Freud – Jenseits des Glaubens (2023)

ÜBER GOTT UND DIE WELT

4/10


Freud© 2024 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: FREUD’S LAST SESSION

LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2023

REGIE: MATTHEW BROWN

DREHBUCH: MATTHEW BROWN, MARK ST. GERMAIN, NACH SEINEM THEATERSTÜCK

CAST: ANTHONY HOPKINS, MATTHEW GOODE, LIV LISA FRIES, JODI BALFOUR, JEREMY NORTHAM, ORLA BRADY, STEPHEN CAMPBELL MOORE, PÁDRAIC DELANEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Es ist Besuchszeit beim wohl berühmtesten Psychoanalytiker der Welt. Auch jetzt noch kennt ihn ein jeder, der Freud’sche Versprecher ist in den praktizierten Wortschatz eingegangen, Vater-, Mutter-, Ödipuskomplex und Penisneid nur wenige Dinge, die das menschliche Verhalten auf eine den Trieben unterworfenes zurechtstutzen. Der Sex ist bei Sigmund Freud allgegenwärtig, nichts passiert ohne ihn, alles mag Phallus oder Vulva sein, und so weiter und so fort. Dieser Freud wurde schon von vielen Schauspielern interpretiert, vor nicht allzu langer Zeit hat Regisseur Marvin Kren aus dem Doktor der Psychiatrie in der Serie Freud einen Kriminologen gemacht, der Altwiener Verschwörungen auf der Spur war. Viggo Mortensen hat Freud in Cronenbergs Eine dunkle Begierde gegeben, dort diskutierte er mit dem Psychiater Carl Gustav Jung. Nun ist Anthony Hopkins dran. Nach seinem Oscar für The Father ist die Lust des Jahrzehnte im Dienste der Filmwelt stehenden Charakterdarstellers am Verkörpern diverser historischer Figuren stärker denn je. Sogar in Roland Emmerichs Gladiatorenserie Those About to Die mischt er als Vespasian mit. Im Netflix-Biopic Maria als Herodes der Ältere, der später wohl den Kindsmord von Betlehem anordnen wird.

Hopkins ist in jedem Fall eine sichere Bank. Keine Rolle, an der er scheitert. Schon gar nicht an einem wie Sigmund Freud. Im Film steht dieser kurz davor, sein Leben zu beenden. Er wird dies einige Tage später auch tun, denn die körperliche Gesundheit spielt schon längst nicht mehr mit. Aufgrund von schmerzhaften Krebsgeschwüren in der Mundhöhle verbringt Freud die Tage vorallem mit Morphium, eingerührt in einen Drink. Tochter Anna gibt Halt, schmeißt für ihren alten Herren gar ihre Lesungen als Jugendpsychiaterin an der Uni. Anna scheint dem Übermenschen Freud unterworfen. Sie ist es, die der Vater duldet. Doch tanzen soll sie nach seiner Pfeife. Erschwerend kommt hinzu, dass Freud ein unabhängiges Leben seiner Tochter mit Freundin Dorothy (Jodi Balfour, For All Mankind) nur schwerlich akzeptiert. Doch Anna muss sich behaupten lernen.

Die Vater-Tochter-Problematik ist der eine Aspekt, die eine Seite dieses Films von Matthew Brown, der auf dem Theaterstück Freud’s Last Session von Mark St. Germain beruht. Die andere Seite ist der Besuch des Schriftstellers C. S. Lewis, der später berühmt und bekannt werden wird durch sein mehrteiliges Fantasyepos Die Chroniken von Narnia. Weswegen der Mann eigentlich bei Freud aufschlägt, wird nie ganz klar. Sucht man dabei nach den Fakten, wird Lewis als Gast in den biografischen Notizen Freuds nie namentlich erwähnt. Doch seis drum, schließlich ist es ein Film, der gerne mutmaßen und zugunsten der Dramaturgie verändern darf. So steht also der hochgewachsene Matthew Goode im mit allerlei Skulpturen diverser Gottheiten aus der Weltgeschichte angeräumten Arbeitszimmer des famos aufspielenden Anthony Hopkins und schickt sich an, mit dem Alten über die Existenz des einen wahren Gottes zu diskutieren. Das Problem: Das Gespräch kommt nie in die Gänge. Würde ich über Gott philosophieren, und ja, das tue ich leidenschaftlich gerne, so ist es damit wirklich nicht getan, lediglich die Frage aufzuwerfen, warum der Allmächtige alles zulässt, und mit dieser scheinbaren Fahrlässigkeit desjenigen seine Abwesenheit zu begründen. Das alles ist lediglich Smalltalk. In die Materie dringen beide niemals ein, dabei hätte ich gehofft, sie würden die Essenz dieses Disputs berühren und darin herumwühlen. Ich hätte gehofft, sie würden, stets an der Kippe zum ausgewachsenen Streit, ihr jeweils eigenes Weltbild wanken sehen. Dann hätte Freud – Jenseits des Glaubens zum Thriller werden können. Zum existenzialistischen Kammerspiel. Wird er aber nicht. Das Gequatsche bleibt oberflächlich, und die meiste Zeit ist Freud ohnehin damit beschäftigt, seine Schmerzen zu lindern. Zwischendurch schielt der Film in die Vergangenheit von ihm und Lewis, doch auch das sind nur Momente, die nur dazu da sind, die Trockenheit eines Dialogfilms zu erfrischen.

Überraschend ist in diesem Film Liv Lisa Fries Auftritt als Tochter Anna. Doch anders als in Babylon Berlin oder In Liebe, Eure Hilde bleibt die deutsche Schauspielerin unerwartet blass, so, als wüsste sie, neben einem Schauspielgiganten wie Hopkins sowieso nicht zu bestehen. Der mächtige Schatten des Stars verschluckt sie förmlich, die Nebenhandlung rund um ihre lesbische Liaison wäre Stoff genug für einen eigenen Film. Doch Freud – Jenseits des Glaubens will weder das eine Dilemma noch das andere vertiefen. Der Diskurs über Gott und Anna Freuds Vatertrauma werden beide zur Randnotiz. Ein Film also, der an den Themen vorbeieilt, keine Essenz findet und lediglich Anthony Hopkins in Erinnerung belässt. Als einen, der immer noch alles spielen kann.

Freud – Jenseits des Glaubens (2023)

Beau Is Afraid (2023)

DIE FURCHT VOR DER ÜBER-MUTTER

4/10


beauisafraid© 2023 Leonine


LAND / JAHR: USA, KANADA 2023

REGIE / DREHBUCH: ARI ASTER

CAST: JOAQUIN PHOENIX, NATHAN LANE, AMY RYAN, PARKER POSEY, ARMEN NAHAPETIAN, RICHARD KING, PATTI LUPONE, DENIS MÉNOCHET, KYLIE ROGERS, MICHAEL GANDOLFINI, THÉODORE PELLERIN U. A.

LÄNGE: 2 STD 59 MIN


Ich fühl‘ mich gut, ich fühl mich toll, ich fühl mich wundervoll. Wer sich noch erinnern kann: Mit diesem Mantra hat sich Bill Murray allmorgendlich auf den kommenden Tag vorbereitet – so gesehen in der genialen Komödie Was ist mit Bob. Er gab dort einen von Angstzuständen zerfressenen Neurotiker, der sich letzten Endes an seinen Therapeuten hängt, obwohl sich dieser im Urlaub wähnt. Diese verzagte Schreckhaftigkeit, verbunden mit selbstironischem Humor, taugt zur komödiantischen Sternstunde, jedoch ohne fehlenden Respekt vor Leuten, die mit Angststörungen tatsächlich zu tun haben. Und nun, einige Zeit später, fürchtet sich Joaquin Phoenix wie nicht blöd. Als Beau, einem Mann mittleren Alters, hat er schon unzählige Sitzungen bei seinem Therapeuten absolviert, um sich danach wieder nach Hause zu kämpfen, denn auf offener Straße unterwegs zu sein, ist in der Welt von Beau mit einer Art Selbstmord gleichzusetzen. Komprimiert auf einen einzigen Straßenzug, finden wir uns in Hieronymus Boschs Weltgericht wieder, nur heruntergebrochen auf den grindigen Schrecken urbaner Endzeit zwischen Messerstecherei, Raubüberfällen und halbverwesenden Leichen, die mitten auf der Straße liegen. Ari Aster, Macher von unangenehmen Horrorknüllern wie Hereditary oder Midsommar, lässt diesen Beau in subjektiver Panik auf eine verzerrte Welt blicken. Alles scheint hier im Argen zu sein – und noch schlimmer. Visionen vom Worst Case werden zur Realität – daheim angekommen, muss sich das Häufchen Elend noch mit einer eigentümlichen, schlaflosen Nacht herumschlagen, bevor es am nächsten Tag per Flieger zur heißgeliebten Mama gehen soll. Wie zu erwarten, geht auch das schief – Koffer und Schlüssel werden gestohlen, und Wasser für die Tabletten ist auch keines da. Der eine Haken folgt dem anderen, und Beau verliert, dem heiligen Hiob gleich, nahezu alles, was er hat.

Das Pech jagt den von einer Vielzahl an Ängsten Gepeinigten von einer Prüfung zur nächsten. Davor davonzulaufen, scheint nichts zu bringen. Tod, Verderben und Wahnsinn begleiten ihn. Killer stechen auf ihn ein, psychisch kranke Kriegsversehrte werfen drohende Blicke. Die Mutter stirbt, erschlagen von einem Kronleuchter. Nun muss Beau so schnell wie möglich zum Begräbnis, der Druck von außen steigt. Und der Druck ganz woanders ebenso, trägt doch Beau ein Trauma mit sich herum, das mit dem Tod seines Vaters zusammenhängt, starb der doch just im Moment seiner Zeugung.

Gut, angesichts dieses Dilemmas sollte man mal ordentlich durchschnaufen. Geht aber nicht. Die Odyssee von Joaquin Phoenix, bestehend aus Albträumen, irren Zeitgenossen und Instant-Paranoia in Brauseform, setzt sich selbst unter Druck, ohne irgendwo Luft abzulassen. Ari Aster buttert alles in seine epischen drei Stunden hinein, dem er nur habhaft werden kann. Darunter die Freud’sche Psychoanalyse, Schuldgefühle und einen satten Mutterkomplex. Alles, was da so in den Niederungen des Unterbewusstseins eines Menschen kreucht und fleucht, formt sich zu dem Schreckensbildnis einer Übermutter zusammen, unter deren Stöckelschuhen sich die im Seidenpyjama herumgeisternde, stets entsetzte männliche Jungfrau winden wird. Beau Is Afraid ist ein aus dem Ruder laufendes und zutiefst unentspanntes Unikum an Film, ein in die Länge gewalzter, durch und durch unbequemer Psychohorror ohne rettende Ufer, ohne Zuversicht und ohne Humor – auch wenn Phoenix seine Rolle so anlegt, als würde er sich von einer aussichtslosen Lage nur nächsten kaspern. In Wahrheit tut er das nicht, seine Rolle hat keinen Anfang und kein Ende – weder entwickelt sich dieser Charakter des Beau in irgendeiner Weise weiter, noch schenkt ihm Aster jene Form von Erkenntnis, die jenen, die sich mit ihrer Angst auseinandersetzen, zwangsläufig widerfahren muss.

Zugegeben, diese satten drei Stunden sind nie langweilig. Das unberechenbar Bizarre macht neugierig, erschöpft aber gleichermaßen. Letztlich bleibt alles eine undefinierbare, erzählerische Pustel, konfus und ungeordnet, surreal und beliebig: Der Flickenteppich einer kruden Selbstfindung ohne Ziel, aufgrund der Menge an Ideen erschreckend dumpf und lähmend wie ein langsam steigendes Fieber. Der Kopf glüht, die Glieder schmerzen. Ein Zustand, den niemand will.

Beau Is Afraid (2023)

Auf der Couch in Tunis

POSTREVOLUTIONÄRE BELASTUNGSSTÖRUNGEN

3,5/10


AufDerCouchInTunis© 2020 Filmladen


LAND: TUNESIEN, FRANKREICH 2019

REGIE: MANELE LABIDI

CAST: GOLSHIFTEH FARAHANI, MAJD MASTOURA, AÏCHA BEN MILED, HICHEM YACOUBI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Der arabische Frühling ist lange vorbei, einige Länder haben so manches daraus gemacht, andere hadern immer noch mit dem Krieg. In Tunesien ist die Revolution Teil der Geschichte. Ob sich seitdem viel verändert hat? Missstände gibt es immer noch, aber zumindest als Besucher von jenseits des Mittelmeers Urlaub machen, das konnte man wieder. Oder aus Frankreich wieder in die Heimat zurückkehren, so wie Psychoanalytikerin Selma. Was also tun in Tunis? Eine Praxis eröffnen. Ja genau, eine Praxis für Psychoanalyse. Braucht das denn wer? Daraufhin würde Selma antworten: wer braucht sowas denn nicht? – und macht aus ihrem Vorhaben ernst.

Eine Frau, die sich in einem von Männern dominierten Kultur- und Gesellschaftskreis behauptet – das ist der Stoff zeitgemäßer Filme aus dem arabischen Raum. Letztes Jahr zum Beispiel konnte die saudische Ärztin Maryam in Haifaa Al Mansours Film Die perfekte Kandidatin ihre ganze Entschlusskraft bündeln, um für den Stadtrat zu kandidieren. Der etwas handzahme, aber gut gemeinte Film zog natürlich seine Spannung aus dem Konflikt der Frauen mit der Männerwelt, die, konservativ bis ins Mark, soviel Ambition nur belächeln. Doch im Vergleich zu Auf der Couch in Tunis wirkt Die perfekte Kandidatin geradezu rebellisch.

Im Filmdebüt von Manele Labidi sehen wir die bereits eingangs erwähnte intellektuelle Selma, wie sie ihr für lokale Verhältnisse ungewöhnliches Vorhaben Verwandten und Freunden verklickert. Irgendwann bekommt sie tatsächlich eine ganz gute Patientenkartei zusammen, sowohl Frauen als auch Männer geben sich in der am Dach eines Hauses recht exponierten Praxis die Türklinke in die Hand. Klarerweise stehen bald die Behörden auf ihrer Matte. Und so geht das die ganze Zeit dahin, wobei die streng professionelle Analytikerin, gespielt von Golshifteh Farahani (u a. Tyler Rake: Extraction) in intellektueller Eitelkeit durch Zuhören andere dazu bewegt, endlich mal zu sagen, was in ihren Köpfen herumgeistert.

Das ist gut gemeint, und alle, die hier Selmas Reich frequentieren, sind natürlich mehr oder weniger sympathische und reizend gezeichnete Charaktere, doch setzt sich Auf der Couch in Tunis weder ernsthaft mit dortigen gesellschaftlichen Problemen auseinander noch gewinnt Labadi aus ihrer seichten Komödie, die klarerweise persönlichen Bezug hat (den wir nicht kennen), irgendeine Faszination aus diversen halbherzig verzwickten Umständen. Mit anderen Worten: dieser Ausflug ins postrevolutionäre Nordafrika ist leider nur müßiges Geplauder über Befindlichkeiten, und das ohne rechten Fokus. Könnte aber sein, dass dieser Zustand des Heimkommens nach Jahren aber genau so ein Gefühl vermittelt.

Auf der Couch in Tunis

Der Trafikant

BOCKIG IN DIE DUNKLEN ZEITEN

6,5/10

 

DER TRAFIKANT© 2018 Tobis Film

 

LAND: ÖSTERREICH 2018

REGIE: NIKOLAUS LEYTNER

CAST: SIMON MORZÈ, JOHANNES KRISCH, BRUNO GANZ, EMMA DROGUNOVA, REGINA FRITSCH, KAROLINE EICHHORN, GERTI DRASSL U. A.

 

Tiefe Wolken hängen über einer fast schon verwunschenen Bucht des oberösterreichischen Attersees, irgendwann in einem Sommer kurz vor dem Einmarsch der deutschen Hitler-Truppen in Österreich. Wie es das Schicksal will, muss der pubertäre Franz seine nicht mal ansatzweise fassbare Zukunft komplett umjustieren und wird, nachdem Mamas Liebhaber vom unvernünftigen Baden im See während eines Unwetters vom Blitz getroffen wird, nach Wien geschickt. Was hat er denn noch verloren in dieser Einöde zwischen Hühnern und dem Schlick unter dem hauseigenen Steg außer seiner eigenen Kindheit? Der Bub muss was G´scheites lernen, in die Welt hinausgehen. Dort in Wien gibt es eine alte Jugendliebe, den Trafikanten Trsnjek, bei dem soll er anlernen, der Bub. Dieser Abschied vom geborgenen Heim unter den Tannen wird niemals wirklich enden, und das Winken mit dem Sacktuch unter Tränen wird immer niedergeschlagener und kraftloser, in dieser Verfilmung eines Romans von Robert Seethaler, die genauso bühnentauglich wäre wie ein Drama von Ödön von Horvath. Sich genauso gegen Windmühlen stemmend, genauso aussichtslos, genauso resignierend.

Der österreichische Regisseur Nikolaus Leytner, unter anderem bekannt für den launigen Kleinganovenschwank Schwarzfahrer mit Lukas Resetarits, hat sich, so äußerten sich zumindest mehrere Kritiker-Stimmen, ziemlich genau – und manchmal fast zu unselbständig – an die literarische Vorlage gehalten. Das kann ich selbst nicht beurteilen, ich habe hier nur den Film vor Augen, und eine Geschichte, die sich mit keiner anderen Quelle des Erzählten herumschlagen muss. Die Möglichkeiten, die sich aber daraus ergeben, fügen sich dem narrativen Rhythmus eines so rustikalen wie braven Volksstückes, und vor allem in den Szenen, die in Wien der späten Dreißigerjahre spielen, entfaltet sich ein gewisser kulissenhafter Charme mit Hang zur wohlsortierten Miniatur, wie ihn seinerzeit der gute Franz Antel in seinem Bockerer ans Set gelegt hat. Ein bisschen was vom aufmüpfigen Fleischhauer kann Der Trafikant zumindest anfangs unter der Ladentheke hervorholen. Johannes Krisch, der sowieso alles spielen kann, sogar und besonders auch ambivalente Schatten wie Jack Unterweger, orientiert sich auf eine Weise an Karl Merkatz, die weder platte Kopie noch Hommage darstellt. Krisch kreiert aus dem Gehabe eines subversiv rebellischen Wieners den ganz eigenen Typus eines teilbelesenen, selbstbewussten und gütigen Kriegsveteranen, der viel Unschönes gesehen hat und weit davon entfernt ist, sich selbst zu verraten. Ohne dieser schillernden Gestalt des famos verkörperten Alt-Trafikanten wäre das düstere Vorabendszenario im Angesicht des bevorstehenden Untergangs ein durch die Bank bemühtes Schauspielkino geworden. Hauptdarsteller Simon Morzé tut, was er innerhalb seiner erlernten Fähigkeiten kann, um glaubwürdig Bockigkeit an den Tag zu legen. Er bleibt aber, wie es das Variétémädchen Anezka immer wieder betont, ein naives „Burschi“, das seine Furcht vor einer unbestimmten Zukunft in unbequemen, entsättigten Traumsequenzen auslebt. Ihm zur Seite der große Bruno Ganz, der sich als Professor Freud in gepflegter Langeweile meist auf seinen unverkennbaren Bartwuchs verlässt und zur Do-it-yourself-Psychoanalyse rät.

Das Bühnenhafte der durchaus nicht billig scheinenden Produktion wird noch verstärkt durch das neben Krisch wirklich Erlebenswerte an dem Film: nämlich die Fulminanz der Ausstattung. Die Inventur sämtlicher Requisitenkammern dürfte dem Aufbau des Sets vorangegangen sein. In der nachgestellten Zwischenkriegs-Trafik finden sich bis ins kleinste Detail liebevoll nachgestelltes Interieur, von den „zärtlichen Magazinen“ in der verschlossenen Schublade bis zu den Postkarten am Tresen. Auch Freuds schmucke Einrichtung in der Berggasse entbehrt nicht eines gewissen kulturhistorischen Werts. In diesem Punkt war das Team ganz bei der Sache. Ihren Höhepunkt findet die Liebe zur Rekonstruktion im Hernalser Rummel, eine Szene wie aus Ferenc Molnar´s Liliom. Der Trafikant ist also akribisches Ausstattungskino im Stile eines Volksstückes, das aber die schildbürgerliche Zuversicht eines Karl Bockerer vermissen lässt. An seiner Statt tritt ein vergebliches Aufbegehren gegen die dunkle Zeit, die in Szenen wie die der berittenen Polizei einen beklemmenden Bogen in die Gegenwart spannt.

Der Trafikant