American Fiction (2023)

SCHWARZ AUF WEISS GESCHRIEBEN

6,5/10


americanfiction© 2023 ORION RELEASING LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: CORD JEFFERSON

DREHBUCH: CORD JEFFERSON, NACH DEM ROMAN „ERASURE“ VON PERCIVAL EVERETT

CAST: JEFFREY WRIGHT, TRACEE ELLIS ROSS, ISSA RAE, STERLING K. BROWN, JOHN ORTIZ, ERIKA ALEXANDER, LESLIE UGGAMS, ADAM BRODY, KEITH DAVID U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Versteckt auf Amazon Prime und maximal zum Oscar-Vorabend von Sonntag auf Montag im Wiener Gartenbau-Kino als einmalige Screentime unter des Filmgottes Gnaden einem breiteren Publikum zugänglich, muss American Fiction für eine pflichterfüllende Diversitäts-Agenda herhalten und hatte sich letztes Jahr wohl am ehesten aus herkömmlichen künstlerischen Sichtweisen genauso herausmanövriert wie einst Jordan Peeles Get Out, um nun doch noch ganz vorne mitzuzmischen. American Fiction ist ungewöhnlich, soviel muss man dem Film lassen. Jedoch nichts, was seinen Anspruch rechtfertigen würde, mit neun weiteren Mitstreitern zum vielleicht besten Film des Jahres gekürt zu werden. Der kleine Independetfilm rund um einen Uni-Professor und Schriftsteller, der nicht so schreibt, als wäre er schwarz, dieses Soll aber bringen muss, um Erfolg zu haben, hat es selbst auf Amazon Prime schwer, in die Wohnzimmer von potenziell interessierten Zerstreuungs-Sehern zu gelangen, ist er doch nur im Original mit Untertiteln zu beziehen und somit drauf und dran, abgesehen von den ohnehin im städtischen Kleinkino vertretenen OmU-Stammkunden viele dabei zu vergraulen, einen Film anzusehen, der erstens USA-lastiger nicht sein kann und zweitens seine satirischen Spitzen so bruchsicher in ein Allerwelts-Familienportrait verpackt, dass man halbstündlich danach Ausschau halten muss, um keinen der Seitenhiebe zu verpassen.

Dabei verhindert American Fiction nicht nur den Shitstorm und die Entrüstung, die von der Black Community, die dort drüben längst und völlig gerechtfertigterweise viel mehr Macht und Einfluss auf die Gesellschaft ausübt als früher, wohl herniederbrechen würde, gäbe es zur diesjährigen Preisverleihung nur White Cinema und sonst nichts anderes. Das Werk entgeht den prognostizierten Unannehmlichkeiten auch, indem es Jeffrey Wright für den Oscar als männlichen Hauptdarsteller nominiert und Sterling K. Brown gleich für den besten Nebendarsteller. Bei letzterem lässt sich der Begeisterungssturm, der ihn auf die Nominiertenliste gesetzt haben muss, nur schwer nachvollziehen, bei Jeffrey Wright im Grunde ebenso wenig, doch seine passiv-aggressive Omnipräsenz als phlegmatischer Intellektueller könnte man gewissermaßen als Begründung dafür anführen. Eine richtige Sensation sind beide nicht, doch sie sind homogener Teil eines Ensemblefilms, dessen Würze und Originalität eigentlich darin liegt, alleine schon durch seine Alibi-Nominierung seine jovial-garstige Conclusio, die der Plot mit sich bringt, auf sich selbst und seine Position im Oscarrennen anzuwenden. Sollte diese sich selbst erfüllende Prophezeiung den rund sechstausend Jury-Mitgliedern tatsächlich nicht entgangen sein? Diese subversive Metaebene, auf welcher der Film als bestes Beispiel dafür steht, sich selbst als afroamerikanisches Paradekino dem Rest der Welt anbiedern zu müssen?

Viele Kreise zieht American Fiction eigentlich nicht. Jeffrey Wright gibt Thelonious „Monk“ Ellison, der nicht im Traum daran denkt, stereotype Klischees als Betroffenheitsromane an die weiße Öffentlichkeit zu bringen, obwohl Arbeitskollegin und Bestsellerautorin Sintara Golden (Issa Rae) genau das macht: den Ghetto-Slang in einen Sozialporno zu verpacken, der mit reißerischen Stilmitteln das schlechte Nationalgewissen der Leserschaft beruhigt. Ellison will das nicht. Er schreibt, als wäre er ein Weißer. Er schreibt Romane, die nichts mit der Black Community zu tun haben, denn… warum soll er auch? Umso mehr widert ihn an, dass die Klischee-Literatur den großen Reibach macht, während seine eigenen Bücher niemanden abholen. Dabei sind sie gut geschrieben, das sagen auch die Kritiken, das sagen alle. Um zu beweisen, dass Schwarze „schwarz“ schreiben müssen, um Erfolg zu haben, stellt Ellison Verlag, Leserschaft und Co eine Falle, indem er genau das schreibt, was alle lesen wollen: Den ganzen Black Community-Shit mit Drogen, Waffengewalt, Goldkette und Dysfunktionalität in der Unterschicht-Familie. Mit ungewollten Kindern, Hoffnungslosigkeit und Ressentiments im Alltag. Siehe da – die Bombe schlägt ein. Nur nicht so, wie Ellison sich das vorgestellt hat.

Diese sich selbst ständig konterkarierende Gesellschaftssatire hätte so richtig zünden können, hätte Cord Jefferson, bislang als Drehbuchautor unter anderem für die Serie Watchmen tätig, in seinem Regiedebüt nicht mehr als zwei Drittel seiner Arbeit mit dem Familienportrait einer afroamerikanischen Familie samt Haushälterin zugebracht, nur um zu zeigen, dass das Leben von Schwarzen ganz genauso abläuft wie das von Weißen – dass Schicksale, Probleme, die Wehwehchen mit den alten Eltern, neue Beziehungen und dergleichen nicht anders sind als die Schicksale, die Probleme und Wehwehchen woanders auch, weit jenseits einer Minderheit, die sich sowieso längst auf die Füße gestellt hat. Diese Vorarbeit hatte eigentlich schon die Cosby-Show mit dem in Ungnade gefallenen Patriarchen Bill geleistet. Black Community ist also keine Ghetto-Sache im Sozialstrudel der Ungerechtigkeiten mehr.

Im befreienden Zeitalter der Diversität, dass durch seine militante Agenda des Wokismus sich selbst ad absurdum führt, kratzt ein Film wie dieser an den letzten Überbleibseln rassistischen Denkens zumindest in der höheren Bildungsschicht. In dieses gemächliche und wenig aufmüpfige Familienbild, das viel zu oft vom eigentlichen Kern der Geschichte ablenkt, erfreut sich Jefferson an seiner Probe aufs Exempel, nach der das amerikanische Volk eine gewisse Bequemlichkeit im Ablegen eines Schwarzweißdenkens offenbart. Gerade gegen Ende verschwimmen letztlich Realität und Fiktion auf doch noch beachtliche Weise, und rückblickend weiß man nur selten, in welche Schublade was nun einzuordnen ist. Wenn sich Jefferson letztlich doch noch besinnt, worum es eigentlich zu gehen hat, weiß American Fiction zu überzeugen.

Richtig prickelnd wird es dann, wenn klar wird, dass der Film an sich genauso wie das im Film geschriebene Buch mit dem obszönen Schimpftitel als astreine Satire in Lettern nur das Pflichtgefühl der latent überlegenen Weißen zur Political Correctness entlarvt, die American Fiction zur Einhaltung einer Diversität brauchen, über die eigentlich gar nicht mehr nachgedacht werden sollte.

American Fiction (2023)

Das Ding aus einer anderen Welt (1982)

APRÈS-SKI FÜR DEN BODY-HORROR

7/10


dasdingauseineranderenwelt© 1982 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 1982

REGIE: JOHN CARPENTER

DREHBUCH: BILL LANCASTER

CAST: KURT RUSSELL, WILFORD BRIMLEY, T. K. CARTER, DAVID CLENNON, KEITH DAVID, RICHARD DYSART, CHARLES HALLAHAN, PETER MALONEY, RICHARD MASUR, DONALD MOLFAT U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Was hätte ich nicht alles verpasst, hätte ich mich nicht vor einiger Zeit auch dem Genre des Horrorfilms zugewandt – diesem Füllhorn an Ideen, Metaebenen und neuen Blickwinkeln, die nicht nur auf Zustände unserer Gesellschaft schielen, sondern eben auch auf die Psyche des Menschen und seinen überbordenden Angstfantasien, die diese hervorbringen kann. Womöglich war ich zuvor zu viel Hosenschisser, vielleicht zu sensiblen Gemüts, zu wenig mit mir selbst im Reinen, um über den grauenerregenden, furchteinflößenden und doch wieder enorm reizvollen Dingen zu stehen, die sich in einem der unersättlichsten Nischen der Filmwelt auftun, als fixes und verlässliches Standbein einer unglaublich liebgewonnenen Kunstrichtung.

Auf dieser neuen Bühne finden sich etliche Klassiker, die nachzuholen ich mich bemüßigt fühle – insbesondere Werke, die auf andere Genres wie zum Beispiel der Science-Fiction übergreifen. Neben dem Universum von Alien, das von jeher nicht auf meinem Angsthasen-Index stand, da ich eine Affinität für Kreaturen wie diese wohl in mir habe, seit ich denken kann, ist John Carpenters Antarktis-Schocker natürlich eine Art Mischkulanz, die Abenteuer, Wissenschaft, die Tücke extraterrestrischer Lebensformen und Survival auf winterharte Weise miteinander verbindet. Längst ist Das Ding aus einer anderen Welt (oder im Original kurz und knapp The Thing) zeitloser Kult und angesichts seiner analogen Tricktechnik immer noch verblüffend effektiv, ganz so wie das Rancor in Die Rückkehr der Jedi-Ritter, Phil Tippett sei Dank.

Diese zur damaligen Zeit noch nie dagewesenen Effekte bilden das Kernstück dieses in der langen Polarnacht des Südpols stattfindenden Gemetzels ganz im Stile eines Abzählreims, denn was bleibt der Crew einer solchen Forschungsstation auch anderes übrig, als den schrecklichen Tatsachen ins Auge zu sehen: Dieser Organismus, dessen tatsächliche Form gar nicht mal existiert, sondern nur als perfides mikrobiologisches Irgendwas mit jedem noch so erdenklichen mehrzelligen Lebewesen fuhrwerken kann wie es ihm beliebt, lässt sich nicht so fassen wie der Xenomorph in den Alien-Filmen oder gar medizinisch bekämpfen wie das schnöde Virus in Outbreak. Dieser amorphe Organismus offenbart sich in monströsen Gestaltexplosionen, die aus einem Fiebertraum des Schriftstellers H. P. Lovecraft entnommen sein könnten. Tatsächlich waren für The Thing anfangs recht profane Entwürfe vorgesehen, die in die insektoide Richtung gegangen wären. Diese Ansätze wurden bald über Bord geworfen. Stan Winston wurde beratend ins Boot geholt und nach einer fast einjährigen Schaffensperiode mit nun für alle Kinogeher sichtbarem Endergebnis setzte Carpenters Biomasse-Wahnsinn neue Maßstäbe. Schon klar, dass dieser Film auf der erfolgreichen Alien-Welle geritten war, doch was es zu sehen gab, war etwas völlig anderes. Angesichts dieses mutigen Umdenkens in Sachen Form-Experiment erscheinen David Cronenbergs Mutationen aus Die Fliege fast schon salonfähig. Mit Slither führt DC-Hoffnung James Gunn den Horror der physischen Wucherung als skurrile Hommage auf Carpenter nochmals formschön ins Feld.

Angesichts dieses Creature-Revival bemüht sich einer wie Kurt Russell auf redliche Weise darum, den Arschtreter zu mimen, der in furchtlosem Draufgängertum nicht lange fackelt, um den Parasiten vom Outer Space einzukreisen. Den verzweifelten Heldenmut einer von Sigourney Weaver dargebotenen Ltd. Ripley, die zwischen Angst und Improvisationstalent dem Grauen die Stirn bietet und überdies noch einen Meilenstein in Sachen Frauenpower im Film setzt, besitzt Russell allerdings nicht. Seine und auch alle die anderen Figuren sind untereinander austauschbar und letztlich auch zu viele, um sbiographische Aspekte hervorzuholen, die ihre Schicksale relevanter gemacht hätten.

Interessant ist am Ende auch die Überlegung, wie ein Organismus wie dieser denn seinen evolutionären Erfolg verbucht. Mit Mensch und Tier scheint Das Ding aus einer anderen Welt wohl Pech zu haben, denn keines dieser Ausgeburten scheint auf längere Sicht überlebensfähig.

Das Ding aus einer anderen Welt (1982)

Nope

AM ENDE DER NAHRUNGSKETTE

8,5/10


nope© 2022 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: JORDAN PEELE

CAST: DANIEL KALUUYA, KEKE PALMER, STEVEN YEUN, BRANDON PEREA, MICHAEL WINCOTT, WRENN SCHMIDT, KEITH DAVID U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Das relevante Kino der Gegenwart bekennt sich längst zur Aufgabe, um die Ecke zu denken, gewohnte Blickwinkel abzubauen und woanders neu zu errichten. Formelhaftigkeit zu unterwandern und allzu bequeme Komfortzonen zu verlassen, die uns als Publikum sonst nur ermüden würden. Das Kino der Gegenwart entfesselt sich gern selbst, wenn es schon andere nicht für ihn tun. Stößt spielerisch vor den Kopf und denkt auch nicht mehr in Genre-Schubladen. Um einige der Vertreterinnen und Vertreter zu nennen: Julia Ducournau zum Beispiel – ihr Film Titane nimmt gerne in Kauf, nicht zu gefallen. Eskil Vogts The Innocents ebenso. Der Rumäne Radu Jude oder der diesjährige abermalige Palme-Gewinner Ruben Östlund irritieren und verstören, haben aber das erkennbare Konzept einer konsequent zu Ende gedachten Theorie unter ihren Film geschoben. Da fällt nichts aus dem Rahmen, obwohl das ganze Werk aus dem Rahmen fällt. Zu dieser – wie ich sie gerne nenne – neuen Avantgarde zählt nun auch mit seinem dritten, selbst verfassten, erdachten und produzierten Autorenfilm, der auf niemanden sonst wirklich angewiesen zu sein scheint, Jordan Peele. Mit Get Out hat er Oscar-Geschichte geschrieben und den Grund für die versöhnliche Integrität von Schwarzen in einer Welt der Weißen herausgefunden. In Wir begegnet eine urlaubende Familie sich selbst – was keine entspannte Zerstreuung bringt.

In Nope, Peeles neuestem Streifen, rudert der kultivierte Mensch der Gegenwart mit den Armen im Wasser, um nicht im Entertainment zu versinken. Als Wesen am Ende der Nahrungskette wird diesem bei all seiner medialen Versumpfung, die gutes Geld verspricht, nur langsam bewusst, dass das arglose Saurauslassen ein Ende haben könnte, da die Beute nicht mehr nur alles andere ist, sondern auch der Mensch selbst. Am Ende der Nahrungskette steht – oder fliegt – etwas ganz neues. Vielleicht ein extraterrestrischer Aggressor wie in Independence Day oder Mars Attacks? Oder vielleicht ist das ganze nur eine initiierte Show in einer Welt voller Shows, die aus dem Präsentieren von sich selbst und anderen gar nicht mehr herauskommt.

In dieser Welt, die anmutet wie das Setting eines modernen Westerns, betreibt Daniel Kaluuya als phlegmatischer Kerl namens OJ eine Ranch für Filmpferde. Das muss er wohl, ob er will oder nicht, denn OJs Vater kam bei einem seltsamen Vorfall ums Leben. Da fielen Dinge vom Himmel, Gegenstände und Bruchstücke, Schlüssel und Münzen. Eines dieser größeren Dinger traf den Vater – OJ ist also auf sich allein gestellt und scheint den Laden ohne seine aufgeweckte Schwester (Keke Palmer) nicht schmeißen zu können. Unweit der Farm gibt es auch noch den ehemaligen Kinderstar Ricky, der das Trauma einer missglückten Schimpansen-Sitcom (Planet der Affen lässt grüßen) immer noch verarbeiten muss und mittlerweile seinen eigenen Vergnügungspark unterhält, mit Shows, die das Leben und die Sicht auf die Dinge verändern sollen. (Detail am Rande: den Affen verkörpert Choreograph Terry Notary, der „Urmensch“ aus Östlundts The Square.) Doch was der Mensch gerne verdrängt – Nope, das mag ich nicht und interessiert mich auch nicht ­– fällt bald aus allen statischen Wolken: eine fliegende Untertasse macht bedrohliche Anstalten, alles in sich aufzusaugen, was bei drei den Blick nicht senkt.

Weiß man schon vorher nicht, welche Richtung Nope gerne einschlagen will, hat man später lediglich die intuitive Wahl, auf einem der Züge aufzuspringen, die da losfahren. Peele zollt nicht nur der Filmgeschichte in Bezug auf schwarze Minderheiten ausführlich Respekt, mit einer kleinen Lehrstunde so ganz nebenbei. Er öffnet überdies seinen Geist und assoziiert vieles, was ihn womöglich Zeit seines Lebens nicht minder beeinflusst hat, um Filmemacher zu werden. Die kreative Ausbeute ähnelt einem Mysterientheater, dass sein Vorspiel in kleinen, suggestiven und irreführenden Szenen absolviert, bevor das Seltsame, Monströse eine Schlagkraft erreicht, die in kurioser visueller wie narrativer Ausgestaltung so manchen sattelfesten Reiter vom Pferd holt. Nope ist ein Film, der sich so entwickelt wie Ravels Bolero, adagio beginnend, um am Ende als crescendo auf Konfrontation zu gehen. In dieser Steigerung liegen aber, wenn man genau hinhört, mehrere autarke Schichten übereinander, die jeweils eigene Situationen schildern und in Summe die Diagnose eines gesellschaftlichen Zustands wiedergeben, der sich in einer gewissen Schicksalsergebenheit darüber äußert, dass der Mensch jene Welt, die ihn umgibt, immer weniger verstehen, geschweige denn interpretieren kann. Nope handelt von Kapitalismus, Ignoranz und Provokation und das überraschende Katapultieren in ein Beuteschema, das wir für uns selbst nicht vorgesehen haben.

Nope ist mitunter furchteinflößend und übermannend, andererseits kauzig und tragikomisch, dann wieder knallbunt und wunderschön. Peele findet Bilder, die man nicht so schnell vergisst. Einen Rhythmus, der in Trance versetzt, lässt man sich darauf ein. Und einen Ton, der als akustischer zweiter Film in den Ohren knackt, dröhnt und surrt. Das Hören ist in Nope genauso wichtig wie das Sehen, beides schafft die komplexe Atmosphäre eines Erlebnisses der Dritten Art, das einst Richard Dreyfus in Spielbergs Klassiker Unheimliche Begegnung der Dritten Art so nachhaltig prägen wird. Peele ist ein Meister der Reduktion – die Kunst des Weglassens und Andeutens hat schon Gareth Edwards in Monsters so gut gekonnt. Peele perfektioniert es und lässt in seiner beängstigenden X-Faktor-Bedrohung das Publikum aus allen Wolken fallen. Am Ende lässt sich der Avantgardist aber zu etwas hinreißen, was ich seinen Helden wohl vorenthalten hätte. Vielleicht nimmt er damit seiner Aussage den Wind aus den aufgeblähten Segeln, doch leicht kann es sein, und der Film will in Wahrheit etwas ganz anderes, als ich annehme. Macht aber nichts – Filme, über die man lange rätseln kann, bleiben auch lange im Gedächtnis. Und sind allein dadurch fast schon genial.

Nope

21 Bridges

LOCKDOWN FÜR EINE NACHT

4/10

 

21Bridges© 2019 Constantin Film

 

LAND: USA 2019

REGIE: BRIAN KIRK

CAST: CHADWICK BOSEMAN, SIENNA MILLER, J.K. SIMMONS, TAYLOR KITSCH, KEITH DAVID U. A. 

 

Was machen all die Schauspieler aus dem MCU, wenn sie darauf warten müssen, endlich wieder in ihre gewinnbringenden Rollen zu schlüpfen? Sie verlassen sich auf ihre Agenten, die einen Plan B haben und ihnen Jobs vermitteln, die die Kaffeekassa zwar klingeln lassen, in den Filmgeschichtsbüchern aber nicht mal eine Fußnote wert sind. Einer dieser Stars, der nun Filme dreht, weil er Schauspieler ist, schlüpft normalerweise in die Rolle des Black Panther und nennt sich Chadwick Boseman. Der hat für einen urbanen Polizeithriller unterschrieben, der sich wiederum 21 Bridges nennt und in welchem Brücken ungefähr so eine große Rolle spielen wie die Freiheitsstatue in der Hudson Bay von New York, die im Film nur aus der Entfernung schemenhaft zu erkennen ist. Die Brücken sind auch mal kurz zu sehen, doch abspielen tut sich dort gar nichts. Tatsächlich geht’s darum, den Stadtteil Manhattan mal für eine Nacht runterzufahren und von der übrigen Metropole abzuschotten, da zwei Verbrecher hier irgendwo in den Straßen ihr Unwesen treiben und die natürlich am besten gestern gefasst werden müssen, da sie sich als Copkiller versündigt haben, nebenbei aber noch Hamsterladungen Rauschgift mit sich herumschleppen. Dann klappen wir mal die Brücken hoch, so die Exekutive. Ein Lockdown bis zum Morgengrauen. Das war’s dann auch schon mit den Brücken. Hätte sich da nicht mehr daraus machen lassen können, also mit den Brücken zumindest? Wäre es nicht naheliegend gewesen, diese 21 Brücken irgendwie einzubinden in die nächtliche Hatz?

Stattdessen ist Brian Kirks erste Spielfilmregie Business as usual. In jedem gefühlt zweiten Polizeifilm, so auch in diesem, sind Polizisten schwächer als ihr Berufscodex, und folglich korrupt – selbige Blase zieht sich meist sehr weit und hat gute Connections zur Unterwelt. Dass die Blauuniformierten hier nicht schon längst auf die Barrikaden gestiegen sind, um sich über deren Darstellung im Kino zu beschweren, wundert mich eigentlich. Oder ist da wirklich so viel Wahres dran, dass sich ein ganzes Berufsfeld gar nicht mal so verunglimpft fühlt? Polizisten sind in solchen Filmen leicht austauschbare Stereotypen geworden. Boseman macht hier auch keine Ausnahme. Ein traumatisierter Ehrgeizler, verkniffen und bis zum Komplex unlocker. Dieser Filmfigur kommt keiner nahe, und das nicht, weil sie so gefährlich aussieht oder entsprechend agieren würde. Man kommt ihr genauso wenig nahe wie einem Magistratsbediensteten kurz vor dem Parteienverkehr an einem Montagmorgen. Boseman steckt sein Terrain ab, und eigentlich lädt er uns nicht ein, ihm zu folgen. Da folgen wir lieber den beiden Killern – einer davon Ex-John Carter on Mars Taylor Kitsch – die ganz von selbst in einen mörderischen Strudel Richtung abwärts kreisen. Ihre Performance ist kein Vergleich zu den ermittelnden Guten, die in ihrer verschlafenen Pflichterfüllung eigentlich nur tun, was sie tun müssen. Bei Sienna Miller suche ich auch vergeblich nach dem Kick-Off für ihre Rolle, so zerstreut und mit undefiniertem Hangover zappelt sie hinter Chefermittler Boseman her, dem der Brückenschlag zu seiner teilnahmslosen Assistentin aus dem Drogendezernat einfach nicht gelingen will.

21 Bridges