Jodorowsky’s Dune (2013)

ENTWURF DES UNMÖGLICHEN

7/10


jodorowskys-dune© 2013 Sony Pictures Classic


LAND / JAHR: FRANKREICH, USA 2013

REGIE: FRANK PAVICH

DREHBUCH: FRANK PAVICH, STEPHEN SCARLATA & TRAVIS STEPHENS

MIT BEITRÄGEN VON: ALEJANDRO JODOROWSKY, MICHEL SEYDOUX, H. R. GIGER, BRONTIS JODOROWSKY, RICHARD STANLEY, NICOLAS WINDING REFN, GARY KURTZ, CHRIS FOSS, DAN O’BANNON, AMANDA LEAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Was haben Mick Jagger, Salvador Dali und Orson Welles gemeinsam? Abgesehen davon, dass alle drei dem männlichen Geschlecht angehören, nichts, was einem so ins Bewusstsein springt. Der eine ist US-amerikanischer Rockstar voll Glamour, der andere ein Grand Signeur des großen, epischen Kinos des 20. Jahrhunderts, der dritte überhaupt ein Gesamtkunstwerk des exaltierten Surrealismus. All diese Streiflichter typischer Eigenschaften lassen sich bündeln, und zwar im größten Film aller Zeiten, kurz GröFaZ (und nicht SchleFaZ), der jemals das Licht der Leinwand erblicken hätte sollen. Als Vorlage dafür kam nur ein literarisches Werk in Frage – ein Schmöker, der im Grunde die moderne Science-Fiction begründete und viele Nachahmer fand. Und ja, ich muss an dieser Stelle ehrlich zugeben: So sehr ich Star Wars abgöttisch liebe: Geklaut hat George Lucas‘ Sternenepos aus den Siebzigern so einiges aus Frank Herberts Kult-Roman Dune – Der Wüstenplanet. In den Sechzigern verfasst, hat Herbert verstanden, wie er episches Königsdrama mit messianischer Botschaft und diese wiederum mit der Geisteshaltung der 60er verbindet. Das alles findet als Bühne nicht mehr und nicht weniger als einen Wüstenplaneten, in dessen Sand das wertvolle Spice steckt (ja, auch in Star Wars wird damit gehandelt), das erstens das Bewusstsein verändert und zweitens die interstellare Raumfahrt ermöglicht. Ein wichtiger Rohstoff, und um diesen Rohstoff entbrennen Schlachten und Revolten, werden Anführer getötet und andere hieven sich auf den Thron. Ein Game of Thrones, nur Dune war zuerst da, vor allen anderen.

So begeistert von diesem Werk war auch Alejandro Jodorowsky, ein mexikanischer Filmemacher der Avantgarde, der mit psychedelischen und äußerst exzentrischen Werken wie The Holy Mountain zumindest jene Sorte Publikum abholen konnte, die während den Vorstellungen schon einiges eingeworfen hatten. Es sind Filme, die so rätselhaft und exaltiert erscheinen, dass sie als Zeitdokument vermutlich dienlich sind, darüber hinaus aber gerne unfreiwillig komisch wirken. Wie Barbarella, nur noch bizarrer. Jetzt sollte Dune eine Verfilmung bekommen, die alles bisher Dagewesene sprengen mag. Mit einer Bildsprache, die das Bewusstsein verändert, mit einem Starensemble, dass eben Mick Jagger, Orson Welles und Salvador Dali vor die Kamera hätte holen können. Und das Beste: Alle drei haben zugesagt. Warum dieses Jahrhundertwerk dann doch nicht seinen Weg in die Produktion fand? Nun, genau das erörtert der von Frank Pavich 2013 aufgearbeitete Dokumentarfilm Jodorowsky’s Dune, der den Künstler selbst sehr oft und ausgiebig zu Wort kommen lässt.

Der Zeichner Chris Foss hätte knallbunte Raumschiffe ersonnen, Pink Floyd die Musik dazu komponiert – die Credits im Abspann, hätte es diesen gegeben, wären ein Who is Who der Kunstszene gewesen – doch was nicht ist, muss auch später nicht zwingend etwas werden. Dabei ist Jodorowsky’s Dune kein Abgesang auf künstlerische Ambitionen, kein anti-visionäres Requiem. Erquickend an diesem Film ist die diebische Freude und die Leidenschaft, mit der Jodorowsky über die Entstehung seines Nicht-Films berichtet. Pavich betrachtet dieses Scheitern längst nicht, und auch niemals im Film, als ein desillusioniertes Scheitern. Von einer Niederlage ganz zu schweigen. Sein Film feiert die Idee und die Vision, die Freude am Fabulieren weit über die Grenzen des Machbaren hinaus. Er beflügelt die Fantasy und zementiert ihren Status als etwas ein, dass so frei sein kann wie ein ungebändigter Sandwurm, der sich durch eine imaginäre Landschaft fräst. So frei und freudvoll ist auch das Schildern des ganzen Making Of-Fragments.

Die wahren Abenteuer sind im Kopf, das singt schon André Heller. Die wahren Abenteuer sind auch im Kopf eines Don Quixote, der gegen Windmühlen kämpft. Jodorowsky ist auch so einer. Ein Don Quixote des Films, der mit seinen Bestrebungen und seinem Eifer völlig nebenbei und eigentlich unbeabsichtigt Grundsteine gelegt hat für Filme wie Alien, Star Wars oder letztendlich auch für die Vision von Denis Villeneuve, der es am Ende des langen Tages des Schaffens wohl hinbekommen hat, die wichtigste Science-Fiction-Trilogie des bisherigen neuen Jahrtausends in den Sand zu zeichnen statt in den Sand zu setzen. Schaut man vor allem bei Dune: Part Two genauer hin, sieht man Reminiszenzen an Jodorowskys Herangehensweise, erkennt man die Optik des Schweizer Künstlers Giger, der für den Mexikaner auch allerlei Bauten entworfen hätte. Kleines Bonmot am Rande: Jodorowsky selbst hat sich, anders als David Lynch, der seine Dune-Version als einen traurigen Tiefpunkt seiner Karriere betrachtet und nichts mehr damit zu tun haben will, ins Kino bequemt, um sein Herzensprojekt, das nun jemand anderer gedreht hat, über sich ergehen zu lassen. Spätestens da, und niemals zuvor, kommt ein durch und durch natürliches Quantum an Neid und ein kleines bisschen Wehmut ans Tageslicht, dass sich insofern ausdrückt, dass Jodorowsky Villeneuves Dune einfach nicht mochte. Natürlich nicht. Es hätte sein Film sein sollen. Und irgendwie existiert er ja auch – als erstes Filmparadoxon, als ein sich selbst verschlingendes schwarzes Loch, als erster Nicht-Film, der sich in einem Wunsch ans Universum manifestiert. Jodorowsky’s Dune ist Quantenphysik für Cineasten über einen Film, der gleichzeitig tot und lebendig sein kann.

Jodorowsky’s Dune (2013)

Minamata (2020)

MEHR ALS TAUSEND WORTE

7/10


minamata© 2020 Larry D. Harricks


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: ANDREW LEVITAS

BUCH: ANDREW LEVITAS, DAVID K. KESSLER, STEPHEN DEUTERS, JASON FORMAN

CAST: JOHNNY DEPP, MINAMI, BILL NIGHY, HIROYUKI SANADA, JUN KUNIMURA, RYO KASE, TADANOBU ASANO, AKIKO IWASE, KATHERINE JENKINS U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


Johnny Depp ist zurück – und hat trotz des Rosenkriegs mit Amber Heard nichts an seinen schauspielerischen Qualitäten eingebüßt. Vielleicht liegt es auch daran, dass man Johnny Depp gar nicht mal sofort erkennt. Diesmal versteckt er sein noch nicht so aufgedunsenes Konterfei hinter graumeliertem Kinnbart a la Abraham Lincoln, während auf seinem Haupt silberne Locken die Steven Seagal-Gedächtnisfrisur vom späteren Zeugenstand vergessen machen. In solchen Rollen, die ihn unkenntlich machen, dürfte sich der Star am wohlsten fühlen. Ist das Äußere dem seinen fremd, kann er sich fallen lassen – und völlig in jener Figur aufgehen, deren Biografie er imitieren muss. Mit Bravour ist ihm das auch diesmal gelungen.

In Andrew Levitas biographischem True-Story-Drama gibt der weltbekannte Schauspieler den 1978 verstorbenen Live-Fotografen W. Eugene „Gene“ Smith, der Anfang der Siebziger längst alles fotografiert und gesehen hat, was auf dieser Welt damals im Argen lag. Desillusioniert, von seiner Familie distanziert und dem Alkoholkonsum alles andere als abgeneigt, denkt er tatsächlich darüber nach, seinem Leben ein Ende zu setzen. Bis es plötzlich an seine Tür klopft. Auf der Matte steht die japanische Übersetzerin Aileen, die Smith dazu bewegen will, sich für ihre Initiative einzusetzen, die in Japan gegen einen Industriekonzern rebelliert, der die Gewässer in und rund um Minamata vergiftet hat. Über Generationen hinweg scheint das quecksilberhaltige Abwasser zu jener Krankheit geführt zu haben, die mittlerweile als Minamata-Krankheit im Pschyrembel steht. Sichtbar wird dieser industrielle Fluch, wenn vor allem junge Menschen unter Ataxie und Lähmungen leiden, in den schlimmsten Fällen in völliger Unbeweglichkeit auf Pflege rund um die Uhr angewiesen sind. Der Life-Fotograf soll all die Fälle dokumentieren, und tatsächlich gewährt ihm Chefredakteur Bob Hayes (Bill Nighy) ein letztes Projekt, bevor das legendäre Magazin wohl eingestellt werden wird. In Japan angekommen, wird für Smith schnell klar, dass es um mehr geht als nur darum, das Leid anderer zu knipsen. Nebenher geht’s auch um die eigene Katharsis.

Womöglich hätte Minamata längst nicht so gut funktioniert, hätte das Tatsachendrama rund um eine unter Fotojournalisten legendäre Fotografie namens Tomoko in ihrer Badewanne keinen so charismatischen Hauptdarsteller wie Johnny Depp gefunden. Die tragischen Fälle in Japan setzen das Schicksal des von ihm dargestellten, renommierten Fotografen noch dazu in gesunde Relation. Plötzlich wird Levitas‘ Film zum Menschenrechts- und Politdrama im stinkenden Dunstkreis kapitalistischer Bereicherung. Nicht nur irgendwie, sondern ganz deutlich erinnert Minamata an Todd Haynes Real-Kino Vergiftete Wahrheit mit Mark Ruffalo in der Rolle eines Anwalts, der gegen den Teflon-Konzern ins Feld zog. Diesmal ist es der im Kreuzfeuer der Menschenrechtler stehende Chemiekonzern Chisso – und wir sehen anhand eingängiger Bilder und präzise nachgestellter Fotografien, die genau so existieren, einen entbehrungsreichen Kampf gegen die Allmacht der Profitgier.

Natürlich ist Minamata klassisch inszeniert und sehr konventionell, was wiederum dem Auftrag geschuldet ist, Fakten nicht zu verzerren, auch – oder vor allem – wenn es fürs Kino ist. Johnny Depp bereichert die ganze wichtige True Story eines Umweltskandals mit schauspielerischem Glanz und setzt so obendrauf noch die Biographie eines gescheiterten Genies.

Minamata (2020)

Final Cut of the Dead (2022)

DER FILMDREH ALS OLYMPISCHER GEDANKE

8,5/10


finalcutofthedead© 2022 Filmladen / Lisa Ritaine


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

REGIE: MICHEL HAZANAVICIUS

BUCH: SHIN’ICHIRÔ UEDA, MICHEL HAZANAVICIUS

CAST: ROMAIN DURIS, BÉRÉNICE BEJO, FINNEGAN OLDFIELD, MATILDA LUTZ, GRÉGORY GADEBOIS, SÉBASTIEN CHASSAGNE, RAPHAËL QUENARD, LYES SALEM, SIMONE HAZANAVICIUS, JEAN-PASCAL ZADI U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Eines gleich vorweg: One Cut of the Dead, das japanische Original aus dem Jahr 2017, kenne ich nicht – ein Low Budget-Zombiefilm, der bei genauerer Betrachtung eigentlich gar keiner ist, oder eben nur zum Teil. Schließlich handelt das unkonventionelle Machwerk ja eher darum, wie leicht oder schwer es fallen mag, einen Genrefilm wie diesen, und sei er auch nur eine halbe Stunde lang, im Kasten zu haben. Die besondere Erschwernis bei diesem Vorhaben ergibt die Anforderung, dass dieses online und gleichermaßen live zu erscheinende Horrorschmankerl eine einzige Plansequenz sein muss. Will heißen: Ein One oder Single Cut, was beinhaltet, dass kaschierte Schnitte wie bei Alejandro Gonzáles Iñárritus Birdman gar nicht mal in Frage kommen. Sollte möglich sein, oder? Theoretisch schon. Wie das beim Filmemachen eben so ist, gibt es dabei viel zu viele Variable, mit denen man rechnen kann oder auch nicht, die das Projekt versenken können – oder das leidenschaftliche Improvisationstalent aller Anwesenden herausfordert.

Die schier kongeniale Originalität des Drehbuchs darf sich Michel Hazanavicius nicht an die Fahnen heften. Das ist schließlich nicht sein Verdienst, sondern der von Shin’ichirô Ueda und Ryoichi Wada. Aus Japan winken schließlich so einige Ideen, auf die man im Westen womöglich nie gekommen wäre. Wer würde sich auch erlauben, einen Zeitreisefilm wie Beyond the Infinite Two Minutes zu erzählen? Wer würde es auch nur wagen, das Genre so dermaßen zu verbiegen, um etwas Neues entstehen zu lassen, auf die Gefahr hin, das zahlende Publikum zu irritieren? Generell ist da Ostasien der Vorreiter und bietet westlichen Filmemachern die Chance, in einer Neuinszenierung ihr eigenes Couleur darüberzutünchen. Hazanavicius, einstmals mit The Artist groß gefeiert und Wegbereiter für die Karriere von Jean Dujardin, hat genau das gemacht: Dasselbe nochmal inszeniert. Als Liebeserklärung fürs Filmemachen stellt Final Cut of The Dead Damien Chazelles Babylon – Rauch der Ekstase in den kinematographischen Museumswinkel, obwohl ich auch dort kaum etwas über die orgiastische Filmdrehsequenz inmitten der kalifornischen Wüste kommen lasse, die aus dem Chaos wahre Wunder des frühen Stummfilms entstehen lässt.

Final Cut of the Dead schlägt diese Liebeserklärungen scheinbar alle. Begeisterungen für den Film und für die Handhabung des künstlerischen Mediums gibt es genug, zuletzt ließ sich auch in Pan Nalins Das Licht, aus dem die Träume sind ganz gut nachvollziehen, was den eigentlichen Antrieb für die Leidenschaft zum bewegten Bild darstellen kann. Dieser Film hier geht aber noch einen Schritt weiter. Und offenbart seinem nicht weniger leidenschaftlichen Publikum mit schierem Aberwitz eine ganze Handvoll Wahrheiten hinter der Illusion, die wir alle niemals oder nur ansatzweise vermutet hätten.

Dabei erhalten wir, die im Auditorium des Kinos sitzen, zuallererst mal die Warnung, dass wir wohl dem schlechtesten Zombiefilm aller Zeiten beiwohnen, nach einer halben Stunde aber das ganze Unding besser verstehen und sowieso nicht ahnen werden, was da für Überraschungen auf uns zurollen. Und tatsächlich: Die erste halbe Stunde ist ein Film-im-Film-Trash mit ganz viel Kunstblut und obskuren Dialogen, die wohl The Room-Maestro Tommy Wiseau erfreut hätten. Es wird schlecht gekreischt, europäische Schauspieler tragen japanische Namen und das Timing ist zum Vergessen. Doch irgendwie hat das Ganze Charakter, als wäre es eine durchgetaktete parodistische Komposition auf das Genre schlechthin. Was dann folgt, ist die Entstehung des Ganzen, das Zusammenbringen der Crew und Einblicke ins Privatleben von Regie-As Rémi (Romain Duris als energischer Wirbelwind). Man ahnt schon: mit diesem Haufen unmotivierter, aber auch sich selbst überschätzender Fachidioten lässt sich schwer einen One Cut drehen, ohne nachher nicht aus dem Fenster springen zu wollen. Oder ist gerade diese Ansammlung unpässlicher Nerds der Garant für das Gelingen so einer Sache? Die Antwort liefert das letzte Drittel, wo wir die erste halbe Stunde als Making Of betrachten können. Und es fällt tatsächlich wie Schuppen von den Augen, wenn uns Filmkonsumenten gewahr wird, was eigentlich alles gar nicht mal im Drehbuch stand.

Hazanavicius (und natürlich auch Ueda) feiern nicht nur das Filmemachen, sondern vor allem auch den Teamgeist. Zu dieser Gruppe will man gehören, von dieser schrägen Begeisterung will man sich anstecken lassen. So ein Abenteuer will man unbedingt mal selbst erleben. Final Cut of the Dead ist zum Brüllen komisch und wohl einer der lustigsten Filme der letzten Zeit. Er bringt die spielerische Improvisation und die Not, aus der allerlei Tugenden entstehen, auf Augenhöhe zu unserem Alltag und lässt sie nicht als elitäre Blase unserer Wahrnehmung entfleuchen. Es lässt sich danach greifen, es lässt sich nachfühlen, wie so vieles eigentlich gar nicht (und auch im Wahrsten Sinne) in die Hose gehen kann, weil alle an einem Strang ziehen, um das künstlerische Ziel zu erreichen. Final Cut of the Dead ist wie der Blick hinter die Illusionskunst eines Zauberers, ohne aber dessen Magie zu entreißen. Er steht für Begeisterung, Hysterie, Träumerei und Enthusiasmus. Aber auch für alles, was nur schiefgehen kann. Gerade diese Fehler, das Unerwartete und Missglückte – kurzum: der Zufall und der sich daraus ergebende kollektive Willen, es hinzukriegen, machen Filme erst lebendig. Geahnt haben wir das immer schon – so offen wie hier wurde uns das aber noch nie demonstriert.

Final Cut of the Dead (2022)

Buñuel im Labyrinth der Schildkröten

IM SCHLAGSCHATTEN DES SURREALEN

5,5/10


bunuel© 2019 Arsenal Filmverleih


LAND / JAHR: SPANIEN, DEUTSCHLAND, NIEDERLANDE 2019

REGIE: SALVADOR SIMÓ

DREHBUCH: ELIGIO R. MONTERO & SALVADOR SIMÓ, NACH DER GLEICHNAMIGEN GRAPHIC NOVEL VON FERMÍN SOLÍS

LÄNGE: 1 STD 20 MIN


Welche(r) (Film)kunstinteressierte kennt ihn nicht, diesen Kurzfilm aus dem Jahr 1929, der eigentlich keinen Sinn ergibt und in welchem überhaupt nie ein spanischer Vierbeiner zu sehen ist. Ganz richtig: Ein andalusischer Hund. Ein Eckpfeiler des Surrealismus, ein denkwürdiger Beitrag auch zum Thema Ekel im Film, denn was man mitunter sieht, ist nichts weniger als das Aufschlitzen eines Auges mit dem Rasiermesser. Bei dieser Szene kann man nur schwer dranbleiben – ist aber im Kontext zum bizarren Rest auch schon wieder sehenswert. Vielleicht, weil die Marke Salvador Dali dahintersteckt – und ihr künstlerischer Weggefährte Luis Buñuel. Während Dali seine Fantasien folglich nur noch in galerietauglichen Dimensionen bändigen wird (bis auf wenige Ausnahmen, so zum Beispiel die Traumsequenz aus Alfred Hitchcocks Ich kämpfe um dich), bleibt Buñuel weiter dem Medium Film treu. Dessen zweites Werk – der Skandalfilm Das goldene Zeitalter, in dem so richtig ordentlich mit Bigotterie und Katholizismus aufgeräumt wird – erhielt für rund 50 Jahre ein Aufführverbot. Ein Umstand, den Buñuel so gut wie alles gekostet hat. Und vor allem eines: Geld.

Und hier sind wir auch schon am Anfang eines hochgradig speziellen Animationsfilmes angekommen, der wiederum selbst auf einer Graphic Novel von Farmín Solís beruht und – anders als das Filmplakat mit den langbeinigen Elefanten wohl vermuten lassen würde – nur im weitesten Sinne auch etwas mit Dali zu tun hat. Der wiederum hängt wie das Damoklesschwert über Buñuels Kopf. Ein jeder ist dazu geneigt, dessen Werke mit den Ideen Dalis zu vergleichen. Aus dem Schatten des großen Surrealisten scheint der zukünftige Macher von Der diskrete Charme der Bourgeoise oder Belle de Jour wohl niemals wirklich heraustreten zu können. Im Schatten des Surrealismus selbst verweilt der eigenwillige Künstler allerdings gerne. Zu verlockend ist das verstörende Panoptikum der kritischen Auseinandersetzung mit Tod, Vergänglichkeit und religiösen Normen. Doch sei’s drum – Buñuel wird weiterdrehen, und zwar einen halbstündigen Dokumentarfilm, der ihn in die Region Las Hurdes verschlägt – einer hügeligen Karstlandschaft mit bitterarmen Dorfgemeinden, deren Dächer-Arrangements so aussehen wie die Panzer einer Schildkröte. Ein guter Freund, der Bildhauer Ramón Acin, sponsert das ganze Vorhaben, hat dieser doch zufällig in der Lotterie gewonnen, Buñuel aber vorab versprochen, im Falle eines Gewinns seinen nächsten Film zu finanzieren.

Las Hurdes – Land ohne Brot nennt sich dieser Film. Auch wieder ein Werk, das verboten wurde, weil Buñuel hier natürlich nicht im Sinn hatte, die unbekannten Regionen Spaniens in gefällige Bilder zu packen. Wie er entstanden ist, schildert Salvador Simós Film mit starkem Fokus auf Buñuels Gefühlswelt und seinem wandelbaren und unberechenbaren Sinn fürs Künstlerische. Als kluger Schachzug erweist sich dabei die Methode, die schwarzweißen Live-Act-Szenen des tatsächlich gedrehten Films deckungsgleich nach dem Part ihres dargestellten Entstehungsprozesses einfließen zu lassen. Buñuel im Labyrinth der Schildkröten ist also ein dramatisiertes Making Of, das einiges über den Künstler selbst erzählt – und über einen Film, den das breite Publikum kaum kennt, bei welchem allerdings der eine oder andere Cineast wohl wissend nicken würde. Simós Film ist eine spezifische Liebhaberei für Filmhistoriker, die mit Buñuel als Wegbereiter des surrealen Kinos ganz sicher nicht sympathisiert. Zu radikal erscheinen seine Methoden, zu verachtenswert dem tierischen Leben gegenüber. So lässt er Ziegen absichtlich abstürzen oder einen Esel den Tod durch Bienenstiche finden. Die Opferbereitschaft für seine Kunst ist moralisch fragwürdig, noch weniger nachhaltig. Und das eitle Ego ist, ungeachtet der künstlerischen Raffinesse, immer noch der gravitative Mittelpunkt, um welchen sich die Formen der Kunst zu drehen haben. Damit hätte er mit Dali wieder einen Schulterschluss gefunden.

Buñuel im Labyrinth der Schildkröten

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse

ABENTEUER FILMEMACHEN

6/10

 

heartsofdarkness© 1991 Studiocanal

 

LAND: USA 1991

REGIE: FAX BAHR, GEORGE HICKENLOOPER, ELEANOR COPPOLA

AUFTRETEN: JOHN MILIUS, ELEANOR COPPOLA, FRANCIS FORD COPPOLA, ROBERT DUVALL, LAURENCE FISHBURNE, MARTIN SHEEN, DENNIS HOPPER, GEORGE LUCAS, MARLON BRANDO, SOFIA COPPOLA U. A. 

 

Ist Euch schon mal passiert, dass ein Kinobesuch eine Beziehungskrise nach sich zog? Mir schon. Und zwar mit Apocalypse Now. Denn nicht jeder ist mit dem Stoff im Vorhinein vertraut, vielleicht hätte ich hier etwas vorwarnen oder lieber ein Feel-Good-Movie vorschlagen sollen. Meine Begleitung einem so verstörenden Ritt in die Dunkelheit auszuliefern, noch dazu fast drei Stunden lang, war ja eigentlich eine Zumutung und für einen Filmkenner wie mich vielleicht etwas fahrlässig. Doch im Bewusstsein, das künstlerische Interesse meiner besseren Hälfte mit einem Meisterwerk wie Apocalypse Now exorbitant zu steigern, dafür war ein Film wie dieser meiner damaligen Schlussfolgerung nach gerade richtig. Noch dazu hatten wir es mit der erstmals überarbeiteten Fassung des Werkes zu tun, genauer mit Apocalypse Now Redux, also der Fassung, die neben einigen anderen Szenen auch jene Sequenz in petto hatte, die das gemeinsame Dinner mitten im Dschungel mit französischen Plantagenbesitzern zeigt. Im Kino also volle Dröhnung, und spätestens beim Walkürenritt war bereits klar: So ein Film gehört eigentlich nur ins Kino. Ein Meisterwerk zweifelsohne, und trotz depressiver Stimmungen bei Verlassen des Kinosaals war die Qualität niemals Fokus der Kritik. Unzumutbar für manche war der archaische Wahnsinn, in dem die Odyssee von Hauptmann Willard letzten furchtbaren Endes münden wird. Martin Sheen hat das damals genauso gesehen – und hat ordentlich dafür leiden müssen, um die Sache doch noch zu überstehen. Von diesem und anderen Martyrien, die den Film während seiner Entstehung begleitet haben, erzählt die Making-Of-Doku Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse, die hauptsächlich aus den Mitschnitten von Francis Ford Coppolas Ehefrau Eleanor besteht und reichlich Einblicke hinter die Kulissen eines Projekts gewährt, dass fernab jeder Geborgenheit eines Studios von vornherein und gewollt von unzähligen unkalkulierbaren Faktoren abhängig war.

Was eignet sich aktuell besser für das Home Cinema-Programm als diese eineinhalb stunden Kinogeschichte, anlässlich des 40 Jahre-Jubiläums eines der womöglich besten Filme aller Zeiten, der nun mit einem Final Cut auf die Leinwand gewuchtet wird und weitaus mehr ist als nur ein Antikriegsfilm, sondern eben auch düsteres Abenteuer und ein in Abgründe blickendes Philosophikum zum Thema Bestie Mensch. Je länger man eben in den Abgrund laut Nietzsche blickt, blickt dieser auch in dich hinein – so gesehen in Coppolas Gewaltakt, der auch hinter der Kamera Provokation, Herausforderung und Nervenkitzel sein sollte. Der Pate und Der Pate II waren da schon längst Filmlegende, der schwarzbärtige Maestro steinreich und voller Einfluss. Klar, dass dann die Realisation einer Vision alles bisherige noch mal übertrumpfen muss. Der Zenit des Schaffens schieben wir mal in weite Ferne, muss er sich gedacht haben, gerade dämmert der Morgen, und mit ihm kommt der Geruch von Napalm. Die Dreharbeiten selbst waren also reinstes Abenteuer, und das begann schon bei der Finanzierung der ganzen Sache, die zum Großteil aus Coppolas eigenem Kapital bestand. Selbst das Haus wurde verpfändet, falls die Sache in die Hose gehen sollte. Ein Extremer wie Coppola aber, der mit Spielberg und George Lucas das Handwerk lernte, hat garantiert einen langen Atem, um das Räderwerk zusammenzuhalten. Gut für ihn, niemanden wie Klaus Kinski an Bord gehabt zu haben, denn der hätte das Ganze noch zusätzlich provoziert. Das wissen wir von Werner Herzog und dessen Bericht vom Set zu Fizcarraldo. Gottlob war es nur Marlon Brando, in die Breite gegangener Kultstar am Ego-Trip, und Zugpferd für die letzte halbe Stunde des Films. Da war das meiste Material schon im Kasten, das durch jede Menge Drogen, Alkohol und ausgebüxten inneren Dämonen zu jener Intensität geführt hat, die den Film auch heute noch so unmittelbar machen. Was all den Missbrauch natürlich nicht legitimieren soll, doch wie in Woodstock war auch hier, fernab jeglicher Überwachung, das rabiate Event ein einmaliges Happening.

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse zeigt all das und mehr, führt Gespräche mit Robert Duvall, Drehbuchautor John Milius, George Lucas, Laurence Fishburne und den Coppolas. Zeigt Brando beim Zetern über das Drehbuch, zeigt den Taifun auf den Philippinen genauso wie den Nervenzusammenbruch Martin Sheens in der blutigen Spiegelszene. Macht aber auch klar, dass der Wahnsinn für den Wahnsinn ein hausgemachter war. Einer, der von Coppola kalkuliert, einer der provoziert worden war. Erwartet wurde das Unerwartete, und da ist man als Künstler mittendrin, denn wer will schon nur dabei sein? Und in den Siebzigern, da war Risiko noch etwas, aus dem die Essenz guter Filme geschmiedet werden konnte. Heutzutage gibt es das nicht mehr. Heutzutage werden von den Studios alle Variablen ausgemerzt. Das Risiko aber hat die New Hollywood-Ära so lebendig gemacht. Und von dieser Lebendigkeit zehrt das Kino noch heute. So ist Hearts of Darkness die leider etwas bieder montierte, aber erfahrenswerte Chronik eines lebendigen, grenzgängerischen Drehs aus vergangenen Zeiten, die gar nicht mal so erstaunt oder entsetzt, sondern in Hinblick auf die Zukunft des Kinos die Lust am Abenteuer wehmütig vermissen lässt.

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse

The Disaster Artist

WIE IM FALSCHEN FILM

6/10

 

disasterartist© 2017 Warner Bros. Ent. Inc.

 

LAND: USA 2017

REGIE: JAMES FRANCO

MIT JAMES FRANCO, DAVE FRANCO, SETH ROGEN, JACKI WEAVER, ZAC EFRON, ALISON BRIE U. A.

 

Es gibt sie, diese Filmemacher, die ihr eigenes Ding durchziehen. Sie nennen es Herzensprojekt, zahlen mit dem eigenen Kleingeld oder nennen gar ein Produktionsstudio ihr eigen. Mangelt es an Flüssigem, darf sich dann der Director´s Cut den eigenen Visionen des Regisseurs widmen. Leute wie David Lynch oder Peter Greenaway tun mittlerweile seit jeher das, was sie wollen, ungeachtet fehlender Resonanz jenseits der bereits etablierten Zielgruppe. Sonderling Tommy Wiseau ist auch so ein Vogel. Angesichts der vielen schrägen Vögel, die in Hollywood ein und aus gehen, sollte so jemand wie Tommy Wiseau ja gar nicht mal groß auffallen. Allerdings – er tut es. Der Typ vom andern Stern (und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass der Zeitgenosse vielleicht gar nicht irdischen Ursprungs ist) ist noch sonderbarer als das selbstverliebte Klientel der Traumfabrik. Im Grunde wäre das ja ein Gewinn für die Filmwelt – würde da nicht eine gewisse Voraussetzung fehlen, die der Schlafwandler mit seiner Alice Cooper-Gedächtnisfrisur leider nicht mitbringt: Nämlich Talent. Da denke ich natürlich sofort an den leidgeprüften Barden Troubadix aus den französischen Comics, der sich alle Nase lang Dellen einfängt und am Ende der Geschichte niemals mitfeiern darf (mit einigen Ausnahmen). In der selben Reihe steht Florence Foster Jenkins, ihres Zeichens Opernfan und leidenschaftliche Sängerin. Oder an Ed Wood. Natürlich – Ed Wood! Das war ein Visionär, ein versponnener Trash-Poet, völlig orientierungslos und zum Scheitern verurteilt, wenn es darum ging, Geschichten zu erzählen. Die Ideen waren ja vorhanden. Die konzeptorientierte Umsetzung leider weniger.

Mit dem Barden, Foster Jenkins und Trashfilmer Ed Wood hat Tommy Wiseau nämlich folgendes gemeinsam: ihre ganz persönliche Wahrheit. Die Welt der Talentlosen ist ein sagenhaftes Ego-Ding, das eine Sicht auf die Welt erzeugt, die an Realitätsverweigerung grenzt. Da fragt man sich wieder. Was ist Wahrheit? Der größte gemeinsame Meinungsnenner des Publikums? Die Kunst, die lebt doch immer nur von der Resonanz. Erfolg ist, wenn Fabriziertes seinen Zuspruch findet. Bei The Disaster Artist ist die Bedingung für massenhaft Resonanz beileibe nicht die Qualität des Vollbrachten. Sondern das Geld, das die Musik macht. Von Foster Jenkins, Ed Wood und Tommy Wiseau (den Barden lass ich mal weg) hätte man nie auch nur das Geringste wahrgenommen, wären die Anti-Genies nicht vom Mammon gesegnet. Wiseau selbst, von dem bis heute keiner weiß, woher er kommt, wie alt er ist und überhaupt, hat Unmengen Kröten auf dem Konto. Woher er die hat, weiß auch keiner. Und wieviel da noch ist, ebenso wenig. Wer zahlt, schafft an. Also schart der Mann mit dem höchst eigenartigen Akzent, der stets so wirkt als wäre er stoned und Dinge sagt und tut, die nicht zusammenpassen, ein Ensemble an Fachkräften und Schauspielern um sich, um das größte Drama nach Tennessee Williams (O-Ton) zu drehen – nämlich The Room.

James Franco ist als Trash-Visionär des neuen Jahrtausends eine einnehmende Attraktion. Der Allrounder, der vom Survival-Sportler bis zum Kindermörder alles spielen kann, was man ihm vorlegt, hat auch mit so bizarren Charakteren wie Wiseau nicht das geringste Problem. Im Gegenteil – da er selbst Regie führt, dürfte ihn die skurrile Making-Of-Dramödie ein gewisses Anliegen gewesen sein. Beim genaueren Hinsehen aber ist The Disaster Artist inhaltlich längst nicht so ein sagenhaftes Hollywood-Wunder wie beworben. Frei nach der Hornbach-Methode „Du kannst es dir vorstellen, also kannst du es auch bauen“ ist die Challenge, die eigenen Träume und Visionen umzusetzen längst kein Kunststück, wenn die Geldbörse zum Bersten voll ist. Da kann ich machen, was ich will, ohne mich beim Casting blamieren zu müssen oder als Klinkenputzer in den Studios anzustehen. Da kann ich den größten Schmarren fabrizieren, meine eigene Filmpremiere inszenieren und für gehörig Werbung sorgen. Hätte es Tommy Wiseau aber als kleingeldloser Schlucker durch Idee und Improvisation und nan den Glauben an eine Sache zum Ziel geführt, wäre die True Story schon von anderem Kaliber. Investitionsfreude, Sturheit und ein monströses Ego alleine sind noch keine Skills, die den Glauben ans Machbare zurückbringen. Als Disaster Artist kann sich Wiseau all diese ignoranten Eigenschaften leisten, weil er sich als Diktator am Set einkauft und noch dazu glaubt, mit herrischem Getue a la Hitchcock dem Walk of Fame näher zu sein. Das ist nicht wirklich sympathisch, vielleicht unfreiwillig komisch wie The Room, obwohl Wiseau anfangs jemand ist, der durch sein Andersdenken und Anderssein fasziniert – dessen verquerer Erfolg letzten Endes aber kein Kraftakt war, sondern nicht mehr als ein ausgerollter roter Teppich, der sich willkürlich beschmutzen lässt. Geld für die Reinigung ist ja vorhanden.

The Disaster Artist