf der Leinwand. Denn ein Kinofilm ist das Sagen-Schmuckstück zumindest nicht in erster Linie, auch wenn es einen Bildersturm entfesselt, der für den Homescreen fast zu schade ist. Eine Sehnsucht, die auch Game of Thrones ertragen musste.






