Pixie

KEIN TASCHENGELD FÜR BÖSE JUNGS

4,5/10


pixie© 2022 Plaion Pictures / Aidan Monaghan


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: BARNABY THOMPSON

BUCH: PRESTON THOMPSON

CAST: OLIVIA COOKE, BEN HARDY, DARYL MCCORMACK, FRA FEE, RORY FLECK-BYRNE, COLM MEANEY, ALEC BALDWIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Einmal um die ganze Welt, und die Taschen voller Geld… tja, davon hat sicherlich nicht nur der ehrenwerte Karel Gott als kleiner Bub geträumt. Denn: Ohne Geld ka Musi. Ohne Moos nix los. Auf dieser oder einer ähnlichen unbefriedigenden Gesamtsituation mangels Ersparten basieren rund die Hälfte aller Unterhaltungsfilme, die ihre Pro- und Antagonisten aufs kriminelle Pflaster schicken. Schön und gut, als Zuseher reizen solche Thematiken immer, denn dort, auf dem Bildschirm oder der Leinwand, sieht man Leute Dinge probieren, zu denen man sich selbst nicht hinreißen lassen würde, aus Scham oder Skrupel oder einfach, weil man zu wenig Mumm dafür hat. Im Kino sind der Mumm und die Tendenz zum Verbrechen das, was uns zum Zusehen verlockt. Nicht selten fühlt man sich, vermengt mit Schadenfreude, mehr als bestätigt, die eigene gesetzestreuen Blase noch nicht verlassen zu haben, wenn der Coup am Screen schiefgeht. Sowas nennt man dann Film Noir. Weniger traurig sehen dann Filme aus, die jemanden wie Olivia Cooke, die derzeit ja Westeros in House of the Dragon beehrt, ins Rennen schicken.

Wenn schon jemand, der sich Pixie nennt, den Weg raus aus Irland sucht, und zwar mit dem nötigen Taschengeld, und sich dabei den Unmut Alec Baldwins zuzieht, dann sollte das Schicksal diesen jemand auch begünstigen. Pixies, das sind doch die kleinen, aus dem Paradies verstoßene Fabelwesen Großbritanniens, die allerhand Schabernack treiben und gar als Testimonial für eine handflächengroße Buchreihe herhalten müssen, die gerade bei Kindern sehr beliebt ist. Ungefähr so keck und frivol will auch Olivia Cooke daherkommen. Und natürlich muss sie dabei zwei sympathische Möchtegern-Gauner an der Nase herumführen. Wie auch immer. Pixie ist also eine Thrillerkomödie, in der es tatsächlich nur darum geht, wie drei junge Leute zwei Taschen voller Geld entwenden, die der irischen Unterwelt gehören. Natürlich schickt diese ihre besten Soldaten aus. Zu den bösen Jungs zählen wie schon erwähnt Priester Alec Baldwin mit wenig Spielzeit, die fast schon am Cameo grenzt und dessen Figur wenig charakterliche Substanz hat. Und da haben wir Colm Meaney – der ist etwas länger zu sehen, doch auch er bedient sich sämtlicher Verbrecherklischees und möchte so sein wie Tony Soprano. Familienfreundlich, aber nach außen hin unerbittlich. So sind sie doch alle.

Und auf diese Weise, wie all diese Stereotypen durch die grünbraune Landschaft Irlands hintereinander her sind, scheint auch der ganze Film unter einer gewissen Stereotypie zu leiden, aus der nicht mal Olivia Cooke entkommen kann. Dafür, dass Produzent Barnaby Thompson (seinerzeit verantwortlich für Waynes World und einigen Oscar Wilde-Verfilmungen) seinen eigenen Film auch inszeniert und fürs Skript seinen Sohn engagiert hat, kommt dabei wenig geistiges Eigentum zustande, sondern sichtbare Schwärmereien für Genreklassiker, die aber dank ihrer zynischen Tendenzen ihren Plot auch so heiß essen, wie sie ihn gekocht haben. Pixie wird letzten Endes lauwarm serviert, und kaum dürfte das Lebensglück einer frechen Olivia, die alle gegeneinander ausspielt, mehr egal sein als hier. Würde Pixie ein bisschen mehr über ihre eigene Dreistigkeit stolpern, hätte der Streifen deutlich mehr Reibungsfläche.

Pixie

Nowhere Special

BEREIT MACHEN ZUM LOSLASSEN

7/10


nowherespecial© 2021 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: ITALIEN, RUMÄNIEN, GROSSBRITANNIEN 2020

BUCH / REGIE: UBERTO PASOLINI

CAST: JAMES NORTON, DANIEL LAMONT, BERNADETTE BROWN, CHRIS CORRIGAN, VALENE KANE U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Mit der Einsamkeitselegie Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit hat mich der gebürtige Römer Uberto Pasolini nachhaltig beeindruckt. In diesem Meisterwerk – und das ist nicht übertrieben – lässt er Eddie Marsan nach Hinterbliebenen einsam Verstorbener suchen, während das Schicksal der Toten ihn selbst ereilt. Starker Tobak, kein erbauliches Thema, und trotz dieser Widmung für ein Tabu gelingt Pasolini eine wunderbar poetische, formvollendete Ode an die Nächstenliebe, die keineswegs für Trübsinn sorgt, sondern einfach nur enorm berührt, bewegt und erstaunt. Pasolini scheint einer jener Filmemacher zu sein, die sich dem gefälligen Trend an Themen auch nicht hingeben wollen. Er will vor allem einen Umstand betrachten, der es in Zeiten wie diesen mehr wert ist als viele andere, betrachtet zu werden: Das Füreinander.

Mit diesem Imperativ des Füreinander will Pasolini auch in seinem neuen Werk rund 8 Jahre später dem Dilemma des Allein- und Verlassenseins erneut die Stirn bieten. Diesmal aber aus einer ganz anderen Perspektive und einem ganz anderen Existenzbereich – nämlich jenem eines noch intakten familiären Gefüges aus Vater und Sohn. Zumindest sind hier zwei versammelt, die durch eine starke Bindung aus Liebe, Verantwortung und Vertrauen so schnell nichts aus der Bahn werfen kann. Dabei sei gesagt: Sohn Michael ist gerade mal 4 Jahre alt, ein süßer kleiner, recht introvertierter Bub, oftmals vor sich hin sinnierend und bei Papa all die Geborgenheit auskostend, die so ein kleiner Mensch tatsächlich braucht. Der Vater, John, gibt alles – doch wie lange noch? Wie es das Schicksal oft will, ist dieser an Krebs erkrankt und hat nicht mehr lange zu leben. Natürlich erfährt der kleine Michael davon nichts, doch diesem entgeht natürlich auch nicht, dass da irgendwas im Busch ist, wenn Papa immer mal wieder fremde Familien besucht. Warum tut er das, wird sich der Kleine wohl fragen. Ganz klar: Michael braucht neue Eltern, denn wenn John mal tot ist, hat der Kleine niemanden mehr.

Normalerweise schnürt es einem bei so etwas die Kehle zu und man bekommt kein Wort mehr heraus, weil der Frosch im Hals so groß ist. Noch dazu sieht Jungschauspieler Daniel Lamont dermaßen zum Steinerweichen aus, dass man am liebsten in den Film steigen und das Kind einfach an sich drücken will. Sich so vielen traurigen Aussichten auszusetzen – wer will das schon? Doch Pasolini ergeht sich nicht in Sentimentalitäten und hat auch überhaupt nicht vor, irgendwelche Tränendrüsen leerzudrücken. Er entwickelt einen Stil, wie ihn schon Ken Loach, der Meister des Sozialkinos, die längste Zeit souverän umsetzt – den nicht ganz nüchternen, aber objektiven Alltagsrealismus, die Draufsicht auf zwei Leben und deren Geschick, sich dem Unausweichlichen anzupassen. Die Chemie zwischen James Norton und dem kleinen Lamont stimmt, die letzten Tage und Wochen des Miteinanders verharren in einer unbekümmerten Gegenwart, anstatt sich in einer furchtvollen und verlustreichen Zukunft zu suhlen. Das macht Nowhere Special erträglich, wenngleich das gefühlvolle Drama dennoch seinen Weg findet, auf bescheidenem Wege das Herz zu berühren. Verblüffend aber, dass die Traurigkeit bei Pasolini tatsächlich von jener Art ist, die als schön empfunden werden kann. Der Schmerz eines Abschieds, verbunden mit dem Hallo eines Neuanfangs.

Nowhere Special

Belfast

KINDHEIT HINTER BARRIKADEN

7/10


belfast© 2021 Focus Features, LLC.


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2021

BUCH / REGIE: KENNETH BRANAGH

CAST: JUDE HILL, CAITRIONA BALFE, JAMIE DORNAN, JUDI DENCH, CIARÁN HINDS, COLIN MORGAN, LARA MCDONNELL, GERARD HORAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Harry Potter-Fans wird er als egomanischer Zauberer Gilderoy Lockhart ewig in Erinnerung bleiben – alle anderen schätzen womöglich sein Faible für Shakespeare und Agatha Christie. Die Rede ist von Kenneth Branagh, dem man wirklich nicht vorwerfen kann, arbeitsscheu zu sein. Im Gegenteil: der gebürtige Nordire hat den Lockdown des Jahres 2020 dafür genutzt, in seiner eigenen Vergangenheit zu kramen. Entstanden ist Belfast – eine sehr persönliche, ins Detail gehende Arbeit, die vom wohl prägnantesten Wendepunkt in Branaghs Leben erzählt. Sein Alter Ego ist der neunjährige Knabe Buddy, der im Sommer des Jahres 1969 mitten hinein in die katholisch-protestantischen Unruhen gerät. Für ihn ist der wütende Mob, der Fenster einschlägt, Leute verprügelt oder Autos ausbrennen lässt, etwas Unbegreifliches. Die Welt, in der Buddy sich bislang befunden hat, ist eine unbekümmerte, lausbübische. Da wird mit Holzschwert und Mülleimerdeckel Ritter und Drache gespielt. Da ist der Sommer in kurzen Hosen auch einer, der die erste Romanze bringt – jedoch keine so grundlose Gewalt wie diese. Als Folge dieser Unruhen wird die Wohnstraße Buddys verbarrikadiert – mit Bodenplatten, Autos und Stacheldraht. Ein besonderer Sommer. Ein besonderes, wenn auch nicht zwingend gutes Jahr – aber das letzte in Belfast, in vertrautem Zuhause, inmitten von Cousins, Cousinen, Freunden – und den geliebten Großeltern.

Diese sind mit Judi Dench und Ciarán Kinds als entspanntes, weises und in den heiligen vier Wänden omnipräsentes Paar ein Zufluchtsort für alle Unsicherheiten dieser Welt. Abrahams Schoß sozusagen, eine Konstante in einer Zeit voller Veränderungen. Mit viel Liebe werden diese skizziert, und man spürt Branaghs melancholisches Zurückerinnern an den wertvollsten, inneren Kern seiner Familie. Alles andere ist stets in Bewegung – und in diesem Abenteuer einer Kindheit hinter Barrikaden klappert der kleine Buddy (famos und freudvoll verkörpert von Newcomer Jude Hill) eine Vielzahl an Orten, Individuen und Persönlichkeiten ab, als würde er bereits ahnen, dass die Heimat Belfast bald Geschichte sein wird. Was Branagh wirklich gut gelingt, sind die kurzen, aber intensiven Blicke auf all diese Gesichter, Details und Szenen, in Schwarzweiß und im Stile kunstvoller Wochenblatt-Reportagen noch mehr Symbole des Vergangenen, aber nicht Verdrängten. Belfast begibt sich auf Augenhöhe zu seinem kleinen Helden, dadurch sind all diese Momente, die anderswo vielleicht nur oberflächlich abgehakt wären, von einer kindlichen Neugier beseelt, die manchmal in Furcht, Verwirrung oder Triumph umschlägt. Dazu gehören ebenso das Kino und Fernsehen der Sechziger – und ganz wichtig – die erhabene, aber schwer einschätzbare Figur von Buddys Mutter. Die irische Schauspielerin Caitriona Balfe ist dabei die absolute Sensation des Films. Branagh weiß, was er von ihr verlangen kann, und setzt auch ganz auf ihre Ausstrahlung. Zwischen Muttersorgen und Feierlaune ist Balfe ein faszinierendes Charakterbild gelungen.

Kindheitserinnerungen im Kino gibt es so manche. Hope and Glory von John Boorman zum Beispiel. Der Junge muss an die frische Luft über Hape Kerkelings frühem Sinn für Spaßmacherei im Schatten einer depressiven Mutter. Das ist Wehmut, sind ins Gedächtnis eingebrannte Momente, sind verklärte und subjektiv gefärbte Vergangenheiten. Filme dieser Art erzählen weniger komplexe Geschichten, sondern  fischen vielmehr in assoziativen Erinnerungen, die lose einer Entwicklung folgen. Und so ist auch Belfast keine epische, wuchtige Geschichte, sondern ein tragikomisches Abenteuer zwischen blutigem Ernst und dem elektrisierenden Gefühlschaos eines aufgeweckten Kindes.

Belfast

The Foreigner

EIN GLÜCKSKEKS SIEHT ROT

5/10

 

foreigner© 2018 Universum Film

 

LAND: GROSSBRITANNIEN / CHINA 2018

REGIE: MARTIN CAMPBELL

MIT JACKIE CHAN, PIERCE BROSNAN, ORLA BRADY U. A.

 

Jackie Chan – ja, natürlich kenn ich den. Vom Hörensagen. Viel am Hut habe ich mit ihm nie gehabt. Eigentlich eine Frechheit, in Anbetracht des immensen Pensums an Produktionen, in welchen das ostasiatische Multitalent mitgespielt, mitproduziert und mitgeschrieben hat. Im Grunde eine Ikone des Kinos. Von mir schmählich ignoriert. Ich kenne gerade mal zwei Filme, in denen Jackie Chan seinen Auftritt hat – das ist In 80 Tagen um die Welt und The Lego Ninjago Movie. Martial Arts-Kampfsport ist aber auch nicht wirklich das Genre meiner Wahl. Das war damals in den Achtzigern und frühen Neunzigern mit Jean Claude Van Damme etwas anderes, seine Filme sind zwar rückblickend auch unfreiwillig komisch, aber nie so überdreht wie die Filme des mittlerweile in die Jahre gekommenen Hals- und Beinbrechers. Hätte er bei den Expendables mitgemischt, hätte ich jetzt drei Filme zu verzeichnen. Doch da hat ihm wohl Jet Li, der kleine selbstironische Haudrauf, die Rolle weggeschnappt. Macht nix, die Drei bekomme ich auch so zusammen. Und zwar mit The Foreigner.

Hier darf Jackie Chan mit James Bond gemeinsame Sache machen. Und das in zweierlei Hinsicht. Erstens ist niemand geringerer als Pierce Brosnan – sichtlich ergraut, kurzgeschoren und schneidig wie ein Ex-Knacki – das vermeintliche Opfer privat initiierten Terrors. Und zweitens führt Martin Campbell Regie, seines Zeichens Regisseur von Goldeneye – eben mit Pierce Brosnan – und Casino Royale, dem Einstand mit Daniel Craig. Ein Experte also, was Agentenkino betrifft. Weniger ein Experte, was Superhelden betrifft. Denn Green Lantern geht auch auf sein Konto. Zum Glück ist The Foreigner keine Fantasy, sondern handwerklich fehlerloses Selbstjustizkino fürs Heimformat. Warum eigentlich dieses? Nun, Pierce Brosnan wird längst wohl eher mit den Premium-Produkten einer Supermarktkette in Verbindung gebracht als mit Spannungskino von Format. Obwohl der neben Roger Moore wohl am meisten augenzwinkernde Gentleman der Kinogeschichte immer noch das Zeug für letzteres hätte. Man sieht, Brosnan spielt immer noch Brosnan wie ein erfahrener Universitätsdozent, mit Charme und ohne Harm. Dass er dann von Jackie Chan bis aufs Blut getriezt wird, mag man so gar nicht. Der ist nämlich trauernder Vater. Nach dem Bombenanschlag einer IRA-Splittergruppe in London, die seine Tochter auf dem Gewissen hat, kennt der von Schmerz und seelischem Leiden gezeichnete Ex-Elitekämpfer nur noch das Gefühl der Rache – welches sich allerdings in seinem zu Stein gewordenen Konterfei nur bedingt widerspiegelt. Man kann natürlich seine Rolle so verbissen emotionslos wie Jackie Chan anlegen – oder eben wutschnaubend Amok laufen. Wäre vielleicht die bessere Wahl gewesen. Denn eines kann ich mir schwer vorstellen – dass Chan bei seinen Fans mit der Rolle des schweigsamen Aufräumers im Stile von Takeshi Kitano wirklich gut ankommt. Vielleicht war das auch der Grund, warum die Studios es nicht gewagt haben, The Foreigner auf die große Leinwand zu bringen. Dem Japaner Kitano kann wohl als lakonische Killermaschine niemand den Rang ablaufen. Im Vergleich dazu wirkt Jackie Chan seltsam unbeholfen, ja fast schon unfreiwillig komisch. Wäre ich Ex-Terrorist Pierce Brosnan, würde ich ihn womöglich genauso wenig erst nehmen. Das aber wird sein Fehler gewesen sein.

Den Fehler, mir The Foreigner ein zweites Mal anzusehen, werde ich sicher nicht machen. Zu wenig plausibel sind seine Figuren, zu vorhersehbar der ganze Film. Da wäre es ratsamer, das 1992 erschienene Buch Der Chinese von Stephen Leather zu lesen. Da hat man seine eigenen Figuren im Kopf. Und nicht den quirligen Martial-Arts-Yoda Chan oder Ex-Bond Brosnan, beides Gesichter, die schon zur Genüge für anderes besetzt sind.

The Foreigner